Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 14.07.1999; Aktenzeichen L 5 KA 566/98)

 

Tenor

Die Beschwerde der Beigeladenen zu 1. gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 14. Juli 1999 wird zurückgewiesen.

Die Beigeladene zu 1. hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten für das Beschwerdeverfahren zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger wurde auf seinen Antrag vom 29. Januar 1993 hin mit Bescheid vom 21. September 1993 in Freiburg-Stadt – einem seit 1. Februar 1993 für das Gebiet der Allgemeinmedizin gesperrten Planungsbereich – als praktischer Arzt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Im August 1995 erfuhr die zu 1. beigeladene Kassenärztliche Vereinigung (KÄV), daß er durchgehend seit 1985 in einem ganztägig ausgeübten Beamtenverhältnis bei der örtlichen Universitätsklinik stand. Auf Antrag der Beigeladenen zu 1. entzog der Zulassungsausschuß dem Kläger seine Zulassung als Vertragsarzt, was der beklagte Berufungsausschuß mit Bescheid vom 16. Oktober 1996 bestätigte. Mit seiner dagegen beim Sozialgericht (SG) Freiburg eingereichten Klage hatte der Kläger insoweit Erfolg, als das Gericht den Bescheid des Beklagten aufhob und diesen zur Neubescheidung darüber verpflichtete, ob der Kläger durch eine mögliche Verschleierung seiner Beamtentätigkeit gegen vertragsärztliche Pflichten verstoßen habe; daß der Kläger für die Versorgung der Versicherten nicht in erforderlichem Maße zur Verfügung stehe, könne nicht festgestellt werden, weil er im Verlaufe des Gerichtsverfahrens 1996 seine Tätigkeit an der Universitätsklinik auf ca 7,7 Stunden wöchentlich reduziert habe.

Die Berufungen des Beklagten und der Beigeladenen zu 1. gegen dieses Urteil hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung habe es nicht an den Zulassungsvoraussetzungen des § 20 Abs 2 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) gefehlt. Der von der Beigeladenen geltend gemachte Umstand, daß der Kläger seine Zulassung erschlichen habe, weil er zu einem späteren Zeitpunkt wegen fehlenden Bedarfs nicht mehr hätte zugelassen werden können, rechtfertige kein Abgehen von dem Grundsatz, daß die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Gerichts entscheidend sei; zu diesem Zeitpunkt hätten die Zulassungsvoraussetzungen vorgelegen. Das Verhalten des Klägers könne allenfalls unter dem Gesichtspunkt einer gröblichen Pflichtverletzung gewürdigt werden (Urteil vom 14. Juli 1999).

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht die Beigeladene zu 1. die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Sie hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam, ob bei der Prüfung der Rechtsmäßigkeit nicht vollzogener Zulassungsentziehungen nur auf die persönlichen Zulassungsvoraussetzungen abzustellen sei oder ob auch inzwischen eingetretene objektive Zulassungshindernisse (hier: Sperrung des Planungsbereichs wegen Überversorgung) zu berücksichtigen seien. Es sei zu fragen, was gelte, wenn der Planungsbereich nach der rechtswidrigen Zulassungsentscheidung, aber vor der Erfüllung der persönlichen Zulassungsvoraussetzungen gesperrt worden sei. Das Bundessozialgericht (BSG) sei in seiner Rechtsprechung davon ausgegangen, daß bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit nicht vollzogener Zulassungsentziehungen alle bis zur Entscheidung in der letzten Tatsacheninstanz eintretenden Änderungen der Sach- und Rechtslage zu berücksichtigen seien. Während § 95 Abs 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) nur die persönlichen Zulassungsvoraussetzungen betreffe, sei unklar, was bei fehlenden objektiven Voraussetzungen zu gelten habe. Dabei dürfe es keinen Wertungswiderspruch zu § 19 Abs 3 Ärzte-ZV geben. Es liege nahe, insoweit die Grundsätze über die Beurteilung von in der Vergangenheit liegenden, abgeschlossenen Sachverhalten anzuwenden.

Der Beklagte teilt die Auffassung der Beigeladenen zu 1. und unterstützt ihren Antrag.

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige Beschwerde der Beigeladenen zu 1. ist unbegründet.

Die sog Grundsatzrüge (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) betrifft bei verständiger Würdigung des Beschwerdevorbringens im Kern die Frage nach dem Zeitpunkt, der im Rahmen des § 95 Abs 6 SGB V für die gerichtliche Beurteilung des Vorliegens von objektiven Zulassungsvoraussetzungen maßgeblich ist, sofern nach der Zulassung zur Vertragsarztpraxis nachträglich persönliche Zulassungshindernisse festgestellt werden. Mit diesem Vorbringen ist die Beschwerde zulässig, denn ihre Begründung genügt insoweit den gesetzlichen Anforderungen (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist aber nicht gegeben.

Eine Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie klärungsbedürftig und in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist. Die Voraussetzung der Klärungsbedürftigkeit ist hier nicht erfüllt, weil die Antwort auf die von der Beigeladenen zu 1. aufgeworfene Rechtsfrage nicht zweifelhaft ist (zu diesem einer Revisionszulassung entgegenstehenden Umstand etwa BSG SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; § 160a Nr 21 S 38). Die Beantwortung der Rechtsfrage ergibt sich ohne weiteres aus dem Gesetz und aus der bisherigen Senatsrechtsprechung, so daß es eines Revisionsverfahrens nicht bedarf.

Nach § 95 Abs 6 SGB V ist die Zulassung eines Vertragsarztes zu entziehen, wenn ihre Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vorliegen, der Vertragsarzt die vertragsärztliche Tätigkeit nicht aufnimmt oder nicht mehr ausübt oder seine Pflichten gröblich verletzt. Die Beigeladenen zu 1. macht der Sache nach geltend, die Zulassungsvoraussetzungen lägen bei dem Kläger nicht (mehr) vor, weil zu berücksichtigen sei, daß der hier in Betracht kommende Planungsbereich zur Zeit der Reduzierung der Anzahl seiner wöchentlichen Arbeitsstunden im Beamtenverhältnis, dh bei Beseitigung des subjektiven Zulassungshindernisses, gesperrt gewesen sei. Während das LSG auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung allein für die persönlichen Voraussetzungen abgestellt und im übrigen – unausgesprochen – für die Voraussetzungen des § 103 SGB V weiterhin die Verhältnisse bei Antragstellung als entscheidend angesehen hat (hier: Eingreifen der Übergangsregelung nach Art 33 § 3 Abs 1 Satz 1 Gesundheits-Strukturgesetz ≪GSG≫), befürwortet die Beigeladene zu 1. die vollständige Beachtung der im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung geltenden Rechtslage, also auch in bezug auf die inzwischen bestehenden Zulassungsbeschränkungen. Für die im angestrebten Revisionsverfahren zur Überprüfung gestellte Rechtsauffassung der Beigeladenen zu 1. gibt es jedoch keine rechtliche Grundlage. Entscheidend dafür ist, daß die durch begünstigenden, bestandskräftigen Verwaltungsakt vom 21. September 1993 ausgesprochenen Vertragsarztzulassung des Klägers nur aus bestimmten, gesetzlich normierten Gründen zu seinen Lasten wieder beseitigt werden kann. Es geht vorliegend nicht um eine „Wiederzulassung” nach zwischenzeitlichem Ausscheiden des Klägers aus dem System der vertragsärztlichen Versorgung. Streitgegenstand ist vielmehr die Beseitigung einer ihm seit 1993 durchgehend eingeräumten begünstigenden Rechtsposition mit Dauerwirkung. Sind Gesichtspunkte des Bedarfsplanungsrechts im Rahmen des Zulassungsverfahrens – ggf auch fehlerhaft zugunsten des Betroffenen – berücksichtigt worden oder waren diese rechtlich noch ohne Belang (wegen des hier eingreifenden Übergangsrechts), können dem Vertragsarzt bei später eingetretenen, aber noch in den Tatsacheninstanzen beseitigten persönlichen Zulassungshindernissen zwischenzeitlich eingetretene, ihm nachteilige Änderungen der Rechtslage grundsätzlich nicht entgegengehalten werden. § 95 Abs 6 SGB V und – ergänzend – § 27 Ärzte-ZV stellen gesetzliche Sonderregelungen für den Fall dar, daß die bestandskräftig erteilte Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit im Nachhinein wieder beseitigt werden soll. Die zu §§ 45, 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze, auf die sich die Beigeladene zu 1. unter Hinweis auf ein Urteil des 9. Senats des BSG teilweise beruft (S 6 der Beschwerdebegründung), werden demgegenüber mit Rücksicht auf § 37 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) durch die speziellen Regelungen des Kassenarztrechts über die Zulassungsentziehung verdrängt (vgl BSGE 56, 295, 296 ff = SozR 5520 § 29 Nr 4 S 12; SozR 3-2500 § 116 Nr 1 S 4; BSGE 70, 167, 169 = SozR 3-2500 aaO Nr 2 S 11; SozR 3-2200 § 368c Nr 1 S 5; vgl SozR 3-2500 § 95 Nr 20 S 83; Wiesner in Schroeder-Printzen ua, SGB X, 3. Aufl 1996, § 48 RdNr 30). Da nach der Rechtsprechung des Senats zur Zulassungsentziehung während des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens eingetretene Änderungen der Sachlage zu berücksichtigen sind, sofern sie über ein bloßes taktisches Wohlverhalten des Arztes während des laufenden Entziehungsverfahrens hinausgehen (vgl nur BSGE 73, 234, 243 = SozR 3-2500 § 95 Nr 4 S 19; BSGE 43, 250, 353 = SozR 2200 § 368a Nr 3 S 4), kommt es für die Beurteilung der in den og Vorschriften enthaltenen Zulassungshindernisse regelmäßig auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung an. Gegen die dazu vorgenommene rechtliche Würdigung des Berufungsgerichts wendet sich die Beigeladene zu 1. nicht. Daß sich zwischenzeitlich die vertragsärztliche Versorgungssituation im betreffenden Planungsbereich geändert hat, ist demgegenüber im Verfahren der Zulassungsentziehung unerheblich. Es existieren keine Sonderregelungen, die dabei eine nachträgliche Berücksichtung einer inzwischen eingetretenen Zulassungssperre wegen Überversorgung ermöglichen könnten.

Nach alledem ist die Nichtzulassungsbeschwerde mit der Kostenfolge entsprechend § 193 Abs 1 und 4 SGG zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1175773

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