Beteiligte
Niedersächsische Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben - Landesversorgungsamt - |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 12. Dezember 1997 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die am 13. September 1972 geborene Klägerin beantragte aufgrund ihrer am 3. April 1974 erfolgten Pockenschutzimpfung am 12. August 1991 Entschädigung nach §§ 51 f Bundesseuchengesetz. Im Verfahren gegen den Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 18. Juni 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Januar 1993 holte das Sozialgericht (SG) Osnabrück von Amts wegen ein Gutachten des Prof. Dr. E. nach Aktenlage ein. Dieses am 24. März 1993 erstellte Gutachten fiel für die Klägerin ungünstig aus. Auf ihren Antrag (§ 109 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) wurde die Klägerin dann – erstmals im Herbst 1994 – von dem gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. Dr. H. untersucht und begutachtet. Trotz dessen – für die Klägerin günstigen – Gutachtens vom 22. November 1994 wies das SG die Klage ab. Im zweiten Rechtszug holte das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen ein Gutachten nach Aktenlage des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. K. vom 20. Juli 1997 ein, das aufgrund von beigezogenen Originalunterlagen über stationäre Behandlungen der Klägerin im Herbst 1972, Winter 1972/73, Herbst 1973 und April bis Juni 1974 am 5. Oktober 1997 ergänzt wurde und schließlich ebenfalls für die Klägerin ungünstig ausfiel. Nachdem die Klägerin zunächst schriftsätzlich weitergehende Anträge gestellt hatte, ließ sie in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG vom 12. Dezember 1997 durch ihren Rechtsanwalt hilfsweise nur noch beantragen, das Erscheinen des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. H. anzuordnen, damit dieser sein schriftliches Gutachten vom 22. November 1994 erläutere. Gegen das am Tage der mündlichen Verhandlung ergangene, die Berufung der Klägerin zurückweisende Urteil des LSG richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin, die ausschließlich mit Verfahrensmängeln begründet wird.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG muß – wenn die Beschwerde auf Verfahrensmängel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG gestützt wird – der jeweilige Verfahrensmangel „bezeichnet” werden. Dies setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) voraus, daß die die Verfahrensrüge begründenden Tatsachen im einzelnen genau angegeben sind und in sich verständlich den behaupteten Verfahrensfehler ergeben (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, RdNrn 188 f). Das Vorbringen des Beschwerdeführers muß also schlüssig einen Verfahrensfehler des LSG erkennen lassen. Diesen formellen Anforderungen entspricht das Rechtsmittel der Klägerin nicht.
Die Klägerin rügt in erster Linie Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG; Art 103 Abs 1 Grundgesetz ≪GG≫). Soweit sie diese Rüge darauf stützt, daß das LSG ihrem Antrag nicht gefolgt ist, den vom SG nach § 109 SGG gehörten Sachverständigen Prof. Dr. Dr. H. zur Erläuterung seines Gutachtens zu hören, läßt die Beschwerde einen Verfahrensfehler des LSG nicht erkennen.
Die erhobene Rüge ist nicht schon nach § 160 Abs 2 Nr 3 zweiter Halbsatz SGG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung des § 109 SGG gestützt werden. Diese Regelung steht der Zulässigkeit der erhobenen Rüge nicht entgegen. Zwar ist das Gutachten des Prof. Dr. Dr. H. vom 22. November 1994 aufgrund eines nach § 109 SGG gestellten Antrags eingeholt worden. Gleichwohl handelt es sich um ein Sachverständigengutachten, hinsichtlich dessen die Klägerin grundsätzlich Anspruch auf rechtliches Gehör genoß.
Nach ständiger Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte und des Bundesverfassungsgerichts hat der Verfahrensbeteiligte grundsätzlich – zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs – ein Recht auf Befragung eines Sachverständigen, der ein (schriftliches) Gutachten erstattet hat (§§ 116 Satz 2, 118 Abs 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 Zivilprozeßordnung ≪ZPO≫; § 62 SGG). Das Fragerecht besteht unabhängig von dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, bei einem erläuterungsbedürftigen schriftlichen Gutachten nach § 411 Abs 3 ZPO das Erscheinen des Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens anzuordnen (vgl Urteile des BSG vom 20. August 1987 - 5a RKn 1/87 - Kompaß 1988, 77 - und vom 25. Februar 1992 - 4 RA 6/91 SozSich Rspr Nr 4475 - sowie Bundesgerichtshof ≪BGH≫ Urteil vom 10. Dezember 1991 NJW 1992, 1459; Urteil vom 17. Dezember 1996 - VI ZR 50/96 NJW 1997, 802 f; Urteil vom 18. Juni 1997 - XII ZR 96/95 - NJW-RR 1997, 1487 f - sowie Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫ Beschluß vom 3. Februar 1998 NJW 1998, 2273). Es ist Ausfluß des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG) und darf nur bei Mißbrauch ausgeschlossen werden. Es besteht allerdings nur hinsichtlich solcher Gutachten, die im selben Rechtszug erstattet worden sind (vgl BGH aaO; ferner BGHZ 35, 370, 372 f; BSG Urteil vom 16. Januar 1986 SozR 1750 § 411 Nr 2).
Macht der Beteiligte von seinem Fragerecht – wie hier – nicht innerhalb desselben Rechtszugs Gebrauch, in dem das Gutachten eingeholt worden ist, so kann er die Anhörung des Sachverständigen im nächsten Rechtszug nur noch verlangen, wenn die Voraussetzungen für eine notwendige Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens gemäß § 411 Abs 3 ZPO vorliegen und die Ablehnung des entsprechenden Antrags durch die nunmehr tätige Instanz ermessenswidrig wäre (vgl die zitierte Rechtsprechung des BGH). Dabei neigt die Rechtsprechung (zB BGH Urteil vom 18. Juni 1997 aaO, Urteil des 4. Senats des BSG vom 25. Februar 1992 aaO) dazu, auch diesen eingeschränkten Anspruch auf Ladung des Sachverständigen noch als Teil des Anspruchs auf rechtliches Gehör anzusehen.
Daß hier nach § 118 Abs 1 SGG iVm § 411 Abs 3 ZPO die Voraussetzungen für eine Ladung des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. Dr. H. durch das LSG vorgelegen hätten, ergibt sich aus der Beschwerdebegründung der Klägerin nicht. Es hätte dazu der Darlegung bedurft, daß das LSG dem Antrag der Klägerin auf Ladung des Sachverständigen hätte folgen müssen. Dazu wäre darzulegen gewesen, daß die Klägerin an den Sachverständigen sachdienliche Fragen gestellt hätte und sie diese bereits vor dem LSG angekündigt (vgl Senatsbeschluß vom 12. November 1996 - 9 BVs 34/96; Beschluß des 9a-Senats des BSG vom 11. September 1991, NJW 1992, 455; Meyer-Ladewig, RdNr 12h zu § 118 SGG) oder daß Aufklärungs- bzw Ermittlungsbedarf bestanden hatte (vgl Thomas-Putzo ZPO-Komm, 19. Aufl, RdNr 5 zu § 411). Nur unter diesen Voraussetzungen wandelt sich das pflichtgemäße Ermessen in § 411 ZPO zu einer Verpflichtung des Gerichts (vgl Meyer-Ladewig, aaO; Udsching, NZS, 1992, 50, 53, BGH NJW-RR 1997, 1487 f; BSG Urteil vom 21. Januar 1975, SozSich 1975, Rspr Nr 2947) und wäre ohne weiteres davon auszugehen, daß dem Sachverständigen sachdienliche Fragen im Sinne des § 116 Satz 2 SGG gestellt worden wären.
In den bisher vom BSG entschiedenen einschlägigen Fällen, insbesondere in den zitierten Urteilen des 5a-Senats vom 20. August 1987 und des 4. Senats vom 25. Februar 1992 hatte jeweils ein objektiver Ermittlungsbedarf im Sinne des § 103 SGG bestanden, weil das bisherige – einzige – Sachverständigengutachten noch Fragen offenließ. Ähnlich hatte in den vom BGH entschiedenen Fällen (aaO) die beantragte Erläuterung des Gutachtens zur Ausräumung von Unklarheiten, Unvollständigkeiten und Widersprüchlichkeiten des Sachverständigengutachtens gedient (vgl dazu Thomas-Putzo, aaO, RdNr 4 zu § 286 ZPO).
Zu der erforderlichen Darlegung verbliebenen objektiven Ermittlungsbedarfs reicht der Vortrag der Klägerin nicht aus, das Gutachten des Prof. Dr. K. habe im Ergebnis dem Gutachten des Prof. Dr. Dr. H. widersprochen und bei beiden Sachverständigen habe es sich um „Koryphäen” gehandelt. Denn aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich, daß das Gutachten des Prof. Dr. K., insbesondere seine Ergänzung vom 5. Oktober 1997, aufgrund von erst in der zweiten Instanz in das Verfahren eingeführten Krankengeschichten aus den Jahren 1972 bis 1974 erstellt worden ist. Angesichts dieses Umstandes hätte die Klägerin die Widersprüche zwischen dem Gutachten des Prof. Dr. K. und des Prof. Dr. Dr. H. substantiiert darlegen und aufzeigen müssen, daß diese sich nicht daraus erklären, daß Prof. Dr. Dr. H. die Krankengeschichten noch nicht vorlagen bzw daß und in welchen Punkten das Gutachten des Prof. Dr. K. nicht überzeugend oder in sich widersprüchlich sei oder daß sich seine Abweichungen von dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. H. nur durch weitere Ermittlungsmaßnahmen beseitigen ließen. Soweit die Klägerin das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. K. deswegen angreift, weil dieses nach Aktenlage und nicht aufgrund einer persönlichen Untersuchung der Klägerin erstellt wurde, legt die Klägerin nicht dar, inwiefern dieses Gutachten, in welchem auch die von Prof. Dr. Dr. H. aufgrund persönlicher Untersuchung erhobenen Befunde verwertet werden konnten, im einzelnen durch das Fehlen einer erneuten medizinischen Untersuchung unzuverlässig, lückenhaft oder widersprüchlich ausgefallen sein sollte.
Unerheblich ist es für den erforderlichen Ermittlungsbedarf, ob sich das Gutachten des Prof. Dr. Dr. H. – etwa aufgrund des späteren Gutachtens des Prof. Dr. K. – als ergänzungsbedürftig oder lückenhaft erwiesen hat, was die Klägerin übrigens gar nicht vorträgt. Darauf kommt es schon deswegen nicht an, weil sich das LSG nach dem Vortrag der Klägerin auf das Gutachten des Prof. Dr. Dr. H. nicht gestützt hat. Aus diesem Grunde ist auch nicht ersichtlich, inwieweit (wenn ein objektiver Ermittlungsbedarf nicht bestand) die unterlassene Ladung des Prof. Dr. Dr. H. zur Erläuterung seines Gutachtens auf das Verfahrensergebnis von Einfluß gewesen sein soll, inwiefern also das angefochtene Urteil auf dieser Unterlassung beruhen konnte (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
In den vom BGH (aaO) entschiedenen Fällen war zu bestimmten Beweisthemen jeweils nur ein einziges Gutachten eingeholt worden, das das Gericht des zweiten Rechtszuges – anders als hier – als überzeugend seiner Entscheidung zugrunde gelegt hatte. Hier dagegen hat das LSG das im ersten Rechtszug erstattete Gutachten des Prof. Dr. Dr. H. seiner Entscheidung gerade nicht zugrunde gelegt, sondern ein weiteres Gutachten (des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. K.) eingeholt. Daß trotzdem noch Ermittlungsbedarf bestand, hätte die Klägerin im einzelnen aus dem Gutachten des Prof. Dr. K. herleiten müssen.
Nach allem hat die Klägerin die Voraussetzungen, unter denen das LSG nur ermessenswidrig von einer Ladung des Prof. Dr. Dr. H. zur Erläuterung seines Gutachtens (§ 116, § 118 Abs 1 SGG iVm § 411 Abs 3 ZPO) hätte Abstand nehmen können, nicht schlüssig dargetan.
Soweit die Klägerin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darin sieht, daß das LSG den gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. K. nicht zur Erläuterung seines Gutachtens geladen hat, muß sie sich entgegenhalten lassen, daß sie selbst nicht vorträgt, einen entsprechenden Antrag noch in der mündlichen Verhandlung vom 12. Dezember 1997 vor dem LSG aufrechterhalten zu haben. Demgegenüber ergibt sich sowohl aus der Sitzungsniederschrift des LSG als auch aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils, daß die durch einen Anwalt vertretene Klägerin zuletzt lediglich noch die Ladung des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. Dr. H. beantragt hatte. Entsprechendes gilt, soweit eine Verletzung des rechtlichen Gehörs etwa darin zu sehen sein könnte, daß die Ladung der Mutter der Klägerin als Zeugin unterblieben ist (vgl dazu § 202 SGG iVm § 295 ZPO; SozR 1500 § 160a Nr 61).
Soweit die Klägerin die unterlassene Ladung des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. K. sowie der Mutter der Klägerin als Zeugin unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz des § 103 SGG rügt, ist diese Rüge nach § 160 Abs 2 Nr 3 zweiter Halbsatz SGG unzulässig. Nach dieser Vorschrift kann der geltend gemachte Verfahrensmangel auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Auch wenn man annehmen wollte, daß hinsichtlich der Ladung des Prof. Dr. K. ursprünglich schriftsätzlich ein echter Beweisantrag gestellt, und nicht nur eine Beweisanregung gegeben worden ist (vgl dazu BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9), so ist doch davon auszugehen, daß diese Anträge in der maßgebenden mündlichen Verhandlung nicht mehr weiterverfolgt worden sind (vgl Beschluß des 10. Senats vom 30. Juni 1998 - B 10 AL 8/98 B; auch BVerfG Beschluß vom 19. Februar 1992 SozR 3-1500 § 160 Nr 6). Wird ein Beweisantrag in einem vorbereitenden Schriftsatz gestellt, ist er dann nicht (iS des § 160 Abs 2 Nr 3 zweiter Halbsatz SGG) übergangen worden, wenn aus den näheren Umständen zu entnehmen ist, daß er in der maßgebenden mündlichen Verhandlung nicht mehr aufrechterhalten wurde. Dies ist bei rechtskundig vertretenden Beteiligten regelmäßig dann anzunehmen, wenn in der letzten mündlichen Verhandlung nur noch ein Sachantrag gestellt und der Beweisantrag nicht wenigstens hilfsweise – auch durch eine ausdrückliche Bezugnahme auf den früher gestellten Antrag – wiederholt wird. Dasselbe hat (erst recht) dann zu gelten, wenn ein sonstiger Verfahrensantrag hilfsweise gestellt wird, der nicht die Aufrechterhaltung des früher schriftsätzlich gestellten Beweisantrages erkennen läßt (vgl insofern auch Beschluß des Senats vom 23. Juni 1998 - B 9 V 31/98 B).
Soweit die Ladung des Prof. Dr. Dr. H. beantragt worden ist, trägt der Senat zwar keine Bedenken, in diesem Antrag zugleich einen Beweisantrag iS des § 160 Abs 2 Nr 3 zweiter Halbsatz SGG zu sehen. Es geht aber insoweit – wie weiter oben ausgeführt – aus dem Vorbringen der Klägerin nicht hervor, daß und warum sich das LSG zur Befolgung dieses Beweisantrages hätte gedrängt fühlen müssen.
Die sonach unzulässige Beschwerde ist – ohne daß es einer Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter bedarf (BVerfGE 48, 246 = SozR 1500 § 160a Nr 30; BSG SozR 1500 § 160a Nrn 1 und 5) entsprechend § 169 SGG zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen