Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Vergütung. Grundsätze zur Auslegung der Leistungslegenden der Bewertungsmaßstäbe. Unerheblichkeit der Nichtbefassung mit einer konkreten Position durch das BSG
Orientierungssatz
1. Aus der Anwendung der Grundsätze zur Auslegung der Leistungslegenden der Bewertungsmaßstäbe im ärztlichen und im zahnärztlichen Bereich auf eine konkrete Gebührenziffer ergibt sich eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Regelfall auch dann nicht, wenn sich das BSG mit dieser konkreten Position noch nicht ausdrücklich befasst hat.
2. Erst Recht kann eine grundsätzliche Bedeutung nicht mit der Anwendung der in der Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe auf eine konkrete einzelfallbezogene Konstellation begründet werden.
Normenkette
EBM-Ä 2008; EBM-Ä; EBM-Z; SGB V § 87 Abs. 1; SGG
Verfahrensgang
SG Gotha (Urteil vom 13.02.2008; Aktenzeichen S 7 KA 2743/05) |
SG Gotha (Urteil vom 13.02.2008; Aktenzeichen S 7 KA 4379/06) |
Thüringer LSG (Urteil vom 27.06.2013; Aktenzeichen L 11 KA 634/08) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Thüringen vom 27. Juni 2013 wird verworfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 13 831 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin, eine aus zwei Ärzten bestehende Gemeinschaftspraxis für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, nimmt im Bereich der Beklagten an der vertragszahnärztlichen Versorgung teil. Sie wendet sich gegen die sachlich-rechnerische Berichtigung ihrer Honorarforderung für die Quartale I bis III/2004, die sich ua auf die Gebühren-Nr 1486 Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) 82 (Radikaloperation der Kieferhöhle) sowie Nr 56c Einheitlicher Bewertungsmaßstab für zahnärztliche Leistungen - BEMA-Z - (Zystektomie) bezieht.
Die Absetzung der Nr 1486 GOÄ 82 begründete die Beklagte mit fehlenden Befunden, die einen solchen Eingriff rechtfertigen könnten. Außerdem sei der Leistungsinhalt auch unter Zugrundelegung des Vorbringens der Klägerin nicht erfüllt, weil keine Radikaloperation nach dem Caldwell-Luc-Verfahren durchgeführt worden sei, sondern eine Operation nach einem weniger invasiven Verfahren. Die Absetzung der Nr 56c BEMA-Z begründete die Beklagte mit fehlenden Nachweisen für die ordnungsgemäße Leistungserbringung. Insbesondere hätten Röntgenaufnahmen entweder nicht vorgelegen oder keine Zysten zur Darstellung gebracht, deren operative Entfernung die Voraussetzungen nach Nr 56c BEMA-Z erfüllen würde (Bescheid vom 20.12.2004 und vom 5.4.2005 idF des Widerspruchsbescheides vom 2.8.2005, Bescheid vom 12.10.2005 idF des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2005).
Die dagegen erhobenen Klagen und - nach Verbindung der Verfahren durch das LSG - die Berufung der Klägerin sind ohne Erfolg geblieben (SG-Urteile vom 13.2.2008, LSG-Urteil vom 27.6.2013). Bezogen auf die Nr 1486 GOÄ 82 hat das LSG ausgeführt, dass die Klägerin den Leistungstatbestand mit ihrer Behandlungsweise nicht erfüllt habe, weil nicht die geforderte Radikaloperation einer Kieferhöhle - verbunden mit einer Totalausräumung der Kieferhöhlenschleimhaut - durchgeführt worden sei. Damit sei die Leistungslegende der Nr 1486 GOÄ 82 nicht erfüllt. Eine analoge Anwendung sei nach ständiger Rechtsprechung ausgeschlossen. Auf die von der Klägerin vertretene Auffassung, nach der die in der Gebührenziffer verankerte Behandlungsmethode nicht mehr dem wissenschaftlichen Stand entspreche, komme es nicht an. Die Festlegung des Inhalts der Vergütungstatbestände obliege dem Normgeber des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs. Die Zystektomie nach Nr 56c Einheitlicher Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) habe die Klägerin aus den in den angefochtenen Widerspruchsbescheiden genannten Gründen offenkundig fehlerhaft abgerechnet.
Mit ihrer Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und wegen eines Verfahrensmangels (Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 und Nr 3 SGG).
II. Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Sie ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung genügt weder zur grundsätzlichen Bedeutung (1.) noch zum Verfahrensmangel (2.) den gesetzlichen Anforderungen.
1. Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG erfordert die Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage, der in dem Rechtsstreit eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beigemessen wird (BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 60). Die abstrakte Rechtsfrage ist klar zu formulieren, um an ihr die weiteren Voraussetzungen für die begehrte Revisionszulassung nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG prüfen zu können (vgl BVerfGE 91, 93, 107 = SozR 3-5870 § 10 Nr 5 S 31; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 37 f). Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn zu erwarten ist, dass die Revisionsentscheidung die Rechtseinheit in ihrem Bestand erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts fördern wird. Daher muss die Beschwerdebegründung die unmissverständliche Formulierung einer Rechtsfrage enthalten, der über den Einzelfall hinaus Bedeutung zukommt und die in einem Revisionsverfahren mit einer verallgemeinerungsfähigen Aussage beantwortet werden könnte (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7; vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 160a RdNr 14a).
Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
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Die Klägerin führt allgemein und ohne Hinweis auf konkrete gerichtliche Entscheidungen aus, dass Gebührenordnungspositionen nach der Rechtsprechung des BSG ihrem Wortlaut nach auszulegen seien und dass eine "teleologische oder analoge Anwendung" unzulässig sei. Daran anknüpfend formuliert sie die Frage, |
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"wie in solchen Fällen zu verfahren ist, in denen eine in der Gebührenordnung enthaltene veraltete und schädliche Behandlungsmethode weltweit seit Jahrzehnten allgemein verworfen wird, der Gesetzgeber die Gebührenordnung dieser Tatsache nicht angepasst hat und der führende Gebührenkommentar BEMA-Z die Abrechnung der moderneren, an die Stelle der bisherigen Operationsmethode getretenen moderneren Verfahren nach der ursprünglich benannten Behandlungsmethode für zulässig hält". |
Zur weiteren Begründung macht die Klägerin ua geltend, dass der Gebührentatbestand der Nr 1486 GOÄ 82 nach der Kommentarliteratur entgegen der Auffassung des LSG nicht allein die Kieferhöhlenoperation nach Caldwell-Luc, sondern auch modernere, weniger radikale Verfahren erfasse. Damit sei "der Vorwurf einer teleologischen Auslegung der Gebührenordnung nicht haltbar".
Die Klägerin formuliert damit schon keine generelle Rechtsfrage. Es trifft bereits nicht zu, dass in der maßgeblichen Leistungslegende der Nr 1486 GOÄ 82 eine bestimmte Operationstechnik festgeschrieben wird. Die Legende lautet: "Radikaloperation der Kieferhöhle". Wenn in der Kommentarliteratur dazu auf eine bestimmte Methode Bezug genommen wird, hat das nicht zur Folge, dass diese zum Leistungsinhalt wird. Im Übrigen enthält die Formulierung der Klägerin Wertungen bzw Unterstellungen, die mit den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Begründunganforderungen nicht kompatibel sind. Dass die von der Klägerin angeführte Operation nach Caldwell-Luc "seit Jahrzehnten allgemein verworfen" werde, ist keine gerichtskundige Tatsache und vom LSG auch nicht nach § 163 SGG festgestellt. Wenn die Beschwerdeführerin ihre für klärungsbedürftig gehaltene Rechtsfrage auf eine derartige Wertung aufbaut, genügt sie schon deshalb nicht den Begründungsanforderungen.
Im Übrigen hat sich die Klägerin nicht damit auseinandergesetzt, dass sich nach der Rechtsprechung des Senats aus der Anwendung der Grundsätze zur Auslegung der Leistungslegenden der Bewertungsmaßstäbe im ärztlichen und im zahnärztlichen Bereich auf eine konkrete Gebührenziffer eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Regelfall auch dann nicht ergibt, wenn sich das BSG mit dieser konkreten Position noch nicht ausdrücklich befasst hat (vgl BSG Beschluss vom 13.12.2000 - B 6 KA 30/00 B - Juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 12.12.2012 - B 6 KA 31/12 B - Juris RdNr 6). Erst Recht kann eine grundsätzliche Bedeutung nicht mit der Anwendung der in der Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe auf eine konkrete einzelfallbezogene Konstellation begründet werden. Mit dem Abstellen auf ein - nach ihrer Auffassung - veraltetes Operationsverfahren und auf den Inhalt eines Kommentars zu einer bestimmten Gebührenziffer spricht die Klägerin keine abstrakten Rechtsfragen, sondern Tatsachenfragen und die Frage der Richtigkeit der Rechtsanwendung durch das LSG an. Zudem hätte sich die Klägerin zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der Auslegung der Nr 1486 GOÄ 82 auch damit auseinandersetzen müssen, dass in dieser Position - wie in vielen anderen Gebührenpositionen auch - Behandlungsverfahren und nicht Behandlungsziele beschrieben werden. Wenn ein Zahnarzt ein bestimmtes Behandlungsziel im Bereich der Kieferhöhle anders als durch eine "Radikaloperation" erreicht, liegt auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens auf der Hand, dass die Position der Gebührenordnung, die für die aufwändige Radikaloperation vorgesehen und punktzahlmäßig bewertet ist, grundsätzlich nicht berechnungsfähig ist, wenn der Zahnarzt eine solche aufwändige Operation nicht durchführt. Wie die Leistung dann gegebenenfalls berechnungsfähig ist, soweit die vom Zahnarzt angewandte Methode überhaupt im Rahmen der vertragszahnärztlichen Versorgung eingesetzt werden kann, entzieht sich einer generellen Festlegung.
Auch die weiteren Ausführungen der Beschwerdebegründung beziehen sich ganz überwiegend auf die Umstände des vorliegenden Falles. Mit der Darlegung einer - unterstellt - fehlerhaften Rechtsanwendung im Einzelfall kann eine grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache jedoch nicht begründet werden.
Darüber hinaus legt die Klägerin nicht die Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Frage dar. Indem sie geltend macht, nach der Kommentierung zum BEMA-Z den Gebührentatbestand unabhängig von einer "teleologischen Auslegung" zu erfüllen, stellt sie die Klärungsbedürftigkeit der formulierten Frage vielmehr selbst in Abrede. Denn wenn die Klägerin den Gebührentatbestand auch unabhängig von einer "teleologischen" bzw analogen Anwendung erfüllen würde, so bliebe offen, aus welchem Grund es vorliegend auf die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Grundsätze ankommen sollte, nach der die Gebührenordnungspositionen nicht erweiternd auszulegen sind. Dazu sind der Beschwerdebegründung keine Aussagen zu entnehmen. Die Klägerin befasst sich in der Beschwerdebegründung auch nicht mit der umfangreichen Rechtsprechung des Senats, die die Grundsätze zur Auslegung von Gebührenordnungsvorschriften zum Inhalt hat (vgl die Nachweise bei Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, Stand Februar 2014, § 87 RdNr 516). Dementsprechend findet keine Auseinandersetzung mit der Frage statt, inwieweit in der Rechtsprechung des BSG bereits Rechtsgrundsätze existieren, auf deren Grundlage die zur Auslegung und Anwendung der Nr 1486 GOÄ 82 angesprochenen Fragen beantwortet werden können.
2. Eine Verfahrensrüge gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG setzt voraus, dass ein Verfahrensmangel entsprechend den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG "bezeichnet" wird. Dies erfordert, dass die Ausführungen in der Beschwerdebegründung schlüssig das Vorliegen eines Verfahrensmangels ergeben. Soweit die Verfahrensrüge auf eine Verletzung des § 103 SGG gestützt wird, muss gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 iVm § 160a Abs 2 Satz 3 SGG ein Beweisantrag benannt und dazu ausgeführt werden, dass das LSG ihm ohne hinreichenden Grund nicht gefolgt sei. Der Beweisantrag muss weiterhin im Berufungsverfahren bis zuletzt, wenigstens hilfsweise, aufrechterhalten worden sein; ist die Klägerin im Berufungsverfahren von einem berufsmäßigen Rechtsvertreter, insbesondere einem Rechtsanwalt, vertreten worden, so muss der Beweisantrag noch in der letzten mündlichen Verhandlung zusammen mit den Sachanträgen gestellt worden sein (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 29 S 49; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 1 RdNr 5; BSG Beschluss vom 21.8.2013 - B 6 KA 23/13 B - Juris RdNr 4).
Dass die im Berufungsverfahren anwaltlich vertretene Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG einen Beweisantrag gestellt hat, ist nicht vorgetragen und im Übrigen auch nach Inhalt der in den Akten befindlichen Niederschrift nicht ersichtlich.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt die Klägerin die Kosten des von ihr erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG.
Fundstellen
Dokument-Index HI16721210 |