Verfahrensgang
SG Dresden (Entscheidung vom 21.10.2016; Aktenzeichen S 19 SB 119/15) |
Sächsisches LSG (Urteil vom 29.10.2019; Aktenzeichen L 9 SB 1/17) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. Oktober 2019 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin begehrt in der Hauptsache die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) als 40. Das LSG hat - wie zuvor bereits das SG - diesen Anspruch verneint. Gestützt hat es sich dabei auf die im Verfahren gehörten Sachverständigen Dr. A. (Gutachten vom 26.4.2016) und Dipl-Med K. (Gutachten vom 14.3.2019 und ergänzende Stellungnahmen vom 21.6.2019 und 20.8.2019). Auszugehen sei bei der Bildung des Gesamt-GdB von der schwersten Funktionseinschränkung, hier der Herzleistungsminderung nach Bypass mit einem Einzel-GdB von 30. Dieser werde durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Einzel-GdB von jeweils 20 (Verlust der Gebärmutter, Psyche, Wirbelsäule) insgesamt um 10 erhöht. Dabei sei zu berücksichtigen, dass es sich bei dem GdB von 20 für den Verlust der Gebärmutter bei noch bestehendem Kinderwunsch weniger um eine organische, sondern vielmehr um eine seelische Beeinträchtigung handele, welche sich mit der seelischen Beeinträchtigung (Angst und selbstschädigendes Verhalten) überlagere (Urteil vom 29.10.2019).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde eingelegt. Sie rügt eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht ordnungsgemäß bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde wie im Fall der Klägerin darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Die Geltendmachung eines Verfahrensmangels wegen Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsprinzip) kann gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nur darauf gestützt werden, dass das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
1. Die Klägerin sieht einen Gehörsverstoß darin, dass das LSG sich nicht mit der abweichenden Einschätzung des erstinstanzlich gehörten Sachverständigen Dr. A. auseinandergesetzt und diesen entgegen ihrem mit Schriftsatz vom 24.6.2019 gestellten Antrag weder geladen noch angehört habe.
Mit diesem Vorbringen hat die Klägerin keinen Gehörsverstoß dargelegt. Sie weist selbst zutreffend darauf hin, dass die Bemessung des Einzel-GdB und des Gesamt-GdB nicht die Aufgabe des Sachverständigen ist, sondern vielmehr allein dem Gericht obliegt. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist die Bemessung des GdB grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe (vgl zB Senatsbeschluss vom 12.11.2019 - B 9 SB 58/19 B - juris RdNr 8; Senatsbeschluss vom 20.4.2015 - B 9 SB 98/14 B - juris RdNr 6; Senatsbeschluss vom 9.12.2010 - B 9 SB 35/10 B - juris RdNr 5, jeweils mwN). Zur deren Erfüllung haben die Gerichte in der Regel ärztliches Fachwissen heranzuziehen, um die zugrunde liegenden Gesundheitsstörungen festzustellen. Maßgeblich für die darauf aufbauende GdB-Feststellung ist aber nach § 2 Abs 1, § 152 Abs 1 und 3 SGB IX, wie sich nicht nur vorübergehende Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft auswirken und welcher GdB deshalb dafür nach den Vorgaben der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 in der jeweils maßgeblichen Fassung festzusetzen ist. Bei der rechtlichen Bewertung dieser Auswirkungen sind die Gerichte an die Vorschläge der von ihnen gehörten Sachverständigen nicht gebunden (Senatsbeschluss vom 1.6.2017 - B 9 SB 19/17 B - juris RdNr 6; Senatsbeschluss vom 20.4.2015 aaO). Dass die Klägerin mit der Auswertung und Würdigung der aktenkundigen medizinischen und sonstigen Unterlagen durch das LSG nicht einverstanden und in diesem Zusammenhang insbesondere der Meinung ist, das Berufungsgericht habe zu Unrecht dem Einzel-GdB von 20 für den Verlust der Gebärmutter und der Eierstöcke keine dem Gesamt-GdB erhöhende Wirkung beigemessen, sondern hätte auch insoweit dem Sachverständigen Dr. A. folgen müssen, ist für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unerheblich. Denn mit diesem Vortrag wendet sich die Klägerin gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts (vgl Senatsbeschluss vom 1.6.2017 aaO). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel aber nicht auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien Beweiswürdigung) gestützt werden. Sofern die Klägerin in diesem Kontext rügt, das Berufungsgericht habe entgegen ihrem im Schriftsatz vom 24.6.2019 gestellten Antrag den erstinstanzlichen Gutachter Dr. A. weder geladen noch gehört, hat sie schon nicht aufgezeigt, einen solchen (Beweis-)Antrag bis zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG vom 29.10.2019 zu Protokoll weiter aufrechterhalten zu haben (vgl zu diesem Erfordernis Senatsbeschluss vom 21.8.2018 - B 9 V 9/18 B - juris RdNr 8 und 10).
2. Mit ihrer Rüge, das LSG habe ihr Recht auf Befragung der Gutachterin K. und Gegenüberstellung mit dem Gutachter Dr. A. missachtet, hat die Klägerin einen Verstoß gegen das Fragerecht als Ausfluss des in Art 103 Abs 1 GG iVm § 62 SGG garantierten Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht in der gebotenen Weise bezeichnet.
Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BSG (zB Senatsbeschluss vom 27.9.2018 - B 9 V 14/18 B - juris RdNr 12 mwN), dass unabhängig von der nach § 411 Abs 3 ZPO im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts liegenden Möglichkeit, das Erscheinen des Sachverständigen zum Termin von Amts wegen anzuordnen, jedem Beteiligten gemäß § 116 Satz 2, § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO das Recht zusteht, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die er zur Aufklärung der Sache für dienlich erachtet. Dies gilt jedenfalls mit Blick auf solche Gutachten, die im selben Rechtszug erstattet werden (Senatsbeschluss vom 5.7.2018 - B 9 SB 26/18 B - juris RdNr 8 mwN).
Die Klägerin hat aber bereits keine erläuterungsbedürftigen Punkte oder Fragen bezeichnet, die durch eine erneute Befragung der Sachverständigen einen über die Wiederholung der bisherigen vom Berufungsgericht eingeholten schriftlichen Äußerungen im Gutachten vom 14.3.2019 und in den ergänzenden Stellungnahmen vom 21.6.2019 und 20.8.2019 hinausreichenden Mehrwert hätten. Die Sachverständige K. hat auf die von der Klägerin mit Schriftsatz vom 15.7.2019 gestellten Fragen in ihrer Stellungnahme vom 20.8.2019 geantwortet. Dass die Sachverständige auf eine der dort gestellten Fragen überhaupt keine Antwort gegeben hat, ergibt sich aus der von der Klägerin in der Beschwerdebegründung wörtlich wiedergegebenen Stellungnahme vom 20.8.2019 nicht. Dass die Klägerin den Antworten der Sachverständigen insbesondere hinsichtlich ihrer medizinischen Feststellungen nicht folgen mag, reicht für die behauptete Verletzung des Fragerechts allein nicht aus, zumal die Bemessung des GdB - wie oben bereits ausgeführt - tatrichterliche Aufgabe ist. Im Übrigen begründet das Fragerecht keinen Anspruch auf stets neue (schriftliche oder mündliche) Anhörungen des Sachverständigen, wenn der Beteiligte und der Sachverständige in ihrer Beurteilung nicht übereinstimmen (vgl BSG Beschluss vom 10.12.2013 - B 13 R 198/13 B - juris RdNr 9).
3. Des Weiteren sieht die Klägerin eine Gehörsverletzung darin, dass das LSG ihre im Schriftsatz vom 16.10.2019 vorgetragenen Äußerungen, dass sie leide, wenn sie von Kindern auch nur höre, sich deshalb abkapsele und Veranstaltungen, insbesondere auch solche mit Kindern, meide, Bus und Bahn vermeide oder nur mit Herzrasen benutze und nicht weiter hineingehen könne, als an die Türen sowie private Terminzusagen stets kurz vorher wieder absage, zu Unrecht als "neuen Vortrag" bei der Bewertung nicht berücksichtigt habe.
Auch mit diesem Vorbringen hat die Klägerin keinen Gehörsverstoß bezeichnet. Denn der Anspruch auf rechtliches Gehör bietet keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lassen (vgl Senatsbeschluss vom 6.8.2019 - B 9 V 14/19 B - juris RdNr 12; BVerfG Urteil vom 8.7.1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205, 216 = juris RdNr 43). Er gewährleistet nur, dass ein Beteiligter mit seinem Vortrag "gehört", nicht jedoch "erhört" wird. Die Gerichte werden durch Art 103 Abs 1 GG nicht dazu verpflichtet, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (Senatsbeschluss vom 28.9.2018 - B 9 V 21/18 B - juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 20.11.2018 - B 8 SO 43/18 B - juris RdNr 9). Dass das Urteil des LSG aus Sicht der Klägerin inhaltlich unrichtig ist, ist für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ohne Belang (vgl stRspr, BSG Beschluss vom 20.2.2017 - B 12 KR 65/16 B - juris RdNr 5 mwN).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
4. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13880454 |