Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensmangel. Sachaufklärungsrüge. Ordnungsgemäßer Beweisantrag. Erwerbsminderungsrente
Leitsatz (redaktionell)
Ein ordnungsgemäßer Beweisantrag erfordert im Rahmen eines Verfahrens der Erwerbsminderungsrente einen Beweisantrag, mit dem der negative Einfluss von weiteren, dauerhaften Gesundheitsbeeinträchtigungen auf das verbliebene Leistungsvermögen behauptet und möglichst genau dargetan wird; je mehr Aussagen von Sachverständigen zum Beweisthema bereits vorliegen, desto genauer muss der Beweisantragsteller von ihm behauptete Unterschiede zum Gegenstand des Beweisthemas machen.
Normenkette
SGG §§ 103, 109, 118 Abs. 1 S. 1, § 128 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 1, § 169 Sätze 2-3; ZPO §§ 373, 403
Verfahrensgang
SG Berlin (Entscheidung vom 28.01.2019; Aktenzeichen S 97 R 2488/17) |
LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 16.06.2022; Aktenzeichen L 17 R 152/19) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 16. Juli 2022 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der am 1961 geborene Kläger begehrt die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.
Die Beklagte lehnte seinen Rentenantrag vom 25.1.2017 ab, nachdem sie den Entlassungsbericht aus einer vom Kläger vom 23.11.2016 bis zum 20.1.2017 absolvierten ambulanten Rehabilitationsmaßnahme beigezogen und ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten eingeholt hatte (Bescheid vom 7.4.2017; Widerspruchsbescheid vom 1.9.2017). Das SG hat die Klage nach Einholung eines Gutachtens beim Psychiater und Psychotherapeuten S vom 19.9.2018 abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 28.1.2019). Im dagegen vom Kläger angestrengten Berufungsverfahren hat das LSG auf dessen Antrag ein Gutachten beim Neurologen und Psychiater F vom 20.8.2019 eingeholt sowie eine ergänzende Stellungnahme vom 2.3.2021. Die Berufung hat das LSG mit Urteil vom 16.6.2022 zurückgewiesen. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente seien zuletzt "im Januar 2019" erfüllt gewesen. Jedenfalls bis dahin sei der Kläger zu leichten körperlichen Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen in der Lage gewesen. Das folge insbesondere aus dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen S. Die abweichende Einschätzung des Sachverständigen F vermöge inhaltlich nicht zu überzeugen. Weitere Ermittlungen seien nicht angezeigt.
Der Kläger hat gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung Beschwerde zum BSG eingelegt, die er mit Schriftsatz vom 4.10.2022 begründet hat.
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG zu verwerfen. Der geltend gemachte Verfahrensmangel wird nicht anforderungsgerecht bezeichnet (§ 160 Abs 2 Satz 3 SGG).
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des Berufungsgerichts ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Berufungsgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Den sich daraus ergebenden Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Der Kläger rügt, das LSG sei der tatrichterlichen Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 103 Satz 1 Halbsatz 1 SGG) nicht ausreichend nachgekommen. Wird eine solche Sachaufklärungsrüge erhoben, muss die Beschwerdebegründung hierzu folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren prozessordnungsgemäßen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 14.4.2020 - B 5 RS 13/19 B - juris RdNr 11). Die Beschwerde legt schon den ersten Punkt nicht hinreichend dar.
Der Kläger bezieht sich auf seinen in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 16.6.2022 gestellten Antrag. Damit zeigt er nicht auf, einen ordnungsgemäßen Beweisantrag (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 403 bzw § 373 ZPO) gestellt zu haben. Im Rahmen eines Verfahrens der Erwerbsminderungsrente erfordert dies einen Beweisantrag, mit dem der negative Einfluss von weiteren, dauerhaften Gesundheitsbeeinträchtigungen auf das verbliebene Leistungsvermögen behauptet und möglichst genau dargetan wird (vgl zB Beschluss vom 18.8.2022 - B 5 R 124/22 B - juris RdNr 6 mwN). Je mehr Aussagen von Sachverständigen zum Beweisthema bereits vorliegen, desto genauer muss der Beweisantragsteller von ihm behauptete Unterschiede zum Gegenstand des Beweisthemas machen (vgl zB BSG Beschluss vom 26.1.2017 - B 13 R 337/16 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6, vgl dazu, dass das Beweisthema in Abgrenzung zu den bereits vorliegenden Aussagen von Sachverständigen oder sachverständigen Zeugen zu benennen ist, auch Fichte, SGb 2000, 653, 656). Der Beschwerde lässt sich nicht entnehmen, dass der Beweisantrag vom 16.6.2022 auf die Ermittlung konkreter Leistungseinschränkungen gerichtet gewesen ist, die in den bereits vorliegenden Gutachten keine Berücksichtigung gefunden haben könnten. Nach dem im Berufungsurteil wiedergegeben Antrag sollten mittels eines weiteren neurologisch-psychiatrischen Gutachtens bloß allgemein "die medizinischen Voraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente, hilfsweise einer Teilerwerbsminderungsrente, ab Antragstellung oder später" ermittelt werden.
Ungeachtet dessen ist nicht ausreichend dargetan, dass für das Berufungsgericht zwingende Veranlassung für weitere Sachverhaltsermittlungen bestanden haben könnte. Das LSG hat im angegriffenen Urteil ausgeführt, es könne dahingestellt bleiben, ob der Kläger aktuell oder seit der Untersuchung durch den Sachverständigen F erwerbsgemindert sei. Bereits zu diesem Zeitpunkt seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentengewährung nicht mehr erfüllt gewesen. Allein der Sachverständige S habe sein Gutachten zu einem Zeitpunkt erstellt, zu dem eine Berentung noch hätte erfolgen können. Seinem Gutachten und den zeitnah zum letztmöglichen Leistungsfall erstellten medizinischen Unterlagen ließen sich jedoch keine belastbaren Anhaltspunkte für eine quantitative Leistungseinschränkung entnehmen. Dass ausgehend vom diesem Standpunkt des LSG weitere Ermittlungen angezeigt gewesen sein könnten, zeigt der Kläger nicht auf. Mit dem Vorbringen, selbst die Beklagte gehe von Hinweisen für eine Verschlechterung des Gesundheitszustands in den letzten zwei Jahren (bezogen auf November 2020) aus, ist nicht hinreichend dargetan, dass spätestens im Januar 2019 konkrete, bislang nicht berücksichtigte Leistungseinschränkungen bestanden haben könnten. Soweit der Kläger vorträgt, das LSG habe zunächst die Einholung eines weiteren Gutachtens nach § 109 SGG beabsichtigt, erschließt sich nicht, inwieweit dies Ausdruck eines fortbestehenden Ermittlungsbedarfs des Berufungsgerichts gewesen sein könnte. Dass das LSG ein weiteres Gutachten allenfalls auf Antrag des Klägers einholen wollte, spricht im Gegenteil dafür, dass die aus seiner Sicht erforderlichen Ermittlungen abgeschlossen gewesen sind.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Düring Körner Hannes
Fundstellen
Dokument-Index HI15471146 |