Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensfehler. Ausschluss der Geltendmachung einer Verletzung von § 109 SGG. keine Umgehung durch Erhebung einer Grundsatzbeschwerde. keine Verletzung rechtlichen Gehörs. Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses der Revision
Orientierungssatz
1. Der Beschwerdeführer kann den in § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG geregelten Ausschluss der Geltendmachung eines auf § 109 SGG beruhenden Verfahrensmangels nicht mit dem Vortrag umgehen, die Vorgehensweise des Berufungsgerichts werfe grundsätzlich bedeutsame Rechtsfragen hinsichtlich des Umfangs des Antragsrechts aus § 109 Abs 1 SGG sowie der Ausfüllung des Maßstabs der groben Fahrlässigkeit in § 109 Abs 2 SGG auf (vgl BSG vom 30.5.2006 - B 2 U 86/06 B = SozR 4-1500 § 160 Nr 9).
2. Auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs kann insoweit nicht gerügt werden, da es im Sozialgerichtsprozess angesichts des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 103 SGG) verfassungsrechtlich unbedenklich ist, grundsätzlich alle Entscheidungen von einer Revisionszulassung auszuschließen, die eine fehlerhafte Anwendung des § 109 SGG aufweisen (vgl BVerfG vom 12.4.1989 - 1 BvR 1425/88 = SozR 1500 § 160 Nr 69).
3. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss wurde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG 1. Senat 1. Kammer vom 27.6.2016 - 1 BvR 2078/15).
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2, Nr. 3 Hs. 1, Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3, § 109 Abs. 1-2, §§ 103, 62; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. Januar 2015 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Mit Urteil vom 30.1.2015 hat das LSG einen Anspruch der Klägerin auf Feststellung eines GdB 50 verneint und in den Urteilsgründen zugleich einen in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsantrag der Klägerin auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG abgelehnt. Das Antragsrecht der Klägerin sei verbraucht, weil der zunächst auf ihren Antrag ernannte Sachverständige die Begutachtung wegen Überlastung abgelehnt habe. Zudem sei der wiederholte Antrag auch nach § 109 Abs 2 SGG abzulehnen. Die Klägerin habe es versäumt sicherzustellen, dass der ursprünglich benannte Arzt zu zeitgerechter Gutachtenstellung bereit sein würde. Zudem habe sie den Kostenvorschuss zu spät eingezahlt.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt: Das Berufungsurteil weiche von der Rechtsprechung des BVerfG ab, habe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt und beruhe auf der verfahrensfehlerhaften Ablehnung ihres Beweisantrags.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil kein Zulassungsgrund ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
Einen Verfahrensmangel, auf den sie ihre Nichtzulassungsbeschwerde mit Erfolg stützen könnte, zeigt die Klägerin nicht auf. Zwar rügt sie die Ablehnung ihres Antrags auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG. Auf eine Verletzung dieser Vorschrift kann indes der geltend gemachte Verfahrensmangel gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG von vornherein nicht gestützt werden. Dieser Ausschluss gilt absolut ausnahmslos und uneingeschränkt für jede fehlerhafte Anwendung des § 109 SGG (Karmanski in Roos/Warendorf, SGG, § 160 RdNr 57 mwN; BSG Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 129/78 - SozR 1500 § 160 Nr 34). Die Klägerin kann ihn daher auch nicht mit ihrem Vortrag umgehen, die Vorgehensweise des Berufungsgerichts werfe grundsätzlich bedeutsame Rechtsfragen hinsichtlich des Umfangs des Antragsrechts aus § 109 Abs 1 SGG sowie der Ausfüllung des Maßstabs der groben Fahrlässigkeit in § 109 Abs 2 SGG auf. Denn in ihrem konkreten Fall würde diese Rüge allein dazu dienen, den Rügeausschluss des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG auszuhebeln (vgl BSG Beschluss vom 30.5.2006 - B 2 U 86/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 9).
Ebenso wenig kann die Klägerin mit Erfolg eine Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art 103 Abs 1 GG rügen. Insoweit beruft sich die Klägerin zu Unrecht auf den Beschluss des BVerfG (BVerfGE 69, 141 bis 145). Denn diese Entscheidung ist zu einer unterbliebenen Beweiserhebung im Zivilprozess ergangen, den der Beibringungsgrundsatz beherrscht. Dagegen hält es das BVerfG im Sozialgerichtsprozess angesichts des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 103 SGG) verfassungsrechtlich für unbedenklich, grundsätzlich alle Entscheidungen von einer Revisionszulassung auszuschließen, die eine fehlerhafte Anwendung des § 109 SGG aufweisen (vgl BVerfG SozR 1500 § 160 Nr 69).
Dass sie mit ihrem Antrag nach § 109 SGG zugleich auf eine weitere Beweiserhebung von Amts wegen abgezielt und dies bei der Antragstellung eindeutig zum Ausdruck gebracht habe, behauptet die Klägerin selber nicht (vgl BSG Beschluss vom 5.1.2000 - B 9 SB 46/99 B - Juris). Damit scheidet auch eine erfolgreiche Rüge einer Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes aus § 103 SGG aus, weil diese nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG einen Beweisantrag voraussetzt, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen