Verfahrensgang
SG Leipzig (Entscheidung vom 26.05.2021; Aktenzeichen S 11 R 972/18) |
Sächsisches LSG (Urteil vom 07.02.2023; Aktenzeichen L 5 R 460/21) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 7. Februar 2023 wird als unzulässig verworfen.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im oben genannten Urteil unter Beiordnung von Rechtsanwältin K, Z Straße, L, wird abgelehnt.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig die Weitergewährung einer Erwerbsminderungsrente über den 31.7.2018 hinaus.
Der im Jahr 1965 geborene Kläger erhielt von der Beklagten eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1.6.2011 bis zum 31.7.2018. Einen im November 2017 gestellten Antrag auf Weitergewährung dieser Rente lehnte die Beklagte nach Einholung von zwei Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie A und der Fachärztin für Orthopädie B1 ab (Bescheid vom 27.6.2018; Widerspruchsbescheid vom 22.11.2018).
Das SG hat neben zahlreichen Befundberichten der behandelnden Ärzte und Entlassungsberichten nach Durchführung stationärer Leistungen zur medizinischen Rehabilitation vom 2.12.2018 und vom 24.4.2020 ein Gutachten des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie F1 nach ambulanter Untersuchung am 23.9.2020 (mit einem psychologischen Zusatzgutachten) sowie eine ergänzende Stellungnahme vom 30.1.2021 eingeholt. Danach bestehe ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen täglich unter Leistungseinschränkungen. Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 26.5.2021). Im Berufungsverfahren hat das LSG weitere Befundberichte der behandelnden Ärzte sowie einen Entlassungsbericht der Klinik E vom 21.10.2021 eingeholt, F1 um eine weitere ergänzende Stellungnahme vom 11.2.2022 gebeten und ein Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie D vom 26.8.2022 (mit psychologischem Zusatzgutachten nach Untersuchung durch F2 am 10.6.2022) eingeholt. Auch danach sei der Kläger wieder in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich unter Leistungseinschränkungen erwerbstätig zu sein. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 7.2.2023).
Gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Kläger mit Schriftsatz vom 6.4.2023 Beschwerde eingelegt und einen Antrag auf Bewilligung von PKH gestellt. Mit seiner Beschwerdebegründung vom 5.6.2023 macht der Kläger Verfahrensmängel geltend (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Er rügt eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) sowie seines Rechts auf rechtliches Gehör (Art 103 GG).
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Die Beschwerdebegründung legt einen Revisionszulassungsgrund iS des § 160 Abs 2 SGG nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dar. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die Umstände, aus denen sich der Verfahrensfehler ergeben soll, substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Dem entspricht die Beschwerdebegründung nicht.
Der Kläger trägt dazu vor, das LSG habe sein in verschiedenen Schriftsätzen, auch vor dem Berufungsgericht wiederholtes Vorbringen, er sei durch die Diplom-Psychologin B2 nicht persönlich untersucht worden, er habe zu keinem Zeitpunkt zu dieser Kontakt gehabt, nicht zur Kenntnis genommen und entgegen dieser Einwände das zum Sachverständigengutachten von F1 erstellte Zusatzgutachten der Entscheidung zugrunde gelegt. Auf seinen Vortrag hin habe das LSG keine weiteren Ermittlungen angestellt. Aufgrund dieser Unklarheiten und Zweifel hätte es den Sachverständigen F1 sowie die Zusatzgutachterin B2 zur Ergänzung der schriftlichen Gutachten veranlassen bzw zur mündlichen Verhandlung laden und befragen müssen.
Soweit der Kläger mit diesem Vortrag zunächst ausdrücklich eine Verletzung von § 103 SGG rügt, wird ein solcher Verfahrensmangel nicht hinreichend bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Der bereits im Berufungsverfahren durch seine Prozessbevollmächtigte rechtskundig vertretene Kläger hat schon nicht vorgetragen, dass er gegenüber dem LSG einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag zu noch weiter aufklärungsbedürftigen Punkten (vgl § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 403 ZPO) gestellt und bis zuletzt aufrechterhalten hat, wie § 160 Abs 2 Nr 3 SGG dies fordert. Die Bezeichnung eines solchen Beweisantrags gehört zu den grundlegenden Anforderungen an eine Rüge der Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (stRspr; vgl ua BSG Beschluss vom 3.5.2023 - B 5 R 52/23 B - juris RdNr 7). Der Kläger belässt es in seiner Beschwerdebegründung bei Ausführungen zu den Umständen der Begutachtung durch F1 (auch zu einer angeblich "unzulässigen Abrechnung der Gutachtenerstellung") und der dazu erfolgten Zusatzbegutachtung. Soweit er unter Hinweis auf die Zivilprozessordnung geltend macht, die unterlassene, von Amts wegen gebotene weitere Sachverhaltsaufklärung stelle "auch eine Verletzung der Vorschriften von §§ 412 und 286 ZPO dar", enthält dieser Vortrag keine über eine Verletzung der im SGG eigens geregelten Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) hinausgehende Rüge.
Der Rüge einer Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) kommt nur insoweit eigenständige Bedeutung zu, als sie nicht im Kern die Amtsermittlung betrifft. Die Regelung in § 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 2 SGG zur Beschränkung einer Rüge der Verletzung des § 103 SGG gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann nicht dadurch umgangen werden, dass aufgrund desselben Sachverhalts auch eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird (stRspr; vgl ua BSG Beschluss vom 2.5.2023 - B 5 R 140/22 B - juris RdNr 15). Soweit der Kläger geltend macht, das Berufungsgericht habe erheblichen Vortrag zur Bewertung des erstinstanzlich eingeholten Gutachtens einschließlich des Zusatzgutachtens nicht zur Kenntnis genommen, ist dies bereits deshalb nicht schlüssig, weil das LSG sich nach dem Vortrag des Klägers zu diesem Vorbringen - nach seiner Auffassung unzutreffend - geäußert hat. Der Vortrag betrifft im Übrigen die freie Beweiswürdigung des LSG nach § 128 Abs 1 Satz 1 SGG. Auf eine Verletzung dieser Vorschrift kann eine Nichtzulassungsbeschwerde jedoch nicht gestützt werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG).
Sollte der Kläger mit seinem Vorbringen unter Hinweis auf "Unklarheiten und Zweifel" an der Begutachtung durch F1 und insbesondere der neuropsychologischen Zusatzbegutachtung auch eine Verletzung seines eigenen Fragerechts aus § 116 Satz 2, § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO rügen wollen, fehlt es ebenfalls an hinreichenden Darlegungen. Da die Rüge der Verletzung des Rechts auf Befragung eines Sachverständigen letztlich eine Gehörsrüge darstellt, müssen deren Voraussetzungen erfüllt sein. Insbesondere muss der Beschwerdeführer alles getan haben, um eine Anhörung des Sachverständigen zu erreichen (vgl BSG Beschluss vom 29.1.2018 - B 9 V 39/17 B - juris RdNr 16). Dazu gehört, rechtzeitig den Antrag auf Anhörung des Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens zu stellen und schriftlich Fragen anzukündigen, die objektiv sachdienlich sind (vgl BSG Beschluss vom 24.2.2021 - B 13 R 37/20 B - juris RdNr 12). Dass dies erfolgt ist, ergibt sich aus der Beschwerdebegründung ebenfalls nicht.
Im Übrigen trägt der Kläger auch nicht hinreichend zur (konkreten) Entscheidungserheblichkeit des von ihm geltend gemachten Verfahrensmangels vor. Er belässt es bei der Behauptung, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass bei Berücksichtigung seines Vorbringens das LSG unter Außerachtlassung des (bereits vor dem SG eingeholten) Gutachtens von F1 und des Zusatzgutachtens zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre. Das LSG hat zwar auf die Ausführungen im Gerichtsbescheid des SG Bezug genommen. Es hat im Berufungsverfahren aber ein weiteres Sachverständigengutachten auf psychiatrischem Fachgebiet durch den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie D vom 26.8.2022, ebenfalls mit psychologischem Zusatzgutachten vom 10.6.2022 eingeholt. Wie der Kläger selbst in seiner Beschwerdebegründung wiedergibt, hat das LSG in seinen Entscheidungsgründen die Annahme eines mindestens sechsstündiges Leistungsvermögens maßgeblich auch mit den in diesem Gutachten getroffenen Feststellungen begründet. Zudem hat das Berufungsgericht auf den Inhalt des Rehabilitationsentlassungsberichts der Klinik E vom 21.10.2021 verwiesen. Das Berufungsgericht hat die Beurteilung des medizinischen Sachverhalts durch das SG hierdurch als bestätigt angesehen. Auch dazu verhält sich die Beschwerdebegründung nicht.
Soweit der Kläger schließlich geltend macht, das LSG habe verkannt, dass die Weiterbewilligung einer befristet gewährten Rente wegen voller Erwerbsminderung zu erfolgen hat, wenn keine Besserung des gesundheitlichen Zustandes bzw der Leistungsfähigkeit des Rentenantragstellers eingetreten ist, rügt er eine vermeintlich fehlerhafte Entscheidung in der Sache. Darauf kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden (vgl BSG Beschluss vom 20.10.2021 - B 5 R 230/21 B - juris RdNr 6 mwN).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
2. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von PKH für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ist abzulehnen. Die Nichtzulassungsbeschwerde bietet - wie ausgeführt - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO). Damit entfällt zugleich die Möglichkeit der Beiordnung einer Rechtsanwältin im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 Satz 1 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI16129339 |