Verfahrensgang

SG Ulm (Entscheidung vom 17.09.2020; Aktenzeichen S 13 SO 1283/20)

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 06.12.2022; Aktenzeichen L 2 SO 2859/22 ZVW)

 

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 6. Dezember 2022 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.

 

Gründe

I

Im Streit ist die Gewährung höherer Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für das Jahr 2018.

Der Beklagte gewährte dem Kläger für das Jahr 2018 Grundsicherungsleistungen unter Berücksichtigung eines Regelbedarfs für Alleinstehende in Höhe von 416 Euro abzüglich 33,31 Euro für Haushaltsenergie, weil die bewohnte Wohnung mit Strom beheizt werde. Als Kosten der Unterkunft und Heizung berücksichtigte er lediglich noch die aus seiner Sicht angemessene Bruttokaltmiete, die Kosten für Strom als Heizkosten sowie die Müllgebühren (Bescheide vom 19.12.2017, 5.2.2018, 17.4.2018 und 23.4.2018; Widerspruchsbescheid vom 17.10.2018).

Die Klage, mit der der Kläger sich gegen den Einbehalt des Stromanteils vom Regelsatz für Monate wendet, in denen der Energieversorger keine Abschläge gefordert hat, sowie die Berücksichtigung der tatsächlichen Miete bzw die Werte nach der Wohngeldtabelle und die Kosten einer Einbauküche und schließlich wegen der bei ihm vorliegenden Allergien die Berücksichtigung höherer Bedarfe für Bekleidung, Pflegemittel, Bettwäsche, Reinigungsmittel und Schuhwerk und eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung begehrt, blieb erfolglos (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Ulm vom 17.9.2020). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Beschluss vom 21.12.2020). Nach Aufhebung dieses Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das LSG auf die Nichtzulassungsbeschwerde hin (Bundessozialgericht ≪BSG≫ vom 11.8.2022 - B 8 SO 100/20 B) hat das LSG die Berufung erneut ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückgewiesen (Beschluss vom 6.12.2022). Zur Begründung hat es ua ausgeführt, dass das angefochtene Urteil des SG sowie die angegriffenen Bescheide des Beklagten rechtmäßig seien und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzten. Der Senat könne gemäß § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich halte. Diese Voraussetzungen seien hier gegeben. Das SG habe in den Urteilsgründen zutreffend einen Anspruch des Klägers auf höhere Leistungen für die Kosten der Unterkunft als auch die Anerkennung eines höheren Bedarfs für Bekleidung, Pflegemittel, Bettwäsche, Reinigungsmittel und Schuhwerk abgelehnt. Der Senat schließe sich den Entscheidungsgründen des SG nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage uneingeschränkt an und sehe gemäß § 153 Abs 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Hiergegen wendet sich der Kläger und beantragt für die Durchführung einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung eines Rechtsanwalts.

II

Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist nicht begründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung ≪ZPO≫); daran fehlt es hier. Denn es ist nicht ersichtlich, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter die Beschwerde erfolgreich begründen könnte. Hinreichende Aussicht auf Erfolg wäre insoweit nur zu bejahen, wenn einer der drei in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte; denn nur diese Gründe können zur Zulassung der Revision führen. Die Revision darf danach nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

Der Rechtssache kommt nach Aktenlage keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Im Zusammenhang mit den mit dem Begehren des Klägers auf Berücksichtigung höherer Bedarfe für Unterkunft und Heizung (§ 42a Abs 1 iVm § 35 SGB XII) aufgeworfenen Fragen zur Bestimmung der abstrakten Angemessenheitsgrenze liegt gefestigte Rechtsprechung des BSG vor. Insbesondere ist zur Ermittlung der abstrakt angemessenen Wohnungsgröße für Einpersonenhaushalte auf die Wohnraumgrößen für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau und die entsprechenden landesrechtlichen Wohnraumförderungsbestimmungen abzustellen (vgl stRspr seit BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - BSGE 97, 254 = SozR 4-4200 § 22 Nr 3, RdNr 19). Der Senat hat sich dieser Rechtsprechung für den Bereich des SGB XII angeschlossen (vgl zuletzt BSG vom 6.10.2022 - B 8 SO 7/21 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4 vorgesehen, RdNr 19; BSG vom 2.9.2021 - B 8 SO 13/19 R - SozR 4-3500 § 35 Nr 5 RdNr 16; BSG vom 23.3.2010 - B 8 SO 24/08 R - SozR 4-3500 § 29 Nr 1 RdNr 14 mwN). Ebenso liegt gefestigte Rechtsprechung zu den Voraussetzungen für die Anerkennung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung vor (BSG vom 14.2.2013 - B 14 AS 48/12 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 15; BSG vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 32/06 R - BSGE 100, 83 = SozR 4-4200 § 20 Nr 6 und BSG vom 15.4.2008 - B 14/11b AS 3/07 R); es ist auch nicht erkennbar, dass sich wegen der geltend gemachten weiteren Bedarfe für Bekleidung, Pflegemittel, Bettwäsche, Reinigungsmittel und Schuhwerk Fragen grundsätzlicher Bedeutung zur abweichenden Bemessung des Regelbedarfs (vgl § 27a Abs 4 SGB XII) stellen könnten.

Nach dem Vorstehenden ist auch nicht erkennbar, dass eine Divergenzrüge (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden könnte.

Nach Aktenlage liegt auch kein Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG) vor. Dies gilt zunächst für die Behauptung des Klägers, das LSG habe seiner Sachaufklärungspflicht nicht genügt und damit den Untersuchungsgrundsatz (§ 103 SGG) verletzt. Eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht durch das LSG könnte von einem zugelassenen Prozessbevollmächtigten nur erfolgreich geltend gemacht werden, wenn sich der Vortrag auf einen Beweisantrag im Berufungsverfahren bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Ein solcher Sachverhalt ist nicht ersichtlich. Bereits das SG hat sich umfangreich mit den zum klägerischen Gesundheitszustand vorliegenden Gutachten auseinandergesetzt und dargestellt, weshalb es von einer weiteren Beweisaufnahme absieht. Das LSG hat sich in der Berufungsinstanz zulässigerweise dieser Begründung angeschlossen (§ 153 Abs 2 SGG); es ist nicht erkennbar, dass der Kläger im Berufungsverfahren neue rechtserhebliche Tatsachen oder substantiierte Einwendungen gegen die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe vorgebracht hat, die die Bezugnahme nicht als ausreichend erscheinen lassen (dazu BSG vom 11.5.2021 - B 9 SB 65/20 B - RdNr 8 f mwN). Er hat sich zuletzt im Schreiben vom 9.11.2022 zwar gegen die aus seiner Sicht mangelnde Sachverhaltsaufklärung gewandt. Allein aus dem allgemein gehaltenen, wiederholten Hinweis auf ein weiteres Sachverständigengutachten ohne Vortrag neuer oder veränderter Tatsachen folgt aber keine gegenüber dem Klageverfahren abweichende Sachlage, mit der sich das LSG gesondert hätte auseinandersetzen müssen.

Ferner ist nicht ersichtlich, dass ein Verstoß gegen § 153 Abs 4 SGG mit Erfolg geltend gemacht werden könnte. Nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG kann das LSG, außer in den Fällen, in denen das SG durch Gerichtsbescheid (§ 105 Abs 2 Satz 1 SGG) entschieden hat, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Berufung richtete sich nicht gegen einen Gerichtsbescheid und dass LSG hielt eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich. Es ist nicht erkennbar, dass bei der Ermessensentscheidung des LSG unzutreffende Annahmen zugrunde gelegen haben. Der Kläger wurde vor Erlass des Beschlusses nach § 153 Abs 4 SGG im Ergebnis auch ordnungsgemäß angehört. Zwar hat das LSG das Anhörungsschreiben (vom 7.11.2022) an einen zu diesem Zeitpunkt nicht mehr mandatierten Rechtsanwalt gerichtet. Das Anhörungsschreiben hat den Kläger gleichwohl zeitnah erreicht; denn er hat sich bezugnehmend auf die Anhörung an das LSG gewandt und PKH beantragt (Schriftsatz vom 9.11.2022).

Das LSG hat sodann eine Entscheidung in der Sache getroffen, ohne zuvor über diesen Antrag zu entscheiden. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG; § 62 Halbsatz 1 SGG) würde aus einem solchen Vorgehen jedoch nur dann folgen, wenn dem Beteiligten, der PKH begehrt, bei zeitgerechter Entscheidung über seinen Antrag PKH zugestanden hätte (vgl nur BSG vom 22.7.2020 - B 13 R 17/19 BH - RdNr 8; BSG vom 3.4.2020 - B 8 SO 58/19 B - RdNr 6; BSG vom 4.12.2007 - B 2 U 165/06 B - SozR 4-1500 § 62 Nr 9). Es ist nicht erkennbar, dass hier ein solcher Fall vorlag. Die Berufung des Klägers hat bei Eingang seines Antrags keine hinreichenden Erfolgsaussichten geboten. Es ist nicht ersichtlich, dass ein Rechtsanwalt einen Vortrag hätte halten können, der der Berufung auch nur zum Teil zum Erfolg verholfen hätte. Dies gilt einerseits für das Begehren des Klägers auf Berücksichtigung höherer Bedarfe für Unterkunft und Heizung (§ 42a Abs 1 iVm § 35 SGB XII), die das LSG nach den og Grundsätzen der ständigen Rechtsprechung der für den Bereich der Grundsicherung zuständigen Senate berechnet hat. Auch wegen der Höhe des Regelbedarfs ist nicht erkennbar, welcher weitere Vortrag dem Kläger zum Erfolg hätte verhelfen können. Zutreffend hat das LSG unter zulässiger Bezugnahme auf die Entscheidung des SG entschieden, dass die Energiekosten hier vom Regelsatz abzusetzen waren, weil die angefallenen Stromkosten - unabhängig davon, dass der Energieversorger nur elf Abschläge gefordert hat - vollständig als Heizkosten übernommen worden sind (Fall des § 27a Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB XII). Es ist auch nicht ersichtlich, dass ein Rechtsanwalt erfolgreich einen Beweisantrag im Hinblick auf einen höheren Bedarf für die behaupteten allergiebedingten Mehraufwendungen hätte stellen können, den das LSG nicht ohne Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) hätte ablehnen können. Ein Erfolg in der Hauptsache im Anschluss an weitere Ermittlungen ist zwar nicht schlechthin ausgeschlossen; die Erfolgschance war aber angesichts der bereits zum Gesundheitszustand des Klägers vorliegenden Gutachten sowie des fehlenden Vortrags neuer oder veränderter Tatsachen zum Gesundheitszustand nur eine entfernte. Zutreffend hat das SG schließlich ausgeführt, dass die Berücksichtigung solcher Bedarfe im Rahmen der abweichenden Bemessung nach § 27a Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB XII ohnehin ausscheidet, die als einmalige Bedarfe bereits vor dem streitigen Zeitraum angeschafft worden waren bzw die als langlebige Bedarfe im Grundsatz aus dem Regelbedarf anzusparen sind.

Mit der Ablehnung von PKH entfällt zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

Krauß

Scholz

Bieresborn

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15946081

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