Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Erwachsener. Hilfsmittel. keine Kostenübernahme eines Sportrollstuhls. Freizeitbeschäftigungen stellen kein vitales Lebensbedürfnis bzw kein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens dar
Orientierungssatz
1. Freizeitbeschäftigungen - welcher Art auch immer - werden vom Begriff des vitalen Lebensbedürfnisses bzw des allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens nicht erfasst" (vgl BSG vom 16.9.1999 - B 3 KR 8/98 R = SozR 3-2500 § 33 Nr 31 und vom 10.10.2000 - B 3 KR 29/99 R; ähnlich BSG vom 26.3.2003 - B 3 KR 26/02 R = SozR 4-2500 § 33 Nr 2).
2. Die Pflicht der Krankenkassen geht auch in ihrer Eigenschaft als Rehabilitationsträger nicht über die Sicherung von Grundbedürfnissen hinaus.
Normenkette
SGB V § 33 Abs 1 S 1; SGG § 160a Abs 4, § 169
Verfahrensgang
Tatbestand
Der 1963 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Kläger ist querschnittsgelähmt. Zur Fortbewegung hat ihn die Beklagte mit zwei Rollstühlen versorgt - zuletzt im Jahre 2002 mit einem transportablen Faltrollstuhl. Im Februar 2005 beantragte der Kläger unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung die Gewährung eines Aktivrollstuhls zur Ausübung des Behindertensports in Form von Rollstuhl-Rugby. Dies lehnte die Beklagte unter Hinweis auf das Wirtschaftlichkeitsgebot ab; zudem handele es sich bei diesem Sportrollstuhl nicht um ein Hilfsmittel, welches zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung zähle. Klage und Berufung hiergegen sind erfolglos geblieben (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold vom 2. Januar 2005, Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen ≪LSG≫ vom 22. Juni 2006). Der Sportrollstuhl sei weder erforderlich, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder einer drohenden Behinderung vorzubeugen, noch diene er dazu, die auf Grund der Querschnittslähmung bestehende Behinderung auszugleichen. Das Grundbedürfnis des Klägers, sich fortzubewegen und sich einen gewissen körperlichen Freiraum zu erschließen, werde schon mit den beiden ihm von der Beklagten zur Verfügung gestellten Rollstühlen befriedigt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) werde die sportliche Betätigung im Freizeitbereich vom Begriff des vitalen Lebensbedürfnisses bzw des allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens nicht erfasst. Doch selbst wenn dies der Fall wäre, begründete dies nicht den Anspruch auf einen Sportrollstuhl; denn auch ohne diesen wäre es dem Kläger möglich, andere Sportarten - wenn auch nur in beschränktem Maße - zu betreiben.
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht in der durch die §§ 160 Abs 2 und 160a Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) normierten Form begründet worden ist. Sie ist deshalb ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§§ 160a Abs 4 Satz 2, 169 Satz 1 bis 3 SGG).
Der Kläger macht geltend, das angegriffene Urteil betreffe Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist es erforderlich, die grundsätzlichen Rechtsfragen klar zu formulieren und aufzuzeigen, dass sie über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung haben (BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11 und SozR 1500 § 160a Nr 39) und dass sie klärungsbedürftig sowie klärungsfähig sind (BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 und 65), sie also im Falle der Revisionszulassung entscheidungserheblich wären (BSG SozR 1500 § 160a Nr 54). In der Regel fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage, wenn diese höchstrichterlich bereits entschieden ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 51, § 160a Nr 13 und 65; SozR 3-1500 § 160 Nr 8); erforderlichenfalls muss dargelegt werden, dass die Entscheidung in der Rechtsprechung anderer Gerichte oder in der Literatur auf erhebliche Kritik gestoßen ist, sodass deutlich wird, dass die Rechtsfrage erneut klärungsbedürftig geworden ist (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl 2005, § 160 RdNr 7, 7a und § 160a RdNr 14e mwN). Diese Erfordernisse betreffen die gesetzliche Form iS des § 169 Satz 1 SGG (vgl BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 48). Deren Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
Der Kläger hat als Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen, ob Sport ein Grundbedürfnis iS von § 33 Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) darstellt und bejahendenfalls, ob gesetzlich Krankenversicherte Anspruch auf Versorgung mit einem Sportrollstuhl haben. Die erste Frage hat der Senat anhand des Beispiels "Jogging" bereits entschieden und dazu unter Hinweis auf frühere Entscheidungen des BSG wörtlich ausgeführt: "Das Jogging ist eine sportliche Betätigung im Freizeitbereich. Freizeitbeschäftigungen - welcher Art auch immer - werden vom Begriff des vitalen Lebensbedürfnisses bzw des allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens nicht erfasst" (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 31 S 186 mwN und Urteil vom 10. Oktober 2000 - B 3 KR 29/99 R -; ähnlich SozR 4-2500 § 33 Nr 2 RdNr 8 - "Radfahren"). Mit dieser - vom LSG zitierten - Rechtsprechung hat sich der Kläger nicht auseinander gesetzt. Er hat insbesondere nicht verdeutlicht, dass und warum im Falle von Rollstuhl-Rugby eine andere rechtliche Beurteilung geboten sein soll bzw dass die oa Entscheidungen des Senats in der Rechtsprechung anderer Gerichte oder in der Literatur auf erhebliche Kritik gestoßen sind und die aufgeworfene Rechtsfrage deshalb trotz dieser höchstrichterlichen Entscheidungen nicht sicher zu beantworten ist. Der Hinweis auf eine uneinheitliche Rechtsprechung oder Bewilligungspraxis der Kassen wird nicht näher substantiiert. Allein die Anzahl Rollstuhlsport betreibender Personen begründet keinen höchstrichterlichen Klärungsbedarf.
Die Klärungsbedürftigkeit der zweiten Frage ist nicht substantiiert, weil sie von der ersten Frage abhängt und diese bereits höchstrichterlich entschieden ist. Dabei mag der Hinweis des Klägers - wie auch das LSG unterstellt hat - zutreffend sein, dass gerade für Behinderte die sportliche Betätigung in der Gruppe zur Stärkung der Psyche und zu ihrer Integration von elementarer Bedeutung ist. Gleichwohl wird die Frage, ob gesetzlich Krankenversicherte Anspruch auf Versorgung mit einem Sportrollstuhl haben, dadurch nicht "isoliert" klärungsbedürftig. Die Pflicht der Krankenkassen geht auch in ihrer Eigenschaft als Rehabilitationsträger nicht über die Sicherung von Grundbedürfnissen hinaus. Der Senat hat zwar im Hinblick auf die Zuordnung bestimmter Betätigungen zu den Grundbedürfnissen stets auf die Erforderlichkeit von Hilfsmitteln im Einzelfall abgestellt, die Vermeidung von Isolation durch Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und Kommunikation aber nur iS einer Grundversorgung oder bei Kindern und Jugendlichen in der Entwicklungs- oder Ausbildungsphase als Grundbedürfnis anerkannt (vgl SozR 2200 § 182b Nr 30 und SozR 3-2500 § 33 Nr 5 - Gehörlosentelefon; SozR 2200 § 182 Nr 73 - Kindersportbrille; SozR 3-2500 § 33 Nr 22 - Behinderten-PC; SozR 3-2500 § 33 Nr 27 - Rollstuhl-Bike). Mit dieser Rechtsprechung des BSG hat sich der Kläger ebenfalls nicht auseinandergesetzt. Dazu hätte hier besondere Veranlassung bestanden, weil das LSG diese Frage in seinen Entscheidungsgründen (Umdruck S 6 f) selbst ausführlich erörtert hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen