Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 27.04.2022; Aktenzeichen L 4 SO 296/19)

SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 11.10.2019; Aktenzeichen S 30 SO 110/19)

 

Tenor

Das Gesuch des Klägers, den Richter Dr. Scholz wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, wird als unzulässig verworfen.

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. April 2022 - L 4 SO 296/19 - Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem bezeichneten Urteil wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger hat selbst mit einem beim Bundessozialgericht (BSG) am 24.6.2022 eingegangenen Schreiben ein "PKH-Gesuch für eine NZB / Revision" gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts (LSG) vom 27.4.2022 (öffentlich zugestellt durch Beschluss des LSG vom 29.8.2022) eingelegt sowie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt. Mit weiteren Schreiben (vom 5.9.2022, 6.10.2022 und 4.11.2022) hat er ua einen Befangenheitsantrag gegen den Berichterstatter gestellt. Eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ist am 4.11.2022 beim BSG eingegangen.

II

Der Senat entscheidet in seiner geschäftsplanmäßigen Besetzung unter Mitwirkung des abgelehnten Richters zugleich über das Befangenheitsgesuch sowie den Antrag auf Bewilligung von PKH unter Beiordnung eines Rechtsanwalts. Das Befangenheitsgesuch ist rechtsmissbräuchlich und deshalb offensichtlich unzulässig (vgl hierzu Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫ vom 19.6.2012 - 2 BvR 1397/09 - BVerfGE 131, 239, 252 f = NVwZ 2012, 1304; BVerfG vom 2.6.2005 - 2 BvR 625/01 ua = BVerfGK 5, 269, 280 f; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 60 RdNr 10d mwN). Von einer Unzulässigkeit wegen Rechtsmissbrauchs ist ua dann auszugehen, wenn kein bzw nur ein von vornherein völlig ungeeigneter Ablehnungsgrund genannt wird (vgl nur BSG vom 29.3.2007 - B 9a SB 18/06 B - SozR 4-1500 § 60 Nr 4 RdNr 8; BSG vom 31.8.2015 - B 9 V 26/15 B - RdNr 16 mwN; Keller, aaO, § 60 RdNr 10b). So liegt der Fall hier. Der Kläger hat ohne Darlegung objektiver Anknüpfungspunkte sein Schreiben vom 5.9.2022 lediglich pauschal mit "Befangenheitsantrag" überschrieben, ohne hierzu nähere Ausführungen zu machen. Damit konnte der an der Entscheidung beteiligte Richter, den das Gesuch betrifft, selbst mitentscheiden (vgl zu dieser Möglichkeit nur Keller, aaO, § 60 RdNr 10d mwN; vgl auch BSG vom 19.1.2010 - B 11 AL 13/09 C - SozR 4-1500 § 60 Nr 7 RdNr 8).

Dem Kläger kann PKH nicht bewilligt werden. Damit entfällt auch die Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫ iVm § 121 Abs 1 Zivilprozessordnung ≪ZPO≫). Voraussetzung dafür ist nach der Rechtsprechung des BSG und der anderen obersten Gerichtshöfe des Bundes, dass sowohl der (grundsätzlich formlose) Antrag auf PKH als auch die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Erklärung) in der für diese gesetzlich vorgeschriebenen Form (§ 73a Abs 1 SGG iVm § 117 Abs 2 und 4 ZPO), dh mit dem durch die PKH-Formularverordnung vom 6.1.2014 (BGBl I 34) eingeführten Formular, bis zum Ablauf der Beschwerdefrist eingereicht werden. Daran fehlt es hier.

Die Zustellung des angegriffenen Urteils ist hier durch öffentliche Bekanntmachung (öffentliche Zustellung) erfolgt. Diese kann nach § 63 Abs 2 Satz 1 SGG iVm § 185 Nr 1 ZPO erfolgen, wenn der Aufenthaltsort einer Person unbekannt und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist. Die - engen - Voraussetzungen für diese Vorgehensweise sind hier aus den im Urteil des LSG dargelegten Gründen im Zeitpunkt der Zustellung erfüllt gewesen. Das Urteil des LSG gilt damit einen Monat nach Aushang der Benachrichtigung am 2.10.2022 als zugestellt (vgl § 188 Satz 1 ZPO). Innerhalb der bis zum 2.11.2022 laufenden Beschwerdefrist (vgl § 160a Abs 1 Satz 2 SGG) hat der Kläger zwar PKH beantragt, aber bis zum Ablauf der Frist keine Erklärung vorgelegt, obwohl ihn der Senat mit Schreiben vom 11.8.2022 ausdrücklich darüber belehrt hat, dass sowohl das PKH-Gesuch als auch die formgerechte Erklärung bis zum Ablauf der Beschwerdefrist beim BSG einzureichen sind. Der Kläger hat die Erklärung (datiert vom 3.11.2022) vielmehr erst am 4.11.2022 vorgelegt. Bei öffentlicher Zustellung gilt die Regelung des § 222 Abs 2 ZPO nicht, weil es sich nicht um eine Frist handelt, innerhalb derer der Beteiligte eine prozessuale Handlung vorzunehmen hat (Wittschier in Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl 2022, § 188 RdNr 2). Unerheblich ist damit, dass Tag einen Monat nach Aushang auf einen Sonntag fällt.

Es ist weder ersichtlich noch vom Kläger dargetan, dass er an der rechtzeitigen Vorlage ohne Verschulden gehindert war. Eine etwaige Obdachlosigkeit ist hier schon deshalb unerheblich, weil der Kläger innerhalb der Frist auf die Belehrung des Berichterstatters geantwortet hat, ohne aber eine Erklärung vorzulegen. Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, dass dem Senat seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse aus anderen Verfahren bekannt seien; aus dem Erfordernis, dass sich der Inhalt der Erklärung auf den Zeitpunkt der Antragstellung beziehen soll, ist abzuleiten, dass grundsätzlich für jede Instanz die Erklärung auf einem gesonderten aktuellen Formular abgegeben werden muss. Er hat die Erklärung auch nicht durch Bezugnahme auf eine früher abgegebene Erklärung ersetzt (vgl dazu Schultzky in Zöller, ZPO, 34. Aufl 2022, § 117 RdNr 22 mwN), da er schon nicht ausdrücklich auf eine solche Erklärung verwiesen hat, sondern nur pauschal behauptet hat, dass dem Gericht seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bekannt seien.

Die vom Kläger selbst eingelegte Beschwerde entspricht nicht den zwingenden gesetzlichen Vorschriften. Der Kläger muss sich vor dem BSG gemäß § 73 Abs 4 SGG durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Er kann eine Prozesshandlung rechtswirksam nicht vornehmen, folglich nicht selbst Beschwerde einlegen. Schon die Beschwerdeschrift muss von einem nach § 73 Abs 4 SGG zugelassenen Prozessbevollmächtigten unterzeichnet sein. Hierauf wurde der Kläger ausdrücklich hingewiesen. Die nicht formgerecht eingelegte Beschwerde ist schon deshalb nach § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 Satz 3 SGG ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

Krauß                                   Bieresborn                              Scholz

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15615616

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