Verfahrensgang

LSG Hamburg (Urteil vom 27.10.2021; Aktenzeichen L 1 KR 41/20)

SG Hamburg (Entscheidung vom 19.02.2020; Aktenzeichen S 18 KR 1411/17)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 27. Oktober 2021 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3986 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I

Das klagende Krankenhaus implantierte einer Versicherten der beklagten Krankenkasse (KK) nach vollstationärer Aufnahme am 26.7.2016 einen Ereignisrekorder, um anfallsartig auftretende Herzrhythmusstörungen detektieren und dann gegebenenfalls kurzfristig eine bedarfsweise Antikoagulation (medikamentöse Hemmung der Blutgerinnung) initiieren zu können. Der Eingriff dauerte zehn Minuten, die Entlassung erfolgte nach unkompliziertem Verlauf am Folgetag. Die Klägerin rechnete hierfür 3986 Euro nach Fallpauschale (DRG) F12H (Implantation eines Herzschrittmachers, Ein-Kammersystem, ohne invasive kardiologische Diagnostik bei bestimmten Eingriffen, Alter ≫ 15 Jahre, mit Implantation eines Ereignisrekorders) ab. Die KK zahlte diesen Betrag zunächst, verrechnete ihn jedoch später unter Hinweis auf ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) mit einer anderweitigen unstreitigen Forderung des Krankenhauses, da keine stationäre Behandlungsbedürftigkeit vorgelegen habe. Das SG hat die Klage abgewiesen. Das LSG hat die Berufung des Krankenhauses zurückgewiesen: Wie der vom SG gehörte Gutachter überzeugend ausgeführt habe, sei der Eingriff ambulant möglich gewesen, sodass keine stationäre Behandlungsbedürftigkeit vorgelegen habe. Der etwa zwei Streichhölzer große Ereignisrekorder sei nicht operativ eingesetzt worden, sondern mittels einer speziellen Einführhilfe unter die Haut gespritzt worden. Zur stationären Behandlungsbedürftigkeit führe auch nicht, dass die Implantation eines Ereignisrekorders ambulant nicht angeboten werde, da sie im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) nicht aufgeführt sei und (mangels Antragstellung) auch keine Anerkennung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) vorliege (Urteil vom 27.10.2021).

Das Krankenhaus wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.

II

Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Darlegungsanforderungen.

1. Wer sich - wie hier das Krankenhaus - auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 ff mwN). Diesen Anforderungen genügt das Beschwerdevorbringen nicht.

Das Krankenhaus formuliert die Rechtsfrage,

"ob ein Krankenhaus unter dem Gesichtspunkt des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs zumindest die Sachkosten einer medizinisch indizierten Prozedur (hier der Implantation eines Ereignisrekorders) verlangen kann, wenn im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Behandlung ein sog. Systemversagen in Gestalt des grundlosen Fehlens einer Abrechnungsposition mit der Folge von Versorgungslücken im GKV-System vorliegt".

Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie bereits höchstrichterlich entschieden ist. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG vom 22.2.2017 - B 1 KR 73/16 B - juris RdNr 8 mwN; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit eines entsprechenden Maßstabs BVerfG ≪Kammer≫ vom 12.9.1991 - 1 BvR 765/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f = juris RdNr 4). Eine Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, obwohl das BSG sie noch nicht ausdrücklich behandelt hat, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sodass eine weitere Klärung oder Fortentwicklung des Rechts nicht mehr zu erwarten ist (stRspr; vgl zB BSG vom 16.4.2012 - B 1 KR 25/11 B - juris RdNr 7 mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.

Versicherte haben Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus (§ 108 SGB V), wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Das zugelassene Krankenhaus ist im Rahmen seines Versorgungsauftrags zur Krankenhausbehandlung der Versicherten verpflichtet (§ 109 Abs 4 Satz 2 SGB V) und kann dafür Vergütung von den KKn fordern (vgl § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V; BSG vom 17.12.2013 - B 1 KR 70/12 R - BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 10 mwN; BSG vom 23.6.2015 - B 1 KR 20/14 R - BSGE 119, 141 = SozR 4-2500 § 108 Nr 4, RdNr 10). Eine ambulante Operation darf das Krankenhaus nur erbringen und ist nur dann abrechenbar, wenn die Leistung im AOP-Katalog aufgeführt ist (vgl BSG vom 1.7.2014 - B 1 KR 1/13 R - BSGE 116, 146 = SozR 4-2500 § 115b Nr 5).

Danach ist die - hier nach den unangegriffenen und den Senat daher bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG nicht gegebene - stationäre Behandlungsbedürftigkeit Voraussetzung des Anspruchs eines zugelassenen Krankenhauses auf Vergütung der von ihm erbrachten stationären Leistungen. Das Krankenhaus durfte mangels einer entsprechenden Regelung den Eingriff auch nicht nach § 115b SGB V iVm dem AOP-Katalog ambulant durchführen. Das Krankenhaus legt nicht dar, warum eine isolierte Vergütung von Sachkosten trotz fehlender stationärer Behandlungsbedürftigkeit und fehlender Abrechenbarkeit als ambulante Operation (auch nach den Grundsätzen des fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens; vgl dazu BSG vom 19.11.2019 - B 1 KR 6/19 R - SozR 4-2500 § 109 Nr 81 RdNr 26) noch Klärungsbedarf bestehen soll. Es setzt sich auch nicht mit der umfangreichen Rechtsprechung des BSG zum Systemversagen auseinander (verursacht durch den GBA vgl zB BSG vom 7.5.2013 - B 1 KR 44/12 R - BSGE 113, 241 = SozR 4-2500 § 13 Nr 29 ≪hyperbare Sauerstofftherapie≫; zum Anspruch auf Kostenerstattung bei grundlosem Fehlen einer Abrechnungsposition im EBM für eine von der gesetzlichen Krankenversicherung umfasste Leistung BSG vom 2.9.2014 - B 1 KR 11/13 R - BSGE 117, 10 = SozR 4-2500 § 13 Nr 32 ≪Lucentis≫; dagegen zu den Grenzen eines Leistungsanspruchs bei faktischen Versorgungslücken vgl BSG vom 17.12.2020 - B 1 KR 19/20 R - SozR 4-2500 § 15 Nr 3 ≪Nadelepilation≫; BSG vom 18.12.2018 - B 1 KR 34/17 R - SozR 4-2500 § 28 Nr 9 ≪Nagelspange≫). Es legt nicht dar, inwiefern die gestellte Frage nach dem Stand dieser Rechtsprechung nicht ohne Weiteres zu beantworten sein soll.

Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Beantwortung der hierdurch aufgeworfenen Fragen über die Anwendung der bestehenden Rechtssätze auf den konkreten Sachverhalt hinausgeht (vgl hierzu zB BSG vom 20.1.2016 - B 14 AS 8/15 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 25 RdNr 15 mwN).

Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO, diejenige über den Streitwert auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG. Die Klägerin begehrt "zumindest" die Sachkosten, hat jedoch ihr Rechtsmittel betragsmäßig nicht beschränkt, sodass weiterhin die Kosten der Fallpauschale F12H für den Streitwert maßgeblich sind.

Schlegel

Estelmann

Scholz

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15766820

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