Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Versäumung der Revisionsbegründungsfrist. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Voraussetzung einer wirksamen Zustellung gegen Empfangsbekenntnis. Empfangswille. Empfangsbereitschaft
Orientierungssatz
1. Voraussetzung für eine wirksame Zustellung nach § 174 Abs 1 ZPO ist, dass das in Zustellabsicht übersandte Schriftstück vom Empfänger mit dem Willen entgegengenommen wird, es als zugestellt gegen sich gelten zu lassen.
2. Das Empfangsbekenntnis muss nicht auf dem üblichen gerichtlichen Vordruck abgegeben werden, vielmehr ist es ausreichend, wenn der als Adressat genannte Rechtsanwalt auf andere Weise bekundet, das Schriftstück willentlich als zugestellt angenommen zu haben (vgl BGH vom 3.5.1994 - VI ZR 248/93 = NJW 1994, 2297).
Normenkette
SGG § 164 Abs. 2 S. 1, § 63 Abs. 1-2, § 67 Abs. 1, § 169; ZPO § 174 Abs. 1, §§ 189, 416
Verfahrensgang
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung ihrer Revision gegen den Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 4. April 2018 wird abgelehnt.
Die Revision der Klägerin gegen den genannten Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen wird als unzulässig verworfen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 5000 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten über den sozialversicherungsrechtlichen Status der beigeladenen Anästhesistin in ihrer Tätigkeit für das in der Trägerschaft der klagenden gGmbH betriebene Krankenhaus in der Zeit vom 2.4.2013 bis 27.1.2014 (mit Unterbrechungen).
Die Beklagte stellte auf einen Statusfeststellungsantrag der Klägerin und der Beigeladenen fest, dass die Tätigkeit als Honorarärztin bei der Klägerin im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt worden sei und Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe (Bescheide vom 14.5.2014, Widerspruchsbescheide vom 31.10.2014). Klage und Berufung haben keinen Erfolg gehabt (SG-Urteil vom 8.7.2016, LSG-Beschluss vom 4.4.2018).
Mit Beschluss vom 12.12.2018 hat der Senat die Revision zugelassen. Am 4.2.2019 hat die Klägerin per Fax (Eingang des Originals am 5.2.2019) mit einem von ihrem Prozessbevollmächtigten unterschriebenen Schriftsatz "nach Zulassung der Revision durch das Bundessozialgericht aufgrund des Beschlusses vom 12.12.2018 […] uns zugestellt am 04.01.2019" Revision eingelegt. Einen Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist hat sie nicht gestellt.
Am 26.3.2019 hat die Klägerin ihre Revision begründet. Nach Hinweis des Senats auf die verspätet eingegangene Revisionsbegründung hat sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
II. Die Revision der Klägerin ist unzulässig. Das Rechtsmittel ist zwar frist- und formgerecht eingelegt, aber nicht innerhalb der gesetzlichen Frist begründet worden. Gründe für eine Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist bestehen nicht. Die Revision ist daher zu verwerfen (§ 169 S 2 und 3 SGG).
1. Die Frist zur Revisionsbegründung ist am 26.3.2019 bereits abgelaufen gewesen. Nach § 164 Abs 2 S 1 SGG ist die Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision zu begründen.
Der die Revision zulassende Senatsbeschluss vom 12.12.2018 ist der Klägerin am 4.1.2019 wirksam zugestellt worden. Gemäß § 63 Abs 1 und 2 SGG sind Entscheidungen, durch die eine Frist in Lauf gesetzt wird, den Beteiligten nach den Vorschriften der ZPO zuzustellen. An einen Anwalt kann die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis bewirkt werden (§ 174 Abs 1 ZPO). Für eine wirksame Zustellung nach § 174 Abs 1 ZPO ist entscheidend, dass das in Zustellabsicht übersandte Schriftstück vom Empfänger mit dem Willen entgegengenommen wird, es als zugestellt gegen sich gelten zu lassen. Dieser Empfangswille wird in der Regel durch Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses beurkundet (vgl BSG Beschluss vom 23.4.2009 - B 9 VG 22/08 B - SozR 4-1750 § 174 Nr 1; BGH Urteil vom 19.4.1994 - VI ZR 269/93 - NJW 1994, 2295). Ein solches Empfangsbekenntnis enthält das am 8.1.2019 per Fax aus der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Klägerin übersandte, mit dem Datum 7.1.2019 versehene Empfangsbekenntnisformular nicht, denn es ist nicht unterzeichnet.
Eine wirksame Zustellung setzt jedoch nicht voraus, dass das Empfangsbekenntnis auf dem üblichen gerichtlichen Vordruck abgegeben wird, vielmehr ist es ausreichend, wenn der als Adressat genannte Rechtsanwalt auf andere Weise bekundet, das Schriftstück willentlich als zugestellt angenommen zu haben (BGH Urteil vom 3.5.1994 - VI ZR 248/93 - NJW 1994, 2297). Die erforderliche Bereitschaft zur Entgegennahme des zuzustellenden Schriftstücks ist bei dem Adressaten, der das Empfangsbekenntnisformular nicht zurückschickt, vorhanden, wenn er gegen das zuzustellende Urteil oder aufgrund des zuzustellenden Beschlusses ein Rechtsmittel einlegt und dabei auf die Beschlussausfertigung Bezug nimmt (vgl BVerwG Beschluss vom 17.5.2006 - 2 B 10/06 - NJW 2007, 3223; anders BGH Urteil vom 19.4.1994 - VI ZR 269/93 - NJW 1994, 2295 nur für den Fall der Beauftragung eines anderen Rechtsanwalts im Rechtsmittelverfahren). Bestätigt der Adressat darüber hinaus den Zeitpunkt der Zustellung, macht er nicht nur deutlich, dass er zur Entgegennahme des Schriftstücks zum Zwecke der Zustellung bereit gewesen ist, sondern bekundet auch den Zeitpunkt der Zustellung.
So verhält es sich hier. Der prozessbevollmächtigte Rechtsanwalt hat mit seiner Revisionsschrift gleichzeitig ein wirksames Empfangsbekenntnis abgegeben. Darin hat er nicht nur den Zugang des Senatsbeschlusses vom 12.12.2018 als solchen bestätigt, sondern vielmehr bekundet, dass dieser Beschluss ihm am 4.1.2019 zugestellt worden sei. Er hat damit in einer das Formular "Empfangsbekenntnis" ersetzenden Weise nicht nur die Kenntnisnahme des Beschlusses vom 12.12.2018 beurkundet, sondern auch die Entgegennahme zum Zwecke der Zustellung am 4.1.2019 mit seiner Unterschrift bestätigt.
Sofern der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nunmehr behauptet, am 4.1.2019 wegen Urlaubs nicht empfangsbereit gewesen zu sein, genügt dieses Vorbringen nicht, den mit der zuvor abgegebenen Erklärung geführten Zustellnachweis zu widerlegen. Ein Empfangsbekenntnis erbringt als Privaturkunde nach § 416 ZPO grundsätzlich Beweis nicht nur für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks, sondern auch für den Zeitpunkt von dessen Empfang. Der Gegenbeweis für die Unrichtigkeit der im Empfangsbekenntnis enthaltenen Angaben ist zulässig. Dafür ist jedoch erforderlich, dass die Richtigkeit der Angaben im Empfangsbekenntnis nicht nur erschüttert, sondern die Möglichkeit, die Angaben in dem Empfangsbekenntnis könnten richtig sein, ausgeschlossen ist (BGH Beschluss vom 11.9.2018 - XI ZB 4/17 - Juris RdNr 5). Die bloße Möglichkeit der Unrichtigkeit der Angaben ist nicht ausreichend (vgl BGH Beschluss vom 19.4.2012 - IX ZB 303/11 - Juris RdNr 6 mwN).
Der Gegenbeweis ist hier nicht geführt. Der Prozessbevollmächtigte hat lediglich behauptet, am 4.1.2019 in Urlaub gewesen zu sein. Belege zu seiner ganztägigen Orts- und Kanzleiabwesenheit hat er nicht vorgelegt, solche ergeben sich auch nicht aus der eidesstattlichen Versicherung seiner Kanzleiangestellten, die lediglich seinen Urlaub, nicht aber seine fehlende Empfangsbereitschaft für Zustellungen des Bundessozialgerichts, also seine tatsächliche Ortsabwesenheit bestätigt hat. Es finden sich auch keine Angaben zu Regelungen bei Ortsabwesenheit des Rechtsanwalts innerhalb der Kanzlei. Die Richtigkeit des abgegebenen Empfangsbekenntnisses ist deshalb nicht ausgeschlossen.
Unabhängig davon wahrt die Revisionsbegründung vom 26.3.2019 auch dann die Frist des § 164 Abs 2 SGG nicht, wenn das Empfangsbekenntnis in der Revisionsschrift tatsächlich hinsichtlich des Zeitpunkts der Zustellung unrichtig und der Vortrag der Klägerin im Antrag auf Wiedereinsetzung zutreffend wäre. Den fehlenden Willen zur Entgegennahme des Senatsbeschlusses zum Zwecke der Zustellung hat die Klägerin weder behauptet noch bewiesen. Nach der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags ist der Senat davon überzeugt, dass der Beschluss vom 12.12.2018 spätestens am 11.1.2019 dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt worden ist, denn spätestens an diesem Tag nach seinen Seminarreisen am 8., 9. und 10.1.2019 hat er tatsächlich Kenntnis vom Beschluss genommen (vgl § 189 ZPO). Es kann deshalb dahinstehen, ob der Prozessbevollmächtigte der Klägerin tatsächlich bereits am 7.1.2019 von dem Zulassungsbeschluss des Senats Kenntnis genommen hat.
2. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist ist abzulehnen. Die Klägerin hat keine Gründe dafür vorgetragen, dass sie an der Einhaltung der Frist des § 164 Abs 2 SGG ohne Verschulden gehindert gewesen sei (§ 67 Abs 1 SGG). Ihr Vortrag beschränkt sich darauf, die Unwirksamkeit der Zustellung geltend zu machen. Gründe für ein unverschuldetes Versäumen der Frist sind auch nicht ersichtlich.
3. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs 2 und 3 VwGO.
4. Die Festsetzung des Streitwerts für das Revisionsverfahren hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 2, § 47 Abs 1 und 3 GKG. Es war der Auffangstreitwert festzusetzen (vgl zB BSG Urteil vom 11.3.2009 - B 12 R 11/07 R - BSGE 103, 17 = SozR 4-2400 § 7a Nr 2, RdNr 29-31; BSG Urteil vom 4.6.2009 - B 12 R 6/08 R - Juris RdNr 37; BSG Urteil vom 30.10.2013 - B 12 KR 17/11 R - Juris RdNr 44), weil Gegenstand des Rechtsstreits nicht (auch) eine Beitrags(nach)forderung war.
Fundstellen
NJW 2020, 422 |
NZS 2019, 948 |