Entscheidungsstichwort (Thema)
Freiwilliges Krankenkassenmitglied. Beitragsbemessung. einkommensloser Ehegatte. getrennt lebender oder geschiedener Ehegatte. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Bei der Bemessung der Beiträge eines freiwilligen Krankenkassenmitglieds, das mangels eigenen Einkommens aus dem Arbeitsverdienst des mit ihm zusammenlebenden, privat krankenversicherten Ehegatten unterhalten wird, ist von dessen Bruttoverdienst auszugehen (Fortführung von BSG vom 24.6.1985 – GS 1/84 = BSGE 58, 183 = SozR 2200 § 180 Nr 27).
Orientierungssatz
Haben getrennt lebende oder geschiedene Versicherte in der Regel geringere Beiträge für eine freiwillige Krankenversicherung zu entrichten als Versicherte, die mit ihrem Ehegatten zusammenleben, so ist dies, da beide Gruppen der Versicherten sich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht wesentlich unterscheiden, von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, insbesondere nicht unter dem Gesichtspunkt der Art 3 und 6 GG.
Normenkette
RVO § 180 Abs. 4 S. 3; SGB V § 240 Abs. 1 S. 2; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1
Verfahrensgang
SG für das Saarland (Urteil vom 12.08.1987; Aktenzeichen S 1 K 27/87) |
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Berechnung ihrer Krankenversicherungsbeiträge. Sie ist freiwilliges Mitglied der beklagten Krankenkasse und ohne eigenes Einkommen. Ihr privat krankenversicherter Ehemann hatte im Jahre 1987 einen Bruttoverdienst von durchschnittlich 5.833 DM im Monat. Davon zog die Beklagte als Unterhaltsbetrag für ein Kind 1/6 der monatlichen Bezugsgröße ab und berechnete entsprechend ihrer Satzung die Beiträge von der Hälfte des verbliebenen Betrags (2.665 DM). Die Klägerin hält dies für rechtswidrig, weil sie dadurch gegenüber freiwillig Versicherten, die von ihrem Ehegatten getrennt leben oder geschieden sind, in verfassungswidriger Weise benachteiligt werde; die Beiträge dieser Versicherten würden nämlich nicht nach dem Bruttoeinkommen des Ehegatten berechnet, sondern nach dessen tatsächlichen Unterhaltsleistungen.
Das Sozialgericht (SG) ist der Auffassung der Klägerin gefolgt und hat den Beitragsbescheid der Beklagten aufgehoben. Es hat sich dabei auf einen Beschluß des Großen Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24. Juni 1985 berufen; aus ihm ergebe sich, daß Ehegatten, die in einer intakten Ehe leben, gegenüber getrennt lebenden Eheleuten oder Geschiedenen durch das von der Beklagten angewendete “Prinzip des halben Bruttolohns” entgegen Art 3 des Grundgesetzes (GG) ungleich behandelt würden. Zweifelhaft sei auch, ob die Beklagte durch Abzug eines pauschalen Unterhaltsbetrags für ein Kind ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt, insbesondere Art 6 GG (Schutz von Ehe und Familie) beachtet habe (Urteil vom 12. August 1987).
Die Beklagte hat die vom SG zugelassene Sprungrevision eingelegt. Sie meint, ihre von der Klägerin beanstandeten Satzungsbestimmungen entsprächen den Anforderungen des genannten Beschlusses des Großen Senats des BSG. Im übrigen stehe ein getrennt lebender oder geschiedener Versicherter wirtschaftlich schlechter als ein in einer intakten Ehe lebender, weil dieser an den vollen Bruttobezügen seines Ehegatten teilhabe. Der pauschale Abzug eines Unterhaltsbetrags für das Kind sei angemessen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Sie meint, sie werde gegenüber getrennt lebenden oder geschiedenen Versicherten vor allem dadurch ungleich behandelt, daß bei diesen Versicherten die Beiträge von den ihnen tatsächlich zufließenden Unterhaltsleistungen und damit vom Nettoeinkommen des unterhaltspflichtigen Ehegatten berechnet würden, bei ihr dagegen vom Bruttoverdienst ihres Mannes. Sachgerecht wäre es, wenn auch bei ihr lediglich ein fiktiver Unterhaltsanspruch in Höhe des an einen getrennt lebenden Ehegatten zu zahlenden Unterhalts zugrunde gelegt würde.
Beide Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der beklagten Krankenkasse ist begründet. Entgegen der Ansicht des SG hat die Beklagte die Beiträge der Klägerin für die streitige Zeit (1987) richtig berechnet.
Daß die Beiträge von freiwilligen Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung, wie hier der Klägerin, unter Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit festzusetzen sind, war schon vor dem Inkrafttreten des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) am 1. Januar 1989 in der Rechtsprechung anerkannt (ebenso jetzt ausdrücklich § 240 Abs 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch, Gesetzliche Krankenversicherung –SGB V–). Das galt auch für freiwillig Versicherte ohne eigenes Einkommen, die aus dem Verdienst ihres Ehegatten mit unterhalten werden; ihnen war in Anwendung des § 180 Abs 4 Satz 3 der Reichsversicherungsordnung grundsätzlich die Hälfte des Bruttoeinkommens des Ehegatten als beitragspflichtige Einnahme zuzurechnen (SozR 2200 § 180 Nr 4). Hatten die Ehegatten allerdings unterhaltsberechtigte Kinder, die nicht beitragsfrei mitversichert waren, so mußte die dadurch entstandene Belastung des Familieneinkommens bei den Beiträgen des versicherten Ehegatten angemessen berücksichtigt werden, wobei auch typisiert und pauschaliert werden durfte (Beschluß des Großen Senats des BSG vom 24. Juni 1985, BSGE 58, 183 = SozR 2200 § 180 Nr 27, besonders Leitsatz 5).
Diesen von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen entsprach die Satzung der Beklagten während der streitigen Zeit. Danach war bei freiwillig versicherten Ehegatten ohne eigenes Einkommen für die Festsetzung des (für die Beitragserhebung maßgebenden) Grundlohns von den Bruttoeinnahmen des anderen Ehegatten auszugehen. Soweit keine unterhaltsberechtigten Kinder vorhanden waren, galt als Grundlohn der kalendertägliche Teil der Hälfte der Bruttoeinnahmen des Ehegatten. Bei unterhaltsberechtigten Kindern war von den monatlichen Bruttoeinnahmen des Ehegatten je Kind ein Betrag in Höhe von einem Sechstel der monatlichen Bezugsgröße abzusetzen (§ 7 II 3.2.2 Sätze 1, 2 und 5 der Satzung nach dem Stand vom 1. Januar 1987).
Der Senat teilt nicht die Ansicht des SG, das “Prinzip des halben Bruttolohns”, das die Beklagte gemäß den Bestimmungen ihrer Satzung bei der Berechnung der Beiträge der Klägerin angewendet hat, benachteilige diese gegenüber getrennt lebenden Eheleuten oder Geschiedenen und verstoße insbesondere gegen Art 3 GG. Eine solche Auffassung ist auch in dem Beschluß des Großen Senats des BSG, auf den sich das SG bezogen hat, nicht vertreten worden. Darin hat das BSG zwar entschieden, daß bei der Beitragsfestsetzung für einen freiwillig Versicherten ohne eigenes Einkommen die Belastung des Familieneinkommens durch unterhaltsberechtigte eheliche Kinder entgegen früheren Entscheidungen des BSG zu berücksichtigen ist. Insoweit hat der Beschluß in der Tat das – früher auf das Einkommen des allein verdienenden Ehegatten starr und schematisch angewendete – Bruttoprinzip modifiziert und gemildert (BSGE aaO S 203); im übrigen hat er jedoch nichts an der Anwendung des Bruttoprinzips ändern wollen oder geändert.
Soweit Beiträge zur Sozialversicherung nach dem Arbeitsentgelt bemessen werden, ist Bemessungsgrundlage der Beiträge der Bruttoverdienst. Das gilt nicht nur für gegen Entgelt beschäftigte Pflichtversicherte, deren Einnahmen grundsätzlich in gleichem Umfange, wie sie der Lohnsteuer unterliegen, dh als Bruttobezüge, beitragspflichtig sind (§§ 14 und 17 SGB IV, § 1 der Arbeitsentgeltverordnung). Es gilt auch für die freiwilligen Mitglieder der Krankenkassen. Ihre Beitragsbelastung darf schon aus Gründen der Solidarität nicht geringer sein als die vergleichbarer Pflichtversicherter (so ausdrücklich § 240 Abs 2 Satz 1 SGB V). Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob die freiwillig Versicherten selbst Arbeitsentgelt beziehen, zB als nicht mehr versicherungspflichtige Angestellte oder als versicherungsfreie Beamte (vgl dazu SozR 2200 § 180 Nr 16), oder ob sie aus dem Arbeitsverdienst ihres Ehegatten, mit dem sie in intakter Ehe zusammenleben, mit unterhalten werden, und dann an seinem Verdienst über den ihnen zufließenden Naturalunterhalt unmittelbar teilhaben. Auch bei ihnen ist mithin vom Bruttoverdienst (des Ehegatten) auszugehen und ein Abzug davon, wie ausgeführt, nur zulässig, wenn unterhaltsberechtigte Kinder vorhanden sind.
Leben sie dagegen von ihrem Ehegatten getrennt oder sind sie geschieden, so können Bemessungsgrundlage ihrer Beiträge nur die vom unterhaltspflichtigen Ehegatten gezahlten Unterhaltsbeträge sein (“die Unterhaltsleistungen in tatsächlicher Höhe”, § 7 II 3.2.1 der Satzung der Beklagten). Wie diese wiederum zu bemessen sind, hängt vom Unterhaltsrecht ab (vgl dazu Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 49. Aufl, § 1361 Anm 5b aa, für getrennt lebende Eheleute; § 1578 Anm 2 A b und § 1581 Anm 2c, für Geschiedene: Dem sonst einkommenslosen Unterhaltsberechtigten stehen üblicherweise 3/7 des Nettoeinkommens des Unterhaltspflichtigen zu). Auch wenn hiernach getrennt lebende oder geschiedene Versicherte in der Regel geringere Beiträge zu entrichten haben als Versicherte, die mit ihrem Ehegatten zusammenleben, so ist dies, da beide Gruppen der Versicherten sich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht wesentlich unterscheiden, von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, insbesondere nicht unter dem Gesichtspunkt der Art 3 und 6 GG (Gleichheitssatz, Schutz von Ehe und Familie). Dabei hat der Senat berücksichtigt, daß in aller Regel die wirtschaftliche Lage eines getrennt lebenden oder geschiedenen Versicherten trotz geringerer Beitragsbelastung insgesamt, vor allem wegen des erhöhten Aufwands für eine getrennte Haushaltsführung, ungünstiger ist als die eines in intakter Ehe lebenden Versicherten. Wären im übrigen dessen Beiträge, wie die Klägerin meint, fiktiv nach einem Unterhaltsanspruch zu berechnen, wie er sich im Falle des Getrenntlebens ergäbe, würde dies die Krankenkassen zu häufig schwierigen Ermittlungen nötigen, die in vielen Fällen in keinem Verhältnis zum Ergebnis stünden. Entgegen der Ansicht des SG hatte somit die Beklagte entsprechend ihrer Satzung und in Übereinstimmung mit dem genannten Beschluß des Großen Senats des BSG bei der Beitragsfestsetzung für die Klägerin vom Bruttoverdienst ihres Ehemanns auszugehen, ohne dadurch gegen Verfassungsrecht zu verstoßen.
Daß die Satzung der Beklagten schließlich bei der Bemessung des Betrages, der für den Unterhalt von Kindern vom Bruttoeinkommen des allein verdienenden Ehegatten abzuziehen ist, pauschalieren durfte, ergibt sich ebenfalls aus dem genannten Beschluß des BSG. Dabei ist der Ansatz einer Pauschale in Höhe von einem Sechstel der monatlichen Bezugsgröße weithin üblich geworden und nicht sachwidrig.
Auf die Revision der Beklagten hat der Senat somit das Urteil des SG aufgehoben und die Klage gegen den Beitragsbescheid der Beklagten abgewiesen. Über die Kosten hat er nach § 193 des Sozialgerichtsgesetzes entschieden.
Fundstellen
Haufe-Index 892644 |
DStR 1991, 194 (Kurzwiedergabe) |
RegNr 19485, (BSG-Intern) |
BR/Meuer V § 240, 10-05-90, 12 RK 62/87, (Leitsatz 1 und Gründe, red. Leitsatz 1 und Gründe) |
USK 90108, (Leitsatz 1 und Gründe) |
Die Beiträge 1991, 378-381 (Leitsatz 1 und Gründe, red. Leitsatz 1 und Gründe) |
EzS 55/120, (Leitsatz 1 und Gründe, red. Leitsatz 1 und Gründe) |
KURS 150-1200/5, (Leitsatz 1 und Gründe, red. Leitsatz 1 und Gründe) |
SozR 3-2500 § 240 Nr 1, (Leitsatz 1 und Gründe) |