Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensfehler. Einverständnis des Beteiligten mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter
Orientierungssatz
Im sozialgerichtlichen Verfahren muss das nach § 155 Abs 4 SGG iVm § 155 Abs 3 SGG erforderliche Einverständnis der Beteiligten mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle des Senats (sog konsentierter Einzelrichter) klar, eindeutig und vorbehaltlos erteilt werden (vgl BSG vom 3.6.2009 - B 5 R 306/07 B = juris RdNr 10, vom 9.3.2016 - B 14 AS 96/15 B = juris RdNr 4 sowie vom 26.10.2016 - B 11 AL 45/16 B = juris RdNr 8). Dass das Einverständnis nur schriftlich erteilt werden kann, folgt daraus nicht. Die genannten Voraussetzungen für ein wirksames Einverständnis mit einer Entscheidung durch einen konsentierten Einzelrichter können insbesondere auch dann erfüllt sein, wenn die Erklärung des Beteiligten in einem Termin zur mündlichen Verhandlung oder zur Erörterung des Sachverhalts mündlich abgegeben und in das Protokoll aufgenommen wird.
Normenkette
SGG §§ 62, 122, 155 Abs. 3-4, § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3; ZPO §§ 159, 160 Abs. 2; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
SG Trier (Urteil vom 20.08.2019; Aktenzeichen S 3 R 27/17) |
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 13.03.2023; Aktenzeichen L 2 R 40/20) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 13. März 2023 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Der im Jahr 1975 geborene Kläger begehrt eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab Antragstellung im Oktober 2015. Sein Antrag ist ohne Erfolg geblieben (Bescheid des beklagten Rentenversicherungsträgers vom 23.3.2016, Widerspruchsbescheid vom 3.1.2017, Urteile des SG vom 20.8.2019 und des LSG vom 13.3.2023). Das LSG hat ausgeführt, nach dem Gesamtergebnis der im Verlauf des Verfahrens zahlreich eingeholten Sachverständigengutachten könne es nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu der Überzeugung gelangen, dass der Versicherungsfall einer vollen oder teilweisen Erwerbsminderung im November 2015 oder später eingetreten sei.
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt. Er rügt Verfahrensmängel.
II. 1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Der Kläger hat Verfahrensmängel nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG erforderlichen Weise bezeichnet. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die Umstände, aus denen sich der Verfahrensfehler ergeben soll, substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht, sofern nicht ein absoluter Revisionsgrund geltend gemacht wird. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Das Vorbringen des Klägers entspricht diesen Anforderungen nicht.
a) Er rügt zunächst eine Verletzung von § 155 Abs 3 SGG, weil das LSG nur durch den Berichterstatter entschieden habe, obwohl das Einverständnis des Klägers hierzu "allerdings nicht schriftlich" erfolgt sei. Dies stelle wegen des darin liegenden Verstoßes gegen den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG) einen absoluten Revisionsgrund dar. Aus diesem Vortrag - seine Richtigkeit unterstellt - ergibt sich der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht in schlüssiger Weise. Zwar muss nach allgemeiner Meinung das nach § 155 Abs 4 iVm Abs 3 SGG erforderliche Einverständnis der Beteiligten mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle des Senats (sog konsentierter Einzelrichter) klar, eindeutig und vorbehaltlos erteilt werden (vgl BSG Beschluss vom 3.6.2009 - B 5 R 306/07 B - juris RdNr 10 mwN; BSG Beschluss vom 9.3.2016 - B 14 AS 96/15 B - juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 26.10.2016 - B 11 AL 45/16 B - juris RdNr 8). Dass das Einverständnis nur schriftlich erteilt werden könne, folgt daraus jedoch nicht. Die genannten Voraussetzungen für ein wirksames Einverständnis mit einer Entscheidung durch den konsentierten Einzelrichter können insbesondere auch dann erfüllt sein, wenn die Erklärung des Beteiligten in einem Termin zur mündlichen Verhandlung oder zur Erörterung des Sachverhalts mündlich abgegeben und in das Protokoll (vgl § 122 SGG iVm §§ 159, 160 Abs 2 ZPO) aufgenommen wird (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 155 RdNr 12; Fock in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl 2020, § 155 RdNr 17; Knittel in jurisPK-SGG, 2. Aufl 2022, § 155 RdNr 94, Stand 19.10.2022). Vor diesem Hintergrund reicht die ohne nähere Darstellung des Prozessverlaufs aufgestellte Behauptung, das Einverständnis des Klägers sei "allerdings nicht schriftlich" erfolgt, zur schlüssigen Darlegung des behaupteten Verfahrensmangels nicht aus.
Der Senat verweist im Übrigen lediglich ergänzend auf Blatt 379 der vorinstanzlichen Akten. Dort findet sich eine vom Prozessbevollmächtigten des Klägers am 20.4.2020 unterzeichnete schriftliche Erklärung folgenden Inhalts: "In dem Rechtsstreit (…) bin ich damit einverstanden, dass die Berichterstatterin bzw. der Berichterstatter in mündlicher Verhandlung anstelle des Senats entscheidet (§ 155 Abs. 3, 4 Sozialgerichtsgesetz)".
b) Weiterhin beanstandet der Kläger eine Verletzung seines Rechts auf rechtliches Gehör (vgl § 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG), weil das LSG die Ausführungen des zuletzt eingeholten Gutachtens des Prof. Dr. S nicht ausreichend berücksichtigt und für seine abweichende Beweiswürdigung keine "einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung" gegeben habe. Aus diesem Vortrag ergibt sich bereits nicht, dass bzw inwiefern das Berufungsgericht wesentlichen Vortrag des Klägers nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen habe.
c) Vielmehr rügt der Kläger damit im Kern einen "Fehler in der Beweiswürdigung" und meint, das LSG habe das "Recht auf freie Beweiswürdigung" verletzt und deren Grenzen überschritten. Dabei lässt er jedoch außer Acht, dass im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren - anders als im Revisionsverfahren - ein vermeintlicher Fehler in der Beweiswürdigung des Berufungsgerichts nicht als Verfahrensmangel gerügt werden kann (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 2 iVm § 128 Abs 1 Satz 1 SGG; s dazu zB auch BSG Beschluss vom 22.12.2022 - B 5 R 166/22 B - juris RdNr 8 sowie Meßling in Krasney/Udsching/Groth/Meßling, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 8. Aufl 2022, Kap IX RdNr 129, 327).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Fundstellen
Dokument-Index HI15912595 |