Verfahrensgang
SG Würzburg (Entscheidung vom 24.07.2019; Aktenzeichen S 12 BA 8/18) |
Bayerisches LSG (Urteil vom 17.11.2022; Aktenzeichen L 16 BA 169/19) |
Tenor
Die Beschwerde des Beigeladenen zu 1. gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17. November 2022 wird als unzulässig verworfen.
Der Beigeladene zu 1. trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Klägerin und der übrigen Beigeladenen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5000 Euro festgesetzt.
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens darüber, ob die Klägerin in ihrer Tätigkeit als Kooperationspartnerin des zu 1. beigeladenen eingetragenen Vereins im Bereich Sprachtherapie und Logopädie in der Zeit vom 1.10.2007 bis zum 31.10.2017 aufgrund Beschäftigung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag.
Die Klägerin ist Logopädin. Sie behandelt insbesondere Sprach-, Sprech- und Stimmstörungen. Sie betrieb zusammen mit einer Kollegin eine Praxis für Logopädie. Der Beigeladene zu 1. betreibt eine "Interdisziplinäre Frühförderstelle". Hier wurden etwa 260 Familien bzw Kinder betreut. Im streitigen Zeitraum gab es dort 12 bis 23 festangestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, teilweise in Teilzeit, und drei bis vier Kooperationspartnerinnen und -partner. Anfang August 2007 schlossen die Klägerin und der Beigeladene zu 1. für dessen "Interdisziplinäre Frühförderstelle" einen Kooperationsvertrag. Es wurde vereinbart, dass die Klägerin ab dem 1.10.2007 als Leistungserbringerin für Sprachtherapie im Rahmen der Frühförderung in den Räumen des Beigeladenen zu 1. eingesetzt werde. Die Klägerin schloss ihre Praxis zum 1.12.2017 aus persönlichen und wirtschaftlichen Gründen und kündigte den Kooperationsvertrag mit dem Beigeladenen zu 1. zum 31.10.2017. Seit 1.6.2018 ist sie als Logopädin bei dem Beigeladenen zu 1. angestellt. Auf einen Statusfeststellungsantrag der Klägerin stellte die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund fest, dass die Tätigkeit der Klägerin als Logopädin bei dem Beigeladenen zu 1. seit dem 1.10.2007 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde. Es bestehe Versicherungspflicht in der GRV sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung(Bescheide vom 10.8.2017; Widerspruchsbescheide vom 18.1.2018) .
Hiergegen haben die Klägerin und der Beigeladene zu 1. getrennt Klagen erhoben. Das Klageverfahren des Beigeladenen zu 1. ruht. Das SG Würzburg hat die Klage abgewiesen(Urteil vom 24.7.2019) . Das Bayerische LSG hat die Berufung der Klägerin und des Beigeladenen zu 1. zurückgewiesen(Urteil vom 17.11.2022) . Im Rahmen einer Gesamtabwägung würden für die Beschäftigung der Klägerin deren funktionsgerecht dienende Eingliederung in die betrieblichen Abläufe des Beigeladenen zu 1. bei umfassenden, von außen auferlegten regulatorischen Vorgaben, deren Verpflichtung zur persönlichen Leistungserbringung in enger Abstimmung mit den weiteren Leistungserbringern und dem Beigeladenen zu 1. sowie ihr kaum vorhandenes Unternehmerrisiko sprechen.
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Beigeladene zu 1. gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG. Parallel hat der Beigeladene zu 1. beim LSG einen Antrag auf Protokoll- und Tatbestandsberichtigung gestellt, über den noch nicht entschieden worden ist.
II
Die Beschwerde des Beigeladenen zu 1. gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. In der Begründung des Rechtsmittels ist entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG kein Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug(zu den Anforderungen an die Bezeichnung eines solchen Verfahrensmangels s exemplarischBSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4;BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 4 - jeweils mwN; Krasney/Udsching/Groth/Meßling, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 8. Aufl 2022, Kap IX, RdNr 113 ff) . Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann sich der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG stützen. Ferner kann die Geltendmachung eines Verfahrensmangels auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungspflicht) gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Prüfungsmaßstab ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG(vglBSG Beschluss vom 14.5.2007 - B 1 KR 21/07 B - juris RdNr 18 mwN;BSG Urteil vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - SozR Nr 79 zu § 162 SGG;BSG Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - SozR 1500 § 160 Nr 33) . Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn er hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargelegt wird, sodass das BSG allein anhand der Beschwerdebegründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Der Beigeladene zu 1. behauptet eine Verletzung von§ 103 SGG . Das LSG habe sich mit den Ausführungen der Klägerin und des Beigeladenen zu 1. in der mündlichen Verhandlung bei seiner Entscheidung nicht auseinandergesetzt und diese Ausführungen nicht gewürdigt. Zudem habe das LSG eigene von den Berufsrichtern gestellte und der Klägerin beantwortete Fragen nicht protokolliert. Eine der beiden Berufsrichterinnen habe die Klägerin nach den von ihr absolvierten Fortbildungen sowie der Kostentragungspflicht für Fortbildungen befragt. Nach Beantwortung der Fragen durch die Klägerin habe die Vorsitzende Richterin mitgeteilt, diese würden nicht in den aktuell besprochenen Kontext der Leistungserbringung und der Teamstruktur passen. Die Klägerin werde dazu später nochmals ausgiebig befragt werden. Dann würde auch eine Protokollierung erfolgen. Entgegen dieser Ankündigung habe das LSG die Klägerin nach zwei Sitzungsunterbrechungen nicht erneut befragt.
1. Die Beschwerdebegründung berücksichtigt bereits nicht, dass - wie oben dargelegt - die Geltendmachung eines Verfahrensmangels auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungspflicht) gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nur gestützt werden kann, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. In der Beschwerdebegründung legt der Beigeladene zu 1. nicht dar, dass ein entsprechender Beweisantrag prozessordnungsgemäß gestellt worden wäre.
2. Soweit der Beigeladene zu 1. mit seinem Vorbringen, das LSG habe entschieden, ohne die zuvor angekündigte erneute Befragung durchzuführen, eine Überraschungsentscheidung rügen sollte, ist ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör(§§ 62 ,128 Abs 2 SGG ,Art 103 Abs 1 GG ) nicht aufgezeigt worden. Von einer Überraschungsentscheidung kann nur dann ausgegangen werden, wenn das angegriffene Urteil auf Gesichtspunkte gestützt wird, die bisher nicht erörtert worden sind, und dadurch der Rechtsstreit eine unerwartete Wendung nimmt, mit der auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht(BSG Beschluss vom 22.12.2023 - B 9 SB 26/23 B - juris RdNr 13 mwN) . Hierzu fehlt es an hinreichenden Darlegungen. Abgesehen davon zeigt der Beigeladene zu 1. auch nicht auf, dass er zur Vermeidung einer (vermeintlichen) Überraschungsentscheidung, die angekündigte Befragung beantragt hätte.
3. Soweit der Beigeladene zu 1. zudem die Richtigkeit des Sitzungsprotokolls rügen sollte, bezeichnet er ebenso wenig einen entsprechenden Verfahrensverstoß in einer den Zulässigkeitsanforderungen entsprechenden Weise. Der Beigeladene zu 1. setzt sich zum Nachweis des möglicherweise geltend gemachten Verstoßes nicht mit den maßgeblichen rechtlichen Grundlagen in § 153 Abs 1, § 122 SGG iVm § 160 ZPO auseinander. Er unterlässt ua Ausführungen dazu, inwieweit § 160 Abs 3 Nr 4 ZPO im sozialgerichtlichen Verfahren Anwendung finden kann(vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, § 122 RdNr 4c mwN) . Schließlich wird auch die Entscheidungserheblichkeit des insoweit möglicherweise geltend gemachten Verfahrensverstoßes nicht dargelegt. Es fehlen ferner Ausführungen dazu, inwieweit der Beigeladene zu 1. in der mündlichen Verhandlung Anträge nach § 153 Abs 1, § 122 SGG iVm § 160 Abs 4 Satz 1 ZPO gestellt hat. Im Übrigen betreffen die Ausführungen des Beigeladenen zu 1. zu der aus seiner Sicht bestehenden Bedeutung der Teilnahme an Fortbildungen und der Tragung von Versicherungskosten durch die Klägerin im Wesentlichen die richterliche Überzeugungsbildung(§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG ) . Auf einen insoweit behaupteten Verstoß kann aber ein Verfahrensmangel im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde nach § 160a Abs 2 Nr 3 SGG nicht gestützt werden.
4. Soweit der Beigeladene zu 1. geltend macht, das LSG habe sich mit seinen und den Ausführungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung bei seiner Entscheidung nicht auseinandergesetzt und diese Ausführungen - insbesondere zu Fortbildungen der Klägerin und der Kostentragung für eine Vermögensschadenhaftpflichtversicherung - nicht gewürdigt, wendet er sich in erster Linie gegen die inhaltliche Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung. Hierfür sprechen auch seine umfangreichen Ausführungen nach der Einleitung "Auch in der Sache kann dem LSG nicht gefolgt werden". Die Behauptung, die Entscheidung des Berufungsgerichts sei inhaltlich unrichtig, kann im sozialgerichtlichen Verfahren jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen(vglBSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18) .
Abgesehen davon ist auch insoweit ein Gehörsverstoß nicht dargetan. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet zwar, dass das Gericht den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis nimmt und in seine Erwägungen mit einbezieht. Das Gericht ist aber nicht verpflichtet, jedes Vorbringen in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden und zu allen vorgetragenen Ausführungen Stellung zu nehmen. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen liegt erst vor, wenn sich im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände ergibt, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist(BSG Beschluss vom 21.11.2023 - B 12 KR 51/22 B - juris RdNr 14 ) . Solche Umstände sind nicht aufgezeigt worden.
5. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen(§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm§ 154 Abs 2 ,§ 162 Abs 3 VwGO . Im vorliegenden Verfahren sind die Voraussetzungen des § 197a SGG erfüllt, da allein der Beigeladene zu 1. die Beschwerde erhoben hat und er als Arbeit- oder Auftraggeber nicht dem nach § 183 SGG privilegierten Personenkreis angehört.
7. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm§ 63 Abs 2 Satz 1 ,§ 52 Abs 1 und 2,§ 47 Abs 1 und 3 GKG.
Fundstellen
Dokument-Index HI16339048 |