Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionsnichtzulassungsbeschwerde. Revisionsgrund der grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Darlegung der Klärungsbedürftigkeit bei behaupteten Verstößen gegen Verfassungsrecht. Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit der Einbeziehung in öffentlich-rechtliche Zwangsversicherungen. Selbstständiger Rechtsanwalt. Lehrtätigkeit. Versicherungspflicht als Lehrer. Nichtzulassungsbeschwerde. grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
Orientierungssatz
1. Soweit in der unterschiedlichen Ausgestaltung der Versicherungspflichttatbestände in § 2 S 1 Nr 1 SGB 6 einerseits und Nr 9 SGB 6 andererseits eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung gesehen wird, wird verkannt, dass Begründungsanforderungen an die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage nicht dadurch geringer werden, dass ein Verstoß gegen Verfassungsrecht gerügt wird. Die Begründung darf sich daher nicht auf eine bloße Berufung auf Art 3 Abs 1 GG beschränken, sondern muss unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG darlegen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergibt (vgl BSG vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 = SozR 1500 § 160a Nr 11). Hierzu ist insbesondere der Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufzuzeigen, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung zu erörtern und eine vor Art 3 Abs 1 GG nicht mehr zu rechtfertigende Ungleichbehandlung darzulegen, der gerade dadurch Rechnung zu tragen ist, dass auch bei Lehrern die Versicherungspflicht entfällt, wenn sie für mehrere Auftraggeber tätig sind.
2. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss wurde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG 1. Senat 2. Kammer vom 14.4.2009 - 1 BvR 2593/06).
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; SGB 6 § 2 S. 1 Nrn. 1, 9; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
Gründe
Die Beteiligten streiten in der Hauptsache über die Befreiung des Klägers von der Rentenversicherungspflicht als selbstständiger Lehrer.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Rheinland-Pfalz vom 19. Oktober 2005 ist in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 und 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
Das Bundessozialgericht (BSG) darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden.
Dagegen ist die behauptete inhaltliche Unrichtigkeit einer Entscheidung kein Revisionszulassungsgrund.
Der Kläger beruft sich allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung. Die Beschwerdebegründung muss hierzu ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; BVerwG NJW 1999, 304; vgl auch: BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand der Rechtsprechung und Lehre nicht ohne weiteres zu beantworten ist und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtslage im Allgemeininteresse vornehmen soll (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Der Kläger hat zwar die Problemfelder angesprochen,
- ob die in § 2 Satz 1 Ziff 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) normierte Regelung Art 2 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) verletzt, sofern sie auch diejenigen selbstständigen Lehrer in die Versicherungspflicht einbezieht, die ihre Tätigkeit auf Grund befristeter Verträge nur wenige Wochenstunden neben ihrem selbstständigen Hauptberuf ausüben und deren durchschnittliches monatliches Honorar (bis zu 700,00 € pro Monat) die Geringfügigkeitsgrenze lediglich unwesentlich überschreitet, da die damit einhergehende Belastung für den Zwangsversicherten im Verhältnis zur zu erwartenden Rente, die unter dem Sozialhilfesatz liegen dürfte, unzumutbar ist,
- ob die nach den gesetzlichen Tatbeständen des § 2 Satz 1 Ziff 1 SGB VI und des § 2 Satz 1 Ziff 9 SGB VI stattfindende Ungleichbehandlung zwischen Lehrern und sonstigen Selbstständigen durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist,
- ob der Unterricht im Fach "Recht" an verschiedenen Fortbildungseinrichtungen durch einen selbstständigen Rechtsanwalt, der Mitglied im Anwaltsversorgungswerk und in der Rechtsanwaltskammer ist, eine selbstständige Tätigkeit im Sinne von § 6 Abs 1 Satz 1 Ziff 1 SGB VI darstellt, wegen der der Ausübende "aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung" seiner "Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer" ist, und
- ob § 6 Abs 5 Satz 2 SGB VI aus verfassungsrechtlichen Erwägungen - namentlich zur Vermeidung eines Verstoßes gegen Art 3 Abs 1 GG - analog auf selbstständige Rechtsanwälte anzuwenden ist, die nebenbei eine Tätigkeit als selbstständige Lehrbeauftragte an verschiedenen Fortbildungseinrichtungen wahrnehmen.
Es kann unerörtert bleiben, ob er hiermit eine oder mehrere hinreichend konkrete (Rechts-)Fragen formuliert hat. Jedenfalls fehlt es jeweils an den erforderlichen Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit. Den insofern bestehenden Begründungserfordernissen wird generell nicht bereits durch die Behauptung genügt, dass das angegriffene Urteil auf die entsprechende Problematik nicht eingeht. Im Einzelnen gilt hierzu Folgendes.
Soweit der Kläger die Versicherungspflicht von Personen rügt, die die Zeit- und Entgeltgrenzen der Geringfügigkeit "lediglich unwesentlich überschreiten", hätte er zunächst darauf eingehen müssen, warum insofern bei unstreitiger Erfüllung des Versicherungspflichttatbestandes (Tätigkeit als selbstständiger Lehrer) und ebenso eindeutig fehlender Erfüllung des einzig in Betracht kommenden Ausnahmetatbestandes (Geringfügigkeit) überhaupt Klärungsbedürftigkeit gegeben sein sollte. Darüber hinaus fehlt es an einer Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Senats und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Verfassungsmäßigkeit der Einbeziehung in öffentlich-rechtliche Zwangsversicherungen ebenso vollständig wie an der Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung zur verfassungs- und europarechtlichen Unbedenklichkeit der Versicherungsfreiheit wegen Geringfügigkeit nach Grund und Umfang (vgl BSG vom 10. September 1987 - 12 RK 13/85 -, BB 1988, 210 = ErsK 1988, 82 und vom 26. März 1996 - 12 RK 5/95 -, SozR 3-2500 § 5 Nr 26; BVerfG 3. Kammer des 2. Senats vom 21. April 1989 - 1 BvR 678/88 -, SozR 2100 § 8 Nr 6; EuGH Rechtssachen C-317/93, NJW 1996, 445 = DB 1996, 44 und C-444/93, SGb 1996, 224 = DB 1996, 43).
Soweit der Kläger in der unterschiedlichen Ausgestaltung der Versicherungspflichttatbestände in § 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI einerseits und Nr 9 aaO andererseits eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung sehen will, verkennt er ebenfalls, dass die Begründungsanforderungen nicht dadurch geringer werden, dass ein Verstoß gegen Verfassungsrecht gerügt wird. Die Begründung durfte sich daher nicht auf eine bloße Berufung auf Art 3 Abs 1 GG beschränken, sondern hätte unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG darlegen müssen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergibt (BSG in SozR 1500 § 160a Nr 11). Hierzu wäre insbesondere der Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufzuzeigen, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung zu erörtern und eine vor Art 3 Abs 1 GG nicht mehr zu rechtfertigende Ungleichbehandlung darzulegen gewesen, der gerade dadurch Rechnung zu tragen ist, dass auch bei Lehrern die Versicherungspflicht entfällt, wenn sie für mehrere Auftraggeber tätig sind.
Auch soweit der Kläger für grundsätzlich bedeutsam hält, ob der von ihm erteilte Rechtsunterricht Teil seiner Tätigkeit als selbstständiger Rechtsanwalt ist, enthält die Beschwerdebegründung keine ausreichende Darlegung der Klärungsbedürftigkeit. Der Rechtsanwalt ist gemäß § 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) unabhängiges Organ der Rechtspflege. Gemäß § 3 Abs 1 BRAO ist er der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten. Im Blick hierauf wäre über die Behauptung soziologischer Änderungen der Anwaltstätigkeit hinaus zumindest erforderlich gewesen darzulegen, dass die ausgeübte Lehrtätigkeit auch rechtlich Teil der Beratung und Vertretung im "Kampf um das Recht" in konkreten Rechtsangelegenheiten ist und inwiefern sich insofern im Blick auf die Rechtsprechung (vgl etwa BVerfG vom 8. März 1983 - 1 BvR 1078/80 -, BVerfGE 63, 266 und BGH Senat für Anwaltssachen vom 26. Mai 1997 - AnwZ (B) 65/96 -, NJW 1997, 2824 bzw vom 2. Dezember 1991 - AnwZ (B) 47/91 -, juris-Nr: KORE600429200 ) noch Klärungsbedarf ergibt.
Schließlich gilt auch zur verfassungsrechtlichen Analogie zu § 6 Abs 5 Satz 2 SGB VI, was vorstehend bereits zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit bei einem behaupteten Verfassungsverstoß ausgeführt ist.
Hinsichtlich der Klärungsfähigkeit geht die Begründung darüber hinaus nicht darauf ein, dass die Beklagte im Bescheid vom 24. Mai 2002 in der Gestalt des weiteren Bescheides vom 19. Juli 2002 und des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 2003 ua ausdrücklich die Versicherungsfreiheit des Klägers in seiner Tätigkeit als Dozent jedenfalls für die Zeit vom 1. Januar 1992 bis zum 31. Dezember 1999 festgestellt hat (S 3, 4 des angefochtenen Urteils). Es bleibt daher offen, warum und inwiefern nach Auffassung des Klägers in einem künftigen Revisionsverfahren notwendig über die Verfassungsmäßigkeit von Regelungen zum Eintritt von Versicherungspflicht bzw zur Befreiung von der Versicherungspflicht und den einfachgesetzlichen Voraussetzungen einer derartigen Befreiung zu entscheiden sein könnte, obwohl die Beklagte zum Nicht-Vorliegen von Versicherungspflicht bereits einen für sich der Bindung fähigen Verfügungssatz (vgl Urteil des Senats vom 24. November 2005 - B 12 KR 18/04 R -, juris-Nr: KSRE021191514 = SGb 2006, 35, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) erlassen hat (vgl zum Vorliegen von Versicherungspflicht als begriffslogische und sprachlich logische Voraussetzung der Befreiung bereits BSG vom 28. Juni 1990 - 4 RA 12/90 -, juris-Nr: KSRE033421217 = BR/Meurer AVG § 7, 28-06-90, 4 RA 12/90 -).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, da sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen, § 160a Abs 4 Satz 3 Halbsatz 2 SGG.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen