Verfahrensgang
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 23.03.2017; Aktenzeichen L 8 SO 254/12) |
SG Stade (Entscheidung vom 26.04.2012; Aktenzeichen S 33 SO 71/09) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 23. März 2017 wird als unzulässig verworfen.
Der Kläger trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auf 232 710,09 Euro festgesetzt.
Gründe
I
Der Kläger macht gegenüber dem Beklagten die Erstattung von 232 710,09 Euro geltend, die er selbst der Stadt W. für deren Aufwendungen (vom 28.2.1999 bis 31.8.2004) für die Hilfeempfängerin H. (H) zu erstatten hat.
Der Kläger war dem Grunde nach verurteilt worden, der Stadt W. deren Aufwendungen für den Hilfefall der H nach Maßgabe des § 89c Sozialgesetzbuch Achtes Buch - Kinder- und Jugendhilfe - (SGB VIII) zu erstatten (Urteile des Verwaltungsgerichts Stade vom 26.5.2004 und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 25.7.2007; Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.5.2008), weil der Kläger bei fortbestehender Leistungsverpflichtung der Stadt W. nach dem Umzug der Mutter der H. in seinen Zuständigkeitsbereich für den Hilfefall zuständig geworden sei. Der Kläger machte daraufhin einen Erstattungsanspruch in gleichem Umfang gegenüber dem Beklagten als gegenüber der Jugendhilfe vorrangig zuständigem Träger der Eingliederungshilfe geltend, jedenfalls mit mehreren Schreiben aus dem Jahr 2008.
Während das Sozialgericht (SG) Stade (Urteil vom 26.4.2012) den Beklagten gestützt auf § 104 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) verurteilt hat, dem Kläger die erbrachten Leistungen in voller Höhe zu erstatten, hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 23.3.2017). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, es sei schon zweifelhaft, ob § 104 SGB X überhaupt zur Anwendung kommen könne, weil nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) Erstattungsansprüche der Sozialleistungsträger untereinander keine Sozialleistungen iS der Norm darstellten. Dies könne jedoch offen bleiben, weil der Kläger jedenfalls nicht innerhalb der Jahresfrist des § 111 SGB X einen Erstattungsanspruch gegenüber dem Beklagten geltend gemacht habe. Ihm könne auch nicht der von der Stadt W. vorsorglich, fristgerecht geltend gemachte Erstattungsanspruch gegenüber dem Beklagten zugerechnet werden. Die Stadt W. habe sich in ihrer Erklärung allein auf einen eigenen Kostenerstattungsanspruch bezogen. Ebenso wie ein Zuständigkeitswechsel keine gesetzesunmittelbare Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolge des zuständig gewordenen Trägers in die Rechte und Pflichten des bisher zuständigen örtlichen Trägers bewirke (BVerwG, Beschluss vom 9.12.2004 - 5 B 80/04), scheide eine Zurechnung von Erklärungen des bisher zuständigen Jugendhilfeträgers zu dem zuständig gewordenen Träger aus. Vielmehr habe der zuständig gewordene Träger in eigener Zuständigkeit über den Hilfefall zu befinden und daher auch die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um einen aus seiner Sicht bestehenden Vorrang der Sozialhilfe durchzusetzen (Verweis auf BVerwG, Beschluss vom 22.5.2008 - 5 B 203.07). Dies gelte auch für die rechtzeitige Anmeldung von Erstattungsansprüchen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde; er macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Es stelle sich die Frage grundsätzlicher Bedeutung, ob ihm als nachrangigem Träger im Rahmen eines Erstattungsanspruchs gemäß § 104 SGB X die Anmeldung gemäß § 111 SGB X eines nach § 86c Abs 1 Satz 1 SGB VIII leistenden anderen Jugendhilfeträgers zurechenbar sei. Zu klären sei zudem, ob diese Zurechnung auch für die Sachleistungserbringung als Tatbestandsmerkmal des § 104 SGB X gelte.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dargelegt worden ist. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG entscheiden.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt werden (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).
Es fehlt jedenfalls an der hinreichenden Darlegung der Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage. Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nur dann, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Über die aufgeworfene Rechtsfrage müsste das Revisionsgericht also - in Ergänzung zur abstrakten Klärungsfähigkeit - konkretindividuell sachlich entscheiden müssen (BSG SozR 1500 § 160 Nr 39 und § 160a Nr 31). Dies erfordert es, dass der Beschwerdeführer den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und damit insbesondere den Schritt darlegt, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Insoweit hätte sich der Kläger zunächst mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die von der Stadt W. der Hilfeempfängerin erbrachten Leistungen, die ihm zugerechnet werden sollen, vorrangig vom Sozialhilfeträger zu erbringen waren, dh ob überhaupt im streitigen Zeitraum ein (vorrangiger) Anspruch der Hilfeempfängerin gegen den Beklagten bestand. Hierzu fehlen aber jegliche Ausführungen. Der Kläger unterstellt mit seiner Frage lediglich die vorrangige Leistungsverpflichtung des Beklagten, ohne dies anhand des anzuwendenden Rechts schlüssig darzulegen. Seinen Ausführungen ist auch nicht nachvollziehbar zu entnehmen, weshalb ihm die Leistungen, die die Stadt W. erbracht hat, wie eigene Leistungen zuzurechnen sind. Er behauptet insoweit nur, die Stadt W. habe durch § 86c Abs 1 Satz 1 SGB VIII in einem Auftragsverhältnis für ihn gehandelt. Woraus sich ein Auftragsverhältnis ergeben soll, legt der Kläger jedoch nicht dar. Ausführungen dazu sind aber bereits deshalb unverzichtbar, weil es sich bei § 86c SGB VIII nach der Normüberschrift um eine Regelung der Leistungsverpflichtung und Fallübergabe bei Zuständigkeitswechsel handelt. Insoweit hätte es zumindest Ausführungen dazu bedurft, auf welcher rechtlichen Grundlage die Stadt W. angesichts ihrer in § 86c SGB VIII begründeten eigenen Leistungspflicht (zugleich auch oder ausschließlich) und dem in § 89c Abs 1 Satz 1 SGB VIII geregelten Anspruch auf Kostenerstattung bei "fortdauernder Leistungsverpflichtung" im Auftrag des Klägers geleistet haben soll. Die Behauptung, die Stadt W. habe aufgrund ihrer Beiladung im ursprünglichen Erstattungsverfahren wissen können, weshalb er, der Kläger, die Fallübernahme ablehne, genügt hierfür nicht, weil auch dieses Vorbringen die Darlegung nicht ersetzt, dass die Stadt W. für ihn, den Kläger, handeln wollte.
Die schlichte Behauptung, die Entscheidung des BVerwG vom 9.12.2004, auf die das LSG seine Entscheidung gestützt habe, sei nicht einschlägig, weil im vorliegenden Verfahren keine Rechtsnachfolge im Streit stehe, sondern die Frage eines Auftragsverhältnisses, genügt ebenfalls nicht den Anforderungen an die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage. Eine Rechtsfrage ist auch dann als höchstrichterlich geklärt und damit als nicht (mehr) klärungsbedürftig anzusehen, wenn diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden ist, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (BSG SozR 4-1500 § 183 Nr 12 RdNr 7 mwN; BSG, Beschluss vom 27.3.2017 - B 12 KR 123/16 B). Dabei kann der Klärungsbedarf einer in einer Nichtzulassungsbeschwerde vor dem BSG aufgeworfenen Rechtsfrage auch durch die Rechtsprechung eines anderen obersten Bundesgerichts ausgeschlossen sein (BVerwG, Beschluss vom 6.3.2006 - 10 B 80/05 - Buchholz 424.01 § 29 FlurbG Nr 1; BSG, Beschluss vom 29.3.2017 - B 5 RE 12/16 B). Hier hätte es deshalb einer Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BVerwG bedurft und dargelegt werden müssen, warum die hinter der Argumentation des BVerwG stehenden Grundüberlegungen nicht auch für die Frage des Bestehens oder Fehlens eines Auftragsverhältnisses gelten.
Für die im Übrigen - wohl eher hypothetisch aufgeworfenen - Rechtsfragen gilt Entsprechendes. Es fehlt an der schlüssigen Darlegung ihrer Klärungsfähigkeit.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 3 Satz 1, § 47 Abs 1 und 3 Gerichtskostengesetz.
Fundstellen
Dokument-Index HI11261235 |