Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. sozialgerichtliches Verfahren. Verfahrensfehler. rechtliches Gehör. Verzicht auf mündliche Verhandlung nach § 124 Abs 2 SGG. prozessuale Situation. Absehen von einer mündlichen Verhandlung nach § 153 Abs 4 SGG. schwierige Rechtsfrage. Unanwendbarkeit des § 96 SGG auf spätere Ablehnungsbescheide. Amtsermittlungspflicht. Darlegungsanforderungen
Orientierungssatz
1. Die prozessuale Situation bei einem Verzicht auf die mündliche Verhandlung nach § 124 Abs 2 SGG ist nicht vergleichbar mit der des Absehens von einer mündlichen Verhandlung nach § 153 Abs 4 SGG, die nicht vom Einverständnis der Beteiligten abhängig ist.
2. Bei der Frage der Unanwendbarkeit des § 96 SGG auf spätere Ablehnungsbescheide handelt es sich nicht um eine schwierige Rechtsfrage, die das LSG an einer Entscheidung nach § 124 Abs 2 iVm § 153 Abs 5 SGG hätte hindern müssen.
3. Zu den Anforderungen an die Darlegung der Verletzung der Amtsermittlungspflicht und des rechtlichen Gehörs sowie an die Darlegung eines Verstoßes gegen § 96 SGG im Rahmen der Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde.
Normenkette
SGG § 160a Abs. 2 S. 3, § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2, §§ 62, 96 Abs. 1, §§ 103, 124 Abs. 2, § 153 Abs. 4; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. November 2014 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Der Kläger begehrt in der Hauptsache die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen aG und RF. Bei dem Kläger waren zuletzt ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für Merkzeichen G festgestellt. Die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen aG und RF lehnte der Beklagte (auch) in der Folge ab (Bescheid vom 17.1.2011; Widerspruchsbescheid vom 29.9.2011). Im Klageverfahren holte das SG ein Sachverständigengutachten nach Aktenlage ein, nachdem der Kläger die Untersuchung abgebrochen hatte und ein Befangenheitsantrag gegen den Sachverständigen ohne Erfolg war, und wies anschließend die Klage ab (Gerichtsbescheid vom 6.3.2014). Die Berufung wies das LSG mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung zurück und führte zur Begründung ua aus, der Kläger habe auf die mündliche Verhandlung verzichtet, sodass im schriftlichen Verfahren habe entschieden werden können. Ein während des Klageverfahrens ergangener weiterer Ablehnungsbescheid vom 8.10.2013 sei nicht in das Verfahren einbezogen worden, weil der Ablehnungsbescheid keine Abänderung oder Ersetzung iS des § 96 Abs 1 SGG darstelle. Hinweise darauf, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen der begehrten Merkzeichen vorlägen, bestünden im Übrigen nicht (Urteil vom 19.11.2014).
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG und macht den Zulassungsgrund des Verfahrensfehlers geltend.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund des Verfahrensmangels nicht ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde wie im Fall des Klägers darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist.
a) Der Kläger hat die behauptete Verletzung der Amtsermittlungspflicht nicht ausreichend bezeichnet. Die Ausführungen, dass so gut wie keine ambulante Untersuchung durchgeführt wurde, insbesondere keine kardiologische Begutachtung erfolgt sei und aufgrund des Hinweises im Widerspruchsbescheid auf die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der begehrten Merkzeichen sich das LSG zu weiteren Ermittlungen habe gedrängt sehen müssen, sind nicht ausreichend. Maßgeblich ist vielmehr die Darlegung, im Verfahren vor dem LSG einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt zu haben, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (vgl BSG Beschluss vom 4.9.2014 - B 9 V 8/14 B). Daran fehlt es.
Da § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG einen Beweisantrag ohne jede Einschränkung voraussetzt, muss auch ein unvertretener Beteiligter zumindest sinngemäß einen hinreichend konkreten Beweisantrag stellen. Dafür muss er dem Berufungsgericht auch noch am Ende des Verfahrens jedenfalls laienhaft aufzeigen, welche konkreten Punkte er weiter für aufklärungsbedürftig hält und auf welche Beweismittel zurückgegriffen werden soll, um den Sachverhalt weiter aufzuklären (vgl BSG Beschluss vom 22.7.2010 - B 13 R 585/09 B - RdNr 11; BSG Beschluss vom 2.6.2003 - B 2 U 80/03 B). Für einen solchen zumindest sinngemäß gestellten Beweisantrag des Klägers enthält die Beschwerdebegründung keine Darlegung.
b) Auch die behauptete Gehörsverletzung (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG; Art 47 Abs 2 S 1 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention) ist nicht hinreichend dargelegt. Mit seiner Beschwerdebegründung rügt der Kläger, das LSG habe trotz seines mit Schriftsatz vom 27.7.2014 erklärten Einverständnisses zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht im schriftlichen Verfahren entscheiden dürfen, weil die schwierige Frage der Einbeziehung des Bescheides vom 8.10.2013 nach Maßgabe des § 96 SGG im Raum gestanden habe und er deshalb im Klageverfahren noch gebeten habe, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.
Damit hat der Kläger nicht dargelegt, dass das LSG verfahrensfehlerhaft ohne mündliche Verhandlung entschieden hätte. Die vom Kläger zuvor gegenüber dem LSG abgegebene Erklärung des Einverständnisses nach § 124 Abs 2 SGG war für ihn bindend; er konnte sie als einseitige Prozesshandlung weder anfechten noch widerrufen, da auch der Beklagte zugestimmt und sich die Rechtslage nicht wesentlich geändert hatte (vgl BSG Beschluss vom 11.11.2004 - B 9 SB 19/04 B - Juris RdNr 8 mwN). Insbesondere trägt der Kläger keine wesentliche Änderung der Situation durch Übertragung auf den Berichterstatter vor und kann er angesichts der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch nicht vortragen (BSG Beschluss vom 29.11.2010 - B 14 AS 31/10 B). Die prozessuale Situation ist insoweit nicht - wie es dem Kläger offenbar vorschwebt - vergleichbar mit der des Absehens von einer mündlichen Verhandlung nach Maßgabe des § 153 Abs 4 SGG, die nicht vom Einverständnis der Beteiligten abhängig ist. Die Beschwerdebegründung belegt zudem, dass das LSG die Frage der Einbeziehung des Bescheides vom 8.10.2013 nach § 96 Abs 1 SGG unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BSG SozR 3-1500 § 96 Nr 9) erwogen hat, wenn auch nicht im Sinne des Klägers. Ein Gehörsverstoß setzt hingegen voraus, dass das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 19 S 33 mwN) oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12 S 19). Dies ist nach der Beschwerdebegründung nicht der Fall.
c) Auch ein Verstoß gegen § 96 Abs 1 SGG ist nicht ausreichend bezeichnet. Denn selbst wenn der Ablehnungsbescheid vom 8.10.2013 zu Unrecht nicht in das Verfahren einbezogen worden sein sollte, versäumt die Beschwerdebegründung eine Auseinandersetzung damit, wieso eine gerichtliche Entscheidung über den Antrag des Klägers auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen aG und RF durch Einbeziehung der erneuten negativen Entscheidung des Beklagten zu seinen Gunsten hätte ausfallen können (vgl BSG SozR 3-1500 § 96 Nr 9). Unabhängig davon setzt sich die Beschwerdebegründung nicht mit der Rechtsprechung zur Unanwendbarkeit des § 96 SGG bei Ablehnungsbescheiden (vgl BSG SozR 4-1300 § 48 Nr 26 RdNr 27) auseinander und der dann weiteren Frage, wieso der Bescheid vom 8.10.2013, mit dem in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.4.2014 lediglich - vom Kläger nicht angreifbar - Merkzeichen B zugesprochen wurde, in Bezug auf die angefochtenen Verwaltungsakte eine Änderung oder Ersetzung darstellen könnte. Die zitierte Rechtsprechung erhellt, dass es sich bei der Frage der Einbeziehung auch nicht um eine schwierige Frage handeln konnte, die das LSG an einer Entscheidung nach Maßgabe des § 124 Abs 2 iVm § 153 Abs 5 SGG hätte hindern müssen (vgl hierzu Sommer in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 153 RdNr 45).
2. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen