Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionsnichtzulassungsbeschwerde. Darlegung von Verfahrensmängeln (hier: bei einem Verfahren um die Erstattung der Kosten für eine Brustverkleinerungsoperation). Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs. Zulässigkeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Um einen Verfahrensmangel i.S.v. § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (st.Rspr.; vgl. BSG, SozR 1500 § 160a Nr 14 und Nr 36).
2. Der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs soll allein verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Auffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten. In diesem Rahmen besteht jedoch kein allgemeiner Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichtet, die Beteiligten vor einem Urteil auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern (vgl. z.B. BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 1; BSG, Beschluss v. 17.10.2006, B 1 KR 104/06 B). Ebenso wenig muss das Gericht die Beteiligten auf alle nur möglichen Gesichtspunkte hinweisen und vorab seine Rechtsauffassung zur Rechtssache bzw zu den Erfolgsaussichten zu erkennen geben (vgl. BSG, Beschluss v. 17.10.2006, a.a.O.).
Orientierungssatz
Um einen Verfahrensmangel iSd § 160 Abs 2 Nr 3 SGG geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG vom 29.09.1975 - 8 BU 64/75 = SozR 1500 § 160a Nr 14 und vom 18.02.1980 - 10 BV 109/79 = SozR 1500 § 160a Nr 36).
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3, § 103
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 22.03.2007; Aktenzeichen L 5 KR 211/06) |
SG Speyer (Urteil vom 29.09.2006; Aktenzeichen S 7 KR 356/04) |
Tatbestand
Die 1951 geborene, bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin begehrt - bislang erfolglos - die Erstattung der Kosten (2.644,13 Euro) für eine im April 2005 durchgeführte Brustverkleinerungsoperation. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts (SG) - teilweise auf dieses Urteil verweisend - zurückgewiesen: Ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 SGB V bestehe nicht, weil die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung der Operation als Sachleistung gehabt habe. Große Brüste seien für sich allein grundsätzlich keine Krankheit iS der gesetzlichen Krankenversicherung. Eine Leistungspflicht für eine Mammareduktionsoperation sei idR nur denkbar, wenn die Brüste die Ursache für Beschwerden an anderen Organen seien, etwa im Bereich der Wirbelsäule. Eine solche, in der Operation eines gesunden Körperteils bestehende mittelbare Behandlung komme nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) aber nur als ultima ratio in Betracht. Aus dem (vom SG eingeholten) Gutachten des Sachverständigen F., dem der in erster Instanz nach § 109 SGG beauftragte Gutachter Prof. Dr. G. gefolgt sei, ergebe sich, dass bei der Klägerin kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Brustgröße und ihren Rückenbeschwerden bestehe. Die Größe der bei der Operation entnommenen Resektionsmenge (von Prof. Dr. G. mit 500 g je Seite veranschlagt, vom Operateur mit 1.100 g angegeben) sei für den Ausgang des Rechtsstreits ohne Bedeutung. Unabhängig davon seien dem Gutachter F. zufolge konservative Behandlungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft gewesen. Ein bestehendes Schnürfurchensyndrom habe die Notwendigkeit der Verkleinerungsoperation nicht begründen können. Auch wenn Prof. Dr. G. entgegen dem Beweisbeschluss des SG die Klägerin nur nach Aktenlage begutachtet habe, sei ein darin liegender etwaiger Verfahrensfehler - da erstinstanzlich nicht gerügt - nach § 202 SGG iVm § 295 ZPO geheilt. Der (hilfsweise beantragten) Einholung eines weiteren Gutachtens bedürfe es nicht, weil der Sachverhalt ausreichend aufgeklärt sei (Urteil vom 22.3.2007).
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision und rügt Verfahrensmängel.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG.
Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen ( vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 26, 36 ). Das Beschwerdevorbringen legt einen Verfahrensmangel nicht in diesem Sinne dar.
Die Beschwerdebegründung vom 26.6.2007 rügt im Wesentlichen, der Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör sei verletzt worden, weil SG und LSG die Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. G. akzeptiert hätten, wonach die Resektionsmenge der Mammae der Klägerin nur auf 500 g je Seite geschätzt worden seien, ohne mit Blick auf die abweichenden Angaben des Operateurs irgendwelche eigenen Nachforschungen durchzuführen; der Sachverständige habe dies nur getan, um hier den Krankheitswert der Makromastie - den er in einer Fachveröffentlichung selbst bei mehr als 500 g ansetze - sowie eine medizinisch indizierte Operation verneinen zu können. Der Verfahrensmangel der ersten Instanz sei nicht im Berufungsverfahren geheilt, weil das SG einem Antrag auf Terminsverlegung im Hinblick auf die evidente Widersprüchlichkeit des Gutachtens Prof. Dr. G. hätte stattgeben und in einem Termin hätte darauf hinweisen müssen; das SG habe den Termin jedoch einseitig durchgeführt, worin ebenfalls ein Verfahrensfehler liege.
Dieses Vorbringen wird den Erfordernissen an die Darlegung von Verfahrensfehlern in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht: Da das LSG betont hat, die Größe der bei der Operation entnommenen Resektionsmenge sei "für den Ausgang des Rechtsstreits ohne Bedeutung", hätte es Ausführungen dazu bedurft, weshalb das angegriffene Urteil dennoch iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG darauf "beruhen" kann, welches Gewicht die Resektionsmenge hatte. Das LSG hat sich demgegenüber darauf gestützt, dass die Brüste der Klägerin in keinem relevanten Missverhältnis zu der übrigen Körpererscheinungsform gestanden hätten und dass ihr insgesamt eher kräftiger Rumpf in der Lage sein müsste, das erhöhte Gewicht an der Rumpfvorderseite zu tragen; dies hat es zudem in erster Linie aus dem Gutachten des Sachverständigen F. hergeleitet. Darüber hinaus hat das LSG - ausgehend von den von ihm als einschlägig angesehenen Grundsätzen zur mittelbaren Krankenbehandlung - auf der Grundlage der Feststellungen dieses Sachverständigen zusätzlich die Anspruchsvoraussetzung der begehrten Behandlung als "ultima ratio" verneint, weil konservative Behandlungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft worden seien und ein konsequenter Behandlungsversuch mit Krankengymnastik fehle. Inwieweit angesichts dieser zweiten, die Klageabweisung selbstständig tragenden Begründung und der dazu mit Revisionszulassungsrügen nicht angegriffenen Feststellungen das LSG-Urteil auf einem Verfahrensfehler zum ersten Gesichtspunkt (= keine behandlungsbedürftige Krankheit) beruhen kann, ist nicht ersichtlich. Bei alledem werden auch keine hinreichenden Ausführungen zum Fortwirken eines Fehlers des SG-Verfahrens im LSG-Verfahren gemacht (vgl dazu BSG SozR 3-1500 § 73 Nr 10 S 31) , obwohl das BSG von der Anwendbarkeit § 295 ZPO auch im Sozialgerichtsverfahren ausgeht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 61 S 84) , der den Verlust des Rechts auf Verfahrensrügen und eine Heilung verzichtbarer Verfahrensmängel regelt.
Die Beschwerde beanstandet im Übrigen kein Übergehen eines von der Klägerin gestellten Beweisantrages durch das LSG (Verstoß gegen § 103 SGG), sondern kleidet ihre Rügen lediglich in einen vermeintlichen Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs. Sie setzt sich dabei indessen schon nicht damit auseinander, dass der Grundsatz allein verhindern soll, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Auffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten. In diesem Rahmen besteht jedoch kein allgemeiner Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichtet, die Beteiligten vor einem Urteil auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern ( vgl zB BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 1; BSG, Beschluss vom 17.10.2006 - B 1 KR 104/06 B ). Ebenso wenig muss das Gericht die Beteiligten auf alle nur möglichen Gesichtspunkte hinweisen und vorab seine Rechtsauffassung zur Rechtssache bzw zu den Erfolgsaussichten zu erkennen geben ( vgl zB BSG, Beschluss vom 17.10.2006, aaO).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat analog § 160a Abs 4 Satz 3 SGG ab.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen