Verfahrensgang
SG Karlsruhe (Entscheidung vom 21.09.2021; Aktenzeichen S 17 R 3493/20) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 08.03.2022; Aktenzeichen L 13 R 3103/21) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 8. März 2022 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin begehrt eine höhere Regelaltersrente unter Berücksichtigung weiterer Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten.
Die 1955 geborene Klägerin reiste 1974 aus dem heutigen Bosnien und Herzegowina in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie und ihr Ehemann, der hier auf Grundlage eines Anwerbeabkommens beschäftigt war, waren ab dem 15.5.1974 in B polizeilich gemeldet. Am 27.9.1974 wurde die Tochter S geboren, nach Mitteilung der Klägerin in Bosnien. Vom 1.10.1974 bis zum 15.2.1975 hielten die Klägerin und S sich in Bosnien auf. Am 25.4.1978 wurde die Tochter E geboren, nach Mitteilung der Klägerin in der Bundesrepublik. Ab dem 12.9.1989 war die Klägerin im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung. Ob und ggf über welchen Aufenthaltstitel sie zuvor verfügt hatte, hat sich nicht ermitteln lassen. Die Klägerin wurde auf Antrag vom 28.9.1993 zum 9.11.1995 eingebürgert.
Die Beklagte erkannte zunächst nur Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten ab dem 12.10.1980 an (Vormerkungsbescheid vom 11.11.2016). Im Zugunstenverfahren erkannte sie zusätzliche Zeiten für E ab dem 28.9.1978 an; die Anerkennung von Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten für S lehnte sie weiterhin ab (Bescheid vom 20.11.2018; Teilabhilfebescheid vom 22.4.2020; Widerspruchsbescheid vom 22.10.2020). Die Vormerkung von Erziehungszeiten setze einen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet voraus, was für Ausländer das Vorliegen eines zukunftsoffenen Aufenthaltstitels erfordere. Für die Klägerin sei ein solcher Titel erst ab dem 12.9.1989 nachgewiesen. Zu ihren Gunsten werde unterstellt, dass sie bereits 15 Jahre vor dem Einbürgerungsantrag, dh ab dem 28.9.1978 über einen solchen Titel verfügt habe, weil dies seinerzeit Voraussetzung einer Einbürgerung gewesen sei.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin zunächst die Vormerkung der Zeiten vom 16.2.1975 bis zum 27.9.1977 als Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten für S begehrt. Nach der Bewilligung von Regelaltersrente ab Dezember 2020 hat sie die Gewährung einer höheren Rente unter Berücksichtigung der streitbefangenen Zeiten begehrt. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 21.9.2021). Die dagegen gerichtete Klage hat das LSG mit Urteil vom 8.3.2022 zurückgewiesen. Es sei nicht nachgewiesen, dass die Klägerin sich mit S im streitbefangenen Zeitraum in der Bundesrepublik gewöhnlich aufgehalten habe. Nach der sog Einfärbungslehre habe ein Ausländer im Zusammenhang mit der Anerkennung von Kindererziehungszeiten nur dann seinen gewöhnlichen Aufenthalt iS des § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I in der Bundesrepublik, wenn er über einen zukunftsoffenen Aufenthaltstitel verfüge. Die Klägerin habe keine Dokumente vorlegen können, die das Vorhandensein eines zukunftsoffenen Aufenthaltstitels vor dem 28.9.1978 belegen könnten, und bei der Ausländerbehörde seien seit der Einbürgerung keine Unterlagen mehr vorhanden. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Konkretisierung des Begriffs des "gewöhnlichen Aufenthalts" im Sinne der Einfärbungslehre bestünden nicht. Selbst ohne Heranziehung der Einfärbungslehre sei für den streitigen Zeitraum kein gewöhnlicher Aufenthalt der Klägerin mit S in der Bundesrepublik nachgewiesen. Verlangt werde in § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I eine Dauerhaftigkeit des tatsächlichen Aufenthalts, die über eine vorübergehende Verweildauer hinausgehe. Die dafür erforderliche Prognose lasse sich mangels Unterlagen für die Klägerin nicht treffen.
Die Klägerin hat gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil beim BSG Beschwerde eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 25.2.2022 begründet hat.
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form begründet wird. Sie ist daher zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Es wird kein Zulassungsgrund iS des § 160 Abs 2 SGG formgerecht dargetan.
Die Klägerin macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend. Die diesbezüglichen Darlegungsanforderungen (vgl hierzu zB BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 4 mwN; BSG Beschluss vom 22.9.2020 - B 13 R 229/19 B - juris RdNr 3) sind schon deswegen nicht erfüllt, weil die Klägerin keine hinreichend bestimmte und aus sich heraus verständliche abstrakte Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit der §§ 56, 57 SGB VI oder anderer Vorschriften des Bundesrechts (§ 162 SGG) mit höherrangigem Recht formuliert. Für die Klägerin ergibt sich nichts Günstigeres, wenn man ihrem Gesamtvorbringen sinngemäß eine Frage zur Auslegung des Begriffs "gewöhnlicher Aufenthalt" iS des § 56 Abs 3 Satz 1 SGB VI entnehmen wollte.
Falls sie die Frage aufwerfen will, ob und inwieweit der in § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I legal definierte Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts in Zusammenhang mit der Anerkennung von Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten durch den Norminhalt des § 56 Abs 3 Satz 1 SGB VI "eingefärbt" zu verstehen ist, wäre jedenfalls die Klärungsfähigkeit der skizzierten Frage nicht ausreichend dargetan (vgl zu dieser Darlegungsanforderung BSG Beschluss vom 14.6.1984 - 1 BJ 72/84 - SozR 1500 § 160 Nr 53 S 55 = juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a V 7/06 B - SozR 4-2600 § 118 Nr 3 RdNr 5). Das BSG hat zuletzt im Fall eines anerkannten Spätaussiedlers dahinstehen lassen, ob für den Bereich des Rentenversicherungsrechts die Tatbestandsvoraussetzungen des § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I im Sinne einer sog Einfärbungslehre um rechtliche Erfordernisse zum Aufenthaltsstatus des Betroffenen zu ergänzen sind (vgl BSG Urteil vom 31.10.2012 - B 13 R 1/12 R - BSGE 112, 116 = SozR 4-1200 § 30 Nr 6, RdNr 37; vgl für den Bereich des SGB II verneinend BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 19). Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass das BSG im angestrebten Revisionsverfahren hierüber entscheiden müsste. Die Klägerin bringt hierzu nichts vor. Sie setzt sich deswegen auch nicht damit auseinander, dass das LSG den geltend gemachten Anspruch selbstständig tragend ohne Rückgriff auf die sog Einfärbungslehre verneint hat.
Falls die Klägerin eine Frage zur Auslegung des Begriffs "gewöhnlicher Aufenthalt" aufwerfen will, wäre bereits die Klärungsbedürftigkeit nicht dargetan (vgl zu den diesbezüglichen Anforderungen zB BSG Beschluss vom 6.4.2021 - B 5 RE 16/20 B - juris RdNr 6 mwN). Die Beschwerde geht nicht auf die höchstrichterliche Rechtsprechung ein, wonach sich nur im Wege einer vorausschauenden Betrachtungsweise (Prognose) entscheiden lasse, ob sich jemand iS des § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I gewöhnlich an einem Ort oder in einem Gebiet aufhalte oder nur vorübergehend dort verweile; dabei sind alle bei Prognosestellung für die Beurteilung der künftigen Entwicklung erkennbaren Umstände zu berücksichtigen (vgl BSG Urteil vom 22.3.1988 - 8/5a RKn 11/87 - BSGE 63, 93, 97 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 183; BSG Urteil vom 17.5.1989 - 10 RKg 19/88 - BSGE 65, 84, 86 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 17; BSG Urteil vom 31.10.2012 - B 13 R 1/12 R - BSGE 112, 116 = SozR 4-1200 § 30 Nr 6, RdNr 25). Ebenso wenig geht die Klägerin darauf ein, dass nach der Rechtsprechung des BSG bei Ausländern im Rahmen der danach erforderlichen Gesamtwürdigung als ein rechtlicher Gesichtspunkt deren Aufenthaltsposition heranzuziehen ist, ohne dass diese aber allein Grundlage einer Prognose über die Dauer des Aufenthalts sein kann. Dabei wird die Aufenthaltsposition wesentlich durch den Inhalt der von der Ausländerbehörde erteilten Bescheinigungen bestimmt, wie er sich nach der behördlichen Praxis und der gegebenen Rechtslage darstellt (vgl BSG Urteil vom 16.6.2015 - B 13 R 36/13 R - juris RdNr 26 mwN; BSG Beschluss vom 21.10.2020 - B 13 R 7/19 B - juris RdNr 13 ff).
Soweit die Klägerin rügt, das LSG habe mit seiner Auslegung des § 30 Abs 3 Satz 2 SGB VI Grundrechte verletzt (Art 3 Abs 3 GG; Art 6 Abs 1 und 4 GG) sowie Art 21 Abs 1 GRCh; Art 33 Abs 1 GRCh, Art 34 Abs 1 GRCh und Art 14 EMRK, fehlen bereits Ausführungen dazu, dass der bisherigen Rechtsprechung hierzu keine Anhaltspunkte zur Beantwortung der angedeuteten Fragen zu entnehmen sein könnten. Die Klägerin geht auf die Rechtsprechung insbesondere des BVerfG, des EuGH und des EGMR nicht ein und verhält sich deswegen auch nicht dazu, inwiefern hier die Durchführung von Unionsrecht betroffen sein könnte.
Mit ihrem Vorbringen macht die Klägerin letztlich die inhaltliche Unrichtigkeit der Berufungsentscheidung geltend. Hierauf kann eine Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht gestützt werden (stRspr; vgl etwa BSG Beschluss vom 21.4.2020 - B 13 R 44/19 B - juris RdNr 8; vgl auch BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Düring Körner Hannes
Fundstellen
Dokument-Index HI15365088 |