Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 10. Mai 2024 aufgehoben. Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist zulässig.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beklagte.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 277 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten im Zwischenstreit über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit.
Mit Schriftsatz vom 14.10.2022 an das Hessische Ministerium der Justiz machte der Kläger einen Entschädigungsanspruch wegen überlanger Dauer eines Klageverfahrens vor dem SG Frankfurt am Main geltend. Das Ministerium teilte im Juni 2023 mit, die Eingabe zuständigkeitshalber an die Präsidentin des SG Frankfurt am Main abgegeben zu haben.
Nachdem keine Stellungnahme der Präsidentin des SG Frankfurt am Main erfolgte, beantragte der Kläger mit Schriftsatz vom 15.4.2024 beim Hessischen LSG Prozesskostenhilfe (PKH) für die Durchführung einer Untätigkeitsklage, mit der er beantragen wolle, die Präsidentin des SG Frankfurt am Main zu verurteilen, seinen Antrag vom 14.10.2022 zu "bescheiden". Streitgegenständlich sei allein die Untätigkeit der Präsidentin des SG Frankfurt am Main, die bislang als zuständige Behördenleitung nicht über sein außergerichtliches Entschädigungsbegehren entschieden habe. Das Hessische LSG sei für Entschädigungsverfahren als solches und damit auch für die Untätigkeitsklage zuständig. Unerheblich sei, dass er noch keine Entschädigungsklage wegen des diesem Begehren zugrunde liegenden sozialgerichtlichen Klageverfahrens erhoben habe.
Das Hessische LSG hat den beschrittenen Rechtsweg zu den Sozialgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das VG Frankfurt am Main verwiesen. Für die Bestimmung des Rechtswegs zur Sozialgerichtsbarkeit nach § 51 Abs 1 SGG sei die Natur des Rechtsverhältnisses maßgeblich, aus dem der geltend gemachte Klageanspruch hergeleitet werde. Dabei komme es primär darauf an, welche Regelungsbereiche den prozessualen Anspruch unmittelbar erfassten. Zwar sei das Ausgangsverfahren, dessen Überlänge vom Kläger im Verwaltungsverfahren gegenüber der Präsidentin des SG Frankfurt am Main gerügt werde, vor dem dortigen SG anhängig. Dem Kläger gehe es aber nicht um die Überlänge dieses Klageverfahrens, sondern sein Begehren beschränke sich auf die Bescheidung seines vorprozessual gestellten Entschädigungsantrags durch die Präsidentin des SG Frankfurt am Main, den er im Wege des Primärrechtsschutzes durchsetzen wolle. Das Verwaltungsverfahren vor dem SG werde aber weder von der Sonderzuweisung des § 202 Satz 2 SGG iVm § 201 Abs 1 GVG unmittelbar erfasst, noch sei eine Sachnähe zu sozialrechtlichen Streitigkeiten iS des § 51 SGG gegeben (Beschluss vom 10.5.2024).
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger die vom Hessischen LSG zugelassene Beschwerde dort am 28.5.2024 eingelegt und auf seine Ausführungen gegenüber dem Hessischen LSG verwiesen.
II. Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet. Die Vorinstanz hat zu Unrecht den Rechtsstreit an das VG Frankfurt am Main verwiesen. Für den vorliegenden Rechtsstreit ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet und das Hessische LSG erstinstanzlich zuständig.
1. Die Beschwerde des Klägers ist nach § 177 und § 202 Satz 1 SGG iVm § 17a Abs 4 Satz 4 GVG statthaft. Über die Beschwerde konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung und ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter entscheiden (§ 12 Abs 1 Satz 2, § 124 Abs 3, § 153 Abs 1, § 165, § 176 SGG; vgl BSG Beschluss vom 25.3.2021 - B 1 SF 1/20 R - juris RdNr 7 mwN). Die Zulassung der Beschwerde durch das LSG ist für das BSG bindend (§ 202 Satz 1 SGG iVm § 17a Abs 4 Satz 6 GVG). Die Beschwerde ist auch fristgerecht erhoben worden und konnte entsprechend § 173 SGG wirksam beim LSG eingelegt werden (vgl BSG aaO). Dass der Kläger zur Begründung der Beschwerde lediglich auf seinen Vortrag vor dem LSG verwiesen hat, ist unschädlich; eine Begründung ist nicht vorgeschrieben (vgl BSG aaO).
2. Die Beschwerde des Klägers ist auch begründet. Die Verweisung eines isolierten PKH-Verfahrens ist zwar an sich zulässig (dazu unter a). Das Hessische LSG hat den Rechtsstreit aber zu Unrecht an das VG Frankfurt am Main verwiesen. Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist gegeben. Das Hessische LSG ist entsprechend der Rechtswegzuweisung nach § 51 Abs 1 Nr 10 SGG iVm § 202 Satz 2 SGG, § 201 Abs 1 Satz 1 GVG für das Klageverfahren zuständig (dazu unter b).
a) Auch ein isoliertes PKH-Verfahren - wie hier - kann von einem Gericht entsprechend § 17a Abs 2 GVG an das Gericht eines anderen Rechtswegs verwiesen werden, wenn dieses den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erachtet, weil die Sachentscheidung in Gestalt der Beurteilung der Erfolgsaussichten dadurch der dafür zuständigen und entsprechend spezialisierten Gerichtsbarkeit zugewiesen wird (vgl BVerwG Beschluss vom 21.3.2022 - 9 AV 1.22 - juris RdNr 11; BGH Beschluss vom 21.10.2020 - XII ZB 276/20 - juris RdNr 18 ff, jeweils mwN; siehe zustimmend auch Lehmann/Scheikholeslami-Sabzewari/Reiß, NJOZ 2024, 1089 ff).
b) Das Hessische LSG hat den Rechtsstreit aber zu Unrecht an das VG Frankfurt am Main verwiesen. Für das vom PKH-Antrag des Klägers umfasste Klagebegehren ist wegen der besonderen Sachnähe zu der Zuweisung nach § 51 Abs 1 Nr 10 SGG iVm § 202 Satz 2 SGG, § 201 Abs 1 Satz 1 GVG der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben.
aa) Die Zulässigkeit des Rechtswegs richtet sich nach dem Streitgegenstand (vgl § 123 SGG), wie er sich auf der Grundlage des Klagebegehrens ergibt. Maßgebend für die Bestimmung des geltend gemachten prozessualen Anspruchs ist sowohl der (angekündigte) Klageantrag als auch der Klagegrund, also der zu seiner Begründung vorgetragene Sachverhalt (stRspr; vgl zB BSG Urteil vom 11.6.2024 - B 10 ÜG 3/23 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4 vorgesehen - juris RdNr 14 ff; BSG Beschluss vom 25.3.2021 - B 1 SF 1/20 R - juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 10.12.2015 - B 12 SF 1/14 R - SozR 4-1720 § 17a Nr 14 RdNr 11; BSG Beschluss vom 30.9.2015 - B 3 KR 22/15 B - SozR 4-1500 § 51 Nr 14 RdNr 15). Die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs hängt dabei nicht vom Ergebnis einer materiell-rechtlichen Prüfung der Begründetheit des Klagebegehrens ab (vgl BSG Beschluss vom 25.3.2021 aaO mwN). Nach § 17a Abs 2 Satz 1 GVG entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten. Daraus folgt, dass der vom Kläger beschrittene Rechtsweg schon dann zulässig ist, wenn sich nicht offensichtlich, dh nach jeder rechtlichen Betrachtungsweise, ausschließen lässt, dass das Klagebegehren auf eine Rechtsgrundlage gestützt werden kann, für die dieser Rechtsweg eröffnet ist (vgl BSG Beschluss vom 25.3.2021 aaO mwN). Liegt eine ausdrückliche Sonderzuweisung für eine Streitigkeit nicht vor, so richtet sich die Abgrenzung nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Ausgangspunkt dieser Prüfung ist die Art des Klagebegehrens nach dem zugrunde liegenden Sachverhalt, sodass regelmäßig die Gerichte anzurufen sind und zu entscheiden haben, die durch besondere Sachkunde und Sachnähe zur Entscheidung über den infrage stehenden Anspruch berufen sind (BSG Beschluss vom 1.4.2009 - B 14 SF 1/08 R - SozR 4-1500 § 51 Nr 6 RdNr 9 mwN).
bb) Nach diesen Maßstäben ist für das Begehren des Klägers der Sozialrechtsweg gegeben und das Hessische LSG das zuständige Gericht. Ungeachtet der Erfolgsaussichten ist der Kläger berechtigt, sein Begehren in der Sozialgerichtsbarkeit durchzusetzen.
Gegenstand des beabsichtigten Klageverfahrens, für das der Kläger PKH beansprucht, ist sein Begehren, im Wege einer Untätigkeitsklage die Präsidentin des SG Frankfurt am Main als zuständige Behördenleitung zu einer "Bescheidung" des von ihm außergerichtlich geltend gemachten Entschädigungsanspruchs wegen überlanger Dauer eines Klageverfahrens vor dem SG zu bewegen. Insoweit kommt es für die Rechtswegzuweisung nicht darauf an, ob die Untätigkeitsklage ein rechtlich taugliches Mittel darstellt, dieses Ziel zu erreichen. Jedenfalls ist nach diesem Begehren des Klägers die Sozialgerichtsbarkeit aufgrund ihrer Sachkunde und Sachnähe zur Entscheidung über den PKH-Antrag berufen.
Zwar erfasst die Zuweisung nach § 51 Abs 1 Nr 10 SGG iVm § 202 Satz 2 SGG und § 201 Abs 1 Satz 1 GVG ausdrücklich nur die Zuständigkeit des LSG für eine Entschädigungsklage wegen überlanger Dauer eines sozialgerichtlichen Ausgangsverfahrens in seinem Bezirk (vgl BSG Beschluss vom 23.11.2017 - B 10 ÜG 1/17 KL - juris RdNr 3; BSG Urteil vom 12.2.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - BSGE 118, 102 = SozR 4-1720 § 198 Nr 9, RdNr 13). Es ist jedoch allgemein anerkannt, dass es genügt, wenn eine Zuweisung zwar nicht unmittelbar ausgesprochen ist, sich der dahinter stehende Wille des Gesetzes jedoch aus dem Gesamtgehalt der Regelung und dem Sachzusammenhang in Verbindung mit der Sachnähe eindeutig und logisch zwingend ergibt (BSG Beschluss vom 1.4.2009 - B 14 SF 1/08 R - SozR 4-1500 § 51 Nr 6 RdNr 15 mwN).
Eine solche besondere Sachnähe zu der Zuweisung nach § 51 Abs 1 Nr 10 SGG iVm § 202 Satz 2 SGG, § 201 Abs 1 Satz 1 GVG ist für das Begehren des Klägers gegeben. § 198 GVG ermöglicht zwar die unmittelbare Erhebung der Entschädigungsklage und sieht keine vorherige Verwaltungsentscheidung über den Entschädigungsanspruch vor (vgl § 198 Abs 5 GVG; BSG Urteil vom 24.3.2022 - B 10 ÜG 2/20 R - BSGE 134, 18 = SozR 4-1720 § 198 Nr 22, RdNr 27; BSG Urteil vom 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 = SozR 4-1720 § 198 Nr 1, RdNr 15). Der Entschädigungsanspruch wegen überlanger Verfahrensdauer ist ein "staatshaftungsrechtlicher Anspruch sui generis auf Ausgleich für Nachteile infolge rechtswidrigen hoheitlichen Verhaltens" (BT-Drucks 17/3802 S 19 zu Abs 1; vgl BSG Urteil vom 12.2.2015 - B 10 ÜG 1/13 R - BSGE 118, 91 = SozR 4-1720 § 198 Nr 7, RdNr 35). Er kann nach allgemeinen Grundsätzen vor Klageerhebung gegenüber dem jeweils haftenden Rechtsträger geltend gemacht werden und außergerichtlich - ganz oder teilweise - befriedigt werden (vgl BT-Drucks 17/3802 S 22 zu Abs 5 Satz 1). Bei der außergerichtlichen Geltendmachung handelt es sich aber lediglich um eine Möglichkeit und nicht um eine Verpflichtung (LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 24.1.2019 - L 37 SF 102/18 EK AS WA - juris RdNr 31). Offenbleiben kann, ob es sich bei der vom Kläger begehrten "Bescheidung" seines Antrags um einen Verwaltungsakt handelt oder nur um schlichtes Verwaltungshandeln (vgl BSG Urteil vom 24.3.2022 - B 10 ÜG 2/20 R - BSGE 134, 18 = SozR 4-1720 § 198 Nr 22, RdNr 27). Jedenfalls ist zur Überprüfung eines außergerichtlich geltend gemachten Anspruchs auf Entschädigung wegen überlanger Dauer eines sozialgerichtlichen Klageverfahrens und somit auch zur Beurteilung der vom Kläger hier begehrten sach- und zeitgerechten "Bescheidung" seines Antrags sowohl die Kenntnis vom Ablauf des sozialgerichtlichen Verfahrens als auch der Rechtsprechung des BSG zur überlangen Dauer von sozialgerichtlichen Verfahren unabdingbar. Deshalb sind zur Entscheidung über das streitgegenständliche Begehren des Klägers die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit als Fachgerichte berufen und im hier vorliegenden Fall somit das Hessische LSG.
cc) Schließlich fällt das klägerische Begehren nicht in die Rechtswegzuständigkeit der ordentlichen Gerichte nach § 23 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 iVm § 27 EGGVG. Die Voraussetzungen dieser Bestimmungen liegen bereits deshalb nicht vor, weil sie sich nur auf Justizverwaltungsakte beziehen, die innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit ergangen sind oder zu ergehen haben (BFH Beschluss vom 1.3.2016 - VI B 89/15 - juris RdNr 13; BGH Beschluss vom 16.7.2003 - IV AR ≪VZ≫ 1/03 - juris RdNr 7 mwN).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 1 VwGO. Im Verfahren über eine Rechtswegbeschwerde ist eine Kostenentscheidung grundsätzlich erforderlich (BSG Beschluss vom 25.3.2021 - B 1 SF 1/20 R - juris RdNr 21 mwN). Gründe davon abzusehen liegen nicht vor (vgl dazu BGH Beschluss vom 3.7.1997 - IX ZB 116/96 - juris RdNr 20).
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4. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 52 Abs 1 GKG. Es erscheint angemessen, für die Streitwertbestimmung der Vorabentscheidung über den Rechtsweg der Klage von einem Fünftel des Werts des geltend gemachten Anspruchs auszugehen (vgl BSG Beschluss vom 25.3.2021 - B 1 SF 1/20 R - juris RdNr 22 mwN). Auf der Grundlage des für den vorprozessual geltend gemachten Entschädigungsanspruchs vom Kläger angegebenen vorläufigen Gegenstandswert in Höhe von 1385,10 Euro, dessen "Bescheidung" er mit der Klage begehrt, ergibt dies einen Betrag von rund 277 Euro. |
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Fundstellen
Dokument-Index HI16708769 |