Verfahrensgang
SG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 16.02.2017; Aktenzeichen S 2 SO 80/15) |
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 20.08.2018; Aktenzeichen L 20 SO 146/17) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. August 2018 wird als unzulässig verworfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert für das Beschwerdefahren wird auf 10 000 Euro festgesetzt.
Gründe
I
Im Streit steht die Rechtmäßigkeit von zwei Überleitungsanzeigen des Beklagten.
Die Klägerin ist die Schwester der Beigeladenen, welche vom Beklagten Leistungen der stationären Eingliederungshilfe erhält. Der Beklagte leitete nach § 93 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) den Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch der Beigeladenen aus dem Nachlass der verstorbenen Mutter (Bescheid vom 19.3.2013; Widerspruchsbescheid vom 16.3.2015) sowie Ansprüche der Beigeladenen gegen die Klägerin auf den Zusatzpflichtteil und den Pflichtteilsergänzungsanspruch aus dem Nachlass des Vaters auf sich über (weiterer Bescheid vom 19.3.2013; weiterer Widerspruchsbescheid vom 16.3.2015). Klage und Berufung haben keinen Erfolg gehabt (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Gelsenkirchen vom 16.2.2017; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Nordrhein-Westfalen vom 20.8.2018).
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG wendet sich die Klägerin mit der Beschwerde und macht die grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) der Sache geltend, wozu sie vier Fragen formuliert:
- Steht der Umstand, dass der Beklagte die Überleitungsanzeigen bislang ausschließlich gegenüber der Klägerin, nicht hingegen gegenüber der Beigeladenen bekannt gegeben hat, der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide entgegen?
- Ist die Anhörung der Beigeladenen vor Erlass der angeforderten Überleitungsanzeigen zwingende Rechtmäßigkeitsvoraussetzung?
- Ist die fehlerhafte Angabe der Höhe der monatlich durch den Beklagten erbrachten Leistungen unbeachtlich?
- Kann die Prüfung der Einrede der Verjährung offenbleiben?
Daneben macht die Klägerin Verfahrensmängel (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG) geltend. Es liege eine ihr rechtliches Gehör verletzende Überraschungsentscheidung vor, da im Berufungsverfahren streitig gewesen sei, ob der Beklagte vollständige Akteneinsicht in ihre Verwaltungsvorgänge gewährt habe, jedoch das LSG diesen Aspekt in der mündlichen Verhandlung nicht thematisiert habe und anstelle eines in Aussicht gestellten Erörterungstermins dann doch zur mündlichen Verhandlung geladen habe, in diese eingetreten sei und ein Urteil verkündet habe. Außerdem sei die Beigeladene nicht ordnungsgemäß vertreten gewesen und die Beiladung sei rechtsfehlerhaft erfolgt.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil weder der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) noch ein Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG) in der gebotenen Weise dargelegt worden sind. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG entscheiden.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist (vgl etwa Bundessozialgericht ≪BSG≫ Beschluss vom 5.9.2018 - B 8 SO 33/18 B mwN). Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt werden (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung in allen vier von der Klägerin formulierten Fragen nicht gerecht.
Soweit die Klägerin der Frage der fehlenden Bekanntgabe der Überleitungsanzeige an die Beigeladene grundsätzliche Bedeutung beimisst, zeigt sie jedenfalls die konkrete Klärungsfähigkeit nicht auf und legt schon nicht dar, dass eine Bekanntgabe gegenüber der Beigeladenen nicht mehr erfolgen kann, um den Übergang des Anspruchs zu bewirken. Dass die Überleitungsanzeige an Gläubiger und Schuldner gleichzeitig erfolgen muss, behauptet sie nicht einmal.
Soweit die Klägerin der Frage der Anhörung der Beigeladenen vor Erlass der Überleitungsanzeigen grundsätzliche Bedeutung beimisst, fehlt ebenfalls eine schlüssige Darstellung zur konkreten Klärungsfähigkeit dieser Rechtsfrage. Die Klägerin legt schon nicht dar, weshalb eine Anhörung der Beigeladenen drittschützende Wirkung haben sollte und sie daher selbst durch eine unterbliebene Anhörung der Beigeladenen in eigenen Rechten verletzt sein könnte. Zudem erläutert sie nicht, weshalb die Anhörung der Beigeladenen schon vor Bekanntgabe der Überleitungsanzeige an sie selbst erfolgen muss und es nicht genügt, dass die Anhörung vor Bekanntgabe der Überleitungsanzeige an die Beigeladene erfolgt, wie es § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) vorsieht. Es fehlt auch eine Auseinandersetzung mit der umfangreichen Rechtsprechung des BSG zur möglichen Heilung eines Anhörungsmangels (vgl etwa BSGE 89, 111 = SozR 3-1300 § 1 Nr 1 - juris RdNr 25 ff; BSG SozR 4-1300 § 41 Nr 1 = NZS 2009, 347; BSG Urteil vom 2.2.2010 - B 8 SO 17/08 R - juris RdNr 13).
Soweit die Klägerin danach fragt, ob "die fehlerhafte Angabe der Höhe der monatlich durch den Beklagten erbrachten Leistungen unbeachtlich ist", fehlen hinreichende Ausführungen zum Klärungsbedarf. Allein der Hinweis, die Angabe der erbrachten Leistungen sei zwingend um dem Bestimmtheitsgebot zu genügen, ist nicht ausreichend. Vielmehr hätte sich die Klägerin mit der umfangreichen Rechtsprechung zur Bestimmtheit von Verwaltungsakten (vgl zur Überleitungsanzeige BSG Urteil vom 2.2.2010 - B 8 SO 17/08 R - juris RdNr 13; zum Kostenersatz durch Erben BSG SozR 4-5910 § 92c Nr 1; zu einem Abzweigungsverwaltungsakt BSG SozR 4-1200 § 48 Nr 2) und der im Zusammenhang mit einer Überleitungsanzeige ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (≪BVerwG≫; vgl BVerwGE 42, 198 = FEVS 21, 321), wonach eine zahlenmäßige Bezifferung nicht zu fordern ist, auseinandersetzen müssen. Sind schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen, die Anhaltspunkte zur Beurteilung einer von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben, muss nämlich zur Darlegung eines dennoch bestehenden Klärungsbedarfs in der Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde unter Auswertung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass höchstrichterlich zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt wurde oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet ist (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; BSG Beschluss vom 29.5.2018 - B 8 SO 5/18 B; BSG Beschluss vom 19.10.2017 - B 5 R 91/17 B; BSG Beschluss vom 23.3.2017 - B 10 EG 21/16 B). Dabei kann der Klärungsbedarf einer in einer Nichtzulassungsbeschwerde vor dem BSG aufgeworfenen Rechtsfrage auch durch die Rechtsprechung eines anderen obersten Bundesgerichtes ausgeschlossen sein (BSG Beschluss vom 29.3.2017 - B 5 RE 12/16 B). An der erforderlichen Darlegung eines dennoch bestehenden Klärungsbedarfs fehlt es aber gänzlich.
Soweit die Klägerin danach fragt, ob die Prüfung der Einrede der Verjährung offenbleiben kann, fehlt es an der ausreichenden Formulierung einer abstrakten Rechtsfrage und damit an der Darlegung der abstrakten Klärungsbedürftigkeit. Die Klägerin macht hier nur geltend, die Verjährung hätte durch das LSG geprüft werden müssen, ohne einen klärungsbedürftigen Streitstand, über den in grundsätzlicher Hinsicht zu entscheiden wäre, im Einzelnen nachvollziehbar zu machen. Auch die konkrete Klärungsfähigkeit wird nicht dargelegt, da weder Anknüpfungspunkte der Verjährung noch der maßgebliche Zeitablauf mitgeteilt werden, noch, ob ggf die Einrede der Verjährung erhoben worden ist und wie sich dies ausgewirkt haben sollte.
Die Frage nach der Richtigkeit der Entscheidung des LSG im Einzelfall, die die Klägerin im Kern mit sämtlichen der vier aufgeworfenen Fragen angreift, vermag die Revisionsinstanz nicht zu eröffnen. Denn Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht, ob das Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat (vgl nur BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
Ein Verfahrensmangel wird ebenfalls nicht hinreichend bezeichnet. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 36). Diesen Anforderungen genügt das Vorbingen der Klägerin wegen beider geltend gemachter Mängel nicht.
Soweit die Klägerin einen Verstoß gegen das aus Art 103 Abs 1 Grundgesetz (GG) fließende Verbot von "Überraschungsentscheidungen" rügt, also von solchen Entscheidungen, die sich ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf Gesichtspunkte stützen, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht zu rechnen brauchte (vgl Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫ Beschluss vom 5.4.2012 - 2 BvR 2126/11 = NJW 2012, 2262), trägt sie nur vor, dass entgegen ihrer Erwartung im Termin vom 20.8.2018 in der Sache verhandelt und entschieden und nicht nur ein Erörterungstermin zur Frage der Akteneinsicht durchgeführt worden sei. Damit wird aber eine Überraschungsentscheidung nicht schlüssig dargetan, weil nach dem Vortrag der Klägerin nicht der Inhalt der Entscheidung und die vom LSG vertretene Auffassung für die Klägerin überraschend war, sondern dass überhaupt entschieden wurde. Ihr Vortrag, sie sei dadurch überrascht worden, dass statt eines Erörterungstermins (§ 153 Abs 1 iVm § 106 Abs 3 Nr 7 SGG) ein Termin zur mündlichen Verhandlung mit anschließender Urteilsverkündung (§ 153 Abs 1 iVm § 124 Abs 1, § 132 Abs 1 Satz 2 SGG) durchgeführt worden sei, ist im Übrigen angesichts ihres eigenen Vorbringens, sie habe eine Ladung zur mündlichen Verhandlung erhalten, nicht nachvollziehbar.
Die Klägerin macht auch nicht schlüssig geltend, ihr sei vor der Entscheidung die erforderliche Akteneinsicht in die Verwaltungsvorgänge (vgl § 120 Abs 1 SGG) nicht gewährt und damit das rechtliche Gehör verletzt worden. Denn nach ihren eigenen Angaben wurde ihr vom LSG die Möglichkeit der Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle des LSG eröffnet, die sie nicht wahrgenommen hat. Sie legt auch nicht dar, weshalb ihr dies ggf nicht zumutbar gewesen sein sollte. Dass sie in der mündlichen Verhandlung die noch nicht durchgeführte Akteneinsicht eingefordert und ggf Vertagung beantragt hat, behauptet sie nicht einmal. Damit hat sie aber ohnehin nicht alles getan, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen, wie es die Rechtsprechung fordert (BVerfG Beschluss vom 18.8.2010 - 1 BvR 3268/07 - BVerfGK 17, 479 - juris RdNr 28 f; BSGE 68, 205 = SozR 3-2200 § 667 Nr 1; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 22 S 35). Soweit die Klägerin schließlich vorbringt, sie habe der Frage nach dem Akteneinsichtsrecht in die Verwaltungsakte des Beklagten erhebliche Bedeutung beigemessen, und sinngemäß rügt, das LSG hätte diesen Punkt seiner Entscheidung zugrunde legen müssen, verkennt sie den Inhalt des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Art 103 Abs 1 GG gewährt keinen Anspruch auf eine "richtige" Entscheidung (BVerfG Beschluss vom 31.3.2016 - 2 BvR 1576/13 - juris RdNr 71). Eine Verletzung der Verpflichtung des LSG zur Sachaufklärung (§ 103 SGG) hat die Klägerin im Übrigen nicht formgerecht bezeichnet.
Soweit die Klägerin vorbringt, die Beigeladene sei prozessunfähig und nicht ordnungsgemäß vertreten gewesen und es hätte ein besonderer Vertreter (§ 72 SGG) bestellt werden müssen, hat sie nichts dazu vorgetragen, weshalb sie selbst (die Klägerin) dadurch beschwert sein soll und dies mit Erfolg rügen könnte. Soweit das BSG in der Vergangenheit ausgeführt hat, auch Dritte könnten im Revisionsverfahren den Mangel fehlender Prozessfähigkeit eines Beteiligten rügen (BSGE 86, 107 = SozR 3-1200 § 2 Nr 1 - juris RdNr 11), fehlt es an jeglichem Vortrag der Klägerin dazu, ob dies auch im Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gilt. Die Klägerin hätte sich insbesondere mit der zu § 547 Nr 4 Zivilprozessordnung (ZPO) ergangenen Rechtsprechung auseinandersetzen müssen, dass im Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision der Mangel nicht von Dritten, sondern nur von der unzureichend vertretenen Partei, zu deren Schutz die Vorschrift besteht, geltend gemacht werden kann (Bundesgerichtshof ≪BGH≫ Beschluss vom 22.12.2016 - IX ZR 259/15 = MDR 2017, 538 - juris RdNr 8 f; dem folgend Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 77. Aufl 2019, § 547 RdNr 11; Ball in Musielak/Voit, ZPO, 16. Aufl 2019, § 547 RdNr 11; Koch in HK-ZPO, 8. Aufl 2019, § 547 RdNr 13; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 39. Aufl 2018, § 547 RdNr 8; Müller in Kern/Diehm, ZPO, 2017, § 547 RdNr 10; zur älteren Rechtsprechung siehe etwa BGHZ 63, 78 = NJW 1974, 2283 - juris RdNr 11 unter Hinweis auf BFHE 96, 385, 387 - juris RdNr 7; vgl auch BFH/NV 1993, 314 - juris RdNr 8).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 SGG iVm § 154 Abs 2 und § 162 Abs 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO); die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 40, 47 Abs 3, § 52 Abs 2, § 63 Abs 2 Gerichtskostengesetz (GKG).
Fundstellen
Dokument-Index HI13219865 |