Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache. soziales Entschädigungsrecht. Gewaltopfer. tätlicher Angriff. geschlechtszuweisende Operation eines zweigeschlechtlichen Menschen mit Einwilligung der Eltern. ärztlicher Eingriff. Völkerrecht. Folterverbot. keine unmittelbare Geltung der Entschädigungsregelung in der Antifolterkonvention. Klärungsbedürftigkeit. Auseinandersetzung mit höchstrichterlicher Rechtsprechung. sozialgerichtliches Verfahren. Verfahrensfehler. Zurückweisung der Berufung ohne mündliche Verhandlung nach § 153 Abs 4 SGG. zu kurze Anhörungsfrist. Mindestfrist von zwei Wochen. Entscheidungserheblichkeit des Verfahrensmangels. Zurückweisungsbeschluss nach mehr als zwei Wochen. "faktisch angemessene Frist" durch späte Entscheidung. Verpflichtung des Gerichts zur Kenntnisnahme von Vorbringen nach Fristablauf. Anhalten von intern ergangenen Beschlüssen. Zustellung des Beschlusses an die Beteiligten. Beendigung des Berufungsverfahrens. keine Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. gerichtliches Ermessen. beschränkter Prüfungsumfang des BSG. keine Überprüfung der zugrunde liegenden Tatsachenwürdigung. rechtliches Gehör. unvollständige Beweisanordnung. Absehen von der Übermittlung formaler Anschreiben und Hinweise für die Gutachtenerstellung. Fragerecht an den Sachverständigen. Aufrechterhaltung des Fragerechts nach Anhörungsmitteilung gemäß § 153 Abs 4 S 2 SGG. Sachaufklärungspflicht. Darlegungsanforderungen
Orientierungssatz
1. Art 14 des völkerrechtlichen Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (juris: FoltKonv) vermittelt Opfern einer Folterhandlung keinen unmittelbaren Entschädigungsanspruch gegen Deutschland als Konventionsstaat, weshalb eine Folterhandlung iS des Übereinkommens nicht zwingend als vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 des Opferentschädigungsgesetzes (juris: OEG) einzuordnen ist.
2. Macht eine Grundsatzbeschwerde die grundsätzliche Bedeutung von Fragen um die Einordnung eines (vermeintlich) unter Verstoß gegen das völkerrechtliche Folterverbot vorgenommenen ärztlichen Eingriffs als tätlichen Angriff iS des § 1 OEG geltend (hier: einer geschlechtszuweisende Operation mit Einwilligung der Eltern), muss sie sich zumindest mit der BSG-Rechtsprechung zur Bewertung von ärztlichen Eingriffen im Gewaltopferentschädigungsrecht (vgl BSG vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R = BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17) auseinandersetzen.
3. Eine Frist von nur einer Woche zur Anhörung nach § 153 Abs 4 S 2 SGG ist zu kurz. In der Regel darf jedenfalls bei einer ausdrücklichen Fristsetzung vom Gericht eine Äußerungsfrist von zwei Wochen - ohne die Anrechnung von Postlaufzeiten - nicht unterschritten werden (vgl BSG vom 12.2.2009 - B 5 R 386/07 B = SozR 4-1500 § 153 Nr 7 und vom 29.11.2006 - B 6 KA 23/06 B = SozR 4-1500 § 153 Nr 3).
4. Die Entscheidung des LSG beruht allerdings nicht auf dem Verfahrensfehler der zu kurzen Fristsetzung, wenn der Zurückweisungsbeschluss des LSG nach § 153 Abs 4 S 1 SGG tatsächlich erst nach mehr als zwei Wochen ergangen ist und damit der klagenden Person faktisch eine angemessene Frist für Einwendungen und weitere Anträge zur Verfügung gestanden hat.
5. Ein Gericht ist grundsätzlich verpflichtet, Vorbringen der Beteiligten, das nach Fristablauf bei Gericht eingeht, zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, indem es den Vorgang der Ausfertigung und Absendung des noch intern gebliebenen Beschlusses anhält und erneut über die Sache berät (vgl BSG vom 12.2.2009 - B 5 R 386/07 B aaO).
6. Ist das Berufungsverfahren mit Zustellung des verfahrensbeendenden Beschlusses an die Beteiligten beendet, ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 SGG) nicht mehr möglich.
7. Allein ein erheblicher Umfang der Akten steht einer Ermessensentscheidung des LSG, im Beschlussverfahren ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, nicht entgegen, wenn das Gericht nur noch darüber zu befinden hat, wie das Gesamtergebnis des Verfahrens gemäß § 128 Abs 1 S 1 SGG zu würdigen und rechtlich zu beurteilen ist.
8. Die beschränkte Prüfung des BSG, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen nach § 153 Abs 4 S 1 SGG erkennbar fehlerhaft Gebrauch gemacht hat (vgl BSG vom 18.6.2019 - B 9 V 38/18 B, vom 23.3.2016 - B 9 SB 83/15 B und vom 12.2.2009 - B 5 R 386/07 B aaO), erstreckt sich nicht auf die zugrunde liegende Würdigung der Sachverständigengutachten, Zeugenaussagen sowie der beigezogenen medizinischen Befunde und sonstigen Unterlagen durch das LSG (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG).
9. Eine beteiligte Person wird nicht in ihrem rechtlichen Gehör verletzt, wenn ihr von einer Beweisanordnung für den Sachverständigen nur der unmittelbare Gutachtenauftrag ohne die formellen Teile (Anschreiben und Hinweise für die Gutachtenerstellung) zur Kenntnis gegeben werden.
10. Da das Fragerecht an den Sachverständigen der Verwirklichung des rechtlichen Gehörs dient, kann dessen Verletzung später nur gerügt werden, wenn die rügende Person alles getan hat, um eine Anhörung zu erreichen. Dieser Obliegenheit ist die rügende Person jedenfalls dann nachgekommen, wenn sie einen darauf gerichteten Antrag rechtzeitig gestellt, dabei schriftlich objektiv sachdienliche Fragen angekündigt und ihr Begehren bis zuletzt aufrechterhalten hat (stRspr zB BSG vom 7.8.2014 - B 13 R 439/13 B).
11. Zu den Anforderungen an die Darlegung einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach §§ 160a, 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG iVm § 103 SGG im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde.
Normenkette
FoltKonv Art. 14; OEG § 1 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1; SGG § 153 Abs. 4 Sätze 1-2, §§ 62, 67, 73a Abs. 1 S. 1, §§ 103, 109, 116 S. 2, § 118 Abs. 1 S. 1, § 124 Abs. 1, § 128 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2 Nrn. 1, 3 Hs. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2, § 160a Abs. 2 S. 3; ZPO § 114 Abs. 1 S. 1, §§ 397, 402, 411 Abs. 4; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20, 103 Abs. 1
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Urteil vom 13.07.2021; Aktenzeichen L 3 VE 1/19) |
SG Hamburg (Urteil vom 19.12.2018; Aktenzeichen S 12 VE 46/14) |
Nachgehend
Tenor
Der Antrag der klagenden Person, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Hamburg vom 13. Juli 2021 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwältin B aus A beizuordnen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde der klagenden Person gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Beschluss wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I. In dem der Beschwerde und dem Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) zugrundeliegenden Rechtsstreit macht die klagende Person, die auch den Vornamen "A" verwendet, mit Antrag vom 28.6.2010 einen Anspruch auf Versorgungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) geltend, weil sie Opfer einer Gewalttat geworden sei. Bei angeborenem 21-Hydroxylase-Mangel mit Salzverlustsyndrom und Zweigeschlechtlichkeit sei sie im Klinikum H unter Anwendung des Medikaments Androcur über Jahre hinweg zwangsbehandelt und psychoendokrinologisch zwangskastriert worden. Zudem seien eine Klitoridektomie und eine Blasenpunktion durchgeführt worden. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 19.3.2013, Widerspruchsbescheid vom 14.10.2014).
Die hiergegen erhobene Klage hat das SG abgewiesen (Urteil vom 19.12.2018). Im Berufungsverfahren hat das LSG ua Gutachten von H vom 14.2.2020 und E vom 29.3.2021 als Sachverständige eingeholt sowie W als den die klagende Person im Klinikum H behandelnden Arzt schriftlich als Zeugen vernommen. Mit Schreiben vom 19.5.2021 und nochmals unter Fristsetzung zur Stellungnahme von einer Woche mit Schreiben vom 24.6.2021, dem damaligen Prozessbevollmächtigen der klagenden Person zugestellt am selben Tag, hat das LSG die Beteiligten zu seiner Absicht angehört, den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung im Beschlussverfahren zu entscheiden.
Das LSG hat mit Beschluss vom 13.7.2021 die Berufung der klagenden Person zurückgewiesen. Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Versorgung nach § 1 Abs 1 Satz 1 OEG seien mit Blick auf die im Jahr 1977 durchgeführte Klitoridektomie und nach § 1 Abs 2 Nr 1 OEG wegen der Verordnung und Behandlung mit dem Medikament Androcur nicht erfüllt. Es sei weder im Sinne eines Vollbeweises noch im Sinne einer Glaubhaftmachung nachgewiesen, dass sich die im Klinikum H im Zusammenhang mit der medizinischen Intervention handelnden Personen der klagenden Person gegenüber in feindseliger Willensrichtung verhalten hätten. Darüber hinaus sei nicht erkennbar, dass der seinerzeitige Eingriff rechtswidrig erfolgt sei. Vielmehr sei davon auszugehen, dass eine wirksame Einwilligung vorgelegen habe, weil die für die klagende Person Erziehungsberechtigten in die medizinische Intervention eingewilligt hätten. Die von den Elternteilen der klagenden Person unterzeichneten Erklärungen ließen daran keine durchgreifenden Zweifel aufkommen. Die Beweiserleichterung des § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung komme der klagenden Person nicht zugute, da der sie im Klinikum H behandelnde Arzt W als Zeuge zur Verfügung gestanden habe und sämtliche ärztlichen Unterlagen noch vorhanden seien. Ein Versorgungsanspruch könne auch nicht aus Art 14 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen oder Strafe vom 10.12.1984 (FoltKonv; BGBl II 1990, 246; für Deutschland in Kraft seit 31.10.1990, BGBl II 1993, 715) abgeleitet werden. Schließlich stehe der klagenden Person kein Anspruch auf Entschädigung wegen der behaupteten Vornahme einer Blasenpunktion zu, da bereits unklar sei, wann und unter welchen Umständen diese durchgeführt worden sei. Medizinische Unterlagen lägen insoweit nicht mehr vor. Selbst wenn man eine solche unterstelle, sei nicht erwiesen, dass eine Blasenpunktion in feindseliger Willensrichtung vorgenommen worden sei.
Der Beschluss des LSG ist der Beklagen am 13.7.2021 und dem damaligen Prozessbevollmächtigten der klagenden Person am 14.7.2021 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 16.7.2021 hat die klagende Person einen Kostenvorschuss zur Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG gezahlt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss hat die klagende Person Beschwerde beim BSG eingelegt, die sie mit dem Vorliegen von Verfahrensmängeln (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) begründet. Als Verfahrensmängel rügt sie neben einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) und ihres Anspruchs auf Anhörung eines bestimmten Arztes (§ 109 SGG) sowie einer fehlerhaften Beweisanordnung Verstöße des LSG gegen § 153 Abs 4 SGG und das Prinzip der Mündlichkeit (§ 124 Abs 1 SGG) sowie ihr Fragerecht zu den eingeholten Sachverständigengutachten und der schriftlichen Zeugenaussage als Ausfluss ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG). Für die Durchführung des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens hat die klagende Person PKH unter Beiordnung von Rechtsanwältin B aus A beantragt.
II. A. Der Antrag der klagenden Person auf PKH ist abzulehnen.
Gemäß § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Das ist hier nicht der Fall (hierzu sogleich unter B).
Mit der Ablehnung des Antrags auf PKH entfällt zugleich die Möglichkeit der Beiordnung der Prozessbevollmächtigten der klagenden Person im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).
B. Die Nichtzulassungsbeschwerde der klagenden Person ist zulässig, aber unbegründet, soweit sie als Zulassungsgrund das Vorliegen eines Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) wegen eines Verstoßes gegen § 153 Abs 4 SGG (dazu unter 1.) und einer fehlerhaften Beweisanordnung (dazu unter 2.) geltend macht. Soweit die klagende Person jedoch die Verletzung der Sachaufklärungspflicht, ihres Anspruchs auf Anhörung eines bestimmten Arztes und ihres Fragerechts sowie eine unzureichende Beweiswürdigung des LSG rügt, ist die Nichtzulassungsbeschwerde bereits unzulässig (dazu unter 3.) Dies gilt auch für ihre Grundsatzrüge (dazu unter 4.).
1. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensfehler vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Zwar ist dem LSG durch eine zu kurze Frist im Anhörungsschreiben vom 24.6.2021 ein Verfahrensfehler unterlaufen (dazu unter a); auf diesem Verfahrensmangel kann die angefochtene Entscheidung aber nicht beruhen (dazu unter b). Die darüber hinaus von der klagenden Person im Zusammenhang mit der Entscheidung des LSG geltend gemachten Verfahrensmängel, durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, liegen nicht vor (dazu unter c und d).
a) Das LSG hat § 153 Abs 4 Satz 2 SGG verletzt. Danach sind die Beteiligten vor Erlass eines Beschlusses nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG zu hören. Der Verstoß des Berufungsgerichts gegen diese Verfahrensvorschrift liegt darin, dass es der klagenden Person eine unangemessen kurze Frist zur Äußerung auf das gerichtliche Anhörungsschreiben vom 24.6.2021 von nur einer Woche gesetzt hat.
aa) Die Regelung in § 153 Abs 4 Satz 2 SGG schreibt zwar nicht vor, dass das Gericht eine Frist zur Stellungnahme zu bestimmen hat noch welche Frist zumindest einzuräumen wäre. Anders als bei einer Verletzung von § 153 Abs 4 Satz 1 SGG liegt damit nicht ohne Weiteres ein absoluter Revisionsgrund (gemäß § 202 Satz 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO ≪nicht vorschriftsmäßige Besetzung des erkennenden Gerichts≫) vor, bei dem unwiderleglich vermutet wird, dass die Entscheidung auf dem Verfahrensverstoß beruht (vgl BSG Beschluss vom 24.2.2016 - B 13 R 341/15 B - juris RdNr 6 mwN). Denn die nicht ordnungsgemäß durchgeführte Anhörung nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG ist in erster Linie eine Gehörsverletzung, deren Kausalität für die angegriffene Entscheidung nicht ohne Weiteres zu unterstellen ist. Wird in diesem Zusammenhang den Beteiligten eine Frist vorgegeben, so muss diese so ausreichend bemessen sein, dass ein Betroffener auch tatsächlich die Möglichkeit hat, sich vor der Entscheidung des Gerichts zu äußern. Anderenfalls setzt sich das Gericht in Widerspruch zu seinem eigenen Verhalten und verletzt das aus Art 2 Abs 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende allgemeine verfassungsrechtliche Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren (vgl BSG Beschluss vom 24.2.2016, aaO; BSG Beschluss vom 12.2.2009 - B 5 R 386/07 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 7 RdNr 12 mwN).
bb) In der Rechtsprechung des BSG wird übereinstimmend davon ausgegangen, dass sich die Angemessenheit einer Frist zur Stellungnahme nach den Umständen des Einzelfalls richtet. Eine Anhörungsfrist nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG muss so bemessen sein, dass dem Betroffenen ausreichend Zeit zur Einholung rechtlichen und gegebenenfalls medizinischen Rats sowie zur Abfassung seiner Äußerung verbleibt. In der Regel darf jedenfalls bei einer ausdrücklichen Fristsetzung vom Gericht eine Äußerungsfrist von zwei Wochen - ohne die Anrechnung von Postlaufzeiten - nicht unterschritten werden (vgl BSG Beschluss vom 12.2.2009 - B 5 R 386/07 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 7 RdNr 14 f; BSG Beschluss vom 29.11.2006 - B 6 KA 23/06 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 8).
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe war die der klagenden Person gesetzte Anhörungsfrist von lediglich einer Woche ab der Fertigung des zweiten Anhörungsschreibens vom 24.6.2021 trotz der noch am selben Tag erfolgten Zustellung an ihren damaligen Prozessbevollmächtigten zu kurz.
b) Dieser Verfahrensmangel greift jedoch nicht durch, weil die Entscheidung des LSG nicht auf ihm beruhen kann. Zwar war die eingeräumte Frist zu kurz, faktisch hat der klagenden Person jedoch eine angemessene Frist zur Verfügung gestanden, ohne dass die klagende Person diese zu einer Äußerung genutzt hat. Es hat sich nicht zu Lasten der klagenden Person ausgewirkt, dass das LSG ihr mit dem Anhörungsschreiben vom 24.6.2021 nur eine Äußerungsfrist von einer Woche gesetzt hat. Denn der angegriffene Beschluss des LSG ist erst am 13.7.2021 ergangen. Damit aber hat der klagenden Person tatsächlich in jedem Fall eine angemessene Frist von zwei Wochen zuzüglich hinreichender Postlaufzeiten - genau eine Frist von 18 Tagen - zur Verfügung gestanden, um eine weitere Stellungnahme oder Beweisanträge bei Gericht einzureichen. Daher konnte die nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG vorgeschriebene Anhörung im vorliegenden Fall die ihr zugedachte Funktion, die ansonsten durch die mündliche Verhandlung ermöglichte umfassende Anhörung der Beteiligten adäquat zu kompensieren (vgl BSG Beschluss vom 17.11.2015 - B 1 KR 65/15 B - juris RdNr 8), tatsächlich noch erfüllen. Mithin hat es sich nicht ausgewirkt, dass das LSG im Anhörungsschreiben vom 24.6.2021 eine zu kurze Frist gesetzt hat.
c) Des Weiteren sieht die klagende Person § 153 Abs 4 Satz 2 SGG und ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) auch dadurch verletzt, dass das LSG ihr auf ihren Schriftsatz vom 16.7.2021 keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt und keine Beweisaufnahme nach § 109 SGG durchgeführt hat. Ein Verfahrensverstoß liegt insoweit jedoch nicht vor.
Ein Gericht ist zwar grundsätzlich verpflichtet, Vorbringen der Beteiligten, das nach Fristablauf bei Gericht eingeht, zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, indem es den Vorgang der Ausfertigung und Absendung des noch intern gebliebenen Beschlusses anhält und erneut über die Sache berät (vgl BSG Beschluss vom 12.2.2009 - B 5 R 386/07 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 7 RdNr 23 mwN). Dies war dem LSG im vorliegenden Fall aber nicht möglich. Der Schriftsatz der klagenden Person vom 16.7.2021 ist bei Gericht am selben Tag eingegangen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Beschluss vom 13.7.2021 den internen Bereich des LSG bereits verlassen und war den Beteiligten bereits zugestellt. Diese haben den Beschluss ausweislich des Empfangsbekenntnisses des damaligen Prozessbevollmächtigten der klagenden Person am 14.7.2021 und des Empfangsbekenntnisses der Beklagten am 13.7.2021 erhalten. Mit der Zustellung an die Beteiligten ist der Beschluss wirksam (vgl hierzu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 133 RdNr 2a) und damit gemäß § 202 Satz 1 SGG iVm § 318 ZPO für das LSG bindend geworden (BSG Beschluss vom 12.2.2009, aaO RdNr 24). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 Abs 1 SGG) war nach Beendigung des Berufungsverfahrens nicht mehr möglich.
d) Die klagende Person rügt ferner eine Verletzung des § 153 Abs 4 Satz 1 SGG und eine Verletzung des Grundsatzes der mündlichen Verhandlung gemäß § 124 Abs 1 SGG, weil das LSG nicht ohne mündliche Verhandlung hätte entscheiden dürfen. Ein solcher Verfahrensmangel, der jedenfalls auch zu einer nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts (§ 202 Satz 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO) führt und damit zu der unwiderleglichen Vermutung dafür, dass die angegriffene Entscheidung auf dieser Gesetzesverletzung beruht (BSG Beschluss vom 24.2.2016 - B 13 R 341/15 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 8.9.2015 - B 1 KR 134/14 B - juris RdNr 6), liegt hier jedoch ebenfalls nicht vor.
Die Entscheidung, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 Satz 1 SGG zurückzuweisen, steht im pflichtgemäßen Ermessen des LSG ("kann"). Diese Entscheidung kann vom BSG deshalb nur darauf geprüft werden, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen erkennbar fehlerhaft Gebrauch gemacht hat, etwa wenn der Beurteilung sachfremde Erwägungen oder eine grobe Fehleinschätzung zugrunde liegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 18.6.2019 - B 9 V 38/18 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 23.3.2016 - B 9 SB 83/15 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 12.2.2009 - B 5 R 386/07 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 7 RdNr 27, jeweils mwN).
Die mündliche Verhandlung, aufgrund der die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit regelmäßig entscheiden (§ 124 Abs 1 SGG), verfolgt den Zweck, dem Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör zu genügen und mit ihnen den Streitstoff erschöpfend zu erörtern. Diese Funktion und Bedeutung der mündlichen Verhandlung muss das Berufungsgericht auch bei seiner Entscheidung berücksichtigen, ob es im vereinfachten Verfahren gemäß § 153 Abs 4 Satz 1 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden will. Demgemäß sind für diese Ermessensentscheidung - auch im Hinblick auf das in Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention jedermann gewährleistete Recht auf rechtliches Gehör - die Schwierigkeit des Falles und die Bedeutung der Tatsachenfragen relevant (vgl BSG Beschluss vom 8.9.2015 - B 1 KR 134/14 B - juris RdNr 8). Nicht erforderlich ist eine mündliche Verhandlung dann, wenn der Sachverhalt umfassend ermittelt worden ist, sodass Tatsachenfragen in einer mündlichen Verhandlung nicht mehr geklärt werden müssen, oder wenn im Berufungsverfahren lediglich der erstinstanzliche Vortrag wiederholt wird und das Gericht nur noch darüber zu befinden hat, wie das Gesamtergebnis des Verfahrens gemäß § 128 SGG zu würdigen und rechtlich zu beurteilen ist. Von Bedeutung kann insoweit auch eine außergewöhnlich lange Verfahrensdauer sein oder ob im Berufungsverfahren neuer Tatsachenvortrag durch einen Beteiligten erfolgt ist, den das LSG als nicht glaubhaft oder nicht glaubwürdig beurteilt hat. In jedem Fall ist der Anspruch der Beteiligten auf effektiven Rechtsschutz (Art 19 Abs 4 GG) zu beachten, nach dem die Gestaltung des Verfahrens in einem angemessenen Verhältnis zu dem auf Sachverhaltsaufklärung und Verwirklichung des materiellen Rechts gerichteten Verfahrensziel stehen muss (vgl BSG Beschluss vom 8.9.2015 - B 1 KR 134/14 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 SB 14/11 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 14 RdNr 10; jeweils mwN). Ist bei Abwägung aller danach zu berücksichtigenden Umstände die Wahl des vereinfachten Verfahrens ohne mündliche Verhandlung unter keinen Umständen zu rechtfertigen, liegt eine grobe Fehleinschätzung im obigen Sinne vor (BSG Beschluss vom 18.6.2019 - B 9 V 38/18 B - juris RdNr 10; BSG Urteil vom 2.5.2001 - B 2 U 29/00 R - SozR 3-1500 § 153 Nr 13 - juris RdNr 22).
Entgegen der Ansicht der klagenden Person ist dies vorliegend jedoch nicht der Fall. Insbesondere sind die entscheidungsrelevanten Tatsachenfragen - ausgehend von der insoweit maßgeblichen materiellen Rechtsauffassung des LSG (vgl zB BSG Beschluss vom 10.6.2021 - B 9 V 56/20 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 16, jeweils mwN) - nicht ungeklärt geblieben. Das Berufungsgericht hat nach Einholung von zwei Sachverständigengutachten und einer Zeugenvernehmung des die klagende Person im Klinikum H behandelnden Arztes sowie nach Beiziehung sämtlicher noch vorhandener ärztlicher Unterlagen des UKE die Voraussetzungen eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG mit Blick auf die vorgenommene Klitoridektomie nicht als nachgewiesen bewertet und festgestellt, dass weder im Sinne eines Vollbeweises noch im Sinne einer Glaubhaftmachung nachgewiesen sei, dass sich die im UKE im Zusammenhang mit der medizinischen Intervention handelnden Personen der klagenden Person gegenüber in feindseliger Willensrichtung verhalten haben. Zudem ist das LSG zum Ergebnis gelangt, dass nicht erkennbar sei, dass der seinerzeitige Eingriff rechtswidrig erfolgt sei. Es habe eine wirksame Einwilligung vorgelegen, weil die für die klagende Person Erziehungsberechtigten in die medizinische Intervention im Klinikum H eingewilligt hätten. Eine vorsätzliche Beibringung von Gift iS des § 1 Abs 2 Nr 1 OEG scheidet nach Ansicht des LSG bereits deshalb aus, weil die Verordnung und Dosierung des Medikaments Androcur nicht in feindseliger Willensrichtung erfolgt sei. Auch sei die Verabreichung des Medikaments nicht durch medizinisches Personal erfolgt, sondern in Tablettenform durch die klagende Person selbst oder deren Erziehungsberechtigte.
Danach sind weder sachfremde Erwägungen noch eine grobe Fehleinschätzung bei der Entscheidung des LSG erkennbar, durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. Denn es hatte nur noch darüber zu befinden, wie das Gesamtergebnis des Verfahrens gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG zu würdigen und rechtlich zu beurteilen war. Allein der erhebliche Umfang der Akten, der nicht zuletzt auch durch die zahlreichen und umfänglichen Schriftsätze der klagenden Person bedingt ist, steht der Entscheidung des LSG, im Beschlussverfahren ohne mündliche Verhandlung entscheiden zu wollen, nicht entgegen. Zwar ist die Gesamtverfahrensdauer durchaus als lang zu bewerten. Das Berufungsverfahren selbst hat ca zweieinhalb Jahre gedauert. Allerdings hat das LSG eine umfassende Beweisaufnahme vorgenommen. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass gerade die Beweisaufnahme des LSG dem Anspruch der klagenden Person auf effektiven Rechtsschutz (Art 19 Abs 4 GG) diente, um eine vollständige Sachverhaltsaufklärung und die Verwirklichung des materiellen Rechts zu gewährleisten (vgl hierzu BSG Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 SB 14/11 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 14 RdNr 10 mwN). Unerheblich ist in diesem Kontext der Einwand der klagenden Person, der Streitgegenstand sei aufgrund seiner Bezüge zum europäischen und internationalen Recht besonders schwierig und zudem noch weiter aufklärungsbedürftig, weil erhebliche Widersprüche in den eingeholten Gutachten und der zeugenschaftlichen Stellungnahme bestünden und die Diagnosen fehlerhaft seien. Aus der hier allein maßgeblichen Sicht des LSG war die Frage eines Versorgungsanspruchs aufgrund eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS von § 1 Abs 1 Satz 1 OEG und der vorsätzlichen Beibringung von Gift nach § 1 Abs 2 Nr 1 OEG auf Grundlage dieser Normen geklärt, ohne dass diesbezüglich europäisches und internationales Recht anzuwenden war. Die Würdigung der Sachverständigengutachten und der Angaben des gehörten Zeugen sowie der beigezogenen medizinischen Befunde und sonstigen Unterlagen durch das LSG unterliegen dabei nicht der Prüfung durch das BSG. Denn gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann eine Beschwerde nicht auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) gestützt werden. Das LSG war auch nicht verpflichtet, die klagende Person vor der Entscheidung auf die beabsichtigte Beweiswürdigung hinzuweisen (vgl BSG Beschluss vom 12.2.2009 - B 5 R 386/07 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 7 RdNr 29-30).
2. Soweit die klagende Person als Verfahrensmangel rügt, sie habe eine fehlerhafte und damit unwirksame Beweisanordnung zur Bestellung der Sachverständigen E erhalten und sei dadurch in ihrem rechtlichem Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) verletzt worden, ist die Beschwerde ebenfalls unbegründet.
Für die Beweisaufnahme durch die Sozialgerichte genügt regelmäßig eine prozessleitende Anordnung (Berchtold in Berchtold/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2. Aufl 2016, § 6 RdNr 488; Udsching in Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap III RdNr 37). Als solche ist die aktenkundige, vom Berichterstatter des LSG unter dem 28.1.2021 verfügte und den Beteiligten mit Gerichtsschreiben vom 11.2.2021 übersandte Beweisanordnung zu qualifizieren. Die klagende Person legt nicht substantiiert dar, dass und gegebenenfalls welche notwendigen Inhalte dieser ihrem damaligen Prozessbevollmächtigten übersandten Beweisanordnung gefehlt haben und inwiefern sie dadurch an der Wahrnehmung ihrer prozessualen Rechte gehindert worden ist. Eine Gehörsverletzung im Zusammenhang mit der Beweisanordnung ist auch nicht erkennbar. Denn diese enthält alle zur Wahrung des rechtlichen Gehörs der Beteiligten erforderlichen Inhalte, insbesondere die Bestellung und namentliche Benennung der beauftragten Sachverständigen sowie die an die Sachverständige gestellten Fragen.
Soweit die klagende Person rügt, dass die ersten vier Seiten der übersandten Beweisanordnung gefehlt hätten, hat bereits das LSG in dem angefochtenen Beschluss darauf hingewiesen, dass die für die Beteiligten sichtbare Paginierung der Beweisanordnung beginnend auf Seite 5 darauf beruht hat, dass die vorgehenden Seiten 1 bis 4 das Anschreiben an die Sachverständige, rechtliche Hinweise zur Erstattung des Gutachtens und die von der Sachverständigen auszufüllenden Honorarformulare beinhaltet haben, die den Beteiligten nicht notwendig zur Kenntnis gegeben werden brauchen. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die klagende Person aufgrund dieser Paginierung der Beweisanordnung gehindert gewesen ist, von ihren prozessualen Rechten Gebrauch zu machen. Solches hat sie in der Beschwerdebegründung auch nicht nachvollziehbar vorgetragen.
3. Soweit die klagende Person darüber hinaus Verletzungen der Sachaufklärungspflicht des LSG nach § 103 SGG und ihres Rechts auf gutachtliche Anhörung eines bestimmten Arztes nach § 109 SGG sowie eine fehlerhafte Beweiswürdigung des Berufungsgerichts rügt (dazu unter a) und ihr Fragerecht an die Sachverständigen und den Zeugen vom LSG als nicht beachtet ansieht (dazu unter b), ist die Beschwerde unzulässig. Denn sie hat die von ihr genannten Verfahrensmängel nicht in der gebotenen Weise bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
a) Wird ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) gerügt, muss die Beschwerdebegründung hierzu folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren und bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zur weiteren Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf einer angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme von seinem Standpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 11.9.2019 - B 9 SB 50/19 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 20.2.2019 - B 9 SB 67/18 B - juris RdNr 6).
Die klagende Person trägt vor, sie habe mit diversen Schriftsätzen unter Beifügung zahlreicher ärztlicher Dokumente sowie Ausschnitten von Publikationen auf zahlreiche Widersprüche in den Gutachten der Sachverständigen H und E sowie in der schriftlichen Zeugenaussage des W hingewiesen, die eine ergänzende Sachverhaltsaufklärung durch das LSG erfordert hätten. Das LSG sei ihren diesbezüglich gestellten Beweisanträgen jedoch nicht nachgegangen.
Mit diesem und ihrem weiteren Beschwerdevortrag erfüllt die klagende Person die vorgenannten besonderen Darlegungsanforderungen an eine Sachaufklärungsrüge nicht.
Ein in der Berufungsinstanz anwaltlich vertretener Beteiligter - wie die klagende Person - kann nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seiner Entscheidung wiedergibt. Nach Sinn und Zweck des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG soll die Sachaufklärungsrüge die Revisionsinstanz nur dann eröffnen, wenn das Tatsachengericht vor seiner Entscheidung durch einen Beweisantrag ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, dass ein Beteiligter die Sachaufklärung des Gerichts (§ 103 SGG) noch nicht als erfüllt ansieht. Entscheidet das Berufungsgericht - wie vorliegend - durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung, so muss ein anwaltlich vertretener Beteiligter nach Zugang der Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG schriftlich gestellte Beweisanträge aufrechterhalten oder neue Beweisanträge stellen. Anderenfalls gilt ein früherer Beweisantrag als erledigt (stRspr; zB BSG Beschluss vom 3.4.2020 - B 9 SB 71/19 B - juris RdNr 11 mwN). Die klagende Person hat schon nicht dargetan, ob und welchen ihrer in der Beschwerdebegründung genannten Anträge sie auch nach dem zweiten Anhörungsschreiben des LSG vom 24.6.2021 wiederholt oder aufrechterhalten hat.
Zudem hat die klagende Person nicht substantiiert dargelegt, aus welchen Gründen sich das LSG ausgehend von seiner Rechtsauffassung zur weiteren Sachaufklärung hätte gedrängt fühlen müssen. Vielmehr führt sie in ihrer Beschwerdebegründung ausschließlich aus, warum aus ihrer Sicht das LSG ihren Anträgen auf weitere Beweiserhebung hätte nachgehen müssen. Die klagende Person hätte sich jedoch im Rahmen ihrer Sachaufklärungsrüge mit der Rechtsansicht des LSG auseinandersetzen und hiervon ausgehend bezogen auf jeden ihrer Anträge substantiiert aufzeigen müssen, warum das LSG sich zu weiteren Ermittlungen hätte veranlasst sehen müssen. Dies hat sie jedoch nicht getan. Allein die bloße Behauptung der klagenden Person, das LSG hätte bei einer weiteren Sachaufklärung entsprechend ihrer Anträge zu dem Ergebnis kommen können, dass keine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Einwilligung der Eltern für den intensiven Eingriff mit nachhaltigen Folgen vorgelegen habe, und dass der chirurgische Eingriff an dem Genitale im Jahr 1977 nicht den Regeln der medizinischen Kunst entsprochen habe, reicht angesichts der vom LSG bereits vorgenommenen Ermittlungen (ua) durch Sachverständigen- und Zeugenbeweis nicht aus. Im Kern ihres diesbezüglichen Beschwerdevorbringens wendet sich die klagende Person gegen die Auswertung und Würdigung der eingeholten Sachverständigengutachten, der Zeugenaussage sowie der aktenkundigen medizinischen Befunde und sonstigen Unterlagen durch das LSG, die sie für falsch hält. Damit rügt die klagende Person die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts (vgl § 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Diese kann jedoch - wie bereits ausgeführt - mit einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht angegriffen werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG).
Sofern die klagende Person geltend macht, das LSG habe ihr Recht auf gutachtliche Anhörung eines bestimmten Arztes nach § 109 SGG verletzt, indem es ihrem Antrag auf Anhörung des G trotz Leistung eines Kostenvorschusses zur Justizkasse nicht entsprochen habe, kann sie mit diesem Vorbringen im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren von vornherein nicht gehört werden. Denn auf eine Verletzung von § 109 SGG kann die Verfahrensrüge nach der ausdrücklichen Bestimmung in § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nicht - weder unmittelbar noch mittelbar - gestützt werden (BSG Beschluss vom 10.12.2019 - B 9 V 18/19 B - juris RdNr 8).
b) Auch soweit die klagende Person eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) in Form des Fragerechts nach § 116 Satz 2, § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO rügt, hat sie einen solchen Verfahrensmangel nicht hinreichend dargetan.
Die klagende Person trägt vor, sie habe in diversen Schriftsätzen auf erhebliche Widersprüche in den Gutachten der Sachverständigen H und E und in der schriftlichen Zeugenaussage des W hingewiesen. Diese seien jedoch vom LSG zu den von ihr aufgeworfenen Fragen nicht angehört worden, obwohl sie dies beantragt habe.
Nach § 116 Satz 2, § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO steht jedem Beteiligen im Sozialgerichtsprozess das Recht zu, einem Zeugen oder Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die er zur Aufklärung der Sache für dienlich erachtet. Sachdienliche Fragen iS von § 116 Satz 2 SGG liegen dann vor, wenn sie sich im Rahmen des Beweisthemas halten und nicht abwegig oder bereits eindeutig beantwortet sind. Hierbei müssen keine Fragen formuliert werden; es reicht vielmehr aus, die noch aufklärungs- oder erläuterungsbedürftigen Punkte hinreichend konkret zu bezeichnen. Da das Fragerecht der Verwirklichung des rechtlichen Gehörs dient, ist weiterhin erforderlich, dass der Beteiligte alles getan hat, um die Anhörung zu erreichen. Dieser Obliegenheit ist er jedenfalls dann nachgekommen, wenn er einen darauf gerichteten Antrag rechtzeitig gestellt, dabei schriftlich objektiv sachdienliche Fragen angekündigt und das Begehren bis zuletzt aufrechterhalten hat (stRspr; zB BSG Beschluss vom 15.5.2017 - B 9 SB 85/16 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 7.8.2014 - B 13 R 439/13 B - juris RdNr 10, jeweils mwN).
Das Beschwerdevorbringen der klagenden Person entspricht diesen Anforderungen nicht. Unabhängig davon, dass sie schon nicht vorgetragen hat, dass und welche Fragestellungen oder erläuterungsbedürftige Punkte sie auch nach der zweiten Anhörungsmitteilung des LSG vom 24.6.2021 noch aufrechterhalten oder wiederholt hat, setzt die Ausübung des Rechts, Fragen an einen Zeugen oder Sachverständigen zu stellen, stets eine hinreichend konkrete Bezeichnung der noch aufklärungs- oder erläuterungsbedürftigen Punkte voraus. Bei einem medizinischen Sachverständigen muss ein - wie die klagende Person - rechtskundig vertretener Beteiligter hierzu die in dem Verfahren auf Grundlage der aktenkundigen medizinischen Sachverständigengutachten und Berichte zu den beabsichtigten Fragen bereits getroffenen oder in Zusammenhang mit diesen Fragen stehenden medizinischen Feststellungen auf dem jeweiligen Fachgebiet näher benennen, sodann auf dieser Grundlage auf insoweit bestehende Lücken, Widersprüche oder Unklarheiten hinweisen und hiervon ausgehend schließlich die konkret - aus seiner Sicht - noch erläuterungsbedürftigen Punkte formulieren (vgl BSG Beschluss vom 5.7.2018 - B 9 SB 26/18 B - juris RdNr 9). Dass und gegebenenfalls wann die klagende Person dies gegenüber dem LSG in welcher Form und mit welchem konkreten Inhalt getan hat, zeigt sie in der Beschwerdebegründung aber nicht hinreichend auf. Nähere Ausführungen wären hier auch schon deshalb notwendig gewesen, weil das LSG in dem angefochtenen Beschluss ausdrücklich ausgeführt hat, dass die klagende Person von ihrem Recht, objektiv sachdienliche Fragen an die Sachverständigen und den Zeugen zu stellen, "keinen Gebrauch gemacht" habe.
4. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist schließlich auch unzulässig, soweit die klagende Person eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend macht.
Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist, und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 8.3.2021 - B 9 BL 3/20 B - juris RdNr 14; BSG Beschluss vom 2.5.2017 - B 5 R 401/16 B - juris RdNr 6). Die Darlegungsanforderungen an eine Grundsatzrüge erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.
Die klagende Person misst folgenden Fragen grundsätzliche Bedeutung bei:
"1. Ist die Feindseligkeit der Willensrichtung im Sinne des OEG und/oder die Entschädigungspflicht aus dem OEG zu bejahen, wenn ein Arzt einem Kind ohne nachgewiesene medizinische Indikation prophylaktisch das Lustorgan unter Verletzung des völkerrechtlichen Folterverbotes aus dem Gesetz zu dem VN-Übereinkommen vom 10. Dez. 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990, Teil II, Seite 246 - 261) sowie weiterer von der Bundesrepublik Deutschland ratifizierten Menschenrechtsübereinkommen mit lebenszerstörender Folge entfernt?
2. Sind alle Handlungen, die von den Vereinten Nationen als Verstoß gegen das völkerrechtliche Folterverbot eingestuft oder von dem Europäischen Parlament durch verbindlichen Rechtsakt missbilligt sind, unabhängig von der Willensrichtung als vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG anzusehen?
3. Werden Medikamentenversuche mit in der Bundesrepublik Deutschland nicht für Kinder zugelassenen triebhemmenden Präparaten in Tablettenform (Cyproteronacetat = Androcur = SH 8.0714), die ausschließlich eine Zulassung für Sexualverbrecher besitzen bzw. zum Zeitpunkt des Medikamentenversuchs an Kinder besaßen, von der Tatbestandsvariante des § 1 Abs. 2 Nr. 1 OEG erfasst?"
Damit und mit ihren weiteren Ausführungen in der Beschwerdebegründung hat die klagende Person schon keine hinreichend konkreten Rechtsfragen zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit von § 1 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 Nr 1 OEG als revisible Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht aufgeworfen und den vom Revisionsgericht zu erwartenden klärenden Schritt für deren Beantwortung in der gebotenen Form aufgezeigt. Vielmehr zielen die von ihr formulierten Fragen auf abstrakte Aussagen zu möglichen Angriffshandlungen und deren Einschätzung als feindselig im Sinne der genannten Vorschriften ab. Die Beantwortung dieser Fragen setzt jedoch eine Würdigung des Sach- und Streitstandes voraus (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Beinhaltet aber eine Fragestellung im Kern letztlich eine Frage der Beweiswürdigung, kann ein Beschwerdeführer die gesetzlichen Beschränkungen der Verfahrensrüge in § 160 Abs 2 Nr 3 SGG - soweit sie reichen - nicht dadurch erfolgreich umgehen, dass er die Rüge in eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung zu kleiden sucht (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 16.1.2020 - B 10 ÜG 15/19 B - juris RdNr 8 mwN).
Selbst aber wenn man den von der der klagenden Person aufgeworfenen Fragestellungen die Qualität von Rechtsfragen unterstellen wollte, hat die klagende Person deren Klärungsbedürftigkeit nicht dargetan. Sie setzt sich in ihrer Beschwerdebegründung nicht mit den hier maßgeblichen Vorschriften in § 1 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 Nr 1 OEG auseinander. Die klagende Person benennt auch weder die hierzu ergangene Rechtsprechung des BSG noch wertet sie diese aus, um zu begründen, dass sich daraus nicht bereits hinreichende Anhaltspunkte für die Beantwortung der Fragen ergeben (vgl BSG Beschluss vom 21.12.2017 - B 9 V 46/17 B - juris RdNr 7 mwN). Sie erörtert nicht einmal die Entscheidung des BSG vom 29.4.2010 (B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17), in der sich das BSG mit der Bewertung von ärztlichen Eingriffen als vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG beschäftigt hat. Schließlich setzt sich die klagende Person trotz ihrer umfänglichen Ausführungen zur FoltKonv (aaO) nicht mit dem Umstand auseinander, dass Art 14 FoltKonv den Opfern einer Folterhandlung keinen unmittelbaren Entschädigungsanspruch gegen einen der Konventionsstaaten vermittelt (vgl hierzu BSG Beschluss vom 1.7.2020 - B 13 R 7/19 BH - juris RdNr 7 mwN).
5. Dass die klagende Person die Berufungsentscheidung inhaltlich für unrichtig hält, kann als solches nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 28.10.2020 - B 10 EG 1/20 BH - juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 - juris RdNr 4).
6. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
C. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15098676 |