Verfahrensgang

SG Berlin (Entscheidung vom 09.05.2017; Aktenzeichen S 51 KR 2155/14)

LSG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 02.10.2019; Aktenzeichen L 9 KR 310/17)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 2. Oktober 2019 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Das LSG Berlin-Brandenburg hat mit Beschluss vom 2.10.2019 einen Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Kosten für eine als Ersatz der ursprünglich in 2008 selbst beschafften Unterkiefer-Protrusionsschiene (UPS) gegen die beklagte Krankenkasse (KK) abgelehnt. Die Voraussetzungen des § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB V für einen Kostenerstattungsanspruch seien nicht erfüllt, weil die Kosten für die nun streitige Ersatzbeschaffung der Klägerin nicht nach einer rechtswidrigen Ablehnung durch die Beklagte entstanden seien. Die Klägerin habe einen Antrag bei der Beklagten erst nach dem Entstehen der Kostenlast gestellt, und ein Fall der Unaufschiebbarkeit der Behandlung habe nicht vorgelegen. Auch könne sich die Klägerin nicht darauf berufen, dass die Beklagte bereits 2008 den ersten Antrag auf Kostenübernahme für eine UPS abgelehnt habe. Diese frühere Ablehnung sei für die Kostenlast der nun streitigen Neuanschaffung nicht kausal, und dieser Antrag habe sich bereits erledigt. Der damaligen Ablehnung komme (unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BSG für die Bewilligung von Hilfsmitteln, BSG Urteil vom 25.6.2009 - B 3 KR 2/08 R - SozR 4-2500 § 33 Nr 24) keine Dauerwirkung zu, denn auch bei einer Ersatzbeschaffung bedürfe es einer Vorbefassung der KK. Auf die Frage, ob sich die Klägerin auf einen Anspruch aufgrund eines Systemversagens berufen könne, komme es daher nicht an. Im Übrigen habe der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) ein Beratungsverfahren nach § 135 SGB V eingeleitet.

Gegen die Nichtzulassung der Revision durch das LSG im vorgenannten Beschluss hat die Klägerin Beschwerde eingelegt und beruft sich auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie einen Verfahrensmangel des LSG (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 3 SGG).

II

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG vom 2.10.2019 ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 SGG).

Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), die Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Eine allgemeine Überprüfung der Richtigkeit der Entscheidung des LSG erfolgt im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht (stRspr, vgl bereits BSG Beschluss vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7). Keinen der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe hat die Klägerin in der Begründung der Beschwerde schlüssig dargelegt oder bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

1. Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) erfordert die Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage, der in dem Rechtsstreit eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beigemessen wird (vgl BSG Beschluss vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11). Die abstrakte Rechtsfrage ist klar zu formulieren, um an ihr die weiteren Voraussetzungen für die Revisionszulassung nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG prüfen zu können (Krasney in Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, IX. Kap, RdNr 181). Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn zu erwarten ist, dass die Revisionsentscheidung die Rechtseinheit in ihrem Bestand erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts fördern wird. Daher ist aufzuzeigen, ob und inwieweit zu der aufgeworfenen Frage bereits Rechtsgrundsätze herausgearbeitet worden sind und in welchem Rahmen noch eine weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung derselben durch das Revisionsgericht zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits erforderlich erscheint (vgl Krasney/Udsching/Groth, aaO, IX. Kap, RdNr 65 f). Es ist aufzuzeigen, dass die Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und die Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (vgl BSG Beschluss vom 16.12.1993 - 7 BAr 126/93 - SozR 3-1500 § 160a Nr 16). Hierfür ist eine substantielle Auseinandersetzung mit den einschlägigen oberstgerichtlichen Entscheidungen ebenso erforderlich wie die Darlegung, dass sich aus diesen keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ergeben (vgl BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8).

Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (vgl BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).

Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Die Klägerin formuliert als Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung:

1. Setzt nach § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alternative SGB V die Annahme eines Ursachenzusammenhangs zwischen dem die Haftung der KK begründeten Umstand (rechtswidrige Ablehnung der Leistung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) einen engen zeitlichen Zusammenhang voraus?

2. Kann eine mehrere Jahre in der Vergangenheit liegende Ablehnung einer Übernahme von Kosten für eine Leistung (Hilfsmittel) durch die KK noch als kausal im Sinne des § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alternative SGB V angesehen werden für die kostenpflichtige Beauftragung einer Ersatzanfertigung nach § 33 Abs. 1 Satz 5 SGB V (hier die Alternative der notwendigen Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln) bezüglich des vorher abgelehnten Hilfsmittels?

3. Ist der Einsatz einer UPS als untrennbarer Einsatz eines Hilfsmittels mit einer neuen Behandlungsmethode zur ärztlichen Behandlung der Schlafapnoe zu bewerten?

Sie trägt hierzu vor, die Frage, ob eine längere Zeit zurückliegende Ablehnung einer Leistung kausal für die Entstehung von Folgekosten einer Ersatzbeschaffung sein könne, sei klärungsbedürftig, weil sie bislang noch nicht höchstrichterlich entschieden sei.

Mit diesem Vortrag legt die Klägerin keine Klärungsbedürftigkeit dar. Sie setzt sich bereits nicht mit der Rechtsprechung des BSG zu den Kostenerstattungsansprüchen nach § 13 Abs 3 SGB V auseinander. Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung sind nicht zu erstatten, wenn der Versicherte sich die Leistung besorgt, ohne zuvor mit der KK Kontakt aufzunehmen und deren Entscheidung abzuwarten (stRspr BSG Urteil vom 14.12.2006 - B 1 KR 8/06 R - BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12 und BSG Urteil vom 12.9.2012 - B 3 KR 20/11 R - SozR 4-2500 § 33 Nr 39 mwN und bereits grundlegend zu dem Rechtszustand vor Inkrafttreten des SGB V, BSG Urteil vom 10.2.1993 - 1 RK 31/92 - SozR 3-2200 § 182 Nr 15). Insoweit muss ein Kausalzusammenhang bestehen, ohne den die Voraussetzungen des § 13 Abs 3 SGB V als Ausnahme vom Sachleistungsgrundsatz nicht erfüllt sind (vgl BSG Urteil vom 8.9.2015 - B 1 KR 14/14 R - juris).

Daran fehlt es, wenn die KK vor Inanspruchnahme mit dem Leistungsbegehren nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (stRspr vgl BSG Urteil vom 25.9.2000 - B 1 KR 5/99 R - SozR 3-2500 § 13 Nr 22 S 105 f; BSG Urteil vom 4.4.2006 - B 1 KR 5/05 R - BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, RdNr 23, 24), und zwar auch dann, wenn die Ablehnung der KK von vornherein feststeht (vgl bereits BSG Beschluss vom 15.4.1997 - 1 BK 31/96 - SozR 3-2500 § 13 Nr 15 S 74 f) oder bei von der Verordnung zu Lasten der GKV im Grundsatz ausgeschlossenen Arzneimitteln (vgl BSG Urteil vom 14.12.2006 - B 1 KR 8/06 R - BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12 und BSG Urteil vom 12.9.2012 - B 3 KR 20/11 R - SozR 4-2500 § 33 Nr 39). Inwieweit danach noch weitere Klärungsbedürftigkeit besteht oder dieser Rechtsprechung in nicht unerheblichem Maße widersprochen worden ist oder dass nunmehr Aspekte zu beachten sind, die bislang noch keine Beachtung gefunden haben (Krasney/Udsching/Groth, aaO, IX. Kap RdNr 185 mwN), kann dem Vorbringen nicht entnommen werden.

2. Auch ein Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) ist nicht formgerecht bezeichnet worden. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliegt, müssen die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 16 mwN). Daher genügt das Vorbringen der Klägerin zu dem aus ihrer Sicht verfahrensfehlerhaften Verzicht auf eine erneute Anhörung nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG nach einem Berichterstatterwechsel und der Einleitung eines Beratungsverfahrens des GBA nicht.

a) Nach § 153 Abs 4 SGG kann das LSG die Berufung durch Beschluss ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG vorher zu hören. Aus dieser Mitteilung muss hervorgehen, dass über die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entschieden werden soll und dass hierzu Gelegenheit zur Äußerung gegeben wird (zu den Voraussetzungen einer Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG vgl BSG Beschluss vom 23.6.2016 - B 3 KR 4/16 B - SozR 4-1500 § 140 Nr 3 RdNr 12; BSG Beschluss vom 21.9.2010 - B 2 U 145/10 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 10 RdNr 7). Die Mitteilung erfolgt daher über die Art der Entscheidung, nicht aber bereits über ihren Inhalt.

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist eine erneute Anhörung gemäß § 153 Abs 4 Satz 2 SGG nur erforderlich, wenn sich nach der ersten Anhörungsmitteilung die Prozesssituation entscheidungserheblich ändert (vgl BSG Beschluss vom 10.10.2017 - B 12 KR 37/17 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 20.10.2010 - B 13 R 63/10 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 11 RdNr 13) oder wenn ein Beteiligter nach der Anhörungsmitteilung substantiiert neue Tatsachen vorträgt, die eine weitere Sachaufklärung von Amts wegen erfordern (BSG Beschluss vom 10.10.2017 - B 12 KR 37/17 B - juris RdNr 9). Ausgehend von diesen Anforderungen für eine neue Anhörung ist der Beschwerde nicht zu entnehmen, weshalb die Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG unzureichend gewesen sei. Eine Änderung der Prozesslage aus dem nach der Anhörung der Beteiligten erfolgten Vortrag, der die Prozesssituation entscheidungserheblich verändert hat, ist von der Klägerin nicht aufgezeigt worden. Sie trägt im Grunde nur vor, die erfolgte Anhörung habe nicht konkret erkennen lassen, wie das LSG beabsichtige zu entscheiden. Wie das LSG das klägerische Vorbringen würdigt, kann indes nicht zur Zulassung der Revision führen. Denn eine Überprüfung der Beweiswürdigung nach § 128 Abs 1 Satz 1 SGG ist im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG ausdrücklich ausgeschlossen.

Mangels einer von der Klägerin hinreichend dargelegten Verletzung von § 153 Abs 4 SGG kann auch nicht angenommen werden, dass die Besetzung der Richterbank des LSG nur mit Berufsrichtern fehlerhaft war (§ 202 Satz 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO).

b) Die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG iVm Art 103 Abs 1 GG) führt schließlich ebenfalls nicht zur Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde. Der verfassungsrechtliche Anspruch der Gewährleistung rechtlichen Gehörs setzt ua voraus, dass ein Verfahrensbeteiligter bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermag, auf welche Gesichtspunkte es für die Entscheidung ankommen kann (vgl BVerfG Kammerbeschluss vom 15.8.1996 - 2 BvR 2600/95 - juris RdNr 22 unter Hinweis auf BVerfGE 84, 188, 190 ua). Um den Anspruch auf rechtliches Gehör und damit zugleich das Gebot fairen Verfahrens zu wahren, darf das Gericht deshalb seine Entscheidung nicht auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützen, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl BVerfG Beschluss vom 19.5.1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133, 144 f; Keller in Meyer-Ladewig ua, aaO, § 62 RdNr 8a, 8b mwN).

Die Klägerin hat allerdings - wie schon unter a) ausgeführt - nicht dargelegt, inwiefern der Beschluss des LSG maßgeblich auf neue tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte gestützt worden sei. Auch ist nicht erkennbar, dass der Rechtsstreit nach dem Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren eine unerwartete Wendung genommen hat, mit der auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (vgl dazu allgemein zB BVerfG Kammerbeschluss vom 5.4.2012 - 2 BvR 2126/11 - NJW 2012, 2262 = BVerfGK 19, 377; BSG Urteil vom 2.9.2009 - B 6 KA 44/08 R - SozR 4-2500 § 103 Nr 6 RdNr 17 mwN; BSG Beschluss vom 22.11.2012 - B 3 P 10/12 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 15 RdNr 13).

3. Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI14351500

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