Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzlassungsbeschwerde. Kassenarztrecht. Widerspruch. Begründung. Frist. Rechtsbehelfsbelehrung
Leitsatz (redaktionell)
1. § 44 S. 1 Ärzte-ZV ist mit Rücksicht auf den gemäß § 97 Abs. 3 S. 1 SGB V anzuwendenden § 84 Abs. 1 SGG dahin auszulegen, dass der Widerspruch „binnen eines Monats mit Angabe von Gründen einzulegen” ist, d.h., dass „binnen dieser Monatsfrist auch Gründe anzugeben sind”.
2. Eine Rechtsbehelfsbelehrung muss dieses von den allgemeinen Regelungen über das Widerspruchsverfahren abweichende Erfordernis in unmissverständlicher Weise zum Ausdruck bringen.
Normenkette
SGG § 84 Abs. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 Nr. 3; Ärzte-ZV § 44 S. 1; SGB V § 97 Abs. 3 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Beigeladenen zu 8. gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Juli 2002 wird zurückgewiesen.
Die Beigeladene zu 8. hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten für das Beschwerdeverfahren zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Zulassungsausschuss entzog dem als Vertragsarzt tätigen Kläger mit Beschluss vom 18. Mai 1999 (ausgefertigt am 20. August 1999) die Zulassung. Der Bescheid enthält unter der Überschrift „Rechtsbehelfsbelehrung” ua folgenden Text:
„Gegen diesen Bescheid kann binnen eines Monats nach Zustellung schriftlich oder zur Niederschrift bei der Geschäftsstelle des Berufungsausschusses für Ärzte … Widerspruch eingelegt werden. Der Widerspruch muss den Bescheid, gegen den er sich richtet, bezeichnen und ist zu begründen.
Für das Widerspruchsverfahren ist eine Gebühr von DM 100,00 an die Kassenärztliche Vereinigung … zu Gunsten des Berufungsausschusses zu entrichten.”
Am 21. September 1999 legte der Kläger Widerspruch ein und kündigte eine gesonderte schriftsätzliche Begründung an. Mit Schreiben vom 1. Oktober 1999 wies ihn der beklagte Berufungsausschuss darauf hin, dass mit der Einlegung des Widerspruchs zugleich zwingend die Begründung vorgelegt werden müsse; es werde gebeten, die Widerspruchsbegründung bis zum 21. Oktober 1999 vorzulegen. Am 3. Januar 2000 übersandte der nun für den Kläger auftretende anwaltliche Bevollmächtigte sodann eine Begründung. Mit Beschluss vom 23. August 2000 (ausgefertigt 21. September 2000) wies der Beklagte diesen Widerspruch zurück, da er nicht innerhalb der Frist des § 44 Satz 1 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) begründet worden sei.
Die dagegen gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen im Sinne einer Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung erfolgreich gewesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufungen des Beklagten und der zu 8. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) gegen das erstinstanzliche Urteil mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Widerspruch des Klägers fristgerecht gewesen sei. Da die Rechtsbehelfsbelehrung ihrem objektiven Inhalt nach unrichtig sei, habe nicht die Monatsfrist des § 84 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), sondern die Jahresfrist des § 66 Abs 2 SGG zu laufen begonnen. Die Belehrung sei nicht klar und eindeutig formuliert. Es werde nicht zweifelsfrei klar, dass sich die Monatsfrist – abweichend von den Vorverfahrensschriften des SGG und anderer Verfahrensordnungen – auch auf die Begründung beziehe. Der Senat habe im Übrigen Bedenken, ob § 44 Ärzte-ZV rechtmäßig sei; darüber habe aber letztlich nicht entschieden werden müssen (Urteil vom 10. Juli 2002).
Gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil richtet sich die Beschwerde der Beigeladenen zu 8. Sie macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie einen „Verstoß gegen die Denkgesetze” geltend und rügt die Abweichung des LSG-Urteils von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG).
Der Beklagte pflichtet den Ausführungen der Beigeladenen zu 8. bei.
Entscheidungsgründe
II
Die Beschwerde der zu 8. beigeladenen KÄV ist – soweit zulässige Revisionszulassungsgründe geltend gemacht worden sind – unbegründet. Entgegen ihrer Auffassung kommt der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zu (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Die Voraussetzungen für eine Revisionszulassung wegen Abweichung des LSG-Urteils von der Rechtsprechung des BSG (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG) liegen ebenfalls nicht vor.
Für die Bejahung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache ist es erforderlich, dass eine konkrete, in klarer Formulierung bezeichnete Rechtsfrage in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist. Selbst wenn man annimmt, dass der Vortrag der Beigeladenen zu 8. den auf diesen Revisionszulassungsgrund bezogenen Darlegungsanforderungen iS von § 160a Abs 2 Satz 3 SGG genügt (vgl insoweit zB BVerfG ≪Kammer≫, SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14, und BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 19 S 34 f; Nr 30 S 57 f mwN), kann er der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen.
Die Beantwortung der von der Beschwerdeführerin sinngemäß aufgeworfenen ersten Rechtsfrage ergibt sich nämlich ohne Weiteres, dh, auch ohne dass es dafür der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf, aus den vom LSG herangezogenen Bestimmungen selbst und einschlägiger Judikatur. An der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage fehlt es, wenn die zutreffende Beantwortung der Frage nach dem Inhalt der maßgeblichen Rechtsvorschriften bzw dazu bereits vorliegender höchstrichterlicher Rechtsprechung keinem vernünftigen Zweifel unterliegen kann (vgl zB BSG SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6 und § 160a Nr 21 S 38). So verhält es sich hier.
Bei der formulierten Frage, „wie eng (eine Rechtsbehelfsbelehrung) an die Vorgaben des … § 44 Ärzte-ZV angelehnt sein muss”, ist schon nicht hinreichend deutlich, weshalb diese Rechtsfrage entscheidungserheblich in dem Sinne sein sollte, dass ihre Beantwortung im konkreten Rechtsstreit zu einem anderen als dem vom LSG verkündeten Urteilstenor führen könnte. Entscheidungserhebliche Bedeutung kann die Beschwerdebegründung nur haben, wenn man ihr zu Gunsten der Beigeladenen zu 8. sinngemäß das Fragesubstrat entnimmt, ob die dem Rechtsstreit zu Grunde liegende, standardmäßig ebenfalls in einer Vielzahl von Fällen verwendete Rechtsbehelfsbelehrung den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Belehrung genügt und die Monatsfrist des § 44 Ärzte-ZV in Gang setzt (was das LSG verneint hat) bzw iS von § 66 Abs 2 SGG nicht „unrichtig” ist. Zur Beantwortung dieser Frage bedarf es indessen keines Revisionsverfahrens. Es kann kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass die vom Zulassungsausschuss gewählte Rechtsmittelbelehrung unrichtig ist (vgl auch Beschluss des Senats vom 21. Mai 2003 – B 6 KA 20/03 B ≪betr eine ähnliche Rechtsbehelfsbelehrung gemessen am wortgleichen § 44 Zulassungsverordnung für Vertragszahnärzte≫).
Nach der Rechtsprechung des Senats ist § 44 Satz 1 Ärzte-ZV mit Rücksicht auf den gemäß § 97 Abs 3 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) anzuwendenden § 84 Abs 1 SGG dahin auszulegen, dass der Widerspruch „binnen eines Monats mit Angabe von Gründen einzulegen” ist, dh, dass „binnen dieser Monatsfrist auch Gründe anzugeben sind” (BSG SozR 3-5520 § 44 Nr 1 S 5). Eine Rechtsbehelfsbelehrung muss dieses von den allgemeinen Regelungen über das Widerspruchsverfahren abweichende Erfordernis in unmissverständlicher Weise zum Ausdruck bringen. Das ist nicht geschehen. Die hier vom Zulassungsausschuss verwendete Belehrung behandelt im ersten Satz die Einlegung des Widerspruchs „binnen eines Monats nach Zustellung” und geht im selben Satz nur gesondert auf die äußere Form „schriftlich oder zur Niederschrift”) und die zuständige Stelle „Berufungsausschusses für Ärzte”) ein. Erst im nächsten Satz wird dann allgemein der erforderliche Inhalt des Widerspruchs dargestellt und erst in diesem Zusammenhang mit angeführt, der Widerspruch sei „zu begründen”. Damit aber fehlt der iS der Rechtsprechung des Senats gebotene, hinreichend klare Hinweis auf die hier gerade bestehende atypische Besonderheit, dass nämlich auch die Angabe von Gründen untrennbar mit der Einhaltung der Widerspruchsfrist verknüpft ist, und es treten die vom LSG angenommenen Rechtsfolgen ein.
Mit der darüber hinaus als Revisionszulassungsgrund nach § 160 Abs 1 Nr 1 SGG geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache in Bezug auf die vom LSG ausführlich dargestellten Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des § 44 Ärzte-ZV kann die Beigeladene zu 8. ebenfalls nicht durchdringen; Gleiches gilt für ihre insoweit zugleich gerügte Abweichung des LSG vom Urteil des BSG vom 9. Juni 1999 – B 6 KA 76/97 R (SozR 3-5520 § 44 Nr 1). Für das Durchgreifen einer Grundsatzrüge fehlt es an der Entscheidungserheblichkeit einer daraus abgeleiteten (nicht im einzelnen formulierten) Rechtsfrage für den Ausgang des Rechtsstreits und damit an der Klärungsbedürftigkeit. Ebenso kann die angegriffene Entscheidung ersichtlich nicht auf der vermeintlichen Rechtsprechungsabweichung „beruhen” iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG. Das LSG hat seine Bedenken zur Auslegung des § 44 Ärzte-ZV nämlich auf Seite 14 des Urteils (Ende 1. Absatz) selbst in der Weise gekennzeichnet, dass darüber letztlich nicht habe entschieden werden müssen, weil die Berufungen des Beklagten und der Beigeladenen zu 8. schon aus den bereits zuvor dargelegten weiteren Gründen keinen Erfolg hatten. Beruhte die Stattgabe der Klage mithin auf Umständen, die unabhängig davon sind, ob man die gegen die Rechtsprechung des Senats zu § 44 Ärzte-ZV aufgeworfenen Bedenken teilt oder nicht, kann darauf ein Revisionszulassungsbegehren nicht gestützt werden. Das Instrument der Nichtzulassungsbeschwerde ist kein Mittel zur Klärung abstrakter Rechtsfragen, die sich auf das Ergebnis des konkret anhängigen Rechtsstreits nicht auswirken.
Soweit sich die Beigeladene zu 8. schließlich ergänzend darauf beruft, dem LSG sei ein „Verstoß gegen Denkgesetze” anzulasten, legt sie schon nicht iS von § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dar, unter welchem rechtlichen Gesichtspunkt des in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG abschließend aufgeführten Katalogs der Zulassungsgründe darin ein Revisionszulassungsgrund liegen sollte. Die darauf gestützte Beschwerde ist unzulässig.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG abgesehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden Fassung.
Fundstellen