Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Vorbringen nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist
Orientierungssatz
Dem Beschwerdeführer ist es zwar gestattet, das bisher Vorgetragene auch nach Ablauf der Beschwerdefrist noch zu verdeutlichen bzw zu erläutern, die Vorlegung neuer, bisher nicht aufgeworfener Rechtsfragen ist jedoch nach Fristablauf unzulässig.
Normenkette
SGG § 160a Abs. 2
Verfahrensgang
SG Aachen (Entscheidung vom 02.10.1998; Aktenzeichen S 8 (10) EG 2/98) |
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 26.07.2000; Aktenzeichen L 13 EG 71/98) |
Tatbestand
Die Klägerin ist mazedonische Staatsangehörige und mit einem deutschen Arbeitnehmer verheiratet; sie lebt mit ihrer Familie in E. bei M. Ihre Aufenthaltserlaubnis vom 25. August 1992 lief am 15. Juli 1997 ab. Die daraufhin am 30. Juli 1997 beantragte Aufenthaltsberechtigung im Sinne des Ausländergesetzes wurde ihr erst am 6. Januar 1998 erteilt.
Inzwischen hatte die Klägerin am 28. Juli 1997 Erziehungsgeld für die ersten sechs Lebensmonate ihres am 20. Mai 1997 geborenen Sohnes M. beantragt. Mit Bescheid vom 10. Oktober 1997 gewährte ihr der Beklagte die beantragte Leistung für die vier Tage vom 16. Juli 1997 bis 19. Juli 1997. Davor seien auf die Leistungen höhere andere Bezüge anzurechnen gewesen; mit Ablauf des (zweiten) Lebensmonats des Kindes, in dem die Aufenthaltserlaubnis der Klägerin geendet habe, sei der Anspruch ab 20. Juli 1997 weggefallen. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 2. Januar 1998).
Während des Klageverfahrens beantragte die Klägerin am 25. März 1998 Erziehungsgeld für M. zweites Lebensjahr. Mit Urteil vom 2. Oktober 1998 verurteilte das Sozialgericht (SG) den Beklagten zur Zahlung von weiterem Erziehungsgeld für das erste Lebensjahr des Kindes. Der Antrag vom 25. März 1998 habe auch den Antrag auf Leistungen für die zweite Hälfte des ersten Lebensjahres umfaßt. Der Anspruch der Klägerin dürfe für die Zeit vor dem 6. Januar 1998 auch nicht daran scheitern, daß sie damals weder eine Aufenthaltsberechtigung noch eine Aufenthaltserlaubnis besessen habe, wie sie in § 1 Abs 1a Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) gefordert würden. Als Familienangehörige eines Arbeitnehmers, für den deutsche Sozialrechtsvorschriften gelten, falle sie unter die EWG-Verordnung 1408/71. Sie dürfe daher gegenüber deutschen Staatsangehörigen nicht benachteiligt werden. Zwar fehle es an einem grenzüberschreitenden Tatbestand innerhalb der Europäischen Union. Laut Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 10. Oktober 1996 (SozR 3-6050 Art 4 Nr 8) würde aber die Ehefrau eines deutschen Arbeitnehmers, der mit seiner Familie in einem anderen EG-Staat lebe, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit Anspruch auf Erziehungsgeld haben. Die Tatsache, daß die Klägerin statt dessen in Deutschland lebe, dürfe ihr nicht zum Nachteil gereichen; eine andere Auffassung führe im Bereich des Erziehungsgeldrechts zu einem "inneren Normwiderspruch", weil der Inlandswohnsitz "über § 1 Abs 1a BErzGG und die Auswirkungen der Entscheidung des EuGH vom 10. Oktober 1996 (aaO)" zu einem Anspruchshindernis würde. Außerdem dürfte ein solches Ergebnis gegen Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) verstoßen.
Während des Verfahrens über die gegen dieses Urteil von dem Beklagten eingelegte Berufung beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 22. Juni 1998 am 24. Juni 1998 beim Beklagten Erziehungsgeld auch für M. siebten bis zwölften Lebensmonat. Mit Urteil vom 26. Juli 2000 hob das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG insoweit auf, als darin Leistungen für Zeiten vor dem 6. Januar 1998 zugesprochen worden waren. Für den Zeitraum vom 20. November 1997 bis 23. Dezember 1997 fehle ein Antrag; der Antrag vom 25. März 1998 habe sich nicht auf das erste Lebensjahr bezogen und der am 24. Juni 1998 gestellte Antrag nur sechs Monate zurückgewirkt. Für die übrigen Zeiten - 20. Juli 1997 bis 19. November 1997 (Ende des ersten Lebenshalbjahres) und 24. Dezember 1997 bis 5. Januar 1998 - fehle es an einem hinreichenden Aufenthaltstitel (Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis) iS des § 1 Abs 1a BErzGG aF.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin rechtzeitig Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Zur Begründung bezieht sie sich im wesentlichen auf das Urteil des SG. Zusätzlich macht sie geltend, sie werde im Vergleich mit der Ehefrau eines in Deutschland lebenden Franzosen ungleich behandelt. Im übrigen habe sich ihr Antrag vom 25. März 1998 auf die zwei ersten Lebensjahre und damit auch auf das gesamte erste Lebensjahr des Kindes M. bezogen. Auch dieser Gesichtspunkt sei grundsätzlich bedeutsam. Außerdem sei es unangemessen und nicht sachgerecht, daß das LSG eine Bescheinigung nach § 69 Abs 3 Ausländergesetz (AuslG) nicht für die Gewährung von Erziehungsgeld ausreichen lasse. Mit Schriftsatz vom 21. Mai 2001 - eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) als Telefax am selben Tage - trug die Klägerin noch vor, die Revision sei deswegen zuzulassen, weil der Beantwortung der Frage, ob die EWG-Verordnung 1408/71 auch auf solche Personen Anwendung finde, welche wie sie im Inland ihren Wohnsitz hätten, grundsätzliche Bedeutung zukomme.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unzulässig. Sie genügt nicht den formellen Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Nach dieser Bestimmung müssen die in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgezählten Zulassungsgründe dargelegt bzw bezeichnet werden. Die Klägerin beruft sich ausschließlich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die bisher höchstrichterlich nicht geklärt ist, und aufgrund der Ausführungen des Beschwerdeführers zu erwarten ist, daß die Entscheidung geeignet ist, in zukünftigen Rechtsverfahren die Rechtseinheit zu erhalten, zu sichern oder die Fortbildung des Rechts zu fördern (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, RdNr 106 mwN). Zur Darlegung dieses Revisionsgrundes ist es zunächst erforderlich, daß der Beschwerdeführer eine oder mehrere konkrete Rechtsfragen klar bezeichnet, über die im Revisionsverfahren zu entscheiden sein wird. Darüber hinaus ist es erforderlich, die Klärungsbedürftigkeit (vgl Kummer, aaO, RdNr 116 f mwN) und die Klärungsfähigkeit (Kummer, aaO, RdNr 128 f) dieser Rechtsfrage(n) im einzelnen darzulegen. Hat das Revisionsgericht über eine vorgelegte Rechtsfrage bereits entschieden, so ist in der Regel insoweit keine Klärungsbedürftigkeit mehr vorhanden. Ausnahmefälle in dieser Hinsicht (vgl Kummer, aaO, RdNr 119 f) sind entsprechend darzulegen. Diesen formellen Erfordernissen genügt die von der Klägerin mit Schriftsatz vom 17. November 2000 am selben Tage übermittelte Begründung des Rechtsmittels nicht.
Was den Anspruch auf Erziehungsgeld für den Zeitraum vom 20. November 1997 bis 23. Dezember 1997 angeht, so hat das LSG die Klage insoweit bereits deswegen abgewiesen, weil es insofern an einem Antrag fehle. Die Klägerin behauptet zwar, der Frage, ob mit ihrem Antrag vom 25. März 1998 zugleich Erziehungsgeld für die zweite Hälfte des ersten Lebensjahres beantragt sei, komme grundsätzliche Bedeutung zu. Sie legt jedoch hierzu nichts Näheres dar, insbesondere formuliert sie keine abstrakte Rechtsfrage. Es bleibt die Möglichkeit bestehen, daß das LSG ihren Antrag vom 25. März 1998 lediglich anders als das SG ausgelegt und somit eine reine Einzelfallentscheidung getroffen hat, der die allgemeine Bedeutung für die Fortentwicklung des Rechts fehlt.
Was die übrigen Zeiträume betrifft, so unterläßt es die Klägerin ebenfalls, eine abstrakte Rechtsfrage zu formulieren. Sie bezeichnet das landessozialgerichtliche Urteil lediglich als fehlerhaft.
Insbesondere soweit sie eine "europarechtliche Verknüpfung" der Rechtssache und einen "vom SG A. zutreffend skizzierten Norm- und Wertungswiderspruch" geltend macht, unterläßt sie die Herausarbeitung einer Rechtsfrage. Sie legt nicht einmal dar, ob der "Norm- und Wertungswiderspruch" innerhalb des deutschen Rechts oder vielmehr zwischen den deutschen und den europäischen Rechtsvorschriften bestehe und inwiefern im zweiten Fall trotz des grundsätzlichen Vorrangs europarechtlicher Vorschriften ein Klärungsbedarf vorliege. Ob insoweit die Verweisung auf das Urteil des SG zulässig wäre (vgl Kummer, aaO, RdNr 102 f), kann hier offenbleiben, weil - auch dies unterstellt - die entsprechenden Ausführungen des SG im Urteil vom 2. Oktober 1998 nicht so klar und eindeutig sind, daß sich bei Bezugnahme darauf ein eigenes Vorbringen der Beschwerdeführerin erübrigte.
Soweit die Klägerin geltend macht, daß richtigerweise die Gewährung einer deutschen Sozialleistung nicht "davon" (gemeint ist offenbar vom Auslandsaufenthalt des Berechtigten) abhängig gemacht werden dürfe und eine solche Benachteiligung sachwidrig sei und gegen Art 3 Abs 1 GG verstoße, ließe sich der Beschwerdebegründung insoweit allenfalls die Rechtsfrage entnehmen, ob und inwieweit dieser Rechtssatz zutreffe. Insoweit unterläßt jedoch die Klägerin jedenfalls die Darlegung der Klärungsfähigkeit, weil sie nicht darlegt, inwieweit das deutsche Erziehungsgeldrecht (insbesondere § 1 Abs 1a BErzGG in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung - vgl heute § 1 Abs 6 Satz 2 BErzGG) einen Auslandsaufenthalt voraussetzt und einen Inlandsaufenthalt als Anspruchshindernis ausgestaltet hat. Entbehrlich sind solche Darlegungen deshalb nicht, weil sie sich aus dem Gesetzestext des § 1 Abs 1a BErzGG keineswegs von selbst ergeben. Nach der genannten Bestimmung wird nämlich als Anspruchsvoraussetzung für im Inland lebende Ausländer nicht etwa ein Auslandsaufenthalt, sondern lediglich der Besitz eines bestimmten inländischen Aufenthaltstitels (Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis) im Sinne des AuslG verlangt. Damit wird aber nicht der Inlandsaufenthalt zum Anspruchserfordernis, sondern es wird nur für bestimmte Ausländer, die sich im Inland aufhalten, eine bestimmte Anspruchsvoraussetzung gefordert, die im Ausland zwangsläufig entfällt. Andererseits gehören nach § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BErzGG im Ausland lebende Ausländer ohnehin grundsätzlich nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis. Davon gilt allerdings nach EWG-Verordnung 1408/71 eine Ausnahme für EG-Ausländer. Inwieweit man in diesem Zusammenhang aber davon sprechen kann, das deutsche Erziehungsgeldrecht habe den Inlandsaufenthalt systemwidrigerweise zu einem Anspruchshindernis ausgestaltet, legt die Klägerin - so wenig wie übrigens auch das SG - nicht dar.
Was den von der Klägerin geltend gemachten Gesichtspunkt anbetrifft, die Benachteiligung bestimmter im Inland lebender Elternteile gegenüber solchen, die im EG-Ausland wohnten, sei sachwidrig und stelle einen Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG dar, so fehlt es auch insoweit an näheren Darlegungen. Dasselbe gilt für die angebliche Benachteiligung im Vergleich zu einer im Inland lebenden Ehefrau eines Franzosen - für diesen Fall ist übrigens dem SG-Urteil nichts zu entnehmen. Insbesondere legt die Klägerin in diesem Zusammenhang nicht dar, daß sie die Regelung des § 1 Abs 1a BErzGG für verfassungswidrig hält. Wollte man aber selbst in die Beschwerdebegründung stillschweigend das Ersuchen um Prüfung hineinlesen, ob § 1 Abs 1a BErzGG wegen Verstoßes gegen Art 3 Abs 1 GG verfassungswidrig sei, weil danach nicht dem EG-Recht unterfallende Ehegatten von in Deutschland beschäftigten Deutschen (oder von anderen EG-Angehörigen) ohne sachlichen Grund je nachdem verschieden zu behandeln seien, ob sie in Deutschland oder in einem anderen EG-Land wohnten, so wäre die grundsätzliche Bedeutung immer noch nicht formgerecht dargelegt. Denn zwar kann die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache auch damit begründet werden, daß eine der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegende Norm verfassungswidrig sei (vgl Kummer, aaO, RdNr 145). Für die Zulässigkeit der Beschwerde reicht aber nicht der schlichte Hinweis auf die angeblich verletzte Verfassungsnorm aus. Vielmehr muß der Beschwerdeführer, wenn er die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache aus einer Verletzung des Gleichheitssatzes ableiten will, unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darlegen, worin er die für eine Gleichbehandlung wesentlichen Sachverhaltsmerkmale erblickt (vgl Kummer, aaO, RdNr 146 mwN). Im übrigen hätte sich die Klägerin in diesem Fall auch mit der ua zur Vereinbarkeit des § 1 Abs 1a BErzGG mit Art 3 GG bereits ergangenen Entscheidung des 14. Senats des BSG vom 6. September 1995 - 14 REg 1/95 - (SozR 7833 § 1 Nr 16, S 78) auseinandersetzen müssen.
Soweit die Klägerin bemängelt, das LSG habe eine Bescheinigung nach § 69 Abs 3 AuslG nicht für ausreichend erachtet, so fehlt es ebenfalls an zureichenden Ausführungen zur grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und einer Auseinandersetzung mit der Entscheidung des 14. Senats vom 28. Februar 1996 - 14 REg 8/95 - (SozR 3-7833 § 1 Nr 18 S 90 f mwN; vgl auch BSG SozR 3-7833 § 1 Nr 17, S 86 f, insbesondere auf S 87).
Was die mit Schriftsatz vom 21. Mai 2001 erstmalig aufgeworfene Rechtsfrage anbetrifft, ob die EWG-Verordnung 1408/71 auch auf solche Personen Anwendung findet, welche wie die Klägerin im Inland ihren Wohnsitz haben, kann die Frage dahinstehen, ob deren etwaige grundsätzliche Bedeutung iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG ausreichend "dargelegt" ist, weil diese Rechtsfrage von der Klägerin erst nach Ablauf der - nicht verlängerten - Beschwerdebegründungsfrist (am Montag, dem 20. November 2000) neu in das Verfahren eingeführt worden ist (vgl dazu § 160a Abs 2 Satz 1 SGG). Zwar ist es dem Beschwerdeführer gestattet, das bisher Vorgetragene auch nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist noch zu verdeutlichen bzw zu erläutern (vgl Kummer, aaO, RdNr 81 mwN), die Vorlegung neuer, bisher nicht aufgeworfener Rechtsfragen ist jedoch nach Fristablauf unzulässig (vgl Kummer, aaO, RdNr 80; Meyer-Ladewig, SGG mit Erl, 6. Aufl, RdNr 13b zu § 160a).
Nach allem ist das Rechtsmittel entsprechend § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen, ohne daß es der Mitwirkung von ehrenamtlichen Richtern bedarf (BSG SozR 1500 § 160a Nr 1 und 5; BVerfGE 48, 246 = SozR 1500 § 160a Nr 30).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen