Beteiligte
Erich Dähne und Albert Gnade vom Deutschen Gewerkschaftsbund |
Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz |
Tenor
1) Für die Beurteilung, ob ein Versicherter erwerbsunfähig i. S. des § 1247 Abs. 2 RVO ist, ist es erheblich, daß Arbeitsplätze, die er mit der ihm verbliebenen Leistungsfähigkeit noch ausfüllen kann, seien sie frei oder besetzt, vorhanden sind.
2) Es ist auch erheblich, in welcher Zahl solche Arbeitsplätze vorhanden sind.
3) Der Versicherte darf auf Tätigkeiten nur verwiesen werden, wenn ihm für diese Tätigkeiten der Arbeitsmarkt praktisch nicht verschlossen ist.
4) Dem Versicherten ist der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen, wenn das Verhältnis der im Verweisungsgebiet vorhandenen, für den Versicherten in Betracht kommenden Teilzeitarbeitsplätze zur Zahl der Interessenten für solche Beschäftigungen ungünstiger ist als 75: 100.
5) Ein Versicherter muß sich grundsätzlich auf das Arbeitsfeld des gesamten Bundesgebietes verweisen lassen. Kann der Versicherte jedoch nur noch weniger als halbschichtig tätig sein, so darf er in der Regel nur auf solche Tätigkeiten verwiesen werden, für die Arbeitsplätze an seinem Wohnort oder in dessen näherer täglich zu erreichender Umgebung vorhanden sind.
6) Es ist nicht allgemein zulässig, kann aber im Einzelfall vertretbar sein, die Ermittlungen über das Vorhandensein von Teilzeitarbeitsplätzen auf Anfragen an die Arbeitsverwaltung zu beschränken.
Gründe
A
Der Kläger des beim 12. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) schwebenden Ausgangsverfahrens ist im Jahre 1901 geboren; er war von 1945 an Vorzeichner. Die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) gewährte ihm durch Bescheid vom 17. Dezember 1962 Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) von Juni 1962 an; sie lehnte es aber ab, die von dem Versicherten erstrebte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) zu gewähren.
Die hiergegen gerichtete Klage hat vor dem Sozialgericht (SG) Erfolg gehabt, das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat sie dagegen durch Urteil vom 19. Oktober 1965 abgewiesen. Es hat in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, der Kläger könne infolge gesundheitlicher Schäden nur noch vier bis fünf Stunden täglich leichte Arbeiten verrichten, z. B. Kleinteile sortieren oder stanzen, Kontrollarbeiten ausführen, Schlösser zusammensetzen, Schalttafeln überwachen, kleinere Gegenstände verpacken und als Fahrradwächter oder als Wächter in Parkhäusern tätig sein. Bei dieser Sachlage – so meint das LSG – sei der Kläger, weil er tatsächlich noch täglich erwerbstätig sein könne, nicht erwerbsunfähig i. S. des § 1247 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Für die Frage der Erwerbsfähigkeit komme es nämlich allein auf die ursächliche Verknüpfung zwischen Gesundheitsstörungen und der Fähigkeit zum Ausüben einer Erwerbstätigkeit an, nicht aber, wie das BSG in mehreren Urteilen ausgesprochen habe, darauf, ob es dem eingeschränkten Leistungsvermögen des Rentenbewerbers angepaßte Arbeitsplätze – frei oder besetzt – in nennenswerter Zahl gebe.
Der mit der – zugelassenen – Revision des Klägers befaßte 12. Senat hat in den Fragen, über die das Berufungsgericht entschieden hat, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung gesehen. Er hat diese – unten wörtlich wiedergegebenen – Fragen dem Großen Senat zur Entscheidung vorgelegt, weil nach seiner Auffassung sowohl die Fortbildung des Rechts als auch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung durch den Großen Senat erfordern (§ 43 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –). Zur Begründung seiner Auffassung, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung sei gefährdet, hat der 12. Senat vor allem darauf hingewiesen, daß der Rechtsprechung des BSG,
bei der Prüfung der EU könne der Versicherte grundsätzlich nur auf Tätigkeiten verwiesen werden, für die es Arbeitsplätze zumindest in nennenswerter Zahl überhaupt gebe (so z. B. SozR Nr. 5 zu § 1247 RVO und BSG 19, 147),
nicht nur von den Instanzgerichten weitgehend die Gefolgschaft versagt werde, sondern daß auch innerhalb der für Angelegenheiten der Rentenversicherung zuständigen Senate des BSG die Meinungen sehr unterschiedlich seien, die Mehrheit der Richter jedenfalls nicht mehr die bisherige Rechtsprechung ohne Einschränkungen billige; dies habe eine Umfrage beim 1., 4., 5. und 11. Senat ergeben.
Die dem Großen Senat vorgelegten Fragen lauten:
I
1) Ist es dafür, ob ein Versicherter erwerbsunfähig im Sinne des § 1247 Abs. 2 der RVO ist, erheblich, ob Arbeitsplätze (Arbeitsgelegenheiten), die er mit seiner ihm verbliebenen Leistungsfähigkeit noch ausfüllen kann, seien sie frei oder besetzt, vorhanden sind?
2) Im Falle der Bejahung der Frage zu 1):
Ist es erheblich, in welcher Zahl solche Arbeitsgelegenheiten vorhanden sind?
3) Im Falle der Bejahung der Frage zu 2):
Darf der Versicherte auf solche Arbeitsgelegenheiten nur dann verwiesen werden, wenn sie in (zumindest) nennenswerter oder mehr als nur bedeutungsloser oder nicht ganz unerheblicher Zahl oder aber in ausreichender oder genügender oder praktisch ins Gewicht fallender Zahl vorhanden sind?
4) Im Falle der Bejahung der Frage zu 3):
Nach welchen Grundsätzen oder Maßstäben ist die erforderliche Zahl näher zu bestimmen?
5) Im Falle der Bejahung der Fragen zu 1), 2) oder 3):
Müssen die Arbeitsgelegenheiten am Wohnort des Versicherten bzw. in dessen näherer täglich zu erreichender Umgebung vorhanden sein?
6) Ist es zulässig, die Ermittlungen über das Vorhandensein von Arbeitsgelegenheiten auf Anfragen an die Arbeitsverwaltung zu beschränken?
II
Oder bedarf es wegen des vom Gesetzgeber des § 1247 Abs. 2 RVO im Einklang mit der sozialen Wirklichkeit vorausgesetzten Vorhandenseins von Arbeitsgelegenheiten jedweder Art keiner Feststellung darüber, daß der Versicherte die ihm verbliebene Leistungsfähigkeit in einer Arbeitsgelegenheit verwerten kann?
B
Der Große Senat hatte vorab von Amts wegen zu prüfen, ob die Zusammensetzung der Richterbank den Vorschriften des Gesetzes entspricht.
Die Besetzung des Großen Senats richtet sich nach dem Grund der Anrufung. Während bei einer Anrufung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 43 SGG) lediglich der anrufende Senat die sich aus § 41 Abs. 1 SGG ergebende Besetzung des Großen Senats – Präsident, sechs weitere Berufsrichter und vier ehrenamtliche Richter – um ein berufsrichterliches Mitglied verstärkt, tritt bei einer Divergenz-Anrufung nach § 42 SGG außerdem noch ein Mitglied desjenigen Senats hinzu, von dessen Entscheidung der vorlegende Senat abweichen will (§ 41 Abs. 5 Satz 2 SGG). Soll von Entscheidungen mehrerer Senate abgewichen werden, so sind alle diese Senate beteiligt (BSG 29, 225, 227). Im vorliegenden Falle hat der anrufende 12. Senat sich ausdrücklich auf § 43 SGG als Anrufungsgrund gestützt. Dies enthebt den Großen Senat jedoch nicht der Prüfung, ob sich die Vorlage ihrem Inhalt nach nicht doch als Divergenz-Anrufung nach § 42 SGG mit den angeführten Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Großen Senats darstellt. Eine besondere Veranlassung zu dieser Prüfung besteht deshalb, weil in dem Vorlagebeschluß die zur Entscheidung vorgelegten Rechtsfragen nicht lediglich aufgeworfen und nach dem gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung und dem Schrifttum besprochen werden, sondern erkennbar Kritik geübt wird an der bisherigen Rechtsprechung aller Rentenversicherungssenate des BSG, daß es für die Frage nach der EU eines Versicherten darauf ankomme, ob es der ihm verbliebenen Leistungsfähigkeit angepaßte Arbeitsplätze, seien sie frei oder besetzt, in zumindest nennenswerter – oder ähnlich umschriebener – Zahl gibt (so insbes. BSG 19, 147 und SozR Nrn. 5, 8, 11 und 12 zu § 124 7 RVO). Gleichwohl sieht der Große Senat in dem Vorlagebeschluß keine Entscheidung des Inhalts, daß der 12. Senat, was Voraussetzung für eine Anrufung nach § 42 SGG wäre, entschlossen gewesen sei, von der bisherigen Rechtsprechung des BSG abzuweichen. Die Begründung des Beschlusses, die allein auf einen anderen als den in seinen Eingang bezeichneten Anrufungsgrund des § 43 SGG hindeuten könnte, gibt nicht eine im Wege der Abstimmung ermittelte Rechtsauffassung der drei Berufsrichter und der beiden ehrenamtlichen Richter des erkennenden Senats wieder, d. h. der Richterbank, welche in der vorliegenden Streitsache die Anrufung des Großen Senats beschlossen hat (§§ 40, 33 SGG), sondern stellt nur die – in sich nicht übereinstimmenden – Meinungen der vier durch die Geschäftsverteilung dem 12. Senat zugeteilten Berufsrichter zusammen und teilt, ohne daß erkennbar wäre, ob die ehrenamtlichen Richter sich eine abschließende oder auch nur vorläufige Meinung zu der bisherigen Rechtsprechung des BSG gebildet hatten, lediglich mit, daß der Senat „zu der Ansicht neigt”, man sollte an jener Rechtsprechung nicht mehr festhalten. Einen hinreichenden Anhalt dafür, daß der 12. Senat über das Aufzeigen von ernsthaften Bedenken hinaus sich auf ein Abweichen von der bisherigen Rechtsprechung des BSG bereits festgelegt und dementsprechend den Anrufungsgrund des § 42 an Stelle des von ihm angegebenen § 43 SGG gemeint hätte, hat der Große Senat in dem Vorlagebeschluß nicht gesehen. Seine Besetzung unter Zuziehung des Präsidenten des erkennenden Senats, aber ohne zusätzliche Berücksichtigung der anderen Senate, die an der bisherigen Rechtsprechung des BSG beteiligt sind, entspricht demnach dem Gesetz (§ 41 Abs. 5 SGG).
Der Große Senat hat auch die Zulässigkeit der Vorlage nach § 43 SGG bejaht. Der in dieser Vorschrift eröffnete Weg zur Anrufung des Großen Senats war dem 12. Senat nicht deshalb versperrt, weil er verpflichtet gewesen wäre, nach § 42 SGG vorzugehen. Zwar wird man annehmen dürfen, daß die Anrufung nach § 42 grundsätzlich derjenigen nach § 43 SGG vorgeht (so BFH 92, 188, 192 zum Verhältnis der Absätze 3 und 4 des § 11 der Finanzgerichtsordnung), im vorliegenden Falle waren jedoch für den erkennenden Senat die Voraussetzungen für eine Anrufung des Großen Senats nach § 42 SGG nicht gegeben, weil der erkennende Senat sich zur Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung der anderen Rentenversicherungssenate – noch – nicht entschlossen hatte. Dem im Gesetz geregelten Fall, daß ein Senat von der Rechtsprechung eines anderen Senats abweichen will, ist der Fall, daß ein Senat bloße Zweifel an einer bestehenden Rechtsprechung hat, nicht gleichzuerachten. Jedenfalls bietet das Gesetz hierfür keine Stütze. Wollte man in einem Falle der angeführten Art einen Senat zwingen, für oder gegen die bestehende Rechtsprechung Stellung zu beziehen, so würde manche – an sich erwünschte – Anrufung nach § 43 SGG verhindert werden; denn für eine Anrufung nach § 43 SGG findet sich erfahrungsgemäß eher eine Mehrheit als für ein Nein gegenüber einer bestehenden Rechtsprechung. Abgesehen davon bietet der Weg des § 43 SGG bessere Möglichkeiten, dem Großen Senat nicht nur Einzelfragen, in denen eine Divergenz hervortritt, sondern ganze Fragenkomplexe zur Beurteilung vorzulegen. Gerade diese Überlegung kann im vorliegenden Falle im Hinblick auf die Vielschichtigkeit der mit dem Begriff der Erwerbsunfähigkeit zusammenhängenden Fragen bei der Beschlußfassung des 12. Senats im Vordergrund gestanden haben. Die hier vertretene Auffassung, daß bloße Zweifel an der Richtigkeit einer bestehenden Rechtsprechung den Weg des § 43 SGG offen lassen, wird noch gestützt durch die bereits angeführte Entscheidung des BFH (aaO S. 192). Danach soll eine Anrufung des Großen Senats zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auch dann, wenn die Voraussetzungen der Divergenz-Anrufung gegeben sind, z. B. eine Divergenz objektiv vorliegt, nicht ohne weiteres unzulässig sein, vielmehr nur, wenn sie auf Willkür oder sachfremden Erwägungen beruht.
Die in § 43 SGG geforderten Anrufungsvoraussetzungen sind erfüllt. Die zur Entscheidung vorgelegten Rechtsfragen sind von so weittragender Bedeutung für das gesamte Gebiet der Rentenversicherung und darüber hinaus, daß die Grundsätzlichkeit dieser Fragen außer Zweifel steht. Deshalb kann unentschieden bleiben, ob allein der erkennende Senat die Anrufungsvoraussetzung der Grundsätzlichkeit zu beurteilen oder der Große Senat insoweit ein Prüfungsrecht hat. Die weitere Voraussetzung, daß nach der Auffassung des erkennenden Senats die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Anrufung erfordert, hat der 12. Senat in bezug auf beide Alternativen bejaht. Hieran ist der Große Senat gebunden (BSG 14, 246, 247). In eigener Zuständigkeit hat der Große Senat die Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Fragen in bezug auf die Rechtsfindung in dem Ausgangsverfahren des 12. Senats bejaht.
C
Die Entscheidung des Großen Senats über die vorgelegten Rechtsfragen beruht auf folgenden Gründen:
I
Das Kernstück der Vorlage ist – für die Annahme von EU – die Frage nach der rechtlichen Bedeutung des Vorhandenseins von Arbeitsplätzen, die ein in seiner Leistungsfähigkeit beschränkter Versicherter noch ausfüllen kann (Frage I, 1).
Bei der Beantwortung dieser Frage ist der Große Senat vom Wortlaut der in § 1247 Abs. 2 RVO niedergelegten gesetzlichen Regelung ausgegangen (wörtlich übereinstimmend § 24 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes – AVG – und § 47 Abs. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes – RKG –). Nach dieser Vorschrift ist ein Versicherter erwerbsunfähig, wenn er „infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder von Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann”. Hiernach wird die Gewährung einer Rente davon abhängig gemacht, daß es bei dem Versicherten an der Fähigkeit fehlt, entweder eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Einkünfte in einer bestimmten Größenordnung durch Erwerbstätigkeit zu erzielen. Nach dem Sprachgebrauch bedeutet dies, daß es nicht allein auf die Arbeitsfähigkeit des Versicherten ankommt, sondern daß die Fähigkeit gemeint ist, durch Arbeit einen auf gewisse Dauer gedachten Erwerb zu erzielen, also die Arbeitsfähigkeit in geldwerte Güter umzusetzen. Für diesen Wortsinn spricht vor allem die zweite Alternative der Vorschrift, in der ausdrücklich auf die Fähigkeit, „Einkünfte durch Erwerbstätigkeit zu erzielen”, abgestellt ist. Hiernach kommt es also für die Gewährung einer Rente nach § 1247 RVO, obwohl diese Vorschrift – im Unterschied zu § 1246 Abs. 2 RVO – nicht den Ausdruck „Erwerbsfähigkeit” enthält, nicht nur auf die Fähigkeit des Versicherten an, Arbeit zu verrichten, sondern darüber hinaus auf seine Erwerbsfähigkeit. Da es aber an der Fähigkeit zum Erwerb praktisch fehlt, wenn kein Arbeitsplatz oder keine Arbeitsgelegenheit vorhanden ist, bietet schon der Wortlaut des Gesetzes eine Stütze dafür, daß es für die Annahme von EU auf das Vorhandensein eines den Fähigkeiten des Versicherten entsprechenden Arbeitsplatzes ankommt. Dem steht nicht ohne weiteres entgegen, daß von dem Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein von Arbeitsplätzen im Gesetz nicht ausdrücklich gesprochen wird, vielmehr nur Krankheit, andere Gebrechen und Schwäche der körperlichen oder geistigen Kräfte als Ursachen dafür, daß eine Erwerbstätigkeit nicht mehr uneingeschränkt ausgeübt werden kann, genannt sind. Der Wortlaut des Gesetzes zwingt nämlich nicht zu dem Schluß, daß Krankheit, Gebrechen oder Schwäche der körperlichen oder geistigen Kräfte die alleinigen Ursachen für den Wegfall oder die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sein müßten; er deckt auch den Sachverhalt, daß ein Versicherter wegen erheblicher Gebrechen in mancherlei Hinsicht nicht mehr einsatzfähig ist, aber trotzdem ein regelmäßiges Erwerbseinkommen erzielen könnte, wenn er einen seinem Gesundheitszustand entsprechenden Arbeitsplatz hätte, einen solchen jedoch nicht finden kann, z. B. weil es ihn praktisch nicht gibt. Es läßt sich nicht leugnen, daß auch in einem solchen Falle die Gebrechen des Versicherten ursächlich sind für seine Unfähigkeit, ein Erwerbseinkommen zu erzielen, wenngleich als weitere (Mit-)Ursachen – im philosophisch-logischen Sinne – sonstige Umstände, wie das Fehlen von Arbeitsplätzen, hinzukommen.
Für die Auslegung der somit schon ihrem Wortlaut nach nicht eindeutigen Vorschrift (vgl. BSG SozR Nr. 5 zu § 1247 RVO) sind in erster Linie die Entstehungsgeschichte des § 1247 RVO, dessen Gesetzesvorläufer und die au ihnen ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung von Bedeutung. Die Gesetzesvorläufer der jetzigen, auf der Rentenreform von 1957 beruhenden Regelung lassen vor allem erkennen, daß seit Anbeginn der gesetzlichen Rentenversicherung in allen ihren Zweigen Versichertenrenten, die nicht wegen Alters gewährt werden, an die Minderung nicht nur der Arbeitsfähigkeit, sondern der Erwerbsfähigkeit anknüpfen, nämlich an die Minderung der Fähigkeit, durch Ausübung einer Erwerbstätigkeit ein Entgelt zu erwerben.
Nach § 9 des Gesetzes betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22. Juni 1889 (RGBl I 97) erhielt der Versicherte Invalidenrente, der dauernd „erwerbsunfähig” war. EU lag vor, wenn der Versicherte infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande war, durch eine …… Lohnarbeit mindestens einen Betrag zu verdienen, der sich aus einem Sechstel des mit Beiträgen belegten Lohnes und einem Sechstel des ortsüblichen Tagelohnes zusammensetzte. Diese Vorschrift machte also die Gewährung der Invalidenrente davon abhängig, daß der Versicherte nicht mehr fähig war, durch Verrichtung von Tätigkeiten, die seinem Leistungsvermögen entsprachen, einen bestimmten Lohn zu verdienen. – Nach § 15 Abs. 2 des Invalidenversicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899 (RGBl I 463) erhielt Invalidenrente der Versicherte, der im Sinne des § 5 Abs. 4 des Gesetzes dauernd „erwerbsunfähig” war. Diese Voraussetzung traf zu, wenn die Erwerbsfähigkeit des Versicherten infolge von Alter, Krankheit oder anderen Gebrechen dauernd auf weniger als ein Drittel herabgesetzt war; das war anzunehmen, wenn der Versicherte nicht mehr imstande war, durch eine seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechende Tätigkeit …… ein Drittel desjenigen zu erwerben, was körperlich und geistig gesunde Personen …… durch Arbeit zu verdienen pflegten. Hiernach kam es also ebenfalls darauf an, ob der Versicherte fähig war, durch Arbeit ein Entgelt zu erwerben. – Nach § 1255 RVO in der – ursprünglichen – Fassung vom 19. Juli 1911 (RGBl I 509) erhielt der Versicherte Invalidenrente, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen „invalide” war. Als invalide galt, wer nicht mehr imstande war, durch eine seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechende Tätigkeit … ein Drittel dessen zu erwerben, was vergleichbare gesunde Personen durch Arbeit zu verdienen pflegten. In der hier angeführten Vorschrift fehlte zwar – im Unterschied zu den früheren Regelungen – ein Ausdruck wie „Erwerbsunfähigkeit” oder „Minderung der Erwerbsfähigkeit”; der Sache nach hatte sich aber die Rechtslage insoweit nicht geändert; denn die Minderung der Fähigkeit, ein Entgelt in bestimmter Höhe zu erwerben, ist gleichbedeutend mit einer MdE. – Während die hier in Rede stehenden Vorschriften in der Neufassung der RVO durch die Bekanntmachung vom 15. Dezember 1924 (RGBl I 779) keine Änderung erfuhren, wurde durch die Verordnung vom 17. Mai 1934 (RGBl I 419) die Regelung der Invalidenrente zwar mit einer anderen Paragraphenbezeichnung (§ 1254) eingeordnet und in redaktioneller Hinsicht neu gefaßt, sachlich änderte sich jedoch hinsichtlich des Grundes der Rentengewährung nichts. – Insoweit brachte auch das Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz vom 17. Juni 1949 (WiGBl S. 99) keine Änderung; es milderte lediglich die Anspruchsvoraussetzungen für die Invalidenrente dahin, daß die Grenze von einem Drittel des Lohnes eines vergleichbaren gesunden Versicherten auf die Hälfte dieses Lohnes verschoben wurde.
Die beiden anderen Rentenversicherungszweige bieten ein ähnliches Bild. In der Angestelltenversicherung erhielt nach § 25 des Versicherungsgesetzes für Angestellte vom 20. Dezember 1911 (RGBl I 989) Ruhegeld, wer aus gesundheitlichen Gründen „zur Ausübung seines Berufs” dauernd unfähig war. BU lag vor, wenn die „Arbeitsfähigkeit” des Versicherten auf weniger als die Hälfte derjenigen eines gesunden vergleichbaren Versicherten herabgesunken war. Daß hier von BU, nicht aber von Invalidität gesprochen wird, daß auf das Absinken der Arbeitsfähigkeit – nicht der Erwerbsfähigkeit – abgestellt ist und daß nicht ausdrücklich die Fähigkeit, Entgelt zu erwerben, genannt ist, bedeutet keine Abweichung von den für die Invalidenversicherung geltenden Grundsätzen. Auch in der Angestelltenversicherung kam es letztlich darauf an, ob die Erwerbsfähigkeit des Versicherten gemindert war; dies wurde angenommen, wenn er nicht mehr in der Lage war, seinen bisherigen Beruf und andere Berufe innerhalb seiner Berufsgruppe zu verrichten, mit denen er Entgelt erwerben konnte. Die Minderung der Arbeitsfähigkeit war untrennbar verbunden mit der Fähigkeit, Entgelt zu erwerben. – Die Neufassung des AVG vom 28. Mai 1924 (RGBl I 563) und die vom 17. Mai 1934 (RGBl I 419) änderten die Paragraphenfolge, die zuletzt genannte Verordnung faßte auch den Begriff der BU neu, in der ursächlichen Verknüpfung zwischen den gesundheitlichen Schäden und der MdE des Versicherten trat jedoch keine Änderung ein.
In der knappschaftlichen Rentenversicherung bedarf es bei dem hier angestellten Vergleich nur noch einer Untersuchung der Invalidenpension, die später mit Knappschaftsrente und seit dem 1. Januar 1957 als Bergmannsrente bezeichnet wird; für die übrigen knappschaftlichen Renten, die in ihren Grundzügen den jeweiligen Renten der Invalidenversicherung und der Angestelltenversicherung entsprachen, gilt das bei der Behandlung dieser Versicherungszweige bereits Gesagte. Die Invalidenpension wurde gewährt, wenn der Versicherte berufsunfähig war. Dieser Begriff der BU wurde gesetzlich erst später geregelt, erstmalig durch § 35 RKG i.d.F. der Verordnung vom 17. Mai 1934 (RGBl I 419). Danach war berufsunfähig der Versicherte, der aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage war, seinen bisherigen Beruf oder einen im wesentlichen gleichwertigen und gleichartigen anderen Beruf auszuüben. Auch bei dieser Formulierung wurde BU angenommen, wenn die Erwerbsfähigkeit, de h. die Fähigkeit, durch Ausübung einer Tätigkeit Entgelt zu erwerben, in einem bestimmten Grade gemindert war. – Durch die Verordnung über die Neuordnung der Rentenversicherung im Bergbau vom 4. Oktober 1942 (RGBl I 569) wurde an die Stelle der Invalidenpension die Knappschaftsrente gesetzt, § 35 RKG galt jedoch für die Frage, was BU war, weiter.
In der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts (RVA) zu den angeführten Vorschriften der Rentenversicherungen ist von jeher der Begriff der EU demjenigen der Arbeitslosigkeit im Sinne des Fehlens einer Arbeitsgelegenheit gegenübergestellt und von ihm klar abgegrenzt worden. Dabei verstand das RVA unter Arbeitslosigkeit den „vorübergehenden Mangel an Arbeit, welcher in den allgemeinen Verhältnissen des Arbeitsmarktes, in dem Überwiegen des Angebots von Arbeitskräften gegenüber der Nachfrage nach solchen ihren Grund hat” (AN 1893, 95 Nr. 250). Daß die Rentenversicherungsgesetzgebung das Risiko der „augenblicklichen Arbeitslosigkeit” nicht decken sollte, hat das RVA auch in seinen Entscheidungen AN 1892, 140, 141 Nr. 197; AN 1893, 55, 56 Nr. 211 und AN 1897, 408 herausgestellt mit der zusätzlichen, der Begründung zum Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22. Juni 1889 entnommenen Bemerkung, die Arbeitsgelegenheit sei dem Wechsel so sehr unterworfen, daß sie sich kaum kontrollieren lasse. Ist demnach auf das Freisein von Arbeitsplätzen, also auf das Vorhandensein einer Arbeitsgelegenheit, bei der Prüfung der EU schon zu einer Zeit nicht abgestellt worden, als es noch keine Arbeitslosenversicherung gab, so war dies nach dem Erlaß des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 16. Juli 1927 (RGBl I 187) erst recht nicht mehr der Fall.
Kam es somit in der Rechtsprechung des RVA für die Annahme von EU zwar auf das Frei- oder Besetztsein der für einen Versicherten in Betracht kommenden Arbeitsplätze nicht an, so beruhte diese Rechtsprechung doch auf dem Grundsatz, daß ein Versicherter nur auf vorhandene Arbeitsplätze verwiesen werden könne. Darüber hinaus wurde EU sogar beim Vorhandensein von Arbeitsplätzen angenommen, wenn sie dem Versicherten aus besonderen, in seiner Person liegenden Gründen, z. B. wegen eines ansteckenden, die Umwelt gefährdenden Leidens, dauernd verschlossen waren und ihm deshalb die Möglichkeit zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit schlechthin fehlte (vgl. z. B. AN 1893, 95 Nr. 250; AN 1901, 431 Nr. 907, AN 1906, 277 Nr. 1243; AN 1910, 647; EuM 9, 289; AN 1925, 35 Nr. 2836; AN 1934, 15 und 1937, 18). Seit dem Jahre 1906 finden sich Entscheidungen des RVA, in denen dem Fehlen geeigneter Arbeitsplätze der Fall gleicherachtet wird, daß es solche Arbeitsplätze nur „in ganz unerheblichem Maße” gibt (AN 1907, 465 Nr. 1311 und 1921, 334, 336 Nr. 2647). In diesen Entscheidungen hat das RVA die vorbehaltlose Verweisung auf Pförtner- und Botendienste mißbilligt, weil solche Stellen selbst in einer industriell belebten Gegend nur in beschränkter Zahl vorhanden seien und in der Regel den Invaliden des eigenen Betriebes vorbehalten blieben, also „kaum dem für den freien Wettbewerb offenen Arbeitsmarkt zugerechnet werden könnten”.
Hiernach hat das RVA die Verneinung der EU davon abhängig gemacht, daß es geeignete Arbeitsplätze für den Versicherten gibt, und zwar in einem Ausmaß, daß man von einem offenen Arbeitsmarkt sprechen kann. Einen offenen Arbeitsmarkt hat es nicht als vorhanden angesehen, wenn entweder die Zahl der geeigneten Arbeitsplätze so klein war, daß sie praktisch nicht ins Gewicht fiel, oder aber die vorhandenen Arbeitsplätze einem Personenkreis vorbehalten waren, zu dem der Rentenbewerber nicht gehörte.
Die angeführte Rechtsprechung des RVA ist zunächst vom Bayerischen Landesversicherungsamt –LVAmt– (Urteil vom 23. Februar 1951, Breithaupt 1951, 941) und dann vom BSG fortgeführt worden. Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß der Versicherte nur auf Tätigkeiten verwiesen werden kann, die dem Wettbewerb praktisch noch offen stehen bzw. für die es Arbeitsplätze in nennenswerter oder nicht ganz bedeutungsloser Zahl, gleichgültig ob frei oder besetzt, gibt (BSG 1, 82, 91; 5, 84, 86; 8, 31, 35; 16, 18, 21; 18, 36, 40; 19, 147, 150; 21, 133, 135; 24, 181, 183; SozR Nrn. 50 und 59 zu § 1246 RVO und Nrn. 5 und 14 zu § 1247 RVO; Nr. 2 zu § 47 RKG).
Dem Gesetzgeber der Rentenreform von 1957 waren sowohl die aufgezeigte Gesetzesentwicklung als auch die von der Praxis und dem Schrifttum allgemein anerkannte jahrzehntelange Rechtsprechung der Versicherungsinstanzen und zuletzt des BSG bekannt. Hätte er in Abkehr von dieser Rechtsprechung den Versicherungsfall der EU abstrakt, d. h. ohne Rücksicht auf das Vorhandensein und die Arbeitsmarktzugehörigkeit eines der Gesundheit des Rentenbewerbers entsprechenden Arbeitsplatzes, beurteilt wissen wollen, so hätte er dies im Gesetz klargestellt. Er hat jedoch in bezug auf die ursächliche Verknüpfung zwischen Gesundheitsstörungen und der Fähigkeit zum Ausüben einer Erwerbstätigkeit den Wortlaut des Gesetzes gegenüber den früheren Regelungen nicht entscheidend geändert. Dies spricht für die Absicht, es insoweit bei der früheren Rechtslage zu belassen. Auch die Materialien zur Rentenreform von 1957 lassen sich als Stütze hierfür anführen. In § 1258 Abs. 3 des mit der BT-Drucksache 2437 von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Rentenversicherungsgesetzes war als erwerbsunfähig der Invalide bezeichnet, der „……. nicht mehr imstande ist, durch eine Erwerbstätigkeit Einkünfte zu erzielen”. Dem entsprach die dazu gegebene Begründung, unter Erwerbstätigkeit könne nur eine Tätigkeit verstanden werden, die in gewisser Regelmäßigkeit ausgeübt wird und mehr als nur geringfügige Einkünfte ergibt (aaO S. 72). An derselben Stelle bezeichnet die amtliche Begründung es als sozialpolitisch nicht vertretbar, diejenigen Invaliden, die noch in der Lage seien, Mittel für ihren Lebensunterhalt zu verdienen, den erwerbsunfähigen Invaliden, deren Existenz im Regelfall ausschließlich auf ihrer Rente beruhe, gleichzustellen. Danach wollte der Entwurf den Eintritt der Versicherungsfälle der BU und der EU davon abhängig machen, ob und in welchem Ausmaß der Versicherte noch die Möglichkeit hat, seine Arbeitskraft lohn- oder einkommensbringend zu nutzen. Die Rente soll Lohn ersetzen (aaO S. 58). In dem Gesetzesentwurf der SPD (BT-Drucksache II Nr. 2314) ist allerdings nicht von „Erwerbsfähigkeit”, sondern von „Arbeitsfähigkeit” die Rede (§ 24 Abs. 2 und 3). Aus der Begründung hierzu (S. 66) ergibt sich jedoch, daß damit die Fähigkeit gemeint ist, „praktisch eine Berufstätigkeit von nennenswerter wirtschaftlicher Bedeutung auszuüben”. Schließlich enthält auch der schriftliche Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (28. Ausschuß) – BT-Drucksache 3080 –, der die Versicherungsfälle der BU und der EU in der zum Gesetz gewordenen Fassung geregelt hat, nichts, was gegen die Beibehaltung des seit Einführung der Rentenversicherung maßgebenden Begriffs der Erwerbs(un)fähigkeit spräche.
Die angeführten Gesetzesmaterialien machen vor allem deutlich, daß der Zweck der Gewährung einer Versichertenrente es erfordert, auf das Vorhandensein eines dem Leistungsvermögen des Versicherten entsprechenden Arbeitsplatzes abzustellen. Nach der amtlichen Begründung zur Rentenreform hat die Rente Lohnersatzfunktion. Sie ist – wie nie zuvor – ebenso wie in ihrer Funktion, so auch in ihrer Ausgestaltung an den Lohn und die Entwicklung der Löhne gekoppelt. Sie hat als Rente wegen EU einzusetzen, sobald der Versicherte nicht nur vorübergehend infolge Krankheit usw. nicht mehr regelmäßig einem Lohn- oder Einkommenserwerb nachgehen oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann. Lohnerwerb setzt aber die Möglichkeit voraus, das dem Versicherten verbliebene Leistungsvermögen in Geld umzusetzen. Verweist man ihn auf nicht vorhandene Arbeitsplätze – beispielsweise für drei Stunden oder unter Schutzvorrichtungen, die praktisch kaum zu verwirklichen sind –, so vermag er weder ein Erwerbseinkommen zu erzielen noch eine Rente wegen EU zu erhalten. Der Zweck des Gesetzes würde also nicht erreicht werden. Dies führt zu dem Schluß, daß die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit des Versicherten nach dem Willen des Gesetzes nur als eine von mehreren Komponenten des komplexen Begriffs der Erwerbsfähigkeit zu verstehen ist. Von der Funktion der Rente her kann für die Annahme von Erwerbsfähigkeit jenes Leistungsvermögen grundsätzlich erst dann als rechtlich relevant bezeichnet werden, wenn es sich in Einkünfte durch Erwerbstätigkeit umsetzen läßt.
Die Lohnersatzfunktion der Rente läßt sich in ihrem Grundgedanken nicht durch den Hinweis in Frage stellen, daß dem Versicherten insofern kein voller Ersatz für den krankheitsbedingten Verlust an Erwerbsfähigkeit gewährt wird, als ein Rentenanspruch erst entsteht, wenn der Versicherte die gesetzliche Lohnhälfte nicht mehr erzielen kann. Daraus darf nicht, wie es zuweilen geschehen ist, der Schluß gezogen werden, daß auch derjenige Lohnausfall unausgeglichen bleiben müsse, der in dem Nichtvorhandensein eines – freien oder besetzten – Arbeitsplatzes seine Ursache hat. Dieser Schluß verbietet sich schon deshalb, weil die gesetzliche Lohnhälfte immerhin noch eine – wenn auch vielfach notdürftige – Existenzgrundlage bildet, während dies bei jeglichem Wegfall eines regelmäßigen Erwerbseinkommens oder bei nur geringfügigen Erwerbseinkünften (weniger als 20 v.H. des durchschnittlichen Bruttotariflohns – BSG 19, 147) nicht der Fall ist.
Die in der bisherigen Rechtsprechung des BSG in Übereinstimmung mit derjenigen des RVA vertretene Auffassung, daß EU auch dann vorliegt, wenn ein Versicherter zwar noch gewisse Erwerbstätigkeiten ihrer Art nach verrichten könnte, es aber seiner verminderten Leistungsfähigkeit angepaßte Arbeitsplätze nicht gibt, hat den Vorzug, mit der Ursachenlehre von der rechtlich wesentlichen Bedingung im Einklang zu stehen. Nach ihr ist eine Bedingung als ursächlich oder mitursächlich im Rechtssinne anzusehen, wenn sie im Verhältnis zu anderen Einzelbedingungen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Diese Ursachenlehre ist vom RVA in jahrzehntelanger Rechtsprechung angewandt worden und gilt nach der ständigen Rechtsprechung des BSG jedenfalls für die Gebiete der Kriegsopferversorgung und der Unfallversicherung (vgl. z. B. BSG 1, 72, 76 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des RVA; BSG 1, 150, 156 und 268, 269; BSG 12, 242, 245). Sie hat auch schon in das Gebiet der Rentenversicherung Eingang gefunden, nämlich in den Fällen des § 1263 a Abs. 1 Nr. 1 und 3 RVO aF (= § 1252 RVO nF) bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs eines Arbeitsunfalls bzw. einer Feindeinwirkung mit dem Eintritt der Invalidität oder dem Tode des Versicherten (BSG SozR Nr. 5 zu § 1263 a RVO aF; Wannagat, Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts Bd. I 337). In den Fällen des § 1247 Abs. 2 RVO geht es, wie die ein Kausalverhältnis ausdrückende Präposition „infolge von” deutlich macht, – ebenso wie in denen des § 1252 Nr. 1 RVO – um die ursächliche Verknüpfung zwischen einem Ereignis oder einem Zustand – Gesundheitsschädigung – und einem „Erfolg” – Wegfall der Erwerbsfähigkeit. Hier wie dort soll der Geschädigte einen sozialen Ausgleich erhalten, weil er sich in einer vom Gesetz als schutzwürdig anerkannten Situation befunden und durch die Besonderheiten dieser Situation Schaden erlitten hat (vgl. Schlegel, DVBl 1962, 8, 10 re. Sp.). Wegen der Vergleichbarkeit der Sachverhalte erscheint es gerechtfertigt, die Lehre von der rechtlich wesentlichen Bedingung auch in der hier vorliegenden Frage nach dem Inhalt des Begriffs der EU der Rechtsfindung nutzbar zu machen. Die EU eines Versicherten, der nach seinem Gesundheitszustand zwar noch täglich beispielsweise drei Stunden Lohnarbeit verrichten könnte, für den es aber einen solchen Teilzeitarbeitsplatz nicht gibt, beruht auf zwei Ursachen: der gesundheitlichen Schädigung und dem Fehlen eines geeigneten Arbeitsplatzes. Der Erfolg – die EU – entfällt beim Wegfall sowohl der einen, als auch der anderen Mitursache. Wäre der Versicherte nicht krank, so könnte er vollschichtig arbeiten und hätte – Arbeitslosigkeit soll außer Betracht bleiben – einen Arbeitsplatz. Gäbe es für ihn einen geeigneten Arbeitsplatz, so könnte er trotz seiner Krankheit täglich drei Stunden erwerbstätig sein und wäre somit allenfalls berufsunfähig i. S. des § 1246 Abs. 2 RVO, jedenfalls aber nicht erwerbsunfähig i. S. des § 1247 Abs. 2 RVO. Bei der Beurteilung, welche der Mitursachen rechtlich wesentlich im Sinne der angeführten Ursachenlehre ist, wird man die beiden Ursachen als etwa gleichrangig ansehen müssen; jedenfalls tritt die Krankheit gegenüber dem Fehlen eines Arbeitsplatzes nicht völlig in den Hintergrund. Das bedeutet, daß die Gesundheitsschädigung, auch wenn sie erst im Zusammenwirken mit dem Fehlen eines geeigneten Arbeitsplatzes zur EU führt, rechtlich wesentliche Ursache der EU ist (vgl. hierzu Dilla – die Arbeiterversorgung 1964, 151, 152 –, der in einem ähnlichen Falle die Gesundheitsschädigung sogar als „primär und schließlich entscheidend verantwortlich für den Eintritt des Versicherungsfalles” bezeichnet).
Die Anwendung der Ursachenlehre von der rechtlich wesentlichen Bedingung auf den hier vorliegenden Fragenkomplex bedeutet nicht etwa, daß auch die Arbeitslosigkeit, wenn sie mit einer Krankheit gekoppelt ist, zur Annahme von EU führen müßte. Ein Versicherter ist nicht schon dann erwerbsunfähig, wenn er zwar noch vollschichtig – oder auch nur halbschichtig – arbeiten könnte, aber wegen eines ihm anhaftenden, indes seine Arbeitsfähigkeit nicht wesentlich – oder nur teilweise – beeinträchtigenden Leidens bei der Suche nach einem – an sich vorhandenen – Arbeitsplatz der gesunden Konkurrenz den Vorzug lassen muß. In einem solchen Falle ist das Leiden zwar mitursächlich im philosophisch-logischen Sinne, aber nicht „rechtlich wesentlich” ursächlich. Rechtlich wesentliche Ursache ist hier allein der vorübergehende Mangel an geeigneten Arbeitsgelegenheiten. Diese Wertung ergibt sich aus dem in der Begründung zum Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22. Juni 1889 und später in der ständigen Rechtsprechung des RVA hervorgehobenen eingeschränkten Sinn und Zweck bereits der ersten Rentenversicherungsgesetze; sie muß erst recht gelten, nachdem – im Anschluß an partielle Vorläufer – im Jahre 1927 zum Schutze gegen das Risiko der Arbeitslosigkeit ein besonderer Versicherungszweig, die Arbeitslosenversicherung, geschaffen worden ist.
Die vom Großen Senat vertretene Auffassung, daß für die Annahme von EU auch auf das Vorhandensein eines für den in seiner Leistungsfähigkeit geminderten Versicherten geeigneten Arbeitsplatzes abzustellen ist, verdient gegenüber der nur den Gesundheitszustand des Versicherten in Betracht ziehenden – abstrakten – Gegenmeinung auch deshalb den Vorzug, weil sie besser geeignet ist, der – erwünschten – Nahtlosigkeit zwischen der Rentenversicherung und der Arbeitslosenversicherung näherzukommen.
Wie im Vorlagebeschluß des 12. Senats herausgestellt ist, wird der hier vertretenen Auffassung entgegengehalten, der Gesetzgeber habe in § 1247 Abs. 2 RVO bewußt davon abgesehen, von den Verwaltungsbehörden und den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit erforschen zu lassen, ob im konkreten Fall ein der Leistungsfähigkeit des Versicherten entsprechender Arbeitsplatz vorhanden sei; dies sei bei der Vielfalt und Fülle von Arbeitsmöglichkeiten, welche die soziale Wirklichkeit biete, nicht erforderlich gewesen. Daran ist richtig, daß der Gesetzgeber der Rentenreform von 1957 von der Erwartung ausgegangen ist, es werde für leistungsgeminderte Versicherte auch nach Eintritt der BU noch Möglichkeiten geben, ein Erwerbseinkommen zu erzielen, namentlich durch Teilzeitbeschäftigungen. Dies läßt sich schon der amtlichen Begründung der Neuregelungsgesetze entnehmen, in der es zu § 1258 RVO heißt, es könne „in Zukunft nicht unberücksichtigt bleiben, daß es zahlreiche Invaliden gebe, die trotz ihrer Invalidität durchaus noch in der Lage seien, durch Erwerbstätigkeit Mittel für ihren Lebensunterhalt zu verdienen” (BT-Drucks. II 2437, 72). Vor allem aber geht eine Reihe von Vorschriften des Reformwerks davon aus, daß auch Bezieher von Renten wegen BU versicherungspflichtig beschäftigt sein können (z. B. § 1227 Abs. 1 i.V.m. § 1229 Abs. 1 Nr. 1, § 1253 Abs. 2 Satz 4, § 1255 Abs. 8, § 1258 Abs. 4 und § 1283 Satz 2 RVO). Darüber hinaus hat der Gesetzgeber angenommen, daß es selbst für Bezieher von EU-Renten Gelegenheiten zu entgeltlicher Arbeit geben werde; denn er hat sich veranlaßt gesehen, die Beschäftigungsverhältnisse solcher Arbeitnehmer von der Arbeitslosenversicherungspflicht auszunehmen (§§ 57, 58 AVAVG; § 169 Nrn. 3 und 4 AFG). Wäre der Gesetzgeber der Rentenreform von 1957 nicht von der Vorstellung ausgegangen, daß es für den im Grade der BU leistungsgeminderten Versicherten noch Möglichkeiten für ein Arbeitseinkommen gebe, so hätte er keine Veranlassung gehabt, den höherstufigen Versicherungsfall der EU zu schaffen. Unrichtig ist jedoch die von der abstrakten Auffassung an die Vorstellungen des Gesetzgebers geknüpfte Schlußfolgerung, daß das Vorhandensein von Teilzeitarbeitsplätzen keines Beweises bedürfe. Wenn es, wie dargelegt wurde, nach dem Inhalt der Rechtsnorm des § 1247 Abs. 2 RVO auf die Fähigkeit ankommt, ein Erwerbseinkommen effektiv zu erzielen, dann kann das Fehlen dieser konkreten Möglichkeit in dem einen Falle nicht deswegen unbeachtlich sein, weil in einem anderen Falle ein Versicherter das ihm verbliebene Leistungsvermögen noch erwerbsbringend zu nutzen in der Lage ist. Mit dem Hinweis auf die – an sich richtig gesehenen – Vorstellungen des Gesetzgebers von Erwerbsmöglichkeiten eines in seiner Leistungsfähigkeit geminderten Versicherten läßt sich also nicht dartun, daß die vom Gesetz geforderte Nutzungsmöglichkeit einer noch vorhandenen Arbeitskraft unwiderlegbar vermutet oder fingiert werde. Nur in einem solchen Falle wäre für eine Feststellung, daß es an jener Möglichkeit fehle, kein Raum.
Der konkreten Auffassung wird weiter entgegengehalten, sie führe zu unbefriedigenden Ergebnissen bei Versicherten, die nicht mehr vollschichtig, aber noch mindestens halbschichtig arbeiten könnten, für die es indessen keine Arbeitsplätze in nennenswerter Zahl gebe; in solchen Fällen komme es, besonders bei ungelernten Arbeitskräften, zum „Durchschlagen” der Rente wegen BU zur Rente wegen EU, einem Ergebnis, das die Zweistufigkeit der Renten als sinnlos erscheinen lasse. Dieses Argument beruht auf einer Überschätzung der Zahl der nicht auf zumutbare Tätigkeiten verweisbaren Versicherten, die täglich noch halbschichtig oder länger erwerbstätig sein können. Sind diese Versicherten nur zeitlich in ihrer Einsatzfähigkeit beschränkt, ohne daß sie noch in anderer Weise besonderer Schonung bedürfen, so wird es – darauf wird später noch näher einzugehen sein – meistens geeignete Arbeitsplätze für sie geben, zumal sie in der Regel auf das Gebiet der gesamten Bundesrepublik verwiesen werden können. In einem solchen Falle sind nicht einmal die Voraussetzungen für die Rente wegen BU erfüllt. Bei dem halbschichtig Einsatzfähigen, für den es einen zumutbaren und geeigneten Arbeitsplatz gibt, kann allerdings wegen seiner körperlichen Beeinträchtigung die gesetzliche Lohnhälfte unterschritten werden; dann liegt BU vor. Gibt es für ihn oder auch für einen mehr als halbschichtig Einsatzfähigen, für den aber das Arbeitsfeld aus gesundheitlichen Gründen erheblich eingeengt ist, keinen geeigneten Arbeitsplatz, so erhält er mit Recht nicht nur die erste, sondern die zweite Stufe der Rente; denn er hat seine Fähigkeit zur entgeltlichen Nutzung seiner geminderten Arbeitskraft vollends verloren. Das Überspringen der ersten Rentenstufe ist keine so ungewöhnliche Erscheinung, daß man annehmen müßte, der Gesetzgeber habe an sie nicht gedacht und könne sie demnach nicht in Kauf genommen haben. Das macht ein Blick auf die knappschaftliche Rentenversicherung deutlich; in diesem Versicherungszweig hat es schon vor 1957 Stufenrenten gegeben, und das „Durchschlagen” der Rente bei den Versicherten mit niedrigen Schichtlöhnen ist dort allgemein bekannt. Die Möglichkeit des „Durchschlagens” zur zweiten Rentenstufe war dem Gesetzgeber also nicht unbekannt.
Ein Beteiligter der vor dem Großen Senat anhängig gewordenen Anrufungsverfahren hat den in ihrer Einsatzfähigkeit zeitlich beschränkten Versicherten eine Gruppe von Versicherten gegenübergestellt, die aus gesundheitlichen Gründen entweder ungewöhnlich langsam arbeiten und deshalb kein übliches Tagespensum bewältigen oder in ihrer Arbeitsleistung qualitativ hinter dem Normalmaß zurückbleiben oder übermäßig viele Pausen einlegen müssen oder ungewöhnlich viele Fehltage zu verzeichnen haben. Es wird die Auffassung vertreten, daß in Gleichstellung mit dieser Gruppe auch ein Versicherter, der einen Arbeitsplatz hinsichtlich der zeitlichen Ausgestaltung nicht ausfüllen könne, nicht als erwerbsunfähig angesehen werden dürfe. In beiden Fällen habe, nämlich der Leistungsmangel des Versicherten die wirtschaftliche Auswirkung, daß nicht die Arbeitsleistung eines Durchschnittsbeschäftigten erbracht werde. Der Quantitätsfaktor Arbeitszeit müsse genauso behandelt werden wie andere Quantitätsfaktoren, z. B. Arbeitstempo, Regelmäßigkeit usw. Es dürfe deshalb in keinem dieser Fälle auf das Vorhandensein von Arbeitsplätzen, die dem Leistungsvermögen des Versicherten entsprächen, ankommen.
Dieses Vorbringen verkennt, daß ein Mangel an Teilzeitarbeitsplätzen in der Regel darauf beruht, daß Arbeitgeber sich nicht in der Lage sehen, solche Plätze organisatorisch in ihren Betrieb einzugliedern, während sich ein langsam oder weniger sorgfältig Arbeitender meist ohne, große Schwierigkeiten einfügen läßt. Deshalb ist dem Versicherten, der aus gesundheitlichen Gründen keine volle Schicht durchhalten kann und für den es keine Teilzeitarbeitsplätze gibt, jede Erwerbsmöglichkeit genommen. Demgegenüber hat der vollschichtig Arbeitsfähige, auch wenn er in seiner Leistung hinter dem durchschnittlichen Arbeitsmaß der ihm vergleichbaren Versicherten zurückbleibt, eine reelle Chance, sich erwerbsbringend betätigen zu können.
Als besonders gewichtiges Argument gegen die vom Großen Senat vertretene Auffassung wird ins Feld geführt, es sei den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit praktisch unmöglich, zuverlässige Feststellungen über das Vorhandensein von Teilzeitarbeitsplätzen zu treffen, vor allem wenn der gesuchte Arbeitsplatz, um dem geminderten Leistungsvermögen des Versicherten zu genügen, eine bestimmte Beschaffenheit aufweisen, z. B. Schutz vor Nässe, Kälte oder Staub bieten müsse, oder wenn eine Arbeitsmöglichkeit abwechselnd im Sitzen und Gehen, dazu noch mit häufigeren Pausen, zu ermitteln sei. Es ist zuzugeben, daß mit den klassischen Mitteln des Beweises durch Augenschein, Sachverständige, Zeugen und Urkunden die Aufgabe, die sich den Gerichten stellt, nur schwer zu bewältigen ist. Der richterliche Augenschein scheidet, ohne daß auf die Frage seiner rechtlichen Zulässigkeit eingegangen werden müßte, praktisch schon deshalb aus, weil die Durchführung in einer hinreichenden Zahl von Betrieben die Gerichte überfordern würde. Der Beweis durch Sachverständige wird in der Regel außer Betracht bleiben müssen, weil es bei der Erforschung des Vorhandenseins, des Ausmaßes und der konkreten Beschaffenheit von Teilzeitarbeitsplätzen meist nicht um die Vermittlung von Erfahrungssätzen auf einem bestimmten Sachgebiet und daraus zu ziehenden Schlüssen geht – nur das wäre Aufgabe eines Sachverständigen –, sondern um die Bekundung eines Wissens über Tatsachen. Ein solches Wissen vermittelt in der Regel ein Zeuge. Für dieses Beweismittel gilt jedoch weitgehend das gleiche wie für den richterlichen Augenschein, jedenfalls soweit es sich um Zeugen aus dem betrieblichen Bereich handelt.
Die einzelne Zeugenaussage vermag ein gerichtliches Verfahren nur dann zu fördern, wenn sie Positives über das Vorhandensein von Teilzeitarbeitsplätzen enthält, nicht aber, wenn die Beweisfrage, was die Regel sein dürfte, verneint wird; in einem solchen Falle wird der Versuch, über den Zeugenbeweis zu einer abschließenden Erkenntnis zu gelangen, vielfach scheitern. – Anders dürfte es dagegen mit der Anhörung von Zeugen sein aus dem Bereich von Behörden, Verbänden und Organisationen, die aus ihrer amtlichen, ehrenamtlichen oder dienstlichen Tätigkeit einen mehr oder weniger umfassenden Einblick in die Struktur des Arbeitslebens und der Arbeitsplatzgestaltung haben. Als solche sachkundige Stelle ist in erster Linie die Arbeitsverwaltung in Betracht zu ziehen, weil diese gesetzlich verpflichtet ist, den Arbeitsmarkt zu beobachten. Kann die Arbeitsverwaltung keine Auskunft über die Zahl der Teilzeitarbeitsplätze und der Interessenten hierfür geben, so kommt auch die Einholung von Auskünften bei anderen Stellen in Frage, z. B. bei Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, Vereinigungen von Arbeitgebern oder Arbeitnehmern, Hauptfürsorgestellen und Gewerbeaufsichtsämtern (vgl. BSG SozR Nr. 8 zu § 1247 RVO). Es bedarf indessen nicht unbedingt der Vernehmung von Bediensteten dieser Stellen als Zeugen oder Sachverständigen; vielmehr genügt es und dürfte sich auch in der Regel eher empfehlen, eine schriftliche Auskunft einzuholen. Die „amtliche Auskunft” ist als Aufklärungsmaßnahme und Beweismittel im Zivilprozeß bereits seit 1924 zugelassen (§ 272 b Abs. 1 Nr. 2 der Zivilprozeßordnung – ZPO –). Das SGG geht über diese Regelung noch hinaus; es sieht „Auskünfte jeder Art” vor, also nicht nur amtliche, sondern auch private (§ 106 Abs. 3 Nr. 3 SGG). Von besonderer Bedeutung sind, soweit auf das ganze Bundesgebiet verwiesen werden darf, statistische Unterlagen, insbesondere hochgerechnete Zahlen auf Grund eines Mikrozensus; allerdings weisen auch diese, wie nicht verkannt werden soll, Lücken auf.
Von Anfragen an die Arbeitsverwaltung nach dem Vorhandensein von Teilzeitarbeitsplätzen haben sich, wie dem Vorlagebeschluß zu entnehmen ist, einige Landessozialgerichte wenig Aussicht auf Erfolg versprochen, weil die Arbeitsämter nicht über geeignetes Material verfügten und auch keine Bereitschaft zu sachdienlichen Angaben zeigten. Diese Skepsis wird weder der Aufgabenstellung, welche das Arbeitsförderungsgesetz für die Bundesanstalt für Arbeit (BA) und ihre Gliederungen – die Landesarbeitsämter und Arbeitsämter – enthält, noch der in diesem Verfahren von der BA gezeigten Möglichkeit und Bereitschaft zu Auskünften gerecht.
Nach § 3 Abs. 2 Satz 2 und § 6 Abs. 1 AFG hat die BA als „Maßnahme nach diesem Gesetz” Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zu betreiben, d. h. „Umfang und Art der Beschäftigung sowie Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes, der Berufe und der beruflichen Bildungsmöglichkeiten im allgemeinen und in den einzelnen Wirtschaftszweigen und Wirtschaftsgebieten, auch nach der sozialen Struktur, zu beobachten, zu untersuchen und für die Durchführung der Aufgaben der Bundesanstalt auszuwerten”. Die hierfür notwendigen organisatorischen und technischen Voraussetzungen hat die BA zu schaffen; sie hat die erforderlichen Unterlagen zu erstellen, zu führen und auszuwerten (§ 6 Abs. 2 AFG). Alles das soll u. a. dazu beitragen, daß „weder Arbeitslosigkeit und unterwertige Beschäftigung noch ein Mangel an Arbeitskräften eintreten oder fortdauern”. (§ 2 Nr. 1 AFG) sowie daß „ältere und andere Erwerbstätige, deren Unterbringung unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes erschwert ist, beruflich eingegliedert werden” (§ 2 Nr. 6 AFG). Damit die BA die ihr vom Gesetz gestellten Aufgaben voll zu erfüllen vermag, kann „die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit einer Geltungsdauer bis zu drei Jahren anordnen, daß die BA zur Ergänzung der in ihrem Geschäftsbereich anfallenden Unterlagen …… einmalige oder regelmäßig, wiederkehrende statistische Erhebungen über Beschäftigte …. durchzuführen hat” (§ 6 Abs. 4 AFG). Hiernach hat die BA sowohl die Aufgabe als auch weitgehende Möglichkeiten, die Teilzeitarbeitsplätze in der Bundesrepublik Deutschland statistisch zu erfassen. Dementsprechend hat sie auf Anfragen des Großen Senats mit – den Beteiligten bekannten – Schreiben vom 22. August und 25. September 1969 einen Überblick über die Teilzeitarbeit bei männlichen Erwerbstätigen gegeben. Nach diesen Angaben, die unter Verwertung der Ergebnisse des Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes gemacht worden sind, gab es im April 1967 in der Bundesrepublik Deutschland – bei nahezu 14 Millionen männlichen Erwerbstätigen in abhängiger Stellung – 84.000 abhängig Beschäftigte, die aus eigenem Entschluß weniger als 42 Stunden wöchentlich gearbeitet haben. Diese Zahl ist aufgeschlüsselt in Beschäftigungen bis zu 23 Stunden (35.000), 24 bis 39 Stunden (40.000) und 40 bis 41 Stunden (9.000). Wie groß die Zahl der Teilzeitarbeitsplätze für zwei Stunden bis weniger als halbschichtig ist – eine Frage, die insbesondere für Ansprüche auf Rente wegen EU von Bedeutung ist –, kann bisher noch nicht aus den Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes ermittelt werden, bei entsprechender Aufbereitung des Urmaterials wird das aber möglich sein. Nach der Auskunft der BA (Schreiben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung vom 22. August 1969) haben Teilzeitarbeitskräfte bis zu 40 Jahren zu 80 v.H. und Teilzeitarbeitskräfte von 40 bis 50 Jahren noch zu 30 v.H. einen offenen Arbeitsplatz gefunden. Wenn auch nicht verkannt werden darf, daß die bis etwa 27-jährigen Personen vielfach gesundheitlich voll einsatzfähige Schüler und Studenten sind, die eine Nebenbeschäftigung suchen, und daß in vorgeschrittenem Alter die Vermittlungsfähigkeit stark nachläßt, so besteht doch immerhin für die jüngeren und mittleren Jahrgänge eine relativ günstige Vermittlungsmöglichkeit.
Soweit eine Verweisung auf das gesamte Bundesgebiet in Betracht kommt, braucht in der Regel nur eine Auskunft bei der Bundesanstalt für Arbeit eingeholt zu werden, da dieser die statistischen Unterlagen auch der sonstigen zentralen Stellen, insbesondere des Statistischen Bundesamtes, bekannt sind. Soweit nur auf das örtliche Wirtschaftsgebiet verwiesen werden darf, erscheint in erster Linie eine Auskunft des örtlichen Arbeitsamts zweckdienlich. Kann dieses die maßgeblichen Zahlen nicht mitteilen, so werden andere örtliche Stellen um Auskunft zu ersuchen sein.
Die nach der Auffassung des Großen Senats erforderliche Aufklärung der Verhältnisse auf dem Teilzeitarbeitsmarkt wird allerdings erschwert durch die Mannigfaltigkeit der Einschränkungen, denen nicht voll leistungsfähige Versicherte unterworfen sein können. Obwohl sich daraus viele denkbaren Varianten in der Fragestellung nach dem Vorhandensein von Teilzeitarbeitsplätzen ergeben, wird man doch in der großen Masse der Fälle – abgesehen von dem zeitlichen Potential – mit typischen Gruppierungen wie Arbeitsplätze für leichte Arbeiten, solche für mittelschwere Arbeiten, Arbeiten nur in geschlossenen Räumen – evtl. nur im Sitzen – und nur im Freien zu verrichtende Arbeiten auskommen. Eine Aufgliederung in dieser Weise ist allerdings bei der BA gegenwärtig noch nicht möglich. Insoweit wird sich daher die Aufklärungsarbeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit vorerst noch auf Anfragen an Behörden und Organisationen beschränken müssen, die Auskünfte für örtliche Teilgebiete geben können. In Fällen, in denen der Versicherte nur auf Tätigkeiten an seinem Wohnort verwiesen werden darf – also im Regelfall des weniger als halbschichtig Beschäftigten – wird die Erforschung des Teilzeitarbeitsmarktes die wenigsten Schwierigkeiten bereiten, weil die örtlichen Stellen über die in ihrem Bereich vorliegenden Verhältnisse naturgemäß besser informiert sind als Zentralstellen.
Die von den Versicherungsträgern und den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit anzustellenden Erhebungen über die Verhältnisse auf dem Teilzeitarbeitsmarkt lassen sich vereinfachen, wenn die Auskunftsersuchen nicht weiter gefaßt werden, als die Rechtslage es erfordert. Ebenso wie ein Versicherter nicht auf Arbeitsplätze verwiesen werden darf, die es nicht gibt, darf man ihn auch nicht auf Arbeitsplätze verweisen, die es möglicherweise oder sogar mit Wahrscheinlichkeit gibt, deren Existenz aber den zuständigen Stellen, insbesondere der Arbeitsverwaltung, nicht bekannt ist und die deshalb nicht für Zwecke der Arbeitsvermittlung erfaßt sind. In diesen Fällen muß angenommen werden, daß nicht nur die Arbeitsverwaltung als die für die Beobachtung des Arbeitsmarktes und die Arbeitsvermittlung gesetzlich zuständige Stelle, sondern auch der Versicherte keinen hinreichenden Überblick über die vorhandenen Arbeitsplätze hat. Wenn sich der Versicherte auch selbst um die Erlangung eines Arbeitsplatzes bemühen muß, so kann man bei ihm keine bessere Kenntnis des Arbeitsmarktes erwarten, als sie die Arbeitsverwaltung hat. Unter vorhandenen Arbeitsplätzen sind daher im Sinne der vorangegangenen und der noch folgenden Ausführungen nur solche Arbeitsplätze zu verstehen, die der Arbeitsverwaltung oder den sonstigen befragten Stellen bekannt sind. Werden die Auskunftsersuchen der Gerichte in dieser Weise formuliert, so vereinfacht sich für den Adressaten, ohne daß er von der Pflicht zur Ausschöpfung seines Wissens befreit wird, die Antwort, vor allem aber kann die Frage nach dem Vorhandensein von „bekannten Teilzeitarbeitsplätzen” nur bejahend oder verneinend, aber nicht mit Nichtwissen beantwortet werden. Damit verliert zugleich die Frage nach der objektiven Beweislast insoweit ihre prozeßentscheidende Bedeutung (vgl. hierzu BSG 21, 133, 136 = SozR Nr. 8 zu § 1247 RVO).
Schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß, wenn einmal für gewisse typische Gruppen von leistungsgeminderten Versicherten die Verhältnisse auf dem für sie in Betracht kommenden Teilzeitarbeitsmarkt geklärt sind, diese Beweisergebnisse – nach ordnungsmäßiger Einführung in andere Streitverfahren – in einer Vielzahl von Fällen der Rechtsfindung werden nutzbar gemacht werden können und dann nur noch auf den Einzelfall abgestellte Ergänzungserhebungen erforderlich sein werden.
Nach alledem läßt sich zwar nicht übersehen, daß die zu fordernden Ermittlungen über das Vorhandensein von – bekannten – Teilzeitarbeitsplätzen in der Regel mit erheblichen Schwierigkeiten und großem Zeitaufwand verbunden sein werden; gleichwohl erscheinen sie nicht unzumutbar oder gar unmöglich. Die ins Feld geführten Schwierigkeiten dürfen deshalb kein Hinderungsgrund sein, die Rechtsnorm des § 1247 Abs. 2 RVO so anzuwenden, wie sie nach anerkannten Auslegungsregeln zu verstehen ist.
II
Zu den Fragen, die sich auf die Zahl der für die Verneinung der EU zu fordernden Arbeitsplätze beziehen (Fragen I, 2, 3 und 4 der Vorlage), zeigt die bisherige Rechtsprechung des BSG, wenn man nur die Ausdrucksweise in Betracht zieht, ein mannigfaltiges Bild. Das rechtlich relevante Ausmaß – die Zahl – der Verweisungsplätze findet sich mit Ausdrücken umschrieben wie
- „Stellen in genügender Zahl” (BSG 16, 18, 21),
- „Stellen in irgendwie nennenswertem Umfang” (SozR Nr. 5 zu § 1247 RVO),
- „Arbeitsplätze in zumindest nennenswerter Zahl” (BSG 19, 147 und im Anschluß hieran BSG 21, 133 und SozR Nr. 2 zu § 47 RKG),
- „Arbeitsplätze in ausreichender Zahl” (SozR Nr. 50 zu § 1246 RVO),
- „Arbeitsplätze in zumindest nennenswerter, d. h. praktisch ins Gewicht fallender Zahl”, „nicht nur in völlig unbedeutendem Umfang” (BSG 24, 181 = SozR Nr. 54 zu § 1246 RVO),
- „Arbeitsplätze in nennenswerter, d. h. mehr als nur bedeutungsloser Zahl” (SozR Nr. 14 zu § 1247 RVO).
Trotz dieser Mannigfaltigkeit im Ausdruck ist im Grunde doch stets das gleiche gemeint; dies gilt auch für die Umschreibung „Arbeitsplätze in genügender Zahl” und „in ausreichender Zahl”. Als Grundsatz läßt sich in der Rechtsprechung des BSG das Erfordernis erkennen, die Zahl der Verweisungsplätze müsse so groß sein, daß dem in seiner Leistungsfähigkeit geminderten Versicherten der Arbeitsmarkt praktisch nicht verschlossen ist. Diese Umschreibung der rechtlich relevanten Zahl von Arbeitsplätzen, auf die ein leistungsgeminderter Versicherter verwiesen werden darf, billigt der Große Senat. Sie entspricht den Grundsätzen, die bereits das RVA in den oben angeführten Entscheidungen angewandt hat, wenn es sich auch noch nicht mit Fällen der Teilzeitarbeit zu beschäftigen brauchte. Das Kriterium des „praktisch verschlossenen Arbeitsmarktes” wird auch der Abgrenzung der von der Arbeitslosenversicherung einerseits und der Rentenversicherung andererseits zu tragenden Risiken gerecht. Wer nur deswegen nicht in der Lage ist, seine – volle oder geminderte – Arbeitsfähigkeit durch Ausübung einer Erwerbstätigkeit in Einkommen umzusetzen, weil er vorübergehend keinen freien Arbeitsplatz findet, ist nicht erwerbsunfähig und deshalb nicht von der Rentenversicherung zu betreuen. Erst wenn das Mißverhältnis zwischen den aus gesundheitlichen Gründen auf eine Teilzeitbeschäftigung angewiesenen Versicherten und den ihrer Leistungsfähigkeit entsprechenden Arbeitsplätzen so kraß ist, daß ein Bewerber trotz der Fluktuation auch des Teilzeitarbeitsmarktes – ein Teil der besetzten Arbeitsplätze wird laufend frei durch Tod, Alter, Eintritt völliger EU oder aus anderen Gründen – praktisch nicht damit rechnen kann, daß sich ihm eine Gelegenheit zur entgeltlichen Nutzung seiner Arbeitsfähigkeit bietet, ist er als erwerbsunfähig anzusehen; denn der Wegfall seiner Erwerbsfähigkeit beruht dann darauf, daß ihm aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr die ganze Breite des Arbeitsfeldes zur Verfügung steht, der ihm verbliebene Rest aber keine Erwerbschance bietet.
Der Begriff „des praktisch verschlossenen Arbeitsmarktes” macht zwar deutlicher, worauf es für die Abgrenzung der EU ankommt, als der in der bisherigen Rechtsprechung des BSG verwendete Begriff der „Arbeitsplätze in nennenswerter Zahl”; in dieser Verdeutlichung allein liegt jedoch noch kein ins Gewicht fallender Gewinn für die Rechtsanwendung. Der Große Senat hielt es deshalb für notwendig, den erarbeiteten maßgeblichen Begriff durch eine Verhältniszahl zu konkretisieren und damit praktikabel zu machen. In ähnlicher Weise hat das BSG schon mehrfach zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung unbestimmte Rechtsbegriffe zahlenmäßig ausgefüllt, z. B. entschieden, daß auf dem Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung eine rechtlich wesentliche Teilursache vorliegt, wenn sie den Tod des Beschäftigten um mindestens ein Jahr beschleunigt hat (SozR Nr. 10 zu § 542 RVO aF; BSG 12, 247, 253; 13, 175), daß der Unterhalt i. S. des § 1265 RVO mindestens 25 v.H. des Mindestbedarfs des Unterhaltsberechtigten ausmachen muß (BSG 22, 44, 48) sowie daß eine andere Leistung „erheblich niedriger” i. S. des § 8 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) ist, wenn sie um mehr als 25 v.H. hinter dem gesetzlichen Kindergeld zurückbleibt (BSG 27, 292).
Wie groß die Zahl der – freien oder besetzten – Teilzeitarbeitsplätze sein muß, damit einem Versicherten der Arbeitsmarkt nicht praktisch verschlossen ist, läßt sich nicht absolut angeben. Je nach der Größe des Verweisungsgebietes und der Anzahl der Interessenten für Teilzeitarbeitsplätze kann die gleiche absolute Zahl in dem einen Verweisungsgebiet einen noch offenen, in dem anderen aber einen schon verschlossenen Arbeitsmarkt kennzeichnen. Maßgebend ist vielmehr das Verhältnis zwischen der Zahl der im jeweiligen Verweisungsgebiet vorhandenen Teilzeitarbeitsplätze und der Zahl der Interessenten für Teilzeitbeschäftigungen. Auf diesen zuletzt genannten Personenkreis – und nicht etwa auf die Gesamtheit der Beschäftigten – kommt es an, weil nur Angehörige dieses Kreises dem in seiner Leistungsfähigkeit geminderten Versicherten in seinem Bemühen um ein Erwerbseinkommen im Wege stehen, während die Mehrheit der Beschäftigten, nämlich die gesunden und vollschichtig Tätigen, zu jenen Interessenten für Teilzeitbeschäftigungen in der Regel nicht in Konkurrenz tritt. Andererseits genügt es nicht, die Gesamtzahl der vorhandenen Teilzeitarbeitsplätze in Beziehung zu setzen zu der Gesamtzahl der Interessenten für Teilzeitbeschäftigungen. Es darf nur Vergleichbares miteinander verglichen werden, z. B. die Zahl der Teilzeitarbeitsplätze im Freien mit der Zahl derjenigen Teilzeitinteressenten, die zu einer Arbeit im Freien in der Lage sind; denn wer nur in geschlossenen Räumen arbeiten kann, scheidet als Konkurrent für einen Freiluftarbeiter naturgemäß aus.
Bei der Festlegung der Grenze zum praktisch verschlossenen Arbeitsmarkt haben alle Fälle auszuscheiden, in denen die Beschäftigungslosigkeit nur vorübergehend ist, es sich also um Arbeitslosigkeit handelt. Deshalb muß der gesuchte Grenzwert eine Verhältniszahl sein, die eindeutig außerhalb des Bereichs der Arbeitslosigkeit liegt. Wie dem insoweit auf Statistiken der BA aufbauenden Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Erster Band, 1956, S. 305 ff, zu entnehmen ist, wird in den modernen marktwirtschaftlich orientierten Volkswirtschaften mit einer – sichtbaren – Arbeitslosenquote bis zu 5 v.H. im Jahresdurchschnitt gerechnet (Verhältnis der Arbeitslosen zu den Arbeitnehmern einschließlich der Arbeitslosen). Bis zu diesem Vomhundertsatz erscheint die Arbeitslosigkeit noch „erträglich”, d. h. „ökonomisch als ein noch nicht allzu großer Verlust und sozial durch Unterstützung usw. zu meistern” (aaO S. 309 li.Sp.). Die Schwelle von 5 v.H. wurde jedoch in den ersten Jahren nach dem zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik Deutschland weit überschritten; sie betrug im Höhepunkt der Arbeitslosigkeit – Februar 1950 – 13 v.H.
Abgesehen von diesen Erkenntnissen aus dem Bereich der Arbeitslosigkeit hat der Große Senat in Betracht gezogen, daß Teilzeitarbeitsplätze erfahrungsgemäß einem häufigeren Wechsel unterliegen als vollschichtige Beschäftigungen. Andererseits begegnet ein in seiner Leistungsfähigkeit geminderter Versicherter in seinem Bemühen um ein Erwerbseinkommen insofern nicht unerheblichen Schwierigkeiten, als viele Arbeitgeber eher geneigt sein werden, einen gesunden Ruhegeldempfänger stundenweise zu beschäftigen als eine kranke Teilzeitarbeitskraft, auf die in der Ausgestaltung des Arbeitsplatzes und im Ablauf der Beschäftigung in mancherlei Hinsicht Rücksicht genommen werden muß.
Auf Grund der vorstehenden Überlegungen ist der Große Senat zu dem Ergebnis gelangt, daß einem Versicherten der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen ist, wenn das Verhältnis der im Verweisungsgebiet vorhandenen, für den Versicherten in Betracht kommenden Teilzeitarbeitsplätze zur Zahl der Interessenten für solche Beschäftigungen ungünstiger ist als 75: 100, d. h. wenn 75 – besetzten oder freien – Teilzeitarbeitsplätzen mehr als 100 Interessenten gegenüberstehen, wobei den Interessenten auch die Inhaber besetzter Arbeitsplätze zuzurechnen sind. Diese Verhältniszahl entspricht in der in den Statistiken für Arbeitslosigkeit üblichen Ausdrucksweise einem Vomhundertsatz von 25 (Verhältnis der Zahl der Teilzeitarbeitsuchenden ohne Arbeitsplatz zur Zahl aller – der beschäftigten und nicht beschäftigten – Teilzeitarbeitsinteressenten), liegt also außerhalb des durch die Erfahrung und eine moderne Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik abgegrenzten Bereichs der Arbeitslosigkeit.
Soweit es nur um die Erwerbsunfähigkeit i. S. des § 1247 RVO geht, ist die Feststellung, in welchem Ausmaß es geeignete Teilzeitarbeitsplätze für einen in seiner Leistungsfähigkeit geminderten Versicherten gibt, entbehrlich, wenn der Versicherte einen solchen Arbeitsplatz tatsächlich und nicht nur vorübergehend innehat und durch die von ihm ausgeübte Erwerbstätigkeit mehr als nur geringfügige Einkünfte erzielt. In einem solchen Falle liegt es auf der Hand, daß dem Versicherten der Arbeitsmarkt nicht praktisch verschlossen war; er ist deshalb, solange ihn nicht gesundheitliche Gründe an der Ausübung der Erwerbstätigkeit hindern, nicht erwerbsunfähig (so bereits BSG 19, 147, 149).
Gleiches gilt nach der Auffassung des Großen Senats, wenn ein Versicherter es ohne triftigen Grund ablehnt, einen ihm angebotenen oder sonstwie zufällig bekannt gewordenen Arbeitsplatz einzunehmen, der seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit entspricht. Ein solcher Versicherter ist also selbst dann nicht erwerbsunfähig, wenn das zahlenmäßige Verhältnis der für ihn in Betracht kommenden Teilzeitarbeitsplätze zur Zahl der Interessenten ungünstiger ist als 75: 100. Dieses Ergebnis ist aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben … herzuleiten, insbesondere aus dem Rechtsgedanken des § 162 Abs. 1 BGB, wonach eine Bedingung, deren Eintritt von der Partei, zu deren Nachteil er gereichen würde, wider Treu und Glauben verhindert wird, als eingetreten gilt.
Die im Vorstehenden aufgestellte Regel, daß der Inhaber eines geeigneten Arbeitsplatzes als nicht praktisch vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen gilt, ist ausnahmsweise nicht anzuwenden, wenn ein Versicherter einen Arbeitsplatz nur „vergönnungsweise” – aus verwandtschaftlichen oder sonstigen Rücksichten – innehat, ihn aber in Wirklichkeit nicht ausfüllt. In einem solchen Falle ist nicht ausreichend dargetan, daß dem Versicherten der Arbeitsmarkt offenstehe; hier bleibt vielmehr zu prüfen, in welchem Ausmaß es Teilzeitarbeitsplätze für den Versicherten gibt.
Für die Ermittlung der vorhandenen Teilzeitarbeitsplätze bedarf noch die versicherungsrechtliche Bedeutung von Konjunkturschwankungen der Erörterung. Zuweilen wird geltend gemacht, es sei wegen solcher Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt praktisch nicht möglich, die Zahl der Teilzeitarbeitsplätze für eine gewisse Dauer verläßlich zu ermitteln; es müßten deshalb, wenn ein Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren längere Zeit andauere, immer wieder neue Erhebungen angestellt werden. Mit dieser Frage hat sich der 12. Senat des BSG bereits in seinem Urteil vom 28. Mai 1963 (BSG 19, 147, 149) auseinandergesetzt und hierzu ausgeführt, es sei „von normalen Verhältnissen auszugehen, nicht aber z. B. von einem vorübergehenden Zustand extremen Mangels an Arbeitskräften, der zur Einrichtung von Arbeitsplätzen mit Teilarbeit unter der Grenze der Halbtagsarbeit führe”. Diese Betrachtungsweise hält der Große Senat, wenn der angesprochene Zustand wirklich nur vorübergehend ist, im wesentlichen für richtig. Da es um die Beurteilung geht, ob ein in seiner Leistungsfähigkeit geminderter Versicherter praktisch dauernd vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist, dürfen nur solche Verhältnisse des Versicherten und des Arbeitsmarktes berücksichtigt werden, die aller Voraussicht nach von einer gewissen Dauer sind; konjunktur- und saisonbedingte Besonderheiten müssen außer Betracht bleiben. Dies gilt nicht nur für die Entscheidung über den Antrag auf Rente, sondern auch für die Prüfung, ob die wegen BU bewilligte Rente zu entziehen oder in eine Rente wegen BU umzuwandeln ist (§ 1286 Abs. 1 RVO). Als eine „Änderung in seinen (des Rentenempfängers) Verhältnissen”, die beim Vorliegen weiterer Voraussetzungen die genannten Rechtsfolgen nach sich zieht, ist auch eine Änderung im Bestand der Arbeitsplätze anzusehen. Ein Rentenempfänger kann bei gleichbleibendem Gesundheitszustand beispielsweise durch die Einrichtung neuer Teilzeitarbeitsplätze in die Lage versetzt werden, den bis dahin nicht einkommenbringend verwertbaren Rest seiner Leistungsfähigkeit in ein mehr als geringfügiges Erwerbseinkommen umzusetzen. Dann ist er nicht mehr erwerbsunfähig. Auch bei der Anwendung des § 1286 RVO ist nur diejenige Arbeitsmarktlage maßgebend, die eine gewisse Dauerhaftigkeit verspricht; konjunkturelle oder saisonale Schwankungen rechtfertigen nicht die Annahme einer „Änderung der Verhältnisse”.
Nach dem gegenwärtigen Stand der von der BA angestellten Ermittlungen über das Vorhandensein von unterhalbschichtigen Teilzeitarbeitsplätzen deutet vieles darauf hin, daß die Zahl jedenfalls für Männer verhältnismäßig gering sein wird. Sie wird möglicherweise so gering sein, daß sie für alle Versicherten, die nicht mehr halbschichtig arbeiten können, in der Regel den praktischen Ausschluß vom Arbeitsmarkt und damit EU bedeutet. Dies wird vor allem dann der Fall sein, wenn Versicherte nicht nur der angenommenen zeitlichen Einschränkungen unterliegen, sondern obendrein noch in der Art des Einsatzes besonderer Schonung oder in der Ausgestaltung des Arbeitsplatzes einer bevorzugten Behandlung bedürfen.
Für die zahlenmäßige Ermittlung der Interessenten für Teilzeitarbeit kommt in erster Linie die Arbeitsverwaltung als Auskunftsquelle in Frage. Abgesehen von den bei ihr eingehenden Stellensuchen stehen ihr die Repräsentativerhebungen des Statistischen Bundesamtes zur Auswertung zur Verfügung (Schreiben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung vom 22. August 1969 S. 2 bis 5). Da es sich bei den in ihrer Leistungsfähigkeit geminderten Teilzeitarbeitsuchenden in der Hauptsache um Bezieher von Rente wegen EU und von Altersruhegeld sowie um Rentenantragsteller handelt (vgl. o.a. Schreiben vom 22. August 1969 S. 3, Ziff. 4 Buchst. a), dürften auch die Rentenversicherungsträger über deren Zahl weitgehend unterrichtet sein. Wieviel Altersruhegeldempfänger sich hierunter befinden, wird allerdings besonders ermittelt werden müssen, weil sie versicherungsfrei und deshalb bei den Versicherungsträgern nicht ohne weiteres – allenfalls im Zusammenhang mit der Entrichtung von Beitragsanteilen des Arbeitgebers (§ 1386 RVO) – als Teilzeitbeschäftigte oder Interessenten erfaßt sind. Die Ermittlungen werden jedoch nicht umfassend sein müssen, sich vielmehr auf Repräsentativerhebungen beschränken können.
III
Für die Beurteilung, auf welches räumliche Arbeitsfeld ein Versicherter verwiesen werden kann, ist von Bedeutung, daß in keiner Gesetzesformulierung der Vergangenheit und der Gegenwart, in der die Rentengewährung von dem Wegfall oder der Minderung der Fähigkeit abhängig gemacht wird, durch Ausübung von Tätigkeiten ein Entgelt zu erwerben, das Arbeitsfeld in räumlicher Hinsicht irgendwie eingeschränkt ist. Deshalb kommt es grundsätzlich nicht darauf an, wo sich die Arbeitsplätze für Verweisungstätigkeiten befinden. Während das RVA in seiner Rechtsprechung eine Verweisung über den örtlichen Bereich hinaus grundsätzlich gebilligt hat, war es zunächst zurückhaltend gegenüber einer Verweisung über ein Wirtschaftsgebiet hinaus, Diese Rechtsprechung beruhte darauf, daß in einigen Gesetzesformulierungen darauf abgestellt war, was eine Vergleichsperson „in derselben Gegend” verdienen konnte. Diese Ausdrucksweise ist jedoch zu Unrecht mit der räumlichen Verweisungsmöglichkeit in Zusammenhang gebracht worden; sie war nur für die Frage nach dem möglichen Verdienst von Bedeutung. Während das RVA in seinen Revisionsentscheidungen Nr. 1108 (AN 1904, 353) und Nr. 1243 (AN 1906, 277) noch die Auffassung vertreten hat, daß der Versicherte auf Arbeitsgelegenheiten „derselben Gegend” im Sinne eines räumlichen Gebiets, innerhalb dessen für gleichartige Arbeiten gleiche Lohnbedingungen herrschten, verwiesen werden könne, ist es in seiner Revisionsentscheidung Nr. 1421 (AN 1909, 502) wesentlich weiter gegangen. Es hat ausgesprochen, daß die Unmöglichkeit für einen Versicherten, an seinem bisherigen Wohnort oder dessen näherer Umgebung Arbeit zu finden, für seine Erwerbsfähigkeit ohne Einfluß sei; vielmehr sei dem Versicherten zuzumuten, durch Pendeln einen Arbeitsplatz zu erreichen oder an einen anderen Ort umzuziehen. Das RVA hat also in dieser Entscheidung den Versicherten grundsätzlich auf das Arbeitsfeld des gesamten Staatsgebietes verwiesen. Das BSG hat an dieser Auffassung festgehalten, indem es das tägliche Pendeln oder einen Umzug grundsätzlich als zumutbar angesehen hat (SozR Nr. 21 zu § 1246 RVO). Bei der Mobilität der modernen Industriegesellschaft, der immer stärkeren Anpassung der Lebensverhältnisse innerhalb des gesamten Staatsgebietes, vor allem aber den außerordentlich verbesserten Verkehrsverhältnissen trägt der Große Senat keine Bedenken, dieser Rechtsprechung zu folgen. Ein Versicherter muß sich somit grundsätzlich auch auf solche Tätigkeiten verweisen lassen, die er nur in Wege des täglichen Pendelns, des Wochenendpendelns oder erst nach einem Umzug an jedweden anderen Ort in der Bundesrepublik Deutschland ausüben kann.
Allerdings gibt es Ausnahmesachverhalte, bei deren Vorliegen insbesondere aus sozialen Gründen das Wochenendpendeln oder der Umzug auszuschließen sind. Bei den Teilzeitbeschäftigungen kommt zu den ohnehin bestehenden allgemeinen Erschwernissen und besonderen Kosten des Pendelns und des Umzugs hinzu, daß der Versicherte mit einer solchen Tätigkeit nur ein Teilarbeitsentgelt erwerben kann. Der 12. Senat des BSG hat deshalb in seinem Urteil vom 28. Mai 1963 (BSG 19, 147) einem Versicherten, der nur noch drei Stunden täglich arbeiten kann, weder das Wochenendpendeln mit der durch die doppelte Haushaltführung erhöhten Unkosten noch den mit besonderen Erschwernissen und Unkosten verbundenen Umzug zugemutet, weil diese Erschwernisse und Unkosten in keinem erträglichen Verhältnis zu der geringen Verdienstmöglichkeit stehen. In solchen Fällen hat das BSG lediglich eine Verweisung auf Tätigkeiten für zulässig erklärt, die im Wege des täglichen Pendelns ausgeübt werden können. Diese Rechtsprechung billigt der Große Senat. Kann ein Versicherter indessen noch halbschichtig bis weniger als vollschichtig arbeiten, so liegt in der Regel kein von dem Grundsatz der Verweisbarkeit auf das gesamte Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, abweichender Ausnahmefall vor; denn die halbschichtige bis unter vollschichtige Erwerbstätigkeit führt zu einem, wenn auch nicht vollen, so doch zu einem verhältnismäßig erheblichen Entgelt. Immerhin sind im Bereich der halbschichtigen bis untervollschichtigen Tätigkeiten in einem größeren Ausmaß als bei vollschichtigen Tätigkeiten Ausnahmen, insbesondere aus sozialen Gründen, denkbar. Darüber hinaus wird man bei diesen Teilzeitbeschäftigungen in Erwägung ziehen müssen, dem Versicherten aus Rehabilitationsmitteln der Rentenversicherungsträger die Kosten für das Suchen eines Arbeitsplatzes an einem anderen Ort und die Kosten des Umzugs zu ersetzen. Nachrangig können auch Förderungsmaßnahmen der BA nach §§ 53 ff und 56 ff des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) in Betracht kommen.
IV
Die Frage, ob es zulässig ist, die Ermittlungen über das Vorhandensein von Arbeitsgelegenheiten auf Anfragen an die Arbeitsverwaltung zu beschränken, konnte der Große Senat nicht mit einem schlichten Ja oder Nein beantworten. Geht es um den Rentenanspruch eines Versicherten, der halbschichtig bis unter vollschichtig arbeiten kann und somit in der Regel auf das Arbeitsfeld der gesamten Bundesrepublik Deutschland verweisbar ist, so bieten sich vorweg die für das gesamte Bundesgebiet vorliegenden statistischen Unterlagen als Erkenntnisquellen für das Vorhandensein von Teilzeitarbeitsplätzen an. Nach den bisherigen Erfahrungen eignen sich hierfür wegen der Lückenhaftigkeit der übrigen statistischen Unterlagen mit gewissen Vorbehalten die auf Grund eines Mikrozensus hochgerechneten Zahlen. Sind sie unergiebig, so empfiehlt sich eine Anfrage bei der BA als der für das Arbeitsfeld des gesamten Bundesgebietes zuständigen Stelle. Auskunftsersuchen an das örtlich zuständige Arbeitsamt kommen in Betracht, wenn ein Versicherter nur auf das Arbeitsfeld seines Wohnortes oder dessen näherer, täglich zu erreichender Umgebung verweisbar ist. Dies bedeutet jedoch nicht, daß sich die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit mit diesen Auskünften stets zufriedengeben müssen oder auch nur dürfen. Sie haben den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, wobei das Ausmaß der Aufklärung und die Wahl der Beweismittel in ihr pflichtgemäßes Ermessen gestellt sind und weitgehend vom Einzelfall abhängen. Hiernach ist es nicht allgemein zulässig, kann aber im Einzelfall ausreichen, die Ermittlungen über das Vorhandensein von Teilzeitarbeitsplätzen auf Anfragen an die Arbeitsverwaltung zu beschränken. Wenn z. B. die Arbeitsverwaltung positive Angaben über Teilzeitarbeitsplätze macht und das Gericht Veranlassung hat, diese Angaben als fundiert und erschöpfend anzusehen, so wird die eingeholte Auskunft genügen. Fällt diese dagegen negativ oder lückenhaft aus und besteht ein hinreichender Anhalt dafür, daß andere Behörden, Organisationen oder sonstige Stellen zuverlässigere Auskünfte erteilen können, so muß von dem Gericht verlangt werden, daß es die in Betracht kommenden Erkenntnisquellen ausschöpft.
V
Aus den bisher vorliegenden Zahlen über Teilzeitarbeitskräfte und Teilzeitarbeitsplätze ergeben sich bei der Beurteilung der EU nach § 1247 Abs. 2 RVO für die Gerichte bestimmte Anhaltspunkte, von denen sie ausgehen können, falls nicht im Einzelfall Besonderheiten zu beachten sind.
Im Beschluß vom heutigen Tage in Sachen Maaß ./. LVA Berlin – GS 4/69 – hat der Große Senat unter C V Anhaltspunkte für die Beurteilung der BU nach § 1246 Abs. 2 RVO gegeben. Danach sind diejenigen Versicherten, die aus gesundheitlichen Gründen täglich nur noch weniger als halbschichtig arbeiten können, grundsätzlich berufsunfähig (C V 1). Dagegen sind diejenigen Versicherten, die noch halbschichtig bis unter vollschichtig arbeiten können, in der Regel nicht berufsunfähig (C V 2 a), wobei allerdings für diejenigen dieser Versicherten, die außer den zeitlichen auch noch sonstigen erheblichen Einsatzbeschränkungen unterliegen, etwas anderes gilt. Das sind einmal diejenigen Versicherten, die aus gesundheitlichen Gründen qualitäts- oder quantitätsmäßig keine der Teilzeittätigkeit entsprechenden Normalleistungen erbringen können und zum anderen diejenigen, die nur noch unter Bedingungen arbeiten können, die von den betriebsüblichen Arbeitsbedingungen erheblich abweichen (C V 2 b, aa). Außerdem sind es diejenigen dieser Versicherten, die aus gesundheitlichen Gründen nicht auf den uneingeschränkten allgemeinen Arbeitsmarkt, sondern nur auf einen stark eingeschränkten Teil desselben verwiesen werden können (C V 2 b, bb). Darüber hinaus ist in dem o.a. Beschluß dem Gesetzgeber anheimgegeben worden, zu prüfen, ob das vorzeitige Altersruhegeld arbeitslosen Teilzeitarbeitskräften schon zu einem früheren Zeitpunkt als bisher gesetzlich vorgesehen, gewährt werden sollte. Diese Grundsätze gelten auch bei der Prüfung der EU.
Bei dieser Prüfung ergibt sich daher folgendes:
1) Bei denjenigen Versicherten, die aus gesundheitlichen Gründen noch halbschichtig bis unter vollschichtig täglich arbeiten können, ist der Versicherte, falls er nach den maßgebenden Anhaltspunkten zu C V 2 des o.a. Beschlusses nicht berufsunfähig ist, auch nicht erwerbsunfähig. Ist der Versicherte dagegen nach diesen Anhaltspunkten berufsunfähig, so wird er nach den insoweit auch hier maßgebenden Anhaltspunkten zu C V 2 des o.a. Beschlusses in der Regel auch erwerbsunfähig sein. Da auch derjenige Versicherte, dessen bisherige Tätigkeit ein Lehrberuf oder gleichgestellter Beruf ist (vgl. C V 3 des oben angeführten Beschlusses), bei Anwendung des § 1247 Abs. 2 RVO – anders als bei Anwendung des § 1246 Abs. 2 RVO – grundsätzlich auf das allgemeine Arbeitsfeld verwiesen werden kann, sind auch hier die in C V 2 des oben angeführten Beschlusses gegebenen Anhaltspunkte maßgebend.
2) Diejenigen Versicherten, die aus gesundheitlichen Gründen nur noch zweistündig bis unter halbschichtig täglich arbeiten können, sind nach den in C V 1 des oben angeführten Beschlusses angezeigten Anhaltspunkten berufsunfähig. Es fragt sich nun, ob sie darüber hinaus erwerbsunfähig sind.
Diese Teilzeitarbeitskräfte unterscheiden sich von denjenigen, die noch halbschichtig bis unter vollschichtig arbeiten können, dadurch, daß ihnen praktisch Teilzeitarbeitsplätze nur in Klein- und Kleinstbetrieben sowie in Haushalten zur Verfügung stehen. Denn andere Betriebe pflegen in der Regel keine Arbeitskräfte einzustellen, die nur noch weniger als halbschichtig arbeiten können, weil durch sie der normale Betriebsablauf besonders stark gestört wird und noch weitere zusätzliche Betriebs- und Verwaltungskosten entstehen. Dies führt dazu, daß es für Teilzeitarbeitskräfte, die nur noch weniger als halbschichtig arbeiten können, in ganz besonders starkem Maße mehr oder weniger vom Zufall abhängt, ob sie einen solchen Arbeitsplatz finden, da das Arbeitsamt und der Versicherte wegen der großen Zahl der Klein- und Kleinstbetriebe und der Haushalte keinen ausreichenden Überblick über die entsprechenden Teilzeitarbeitskräfte und Teilzeitarbeitsplätze haben können. Wenn auch die Tatsache, daß es Teilzeitarbeit gibt, dem Gesetzgeber des § 1247 RVO nicht unbekannt gewesen sein dürfte, so kann man doch annehmen, daß er die besonders starke Problematik der weniger als halbschichtigen Teilzeitarbeiten nicht erkannt hat, zumal es nach bisherigem Recht auf diese Art von Teilzeitarbeit nicht ankam; denn nach bisherigem Recht war ein Versicherter, der nur noch weniger als halbschichtig arbeiten konnte, ohne weiteres invalide bzw. berufsunfähig. Wenn der Gesetzgeber die besonderen Schwierigkeiten gekannt hätte, die einer Erfassung dieser Teilzeitarbeitsplätze entgegenstehen, würde er wohl für diese Teilzeitarbeitskräfte in § 1247 Abs. 2 RVO eine ähnliche Regelung getroffen haben, wie er sie für Arbeitskräfte getroffen hat, die eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben können. Da er in § 1247 Abs. 2 RVO diese letzte Gruppe von Versicherten ohne weiteres als erwerbsunfähig behandelt, kann man annehmen, daß er dies auch bei der Gruppe derjenigen getan haben würde, die nur unter halbschichtige Teilzeitarbeit verrichten können. Die Versicherten, die nicht mehr regelmäßig arbeiten können, haben nicht etwa wegen ihres geringen Einkommens eine besondere Vergünstigung in § 1247 Abs. 2 RVO erfahren; denn die Geringfügigkeit des Einkommens ist ohnedies als besonderer Grund für die Annahme der EU normiert. Vielmehr kann der Grund für die besondere Vergünstigung nur der gewesen sein, daß dieser Personenkreis nicht leicht einen entsprechenden Arbeitsplatz findet oder eine entsprechende Arbeitsstelle jeweils nicht leicht wieder findet und daher der Lebensunterhalt eines solchen Versicherten nicht als genügend gesichert angesehen werden kann. Ähnlich liegen aber auch die Verhältnisse bei denjenigen Versicherten, die nur noch weniger als halbschichtig Teilzeitarbeiten verrichten können, weil auch bei ihnen die Möglichkeit, einen Arbeitsplatz zu finden, besonders erschwert ist. Auch diese Tätigkeiten bieten keine sichere Grundlage für den Lebensunterhalt des Versicherten, es sei denn, daß das Arbeitsamt oder der Versicherungsträger dem Versicherten einen solchen Arbeitsplatz angeboten hat, gleichgültig, ob er von diesem Angebot Gebrauch gemacht hat, oder daß er anderweitig einen solchen Arbeitsplatz – nicht nur vergönnungsweise – erhalten hat.
Allerdings werden die Gerichte, wenn sich besondere Anhaltspunkte ergeben, zu prüfen haben, ob nicht für einige Tätigkeiten oder Gruppen von Tätigkeiten eindeutig etwas von dieser Regel Abweichendes gilt. Es gibt Gruppen von Tätigkeiten, bei denen dies zutrifft. Besonders gilt dies für weibliche Teilzeitarbeitskräfte, die gesundheitlich noch in der Lage und beruflich fähig sind, alle Dienstleistungstätigkeiten oder zumindest einzelne Gruppen derselben zu verrichten (Organisations-, Verwaltungs- und Büroberufe, Handelsberufe, Reinigungsberufe und hauswirtschaftliche Berufe). Bei diesen Versicherten kann – entgegen der obigen Regel – nicht angenommen werden, daß innen der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen ist, weil die Zahl der offenen Stellen die Zahl der diese Stellen suchenden Frauen übersteigt. Bei der Verweisung auf das örtliche Arbeitsfeld können darüber hinaus örtliche Besonderheiten zu einer anderen Beurteilung führen.
3) Nach § 1247 Abs. 2 RVO sind diejenigen Versicherten, die nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen können, erwerbsunfähig. Nach der Entscheidung des 12. Senats des BSG vom 28. Mai 1963 (ESG 19, 147) sind Einkünfte in diesem Sinne als geringfügig anzusehen, wenn sie niedriger sind als ein Fünftel des durchschnittlichen Bruttotariflohns eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten. An dieser Rechtsprechung wird festgehalten. Praktisch bedeutet dies, daß Versicherte, die nur noch weniger als zwei Stunden täglich arbeiten können, stets, also auch ohne Rücksicht darauf, ob sie einen entsprechenden Arbeitsplatz innehaben, erwerbsunfähig sind.
Unterschriften
Dr. Wannagat, Dr. Langkeit, Dr. Dapprich, Dr. Haug, Dr. Brocke, Schindler, Schröder, Schmitt
Fundstellen