Verfahrensgang

SG Karlsruhe (Entscheidung vom 16.08.2018; Aktenzeichen S 11 R 2770/16)

LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 23.04.2020; Aktenzeichen L 7 R 3644/18)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. April 2020 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Mit Beschluss vom 23.4.2020 hat das LSG Baden-Württemberg einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung verneint.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich ausschließlich auf Verfahrensmängel (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

II

Die Beschwerde des Klägers ist als unzulässig zu verwerfen.

1. Verfahrensmängel, auf die sich der Kläger ausschließlich beruft, werden mit der Beschwerdebegründung entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht hinreichend bezeichnet.

Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB BSG Urteil vom 29.11.1955 - 1 RA 15/54 - BSGE 2, 81 - juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 30.10.2018 - B 13 R 59/18 B - juris RdNr 7). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Zugrunde zu legen ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG (BSG Urteil vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - SozR Nr 79 zu § 162 SGG; BSG Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - SozR 1500 § 160 Nr 33; BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 - juris RdNr 23). Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht (vgl zB BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 - juris RdNr 16 mwN; BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 16 mwN). Dem genügt die Beschwerdebegründung nicht.

a) Bereits kein die Zulassung der Revision grundsätzlich ermöglichender Verfahrensmangel wird vom Kläger gerügt, soweit die Beschwerde auf eine Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung nach § 128 Abs 1 Satz 1 SGG gestützt wird. Diesen Grundsatz sieht der Kläger verletzt, weil das LSG dem Gutachten nach Aktenlage des Sachverständigen S gefolgt sei, ohne weitere Ermittlungen von Amts wegen, insbesondere zu der Frage vorzunehmen, wie seine behandelnden Ärzte zu der Diagnose Asperger-Syndrom gelangt seien. Jedoch kann der geltend gemachte Verfahrensmangel gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG ausdrücklich nicht auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG gestützt werden.

b) Zugleich genügt die Beschwerdebegründung nicht den Anforderungen an die Bezeichnung einer Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG.

Insoweit macht der Kläger geltend, das LSG habe seine behandelnden Ärzte zu der Diagnose Asperger-Syndrom befragen müssen. Zudem habe dem Sachverständigen F, dessen Gutachten das LSG nicht gefolgt sei, zuvor die Möglichkeit eingeräumt werden müssen, seine ausreichende Fachkunde hinsichtlich der nach Auffassung des LSG fachfremden Diagnosen darzulegen. Sowohl den Sachverständigen als auch seine behandelnden Ärzte habe er im Schriftsatz vom 13.12.2018 als Zeugen benannt.

Die Geltendmachung eines Verfahrensmangels wegen Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsprinzip) kann jedoch gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nur darauf gestützt werden, dass das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Zudem kann ein - wie hier - in der Berufungsinstanz rechtsanwaltlich vertretener Beteiligter nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seiner Entscheidung wiedergibt (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN; ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 18c mwN).

Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn - wie hier - das LSG von der ihm durch § 153 Abs 4 SGG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Der in einem solchen Fall den Beteiligten zugestellten Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 SGG muss jedenfalls ein rechtskundig vertretener Beteiligter auch entnehmen, dass das Berufungsgericht keine weitere Sachaufklärung mehr beabsichtigt und dass es etwaige schriftsätzlich gestellte Beweisanträge lediglich als Beweisanregungen, nicht aber als förmliche Beweisanträge iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ansieht. Nach Zugang der Anhörungsmitteilung muss daher der Beteiligte, der schriftsätzlich gestellte Beweisanträge aufrechterhalten oder neue Beweisanträge stellen will, dem LSG ausdrücklich die Aufrechterhaltung dieser Anträge mitteilen oder neue förmliche Beweisanträge stellen (vgl BSG Beschluss vom 9.3.2016 - B 1 KR 6/16 B - juris RdNr 4 f mwN; BSG Beschluss vom 7.2.2017 - B 13 R 389/16 B - juris RdNr 9).

Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht, denn es kann ihr schon nicht entnommen werden, dass der Kläger in der Berufungsinstanz einen ordnungsgemäßen Beweisantrag iS des § 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 373 bzw § 403 oder § 414 iVm § 373 ZPO gestellt hätte. Ein solcher Antrag muss grundsätzlich in prozessordnungsgerechter Weise formuliert sein, sich regelmäßig auf ein Beweismittel der ZPO beziehen, das Beweisthema möglichst konkret angeben und insoweit wenigstens umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben soll (BSG Beschluss vom 15.8.2018 - B 13 R 387/16 B - juris RdNr 6; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 18a mwN). Ebenso wenig wird mit der Begründung dargetan, dass ein solcher Antrag auch nach Zugang der Anhörungsmitteilung des LSG noch aufrechterhalten worden ist.

c) Schließlich wird auch ein Verfahrensmangel wegen eines Verstoßes des LSG gegen den Anspruch der Klägers auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) nicht anforderungsgerecht bezeichnet. Diesen sieht der Kläger verletzt, weil sich das LSG in der angegriffenen Entscheidung nicht mit seinen im Schriftsatz vom 13.12.2018 umfangreich dargelegten Einwendungen gegen ein Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie M auseinandergesetzt habe, sondern dem Gutachten im vollen Umfang gefolgt sei.

Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör wird damit schon deshalb nicht schlüssig bezeichnet, weil nach § 128 Abs 1 Satz 2 SGG in der Entscheidung nur die Gründe anzugeben sind, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Das bedeutet, aus den Entscheidungsgründen muss ersichtlich sein, auf welchen Erwägungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht die Entscheidung beruht. Dafür muss das Gericht aber nicht jeden Gesichtspunkt, der erwähnt werden könnte, abhandeln (vgl BVerfG Beschluss vom 1.8.1984 - 1 BvR 1387/83 - SozR 1500 § 62 Nr 16; BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 25.3.2010 - 1 BvR 2446/09 - juris RdNr 11). Das Recht auf rechtliches Gehör gebietet nur, dass die Gerichte die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen, es verpflichtet sie aber nicht, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen, ihn also zu "erhören" (BVerfG Beschluss vom 8.4.2014 - 1 BvR 2933/13 - NZS 2014, 539 RdNr 13 mwN). Dass das LSG die Einwendungen gegen das Gutachten des Sachverständigen M nicht zur Kenntnis genommen haben könnte, wird anhand der insoweit knappen Ausführungen in der Beschwerdebegründung nicht erkennbar.

Eine Gehörsverletzung wird auch nicht hinreichend bezeichnet, wenn der Kläger vorträgt, das LSG habe ihn darauf hinweisen müssen, dass es den Ausführungen des Sachverständigen F keine erhebliche Bedeutung beimesse. Von einer damit sinngemäß gerügten Überraschungsentscheidung kann nur ausgegangen werden, wenn sich das Gericht ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (stRspr; vgl zB BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 5.4.2012 - 2 BvR 2126/11 - NJW 2012, 2262 - juris RdNr 18 mwN). Die Rüge des Verfahrensmangels einer Überraschungsentscheidung ist deshalb nur dann schlüssig bezeichnet, wenn im Einzelnen vorgetragen wird, aus welchen Gründen auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter aufgrund des bisherigen Prozessverlaufs nicht damit rechnen musste, dass das Gericht seine Entscheidung auf einen bestimmten Gesichtspunkt stützt. Daran fehlt es hier schon deshalb, weil aus der Beschwerdebegründung nicht erkennbar wird, wann und in wessen Auftrag das Gutachten des F eingeholt worden ist und ob dieses nicht bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegen hat, ohne dass das SG dem gefolgt wäre.

Im Kern richten sich die Gehörsrügen des Klägers gegen die Beweiswürdigung des LSG. Auf einen (vermeintlichen) Verstoß gegen § 128 Abs 1 Satz 1 SGG kann die Beschwerde jedoch - wie bereits dargelegt - nicht gestützt werden. Im Übrigen gilt, dass die Einschränkungen des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG für die Geltendmachung eines Verfahrensmangels auch nicht durch die Berufung auf die vermeintliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör umgangen werden können (vgl BSG Beschluss vom 18.5.2016 - B 5 RS 10/16 B - juris RdNr 8 mwN; BSG Beschluss vom 29.6.2018 - B 13 R 9/16 B - juris RdNr 10).

d) Dass der Kläger die Berufungsentscheidung inhaltlich für unrichtig hält, kann nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).

2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI14375282

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