Entscheidungsstichwort (Thema)
Entscheidung. Landessozialgericht. Beschluss. Pflichtgemäßes Ermessen. Fehlerhafter Gebrauch. Sachfremde Erwägungen. Grobe Fehleinschätzungen. Zustimmung. Entscheidungserhebliche Änderung der Prozesssituation. Erneute Anhörung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Entscheidung nach § 153 Abs. 4 S. 1 SGG steht im pflichtgemäßen Ermessen des Berufungsgerichts und kann vom Revisionsgericht nur auf fehlerhaften Gebrauch, d.h. sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen überprüft werden.
2. Eine Zustimmung der Beteiligten zu einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 S. 1 SGG ist nicht erforderlich.
3. Nur eine entscheidungserhebliche Änderung der Prozesssituation macht eine erneute Anhörung nach § 153 Abs. 4 S. 2 SGG erforderlich.
Normenkette
SGG § 73 Abs. 4, § 73a Abs. 1 S. 1, § 153 Abs. 4, § 160 Abs. 2, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 1, § 169 Sätze 2-3; ZPO §§ 114, 121; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
SG Würzburg (Entscheidung vom 13.01.2020; Aktenzeichen S 1 R 291/19) |
Bayerisches LSG (Beschluss vom 01.09.2020; Aktenzeichen L 13 R 62/20) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 1. September 2020 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im vorbezeichneten Beschluss wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig. Die Beklagte lehnte einen entsprechenden Antrag des Klägers mit Bescheid vom 8.1.2019 und Widerspruchsbescheid vom 16.4.2019 ab. Das SG hat nach Einholung von Befundberichten und eines medizinischen Sachverständigengutachtens die Klage abgewiesen (Urteil vom 13.1.2020). Nach Einholung weiterer Befundberichte und einer ergänzenden sozialmedizinischen Stellungnahme des Sachverständigen hat das LSG durch Beschluss vom 1.9.2020 die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Der Kläger hat gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Beschluss mit einem von ihm unterzeichneten Schreiben vom 23.9.2020 Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung eines Rechtsanwaltes beantragt.
II
Der Antrag auf Bewilligung von PKH und die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision haben keinen Erfolg.
1. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen. Einem Beteiligten kann für das Verfahren vor dem BSG nach § 73a SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Dies ist hier nicht der Fall. Dabei kann dahin gestellt bleiben, ob alle Voraussetzungen für einen fristgerecht gestellten PKH-Antrag erfüllt sind. Nach Prüfung des Streitstoffs anhand der beigezogenen Gerichts- und Verwaltungsakten ist jedenfalls nicht zu erkennen, dass ein nach § 73 Abs 4 SGG zugelassener Prozessbevollmächtigter in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich zu begründen.
Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),
- der Beschluss von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder
- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).
a) Es fehlen Anhaltspunkte dafür, dass eine Zulassung der Revision gegen den angegriffenen Beschluss auf § 160 Abs 2 Nr 1 SGG gestützt werden könnte. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift hat eine Rechtssache ua nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat. Die Frage muss außerdem klärungsbedürftig und klärungsfähig, dh entscheidungserheblich sein (vgl zum Ganzen BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Dass sich eine solche hier stellen könnte, ist nicht erkennbar. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist insbesondere geklärt, unter welchen Voraussetzungen eine Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren ist (vgl grundlegend zuletzt BSG Urteil vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R - SozR 4-2600 § 43 Nr 22 - zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen).
b) Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) könnte ebenfalls nicht mit Erfolg geltend gemacht werden. Ein solcher kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN). Auch dafür liegen keinerlei Anhaltspunkte vor.
c) Schließlich sind keine Verfahrensmängel nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG erkennbar, auf denen der Beschluss beruhen könnte.
Insbesondere könnte als Verfahrensmangel kein Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art 101 Abs 1 Satz 2 GG erfolgreich bezeichnet werden, weil das LSG gemäß § 153 Abs 4 SGG durch Beschluss entschieden hat. Nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG kann das LSG die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält, falls die mit dem Rechtsmittel angefochtene Entscheidung des SG kein Gerichtsbescheid ist. Die Entscheidung nach § 153 Abs 4 SGG steht im pflichtgemäßen Ermessen des Berufungsgerichts und kann vom Revisionsgericht nur auf fehlerhaften Gebrauch, dh sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen überprüft werden. Eine derartige Fehleinschätzung kann hier nicht festgestellt werden. Auch ist eine Zustimmung der Beteiligten zu einer Entscheidung nach § 153 Abs 4 SGG nicht erforderlich (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 153 RdNr 14). Schließlich wurde der Kläger zu einer Entscheidung nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG mit Schreiben vom 23.7.2020 ordnungsgemäß angehört. Das weitere schriftliche Vorbringen des Klägers, eingegangen beim LSG am 21.8.2020, begründete keine entscheidungserhebliche Änderung der Prozesssituation, die eine erneute Anhörung erforderlich gemacht hätte (vgl dazu zuletzt BSG Beschluss vom 26.5.2020 - B 2 U 25/20 B - juris RdNr 6 mwN).
2. Die vom Kläger privatschriftlich erhobene Beschwerde ist unzulässig. Sie entspricht nicht der gesetzlichen Form. Der Kläger konnte die Beschwerde, worauf in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Beschlusses zutreffend hingewiesen worden ist, wirksam nur durch einen vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG) einlegen lassen.
Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14285351 |