Verfahrensgang

SG Berlin (Entscheidung vom 10.12.2013; Aktenzeichen S 10 R 5542/10)

LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 20.12.2018; Aktenzeichen L 12 R 1006/13)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 20. Dezember 2018 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Mit Urteil vom 20.12.2018 hat das LSG Berlin-Brandenburg die Beklagte verurteilt, der Klägerin eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung aufgrund eines Leistungsfalles am 12.6.2015 zu gewähren. Einen früheren Leistungsfall hat es verneint, insbesondere einen solchen, der zu einer Rentengewährung im unmittelbaren Anschluss an die der Klägerin bis zum Februar 2010 gewährte befristete Erwerbsminderungsrente geführt hätte.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 18.3.2019 begründet hat.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung genügt nicht der gesetzlichen Form. Die Klägerin hat darin die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dargelegt bzw bezeichnet.

1. Wird mit der Nichtzulassungsbeschwerde die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG geltend gemacht, muss der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit). In der Beschwerdebegründung ist deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und der Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (stRspr; zB BSG Beschluss vom 19.10.2011 - B 13 R 241/11 B - SozR 4-4200 § 25 Nr 1 RdNr 9 mwN; jüngst BSG Beschluss vom 8.8.2019 - B 13 R 289/18 B - juris RdNr 9; vgl auch BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14; ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 14 ff mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung vom 18.3.2019 nicht.

Die Klägerin formuliert darin die Frage:

"Ist es von der freien Beweiswürdigung nach § 128 SGG umfasst, dass die Tatrichter, die ein 'sogenanntes' Obergutachten anordnen, ihr Urteil in Bezug auf den streitigen Zeitraum der Zuerkennung der Erwerbsminderungsrente mit den Vorgutachten, auf dessen Verwertung ausdrücklich in der Beweisanordnung für das 'Obergutachten' hingewiesen wurde und diese auch sehr kritisch und ablehnend durch den 'Obergutachter' bewertet wurden, vollumfänglich und ohne Abstriche begründen dürfen, ohne auszuführen, warum dieses 'Obergutachten' überhaupt angeordnet wurde und ohne sich ausreichend kritisch in der Urteilsbegründung mit den impliziten Mängeln und Widersprüchen der Vorgutachten auseinanderzusetzen, wenn doch die Vorgutachten nicht zu beanstanden waren und zur Urteilsbildung ausgereicht hätten?"

Es sei dahingestellt, ob die Klägerin damit trotz des starken Einzelfallbezugs eine hinreichend bestimmte abstrakte Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit von § 128 SGG mit höherrangigem Recht formuliert hat. Jedenfalls hat sie die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage nicht aufgezeigt. Sie behauptet nicht einmal, dass diese höchstrichterlich noch nicht hinreichend geklärt sei. Vielmehr beschränken sich ihre unmittelbar auf die Klärungsbedürftigkeit bezogenen Ausführungen (Seite 8 der Beschwerdebegründung) darauf, die aufgeworfene Frage zu umschreiben. Soweit sie an anderer Stelle der Beschwerdebegründung auf eine Entscheidung des 1. Senats (BSG Beschluss vom 7.8.2018 - B 1 KR 15/18 B - juris RdNr 12) hinweist, untermauert sie lediglich ihr Vorbringen, mit ihrem - nicht näher bezeichneten - Beweisantrag im Berufungsverfahren habe sie dem LSG ausreichend vor Augen geführt, die gerichtliche Sachaufklärungspflicht noch nicht als erfüllt anzusehen. Auf zwei Entscheidungen des 9. Senats (BSG Beschluss vom 16.2.2017 - B 9 V 48/16 B - juris RdNr 13) bzw des 13. Senats (BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 9) weist sie nur im Zusammenhang mit ihrem Vorbringen hin, rechtlich bestehe keine Pflicht zur Einholung eines so genannten Obergutachtens. Darüber hinaus fehlt eine Auseinandersetzung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Der Klägerin hätte es aber oblegen, sich substantiiert mit der Rechtsprechung des BSG zur tatrichterlichen Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse und der nur unter bestimmten Umständen bestehenden Pflicht zur weiteren Beweiserhebung auseinanderzusetzen (vgl dazu zuletzt vor Eingang der Beschwerdebegründung etwa BSG Beschluss vom 22.1.2018 - B 13 R 415/14 B - juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 20.2.2018 - B 10 LW 3/17 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 9.1.2019 - B 9 SB 62/18 B - juris RdNr 7; jeweils mwN). Sie wäre insbesondere gehalten gewesen darzulegen, warum sich der bislang ergangenen Rechtsprechung ihrer Meinung nach keine ausreichenden Anhaltspunkte zur Beantwortung der von ihr in den Raum gestellten Rechtsfrage entnehmen lassen (vgl zu diesem Darlegungserfordernis zuletzt etwa BSG Beschluss vom 20.4.2020 - B 13 R 13/19 B - juris RdNr 11 mwN), die letztlich darauf zielt zu klären, ob ein Tatsachengericht gehindert ist, sich einem Sachverständigengutachten anzuschließen, wenn es in Kenntnis dieses Gutachtens ein weiteres Gutachten eingeholt hat. Da die Klägerin bereits die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage nicht dargelegt hat, lässt der Senat dahinstehen, ob der entscheidungserhebliche Sachverhalt in der Beschwerdebegründung genügend dargestellt wird (vgl zu dieser Anforderung zuletzt etwa BSG Beschluss vom 8.4.2020 - B 13 R 3/20 B - juris RdNr 6).

2. Den geltend gemachten Verfahrensmangel bezeichnet die Klägerin ebenfalls nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass iS von § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des Berufungsgerichts ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr; zB BSG Beschluss vom 27.10.2010 - B 12 KR 2/10 B - juris RdNr 5; jüngst BSG Beschluss vom 9.12.2019 - B 13 R 259/19 B - juris RdNr 4). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Berufungsgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Die Beschwerdebegründung vom 18.3.2019 verfehlt diese Anforderungen.

Die Klägerin rügt darin, das LSG habe ein "Urteil auf falscher Sachgrundlage" erlassen. Sie rügt ferner die Urteilsbegründung als teilweise widersprüchlich und überraschend, zudem lasse diese die Entscheidungsgründe nicht ausreichend erkennen. Die Klägerin bringt hierzu vor, das LSG habe in den Entscheidungsgründen dargelegt, die medizinischen Voraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente hätten bereits im Zeitraum bis Februar 2010 - für den die Klägerin eine befristete Erwerbsminderungsrente bezog und der im hier zugrunde liegenden Rechtsstreit nicht streitig ist - nicht vorgelegen. Insoweit habe das LSG sich nicht der Einschätzung des Sachverständigen Dr. W. angeschlossen, der von einer Erwerbsminderung der Klägerin seit 2006 ausgegangen sei. Der Sachverständige habe jedoch angesichts der Formulierung der (ergänzenden) Beweisfragen durch das LSG keinen Anlass zu der Annahme gehabt, das Gericht bezweifle bereits das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen der bis Februar 2010 von der Klägerin bezogenen Rente. Er habe deswegen hierzu nicht ausführlicher Stellung genommen. Wäre eine entsprechende Stellungnahme erfolgt, hätte dies auch Bedeutung für den streitigen Zeitraum nach Februar 2010 gehabt, denn nach dem Dafürhalten der Klägerin hat sich ihre Erwerbsfähigkeit nach dem Bezug der befristeten Erwerbsminderungsrente nicht gebessert.

Dieses Vorbringen lässt schon nicht ausreichend erkennen, welchen Verfahrensmangel die Klägerin geltend macht. Sollte die Klägerin einen Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) rügen wollen, fehlt es für eine ordnungsgemäße Sachaufklärungsrüge bereits an der Benennung eines bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrags (vgl zu diesem Erfordernis jüngst etwa BSG Beschluss vom 8.8.2019 - B 13 R 310/18 B - juris RdNr 5 mwN). Soweit die Klägerin offensichtlich nicht mit der Auswertung und Würdigung des Gutachtens des Sachverständigen Dr. W. und der übrigen aktenkundigen Befundberichte und Gutachten durch das LSG einverstanden ist, wendet sie sich gegen dessen Beweiswürdigung. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann eine Verfahrensrüge jedoch nicht auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG gestützt werden, worauf die Klägerin in der Beschwerdebegründung selbst hingewiesen hat. Schon aus diesem Grund erwächst auch kein rügefähiger Verfahrensmangel aus dem von der Klägerin angedeuteten Vorwurf, das LSG habe mit seiner Beweiswürdigung gegen Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstoßen und damit die Grenzen der freien Beweiswürdigung nach § 128 Abs 1 Satz 1 SGG überschritten. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision kann - anders als die Revision selbst - nicht auf einen solchen Verfahrensmangel gestützt werden (BSG Beschluss vom 15.7.2019 - B 13 R 3/18 B - juris RdNr 9).

Sollte die Klägerin einen Verstoß gegen die Begründungspflicht des LSG (§ 128 Abs 1 Satz 2 SGG iVm § 136 Abs 1 Nr 6 SGG) geltend machen wollen, legt sie schon das Fehlen von Entscheidungsgründen nicht schlüssig dar. Ihr Gesamtvorbringen legt nahe, dass überhaupt Ausführungen vorhanden sind. Darüber hinaus trägt sie lediglich zu der aus ihrer Sicht unvollständigen Sachverhaltsermittlung und der ihres Erachtens nicht überzeugenden Beweiswürdigung durch das LSG vor. Entscheidungsgründe fehlen aber nicht bereits dann, wenn die Gründe (vermeintlich) sachlich unvollständig, unzureichend, unrichtig oder sonst rechtsfehlerhaft sind (stRspr; vgl etwa BSG Beschluss vom 25.10.2017 - B 1 KR 18/17 B - juris RdNr 6 mwN).

Sollte die Klägerin eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG; Art 103 Abs 1 GG) durch eine Überraschungsentscheidung rügen wollen, legt sie in der Beschwerdebegründung nicht schlüssig dar, dass das LSG sich ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf einen Gesichtspunkt gestützt habe, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl zu dieser Darlegungsanforderung zuletzt etwa BSG Beschluss vom 21.1.2020 - B 13 R 287/18 B - juris RdNr 11 ff mwN). Soweit sie es als überraschend erachtet, dass das LSG bei ihr von einer erhaltenen Erwerbsfähigkeit für die Zeit bis Februar 2010 ausgegangen ist, wendet sie sich wiederum gegen die Beweiswürdigung des LSG und letztlich gegen die inhaltliche Richtigkeit des Berufungsurteils. Dass ein Beteiligter das angegriffene Urteil für inhaltlich falsch hält, kann indes nicht zur Revisionszulassung führen (stRspr; vgl etwa BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BSG Beschluss vom 21.4.2020 - B 13 R 44/19 B - juris RdNr 8; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

3. Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI14048096

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