Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 29.06.2017; Aktenzeichen L 2 R 69/17) |
SG Mainz (Entscheidung vom 23.01.2017; Aktenzeichen S 11 R 339/16) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 29. Juni 2017 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
Mit Beschluss vom 29.6.2017 hat das LSG Rheinland-Pfalz einen Anspruch des Klägers auf Gewährung einer höheren Regelaltersrente verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG und Verfahrensmängel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG.
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.
Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),
- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder
- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).
Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN; Fichte in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 160a RdNr 32 ff).
Der Kläger misst den Fragen grundsätzliche Bedeutung bei,
1. "ob ein Arbeitnehmer der über 45 Jahre Rentenbeiträge bezahlt hat, nicht eine Rente erhalten muss, die sein soziokulturelles Existenzminimum sichert, so dass er nicht auf zusätzliche staatliche Leistungen angewiesen ist",
2. "ob der Grundsatz, dass Versicherungsleistungen, die vorrangig vor staatlichen Leistungen zu gewähren sind, nicht auch insoweit vorrangig sein müssen, dass sie das soziokulturelle Existenzminimum am Ende des Arbeitslebens und über 40-jähriger Beitragszeit abdecken und ein Rückgriff auf zusätzliche staatliche Leistungen nicht notwendig sein muss und ob das Versagen einer das Existenzminimum sichernden Rente nicht gegen das Sozialstaatsprinzip verstößt" und
3. "ob § 63,64 SGB VI im Hinblick darauf, dass Beitragszeiten von mehr als 40 Jahren unzureichend (nur nach Entgeltpunkten, welche sich aus der Beitragshöhe ergeben) berücksichtigt werden mit höherrangigem Recht vereinbar sind."
Mit diesen Formulierungen wird der Kläger bereits dem ersten Erfordernis nicht gerecht. Mit den Fragen 1 und 2 hat der Kläger keine abstrakt-generellen Rechtsfragen zum Inhalt, Anwendungsbereich oder zur Verfassungsgemäßheit einer revisiblen Norm (vgl § 162 SGG) gestellt (vgl Senatsbeschluss vom 6.4.2010 - B 5 R 8/10 B - BeckRS 2010, 68786 RdNr 10; BSG Beschluss vom 5.11.2008 - B 6 KA 24/07 B - BeckRS 2009, 50073 RdNr 7). Bei der Frage 3 bleibt unklar, gegen welche Normen höherrangigen Rechts §§ 63, 64 SGB VI verstoßen sollen. Die Formulierung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (Becker, SGb 2007, 261, 265; Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 181). Es gehört nicht zu den Aufgaben des BSG, den Vortrag des Klägers darauf zu analysieren, ob sich ihm eventuell eine entsprechende Rechtsfrage entnehmen ließe (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 26 S 48).
Ebenso wenig hat der Kläger die Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit, dh Entscheidungserheblichkeit des angesprochenen Fragenbereichs schlüssig aufgezeigt.
Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG und ggfs des BVerfG zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass zu diesem Fragenbereich noch keine höchstrichterliche Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet worden ist (Krasney/Udsching/Groth, aaO, Kap IX RdNr 183 mwN).
Hieran fehlt es. Der Kläger setzt sich nicht mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu dem vom Staat zu gewährleistenden Existenzminimum und der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers im Bereich der Sozialversicherung auseinander. Danach hat der Staat die Pflicht, "dem mittellosen Bürger" die "Mindestvoraussetzungen" für ein menschenwürdiges Dasein "erforderlichenfalls durch Sozialleistungen zu sichern" (BVerfGE 82, 60, 85 = SozR 3-5870 § 10 Nr 1), wobei es auch um die Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben geht (BVerfGE 125, 175, 223 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12). Bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen kommt dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu (BVerfGE 125, 175, 224 f = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) und ist es grundsätzlich ihm überlassen, ob das Existenzminimum durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen gesichert wird (BVerfGE 125, 175, 224 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12; 132, 134 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2, RdNr 67). Insbesondere bei der Inhalts- und Schrankenbestimmung rentenversicherungsrechtlicher Positionen hat der Gesetzgeber weite Gestaltungsmöglichkeiten (BVerfGE 74, 203, 214 = SozR 4100 § 120 Nr 2). Warum sich aus diesen Entscheidungen nicht einmal Anhaltspunkte für die Beantwortung der vom Kläger angesprochenen Fragen ergeben, zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf. Allein die Behauptung, es gebe hierzu keine höchstrichterliche Rechtsprechung, genügt den Darlegungserfordernissen nicht.
Entscheidungserheblichkeit bedeutet, dass es für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits auf die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ankommt und die Entscheidung bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers in seinem Sinne hätte ausfallen müssen. Kann mangels entsprechenden Vortrags nicht ausgeschlossen werden, dass der geltend gemachte Anspruch unabhängig vom Ergebnis der angestrebten rechtlichen Klärung womöglich am Fehlen einer weiteren Anspruchsvoraussetzung scheitern müsste, fehlt es an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit und damit der Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 5 RdNr 3 mwN).
Ob eine Rechtsfrage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig ist, kann generell nur auf der Grundlage bereits getroffener Feststellungen beantwortet werden. Dagegen kann die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht zugelassen werden, wenn das Berufungsgericht eine Tatsache, die für die Entscheidung der mit der Nichtzulassungsbeschwerde angesprochenen Rechtsfrage erheblich sein würde, noch nicht festgestellt hat und damit nur die Möglichkeit besteht, dass sie nach Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht und nach weiterer Sachverhaltsaufklärung entscheidungserheblich werden kann (BSG Beschluss vom 10.11.2008 - B 12 R 14/08 B - Juris mwN). Welchen Sachverhalt das LSG festgestellt hat, gibt die Beschwerdebegründung aber nicht an.
2. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Beschlusses besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Der Kläger rügt sinngemäß eine Verletzung des § 153 Abs 4 S 1 SGG.
Hierzu trägt er vor, die Sache hätte wegen grundsätzlicher Bedeutung in einer mündlichen Verhandlung erörtert werden müssen. Mit diesem Vorbringen ist eine Verletzung des § 153 Abs 4 S 1 SGG nicht schlüssig bezeichnet.
Nach dieser Norm kann das LSG - außer in den Fällen des § 105 Abs 2 S 1 - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Das Gericht entscheidet hierüber nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl nur BSG Beschluss vom 9.10.2014 - B 13 R 157/14 B - RdNr 12 mwN; stRspr). Dementsprechend ist die Prüfung des Beschwerdegerichts auf die Prüfung beschränkt, ob das LSG von seinem Ermessen fehlerhaft Gebrauch gemacht hat, dh sachfremde Erwägungen angestellt hat oder eine grobe Fehleinschätzung erkennen lässt (vgl BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 13; BSG Beschluss vom 9.10.2014, aaO; BVerwG Beschluss vom 11.12.2003 - 6 B 60/03 - Juris RdNr 29 mwN). Ausreichende Anhaltspunkte für sachfremde Erwägungen oder eine grobe Fehleinschätzung hat der Kläger nicht dargelegt. Insbesondere ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache wegen schwieriger klärungsbedürftiger Rechtsfragen nicht schlüssig aufgezeigt (vgl hierzu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 153 RdNr 15a und 15b mit Beispielen aus der Rspr).
Da der Kläger eine Verletzung des § 153 Abs 4 S 1 SGG nicht schlüssig aufgezeigt hat, ist ebenfalls die von ihm geltend gemachte Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) wegen unzulässiger Durchführung des Beschlussverfahrens nicht ordnungsgemäß dargetan.
Nach der Beschwerdebegründung sieht der Kläger eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör wohl außerdem darin, dass SG und LSG nicht auf seinen Vortrag zu Nachentrichtungsmöglichkeiten eingegangen seien.
Auch insoweit liegt keine schlüssige Rüge einer Gehörsverletzung vor.
Hinsichtlich des als verfahrensfehlerhaft gerügten Verhaltens des SG ist der Kläger darauf hinzuweisen, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ein Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangegangenen Rechtszug ist, und daher ein Verfahrensmangel, der dem SG unterlaufen ist, grundsätzlich keinen Zulassungsgrund im Sinne der Norm darstellt (vgl hierzu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017 § 160 RdNr 16a mwN).
Abgesehen davon setzt die Rüge einer Gehörsverletzung - wie bereits oben beschrieben - die Darlegung voraus, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem geltend gemachten Mangel beruhen kann.
Der Kläger hat jedoch weder die Rechtsauffassung des LSG noch eine mögliche Kausalität zwischen dem geltend gemachten Verfahrensmangel und der angegriffenen Entscheidung dargestellt. Ob eine Entscheidung auf einem geltend gemachten Verfahrensmangel beruhen kann, lässt sich nur auf der Grundlage der vom LSG festgestellten Tatsachen entscheiden, an die das BSG grundsätzlich gebunden ist (vgl § 163 SGG). Welchen Sachverhalt das Berufungsgericht festgestellt hat, gibt der Kläger aber nicht an.
Ebenso wenig hat der Kläger einen Verstoß gegen Art 100 Abs 1 GG schlüssig bezeichnet.
Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist nach dieser Vorschrift das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichts des Landes, wenn es sich um die Verletzung des Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des BVerfG einzuholen. Dabei muss das vorlegende Gericht die Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit haben (Pieroth in Jarras/Pieroth, GG, 14. Aufl 2016, Art 100 RdNr 15 mwN). Dass das LSG von der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes (welches?) überzeugt ist, lässt sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI11295167 |