Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 20. Oktober 2022 wird als unzulässig verworfen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 17 129,63 Euro festgesetzt.
Gründe
I
Streitig ist die Vergütung einer 2017 durchgeführten stationären Behandlung eines Versicherten der beklagten Krankenkasse (KK) im Krankenhaus der Klägerin, die die Implantation eines Neurostimulators zur epiduralen Rückenmarkstimulation(OPS 5-039.n1; ZE141: 10 175,63 Euro) durch das klägerische Krankenhaus einschloss(geltend gemachte Gesamtkosten: 17 129,63 Euro) . Das Krankenhaus hatte in diesem Jahr einen Versorgungsauftrag lediglich für Chirurgie (und andere Fachgebiete), nicht hingegen für Neurochirurgie. Die Beklagte lehnte eine Vergütung der stationären Behandlung unter Hinweis darauf ab, dass das Krankenhaus nach einem im Jahr 2016 erstatteten Strukturgutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) nicht die personellen, fachlichen und sachlichen Voraussetzungen zur Berechnung des ZE141 erfülle. Denn es verfüge nicht über die nach der S3-Leitlinie "Epidurale Rückenmarkstimulation zur Therapie chronischer Schmerzen" erforderliche Profession der Neurochirurgie. Die streitige Leistung unterfalle daher nicht dem Versorgungsauftrag. Nach der Weiterbildungsordnung (WBO) der Landesärztekammer Hessen gehöre die Implantation von Elektroden in den Spinalraum eher zur Neurochirurgie. Das SG hat der Klage stattgegeben: Weder OPS 5-039.n1 noch ZE141 enthielten entsprechende Strukturvorgaben. Es fehle daher eine Rechtsgrundlage, um den Vergütungsanspruch entsprechend zu beschränken(Urteil vom 13.10.2020) . Das LSG hat das SG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen: Die Reichweite des Versorgungsauftrags für Chirurgie könne offenbleiben. Jedenfalls habe die Implantation eines Neurostimulators ohne Vorhalten einer neurochirurgischen Abteilung im Jahr 2017 nicht dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse in Bezug auf die Struktur- und Prozessqualität entsprochen(Urteil vom 20.10.2022) .
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung.
Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist(vgl zBBSG vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG ≪Kammer≫ vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 ff mwN) . Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.
Die Klägerin formuliert folgende Rechtsfragen:
"1. Kann zur Bestimmung des Vergütungsanspruchs des Krankenhauses nach§ 109 Abs. 4 S. 3 SGB V i. V. m.§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KHEntgG , § 17b Abs. 1 S. 1 KHG i.V.m. der Fallpauschalenvereinbarung und dem Landesvertrag nach§ 112 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB V ein vor dem streitgegenständlichen Zeitraum ohne gesetzliche Grundlage ergangenes Strukturgutachten herangezogen werden?
2. Kann§ 275d Abs. 1 SGB V , welcher erst zum 01.01.2020 in Kraft getreten ist, rückwirkend eine Ermächtigungsgrundlage für das Strukturgutachten von 2016 darstellen?
3. Kann die S3-Leitlinie zur 'Epiduralen Rückenmarkstimulation zur Therapie chronischer Schmerzen' rechtlich verbindlich sein, mit der Folge, dass die dort niedergelegten Anforderungen konstitutive Voraussetzung für den Vergütungsanspruch des Krankenhauses sind?
4. Liegt ein Verstoß gegen das Qualitätsgebot aus§ 2 Abs. 1 S. 3 SGB V vor, wenn die in der vorbezeichneten S3-Leitlinie genannten Anforderungen nicht erfüllt sind?"
1. In Bezug auf die Fragen zu 1. und 2. legt sie aber schon die Klärungsbedürftigkeit nicht ausreichend dar. Klärungsbedürftig sind Rechtsfragen, auf die sich eine Antwort noch nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz ergibt, die durch die höchstrichterliche Rechtsprechung noch nicht unmittelbar geklärt sind und auf die sich eine Antwort auch nicht zumindest mittelbar aus bereits vorhandenen höchstrichterlichen Entscheidungen finden lässt. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll(vglBSG vom 27.5.2020 - B 1 KR 8/19 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 40 RdNr 6). Das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren fehlt, wenn ihre Beantwortung nach der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung keinem vernünftigen Zweifel unterliegt, die Frage also "geklärt" ist. Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann dennoch klärungsbedürftig sein, wenn der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden, was im Rahmen der Beschwerdebegründung ebenfalls darzulegen ist(vglBSG vom 22.2.2017 - B 1 KR 73/16 B - juris RdNr 8 mwN; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit eines entsprechenden Maßstabs BVerfG ≪Kammer≫ vom 12.9.1991 - 1 BvR 765/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f = juris RdNr 4) . Daran fehlt es vorliegend.
Die Klägerin setzt sich nicht mit der bereits ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Verwertbarkeit von Strukturgutachten des MDK, die vor Inkrafttreten des§ 275d SGB V erstellt wurden, auseinander. Danach dürfen KK bei der Abrechnungsprüfung auch Erkenntnisse aus einer vom MDK abstrakt durchgeführten Strukturanalyse verwerten, an der das Krankenhaus freiwillig mitgewirkt hat. Dass es hierfür im Jahr 2016 an einer rechtlichen Grundlage fehlte, ist unerheblich(vglBSG vom 10.11.2021 - B 1 KR 36/20 R - BSGE 133, 126 = SozR 4-2500 § 275 Nr 36, RdNr 17 ff) . Warum angesichts dessen hier noch Klärungsbedarf besehen soll, legt die Klägerin nicht dar.
2. In Bezug auf die Rechtsfragen zu 3. und 4. fehlt es an Darlegungen zur Klärungsfähigkeit. Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nur dann, wenn das BSG im angestrebten Revisionsverfahren überhaupt hierüber entscheiden müsste, die Frage also entscheidungserheblich ist(vglBSG vom 13.1.2017 - B 12 R 23/16 B - juris RdNr 20 ; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG ≪Kammer≫ vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14 = juris RdNr 8) . Wie das Vorliegen grundsätzlicher Bedeutung insgesamt, ist dies auf der Tatsachengrundlage der Vorinstanz zu beurteilen. Auch Darlegungen zur Klärungsfähigkeit müssen sich also auf die Tatsachen beziehen, die das LSG in der angegriffenen Entscheidung mit Bindungswirkung für das BSG(§ 163 SGG ) festgestellt hat(vglBSG vom 12.8.2020 - B 1 KR 46/19 B - juris RdNr 10 mwN) . Auch hieran fehlt es.
Das LSG hat entschieden, dass die Durchführung der Implantation des Neurostimulators im Jahr 2017 nicht dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprach. Das Qualitätsgebot des§ 2 SGB V umfasse auch strukturelle und prozessuale Anforderungen als Voraussetzungen für die Leistungserbringung, da das Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebot geböten, den Weg des gesicherten Nutzens zu gehen, auch solange die Konkretisierung der Anforderungen an die Leistungserbringung nicht von dem in erster Linie dafür zuständigen GBA geregelt worden sei(Hinweis aufBSG vom 16.8.2021 - B 1 KR 18/20 R - BSGE 133, 24 = SozR 4-2500 § 2 Nr 17 - RdNr 11) . Der zum Zeitpunkt der Behandlung aktuelle medizinische Erkenntnisstand habe sich in der S3-Leitlinie "Epidurale Rückenmarkstimulation zur Therapie chronischer Schmerzen (Stand: 07/2013) gezeigt". Warum sich das BSG bei dieser Sachlage mit der Frage nach einer rechtlichen Verbindlichkeit befassen sollte, legt die Klägerin nicht dar.
Es fehlen außerdem auch hinsichtlich der Rechtsfragen zu 3. und 4. ausreichende Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit(zu den Darlegungsanforderungen vgl 1.) . Die Klägerin setzt sich auch insoweit nicht mit der hierzu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Ermittlung des Standes der medizinischen Erkenntnis sowie der Rolle, die die Leitlinien der Fachgesellschaften in diesem Zusammenhang spielen, auseinander(vgl insbesondereBSG vom 16.8.2021 - B 1 KR 18/20 R - BSGE 133, 24 = SozR 4-2500 § 2 Nr 17, RdNr 27 ff zu TAVI;BSG vom 13.12.2005 - B 1 KR 21/04 R - SozR 4-2500 § 18 Nr 5 RdNr 30 ff zur Methode Kozijavkin;BSG vom 30.6.2009 - B 1 KR 5/09 R - SozR 4-2500 § 31 Nr 15 RdNr 47 zur ADHS-Behandlung;BSG vom 16.2.2005 - B 1 KR 18/03 R - BSGE 94, 161, 169 f = SozR 4-2500 § 39 Nr 4 RdNr 21 f zur Schizophreniebehandlung;BSG vom 19.2.2003 - B 1 KR 1/02 R - BSGE 90, 289, 294 f = SozR 4-2500 § 137c Nr 1 RdNr 15 zu bariatrischen Operationen), und sie legt nicht dar, warum angesichts dieser Rechtsprechung noch Klärungsbedarf bestehen soll.
3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab(§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ) .
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm§ 154 Abs 2 VwGO , diejenige über den Streitwert auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm§ 63 Abs 2 Satz 1 ,§ 52 Abs 1 und 3,§ 47 Abs 1 und 3 GKG.
Estelmann |
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Bockholdt |
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Scholz |
Fundstellen
Dokument-Index HI16322319 |