Verfahrensgang
Sächsisches LSG (Urteil vom 17.01.2017; Aktenzeichen L 5 R 120/14) |
SG Chemnitz (Entscheidung vom 06.01.2014; Aktenzeichen S 35 R 1602/11) |
Tenor
Der Antrag der Klägerin, ihr für ein Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 17. Januar 2017 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwältin S. aus L. beizuordnen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Urteil wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
Mit Urteil vom 17.1.2017 hat das Sächsische LSG einen Anspruch der Klägerin auf Auszahlung von 20 166,76 Euro einer von dem beklagten Rentenversicherungsträger aus einer rückwirkend bewilligten Rente wegen voller Erwerbsminderung einbehaltenen und an das beigeladene Jobcenter erstatteten Rentennachzahlung für den Zeitraum vom 1.3.2001 bis 30.4.2007 verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt und Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung von Rechtsanwältin S. aus L. beantragt. Sie macht als Zulassungsgrund die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
1. Der PKH-Antrag der Klägerin ist abzulehnen. Nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 Abs 1 S 1 ZPO kann einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, für das Verfahren vor dem BSG PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht liegt hier nicht vor (dazu unter 2.). Damit entfällt zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).
2. Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Begründung vom 1.5.2017 genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht in der hierfür erforderlichen Weise dargelegt worden ist (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).
a) Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss daher, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG Beschluss vom 2.5.2017 - B 5 R 401/16 B - Juris RdNr 6 mwN). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.
b) Die Klägerin formuliert zunächst folgende Rechtsfragen, denen sie grundsätzliche Bedeutung beimisst:
"Kann § 40a Satz 1 SGB II als eigener Erstattungsanspruch der SGB II-Leistungsträger auch auf bereits vor 2009 abgeschlossene Sachverhalte als lediglich klarstellende Regelung zu § 104 SGB X Anwendung finden?"
"Verstößt § 40a Satz 2 SGB II i.V.m. Art.2Abs.2SGB2ÄndG8 gegen das verfassungsrechtlich normierte Rückwirkungsverbot?"
Die Klägerin hat die Klärungsbedürftigkeit der von ihr aufgeworfenen Rechtsfragen nicht hinreichend begründet. Eine Rechtsfrage ist nämlich dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich bedeutsam herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl stRspr, zB BSG Beschluss vom 5.9.2017 - B 3 KR 23/17 B - Juris RdNr 9). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass das BSG zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet hat (vgl Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 183 mwN). Soweit die Beschwerde die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache aus einer Verletzung von Normen des GG ableitet, darf sie sich dabei nicht auf die bloße Benennung angeblich verletzter Rechtsgrundsätze beschränken, sondern muss unter Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG und des BSG zu den (konkret) gerügten Verfassungsnormen bzw -prinzipien in substantieller Argumentation darlegen, welche gesetzlichen Regelungen welche Auswirkungen haben und woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll (stRspr, zB BSG Beschluss vom 5.9.2017 - B 5 R 121/17 B - Juris RdNr 10 mwN). Hierzu müssen der Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufgezeigt, die Sachgründe der jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verletzung der konkreten Regelung des GG im Einzelnen dargelegt werden (stRspr, zB BSG Beschluss vom 12.7.2013 - B 1 KR 123/12 B - Juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 20.7.2010 - B 1 KR 10/10 B - Juris RdNr 6).
Dies ist hier nicht in gebotenem Maße geschehen. Nach der Rechtsprechung des BVerfG findet das von der Klägerin mit ihren Fragestellungen problematisierte Rückwirkungsverbot seinen Grund im Vertrauensschutz. Das grundsätzliche Verbot der echten Rückwirkung greift daher nur ein, wenn eine gesetzliche Regelung dazu geeignet war, Vertrauen auf ihren Fortbestand in vergangenen Zeiträumen zu erwecken (BVerfG Beschluss vom 21.7.2010 - 1 BvL 11/06 - BVerfGE 126, 369, 393 = SozR 4-5050 § 22b Nr 9 RdNr 75 mwN). Aus welchen Gründen die Klägerin nach der Rechtslage vor Einführung des § 40a SGB II mit Wirkung vom 1.1.2009 darauf vertrauen konnte, dass sie nach dem SGB II bezogene Leistungen - auch neben der nachgezahlten Rente wegen Erwerbsminderung - behalten durfte, trägt sie nicht vor. Dass eine solche Rechtsauffassung, wonach in Fällen wie dem der Klägerin nach §§ 102 ff SGB X keinerlei Erstattungsanspruch bestehe, jedenfalls bis zu den Entscheidungen des Senats vom 31.10.2012 zu besonderen Fallkonstellationen (B 13 R 9/12 R - SozR 4-1300 § 104 Nr 5 und B 13 R 11/11 R - SozR 4-1300 § 106 Nr 1) und den Reaktionen darauf überhaupt vertreten wurde, hat die Klägerin nicht dargelegt. Das Gegenteil war der Fall (vgl dazu Pattar in jurisPK-SGB II, 4. Aufl 2015, § 40a RdNr 12 f).
c) Die Klägerin formuliert als weitere Rechtsfrage:
"Steht § 40 Abs. 2 Satz 2 SGB II alter Fassung bzw. § 40 Abs. 4 Satz 2 SGB II (in der bis zum 31.12.2016 geltenden Fassung) in Höhe von 56 v.Hundert der Kosten der Unterkunft der Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X entgegen, bzw. beschränkt § 40 Abs. 2 Satz 1 a.F. § 40 Abs. 4 Satz 1 in der Fassung bis zum 31.12.2016 in analoger Anwendung die Erstattungsansprüche des § 104 SGB X (i.V.m. § 40a SGB II)?"
Der Senat lässt offen, ob die Klägerin mit dieser Formulierung eine abstrakte Rechtsfrage zum Anwendungsbereich einer bestimmten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) aufgezeigt hat. Auch wenn man zu ihren Gunsten unterstellt, die Klägerin habe anstelle der von ihr angeführten "§ 40 Abs. 4 Satz 2 SGB II (in der bis zum 31.12.2016 geltenden Fassung)" und "§ 40 Abs. 4 Satz 1 in der Fassung bis zum 31.12.2016" jeweils die Vorschrift des § 40 Abs 9 S 1 SGB II idF bis zum 31.12.2016 gemeint (§ 40 Abs 9 SGB II ersetzte den früheren Abs 4 gemäß Art 1 Nr 34 Buchst e Gesetz vom 26.7.2016, BGBl I 1824, mWv 1.8.2016), fehlt es jedenfalls an hinreichenden Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit der von der Klägerin aufgeworfenen Problematik. Wie bereits ausgeführt ist eine Rechtsfrage insbesondere dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Nach dem Wortlaut von § 40 Abs 9 S 1 SGB II idF bis zum 31.12.2016 waren "abweichend von § 50 des Zehnten Buches" 56 Prozent der bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II und des Sozialgeldes berücksichtigten Bedarfe für Unterkunft nicht zu erstatten. Woraus die Klägerin entgegen des insoweit eindeutigen Gesetzestextes einen erweiterten Anwendungsbereich von § 40 Abs 9 S 1 SGB II idF bis zum 31.12.2016 auch im Verhältnis zwischen dem (beigeladenen) Jobcenter und dem (beklagten) Rentenversicherungsträger ableitet, begründet die Klägerin ebenso wenig wie die von ihr begehrte weitere Rechtsfolge, nämlich den Erfüllungseinwand der Beklagten nach § 107 SGB X zu beschränken.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI11520179 |