Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensfehler. Aussetzung des Verfahrens. Vorgreiflichkeit
Orientierungssatz
1. Zur Rüge eines Verstoßes gegen die Ermessensvorschrift des § 114 Abs 2 S 1 SGG muss dargetan werden, dass grundsätzlich eingeräumtes Ermessen im besonderen Streitfall auf Null reduziert und das Gericht zu einer Aussetzung des Verfahrens verpflichtet war (vgl BSG vom 19.7.2006 - B 11a AL 7/06 B). Damit können Ermessensfehler als solche von vornherein keine Rolle spielen.
2. Das Ermessen reduziert sich nur dann zu einer Verpflichtung zur Aussetzung, wenn anders eine Sachentscheidung nicht möglich ist (vgl BVerwG vom 17.12.1992 - 4 B 247/92 = Buchholz 310 § 94 VwGO Nr 6).
Normenkette
SGG § 114 Abs. 2 S. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 27.07.2006; Aktenzeichen L 10 R 4581/04) |
SG Stuttgart (Urteil vom 09.09.2004; Aktenzeichen S 9 RA 3819/03) |
Gründe
Mit Urteil vom 27. Juli 2006 hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) das vorinstanzliche Urteil vom 9. September 2004 aufgehoben und die Klage der Klägerin abgewiesen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin beim Bundessozialgericht (BSG) Beschwerde eingelegt und zu deren Durchführung die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin F., W., beantragt. Sie beruft sich auf Verfahrensfehler des LSG und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin F. ist abzulehnen. Abgesehen davon, dass die Klägerin die nach § 73a Abs 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) iVm § 117 Abs 2 und 4 der Zivilprozessordnung (ZPO) erforderliche Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse - trotz Erinnerung vom 22. September 2006 - nicht vorgelegt hat, bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO). Denn die Nichtzulassungsbeschwerde erfüllt noch nicht einmal die insoweit geltenden formellen Voraussetzungen.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung vom 28. August 2006 genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht, weil keiner der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ordnungsgemäß dargetan oder bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargelegt werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 36).
Die Klägerin rügt als vermeintlichen Verfahrensmangel des LSG, dieses hätte den Rechtsstreit zumindest analog § 114 Abs 2 Satz 1 SGG bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) über bereits anhängige Verfassungsbeschwerden zu dieser Rechtsfrage aussetzen müssen, wenn es ihn schon nicht - wie von ihr beantragt - nach Art 100 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) aussetzen und eine Entscheidung des BVerfG zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der rückwirkenden Änderung des § 22b Abs 1 Satz 1 des Fremdrentengesetzes (FRG) einholen wollte. Den Verfahrensfehler sieht sie in der unterlassenen Ermessensbetätigung des Gerichts.
Zur Rüge eines Verstoßes gegen die Ermessensvorschrift des § 114 Abs 2 Satz 1 SGG muss jedoch dargetan werden, dass grundsätzlich eingeräumtes Ermessen im besonderen Streitfall auf Null reduziert und das Gericht zu einer Aussetzung des Verfahrens verpflichtet war (BSG Beschluss vom 19. Juli 2006 - B 11a AL 7/06 B - veröffentlicht bei Juris). Damit können Ermessensfehler als solche von vornherein keine Rolle spielen. Dass nach Ansicht der Klägerin Gründe der Prozessökonomie für eine Aussetzung sprachen und sie mit einer Aussetzung einverstanden gewesen wäre, reicht für eine Ermessenschrumpfung auf Null nicht aus. Vielmehr reduziert sich das Ermessen nur dann zu einer Verpflichtung zur Aussetzung, wenn anders eine Sachentscheidung nicht möglich ist (Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Dezember 1992, Buchholz 310 § 94 VwGO Nr 6 mwN).
Die von der Klägerin geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese Rechtsfragen noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine derartige Klärung erwarten lässt (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11,13, 31, 39, 59, 65).
Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1) eine konkrete Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Klägerin bezeichnet als grundsätzlich bedeutsam die Frage, ob § 22b Abs 1 Satz 1 FRG in der Fassung des Art 9 Nr 2 des Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetzes vom 21. Juli 2004 (BGBl I 1791) verfassungsgemäß ist.
Damit bezeichnet sie zwar noch hinreichend deutlich eine konkrete Rechtsfrage. Ihre weiteren Darlegungen erfüllen jedoch die vorgenannten Anforderungen nicht. Denn es fehlen jegliche Ausführungen zur Klärungsfähigkeit. Die Klägerin gibt den der Entscheidung des LSG zugrunde liegenden Sachverhalt überhaupt nicht wieder und ermöglicht es dem Senat somit nicht, ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten zu beurteilen, ob die gestellte Rechtsfrage entscheidungserheblich ist. Die Darlegung der Beschwerdebegründung, das LSG selbst habe "nicht in Abrede" gestellt, dass der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch mit der Verfassungsmäßigkeit der og Vorschrift "steht oder fällt", kann die erforderlichen Ausführungen nicht ersetzen.
Kann der Senat mithin die Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage nicht beurteilen, muss die Beschwerde gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG iVm § 169 Satz 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig verworfen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen