Verfahrensgang
SG Lübeck (Entscheidung vom 05.01.2022; Aktenzeichen S 34 U 36/19) |
Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 21.08.2023; Aktenzeichen L 8 U 11/22) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 21. August 2023 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten in der Hauptsache über einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer höheren Verletztenrente wegen Verschlimmerung von Unfallfolgen.
Die nach erfolglos durchgeführtem Verwaltungsverfahren erhobene Klage hat das SG nach Einholung eines Sachverständigengutachtens von Amts wegen abgewiesen(Gerichtsbescheid vom 5.1.2022) . Das LSG hat die Berufung nach Einholung eines Sachverständigengutachtens auf Antrag der Klägerin und ergänzender Stellungnahme des Sachverständigen zurückgewiesen(Urteil vom 21.8.2023) .
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt und diese mit dem Vorliegen von Verfahrensmängeln begründet.
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil sie den geltend gemachten Zulassungsgrund des Vorliegens von Verfahrensmängeln nicht ordnungsgemäß bezeichnet hat(§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG ) .
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne(§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG ) , so müssen die diesen vermeintlich begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist - außer im Fall von absoluten Revisionsgründen - die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Sie rügt, dass das LSG keine weitere Sachaufklärung betrieben habe. Die Klägerin habe im Vorfeld der mündlichen Verhandlung schriftsätzlich zuletzt beantragt, den auf ihren Antrag bestellten Sachverständigen im Termin persönlich anzuhören, hilfsweise, ein Ergänzungsgutachten zu erstellen und außerdem die beiden im gerichtlichen Verfahren gehörten Sachverständigen gegenüberzustellen. In der mündlichen Verhandlung habe sie ausdrücklich um die Anhörung des auf ihren Antrag bestellten Sachverständigen gebeten. Mit ihrem Vorbringen dazu bezeichnet die Beschwerdebegründung der Klägerin indes nicht hinreichend die Verletzung der Sachaufklärungspflicht( § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm§ 411 Abs 3 ZPO ,§ 103 SGG ) .
Um den Verfahrensmangel der Verletzung der Sachaufklärungspflicht( § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm§ 411 Abs 3 ZPO ,§ 103 SGG ) ordnungsgemäß zu rügen, muss die Beschwerdebegründung (1.) einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zuletzt aufrechterhaltenen oder im Urteil wiedergegebenen Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2.) die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, auf deren Grundlage bestimmte Tatfragen klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3.) die von dem Beweisantrag betroffenen tatsächlichen Umstände aufzeigen, die zur weiteren Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4.) das voraussichtliche Ergebnis der unterbliebenen Beweisaufnahme angeben und (5.) erläutern, weshalb die Entscheidung des LSG auf der unterlassenen Beweiserhebung beruhen kann, das LSG also von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis hätte gelangen können, wenn es das behauptete Ergebnis der unterlassenen Beweisaufnahme gekannt hätte(stRspr; zB BSG Beschlüsse vom 9.6.2023 - B 2 U 7/23 B - juris RdNr 7 , vom 24.5.2023 - B 2 U 117/22 B - juris RdNr 4 und vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5, jeweils mwN).
Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Die Klägerin zeigt nicht auf, dass sie die weitere Sachaufklärung in Form prozessordnungsgemäßer Beweisanträge( § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm§ 403 ZPO ) geltend gemacht hat, die sie vor dem LSG bis zuletzt aufrechterhalten hat oder die in der Entscheidung wiedergegeben werden. Der förmliche Beweisantrag hat Warnfunktion und soll der Tatsacheninstanz unmittelbar vor der Entscheidung signalisieren, dass ein Beteiligter die gerichtliche Aufklärungspflicht noch für defizitär hält. Diese Warnfunktion verfehlen "Beweisantritte" und Beweisgesuche, die lediglich in der Berufungsschrift oder sonstigen Schriftsätzen enthalten sind(zB BSG Beschlüsse vom 11.9.2023 - B 2 U 5/23 B - juris RdNr 7 , vom 9.6.2023 - B 2 U 7/23 B - juris RdNr 8 und vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11, jeweils mwN) . Die von der Beschwerdebegründung vorrangig aufgezeigte Geltendmachung weiterer gerichtlicher Sachaufklärung in den Verfahrensschriftsätzen kann demnach keinen Verfahrensfehler iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG begründen.
Soweit die Klägerin sich darauf stützt, auch in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich darum gebeten zu haben, den auf ihren Antrag bestellten Sachverständigen ergänzend anzuhören, zeigt sie damit keinen Beweisantrag auf, sondern eine reine unbeachtliche Beweisanregung, die die mit einem Beweisantrag verbundene Warnfunktion nicht erfüllen kann(vgl zB BSG Beschlüsse vom 6.11.2023 - B 2 U 14/23 B - juris RdNr 13 , vom 11.9.2023 - B 2 U 5/23 B - juris RdNr 7 und vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11, jeweils mwN; allg zur Abgrenzung eines Beweisantrags von einer unbeachtlichen BeweisanregungBSG Beschluss vom 24.5.1993 - 9 BV 26/93 - SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 20 = juris RdNr 4) . Es lag dabei in der Verantwortung der im Berufungsverfahren anwaltlich vertretenen Klägerin, durch ihren Prozessbevollmächtigten entsprechende rügefähige Beweisanträge zu formulieren. Das Berufungsgericht trifft insoweit weder im Rahmen von § 106 SGG noch von § 112 Abs 2 SGG eine Hinweispflicht, um auf die Formulierung prozessordnungskonformer Beweisanträge hinzuwirken(vgl BSG Beschlüsse vom 6.11.2023 - B 2 U 1/23 B - juris RdNr 7 mwN und vom 4.8.2022 - B 5 R 64/22 B - juris RdNr 11) .
Soweit die Klägerin schließlich geltend macht, dass die begehrte Anhörung des Sachverständigen in dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem LSG aufgrund der Wortwahl des Vorsitzenden nur als Anregung formuliert worden sei und sie erkennbar ihre schriftsätzlichen Beweisanträge habe weiterverfolgen wollen, macht sie sinngemäß die Nichtbeachtung der für die mündliche Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten( § 122 SGG iVm§ 165 Satz 1 ZPO ) bzw die Unrichtigkeit des Protokolls als öffentliche Urkunde( § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm§ 415 Abs 1 ZPO ) geltend(vgl hierzu BSG Beschlüsse vom 8.1.2024 - B 2 U 54/23 B - juris RdNr 8 und vom 23.7.2015 - B 5 R 196/15 B - juris RdNr 13 ff) . Den zulässigen Gegenbeweis( § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm§ 415 Abs 2 ZPO ) bzw den Nachweis der Fälschung( § 122 SGG iVm§ 165 Satz 2 ZPO ) hat sie indes nicht geführt. Zudem hätte sie vorrangig eine Berichtigung des Protokolls( § 122 SGG iVm§ 164 ZPO ) vor der Geltendmachung eines Verfahrensmangels als Revisionszulassungsgrund beantragen müssen(dazu BSG Beschlüsse vom 8.1.2024 - B 2 U 54/23 B - juris RdNr 8 und vom 14.1.2020 - B 14 KG 1/20 B - juris RdNr 7 mwN) .
Der Vortrag der Klägerin erfüllt aber auch im Weiteren nicht die Anforderungen an die Bezeichnung des geltend gemachten Mangels unterbliebener weiterer Sachaufklärung.
Die Ladung des Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens steht ebenso wie die Anordnung zur schriftlichen Erläuterung oder Ergänzung im Ermessen des Gerichts(§ 411 Abs 3 Satz 1 und 2 ZPO ) . Der Ermessensfreiraum verdichtet sich nur dann zu einer Verpflichtung des Gerichts zur Ladung des gerichtlichen Sachverständigen oder zur Anordnung einer schriftlichen Ergänzung, wenn noch Ermittlungsbedarf besteht, dh wenn sich das Gericht hätte gedrängt fühlen müssen, hinsichtlich der vom Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten behandelten Beweisthemen noch weitere Sachaufklärung zu betreiben(vgl nur BSG Beschlüsse vom 9.6.2023 - B 2 U 7/23 B - juris RdNr 11 , vom 19.7.2023 - B 2 U 2/23 B - juris RdNr 6 und vom 14.12.2022 - B 2 U 1/22 B - juris RdNr 6, jeweils mwN) .
Die Beschwerdebegründung trägt indes nichts dazu vor, aus welchen Gründen diesbezüglich noch Fragen offengeblieben sein könnten, warum sich also das LSG von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt zu einer Befragung hätte gedrängt fühlen müssen und daher von einer Befragung nur noch ermessenswidrig habe absehen können. § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist im Hinblick auf das Erfordernis "ohne hinreichende Begründung" nicht formell, sondern materiell im Sinne von "ohne hinreichenden Grund" zu verstehen(zB BSG Beschlüsse vom 21.3.2023 - B 2 U 148/22 B - juris RdNr 8 mwN, vom 15.8.2022 - B 2 U 141/21 B - juris RdNr 15 mwN und vom 31.7.1975 - 5 BJ 28/75 - SozR 1500 § 160 Nr 5 S 6 = juris RdNr 2) . Die Beschwerdebegründung führt einleitend selbst an, dass das LSG sich mit den zwei eingeholten Gutachten auseinandergesetzt habe. Der weitere Vortrag erschöpft sich sodann in der Darstellung, dass das LSG dem Gutachten des auf Antrag der Klägerin bestellten Sachverständigen aus verschiedenen Gründen nicht gefolgt sei. Allein das Vorliegen divergierender Feststellungen und Ansichten der gehörten Sachverständigen vermag indes keine Verpflichtung zur ergänzenden Befragung oder gar persönlichen Anhörung zu begründen. Denn die Würdigung voneinander abweichender Gutachtenergebnisse oder ärztlicher Auffassungen gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zu der Beweiswürdigung(§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG ) , die als solche gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG von einer Rüge als Verfahrensmangel ausgeschlossen ist(zB BSG Beschlüsse vom 6.9.2023 - B 2 U 90/22 B - juris RdNr 21 mwN, vom 9.6.2023 - B 2 U 7/23 B - juris RdNr 5 und vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 juris RdNr 10) .
Nicht maßgeblich ist, ob die Klägerin aus ihrer Sicht weiteren Aufklärungsbedarf annimmt. Daher besteht keine Verpflichtung der Gerichte zu stets neuen Befragungen der Sachverständigen, nur weil die Beteiligten deren Feststellungen und Beurteilungen nicht teilen oder die Beteiligten ergänzende Stellungnahmen für sinnvoll erachten. Auch besteht kein allgemeiner Anspruch auf Überprüfung eines oder mehrerer Sachverständigengutachten durch ein sog Obergutachten oder auf Gegenüberstellung der Sachverständigen, wie es die Klägerin im Verfahren schriftsätzlich beantragt hatte(zB BSG Beschlüsse vom 9.6.2023 - B 2 U 7/23 B - juris RdNr 10 , vom 14.12.2022 - B 2 U 1/22 B - juris RdNr 7, vom 27.9.2022 - B 2 U 150/21 B - juris RdNr 13 und vom 24.6.2020 - B 9 SB 79/19 B - juris RdNr 11, jeweils mwN) . Die Klägerin hätte daher aufzeigen müssen, dass auch trotz der weiteren dem LSG vorliegenden Beweismittel, insbesondere aller im Verwaltungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren eingeholten Gutachten, Fragen zum tatsächlichen Sachverhalt aus seiner rechtlichen Sicht erkennbar offengeblieben sind, damit zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts zwingende Veranlassung bestanden hat und die so zu ermittelnden Tatsachen nach der Rechtsauffassung des LSG entscheidungserheblich gewesen sind. Vor diesem Hintergrund besteht eine verfahrensrechtliche Pflicht zur Einholung weiterer Sachverständigengutachten nur dann, wenn vorhandene Gutachten iS von § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 412 Abs 1 ZPO ungenügend sind, weil sie grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben(vgl zB BSG Beschlüsse vom 10.5.2022 - B 2 U 134/21 B - juris RdNr 8 mwN, vom 14.12.1999 - B 2 U 311/99 B - juris RdNr 6 mwN und vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 9) .
Hierzu enthält die Beschwerdebegründung keinen hinreichenden Vortrag, wenn sie sich einseitig auf eine unzutreffende Würdigung des im Berufungsverfahren eingeholten Gutachtens stützt(§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG ) . Erforderlich wäre die Darstellung von Mängeln der aufgezeigten Art und Weise in den weiteren Beweismitteln gewesen, um das Beschwerdegericht in die Lage zu versetzen, den sachlich-rechtlichen Standpunkt des LSG nachzuvollziehen und das Vorliegen eines Aufklärungsmangels zu bewerten(zB BSG Beschlüsse vom 21.3.2023 - B 2 U 148/22 B - juris RdNr 8 mwN und vom 17.5.2022 - B 2 U 91/21 B - juris RdNr 8 mwN) . Wenn die Klägerin in diesem Zusammenhang wiederholt rügt, das LSG maße sich eigene medizinische Sachkenntnis an, handelt es sich ohne nähere Darlegung der weiteren Ermittlungsergebnisse um einen unsubstantiierten Vortrag.
Soweit die Klägerin schließlich am Rande wiederholt erwähnt, im Laufe des Verfahrens eine Zeugenbefragung beantragt zu haben, behauptet sie selbst nicht, einen hierauf gerichteten formellen Beweisantrag gestellt zu haben( § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm§ 373 ZPO ) .
2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab(§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ) .
3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen(§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2,§ 169 Satz 2 und 3 SGG ) .
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der§§ 183 ,193 SGG .
Fundstellen
Dokument-Index HI16612131 |