Verfahrensgang

SG Speyer (Entscheidung vom 20.07.2017; Aktenzeichen S 8 R 812/14)

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 08.04.2019; Aktenzeichen L 2 R 409/17)

 

Tenor

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 8. April 2019 (L 2 R 409/17) Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten zu gewähren, wird abgelehnt.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

Das LSG Rheinland-Pfalz hat mit Urteil vom 8.4.2019 die Berufung der Klägerin gegen die erstinstanzliche Entscheidung zurückgewiesen.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 6.5.2019 begründet hat. Zugleich hat sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) und Beiordnung ihres Bevollmächtigten beantragt.

II

1. Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen. Für die Bewilligung von PKH nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO ist nach der Rechtsprechung des BSG und der anderen obersten Gerichtshöfe des Bundes Voraussetzung, dass der (grundsätzlich formlose) Antrag auf PKH nebst der Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen auf dem dafür vorgeschriebenen Erklärungsformular (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 117 Abs 2 bis 4 ZPO) bis zum Ablauf der Beschwerdefrist eingereicht werden. Diesen Anforderungen ist die Klägerin nicht vollständig nachgekommen. Die Beschwerdefrist hat hier gemäß § 160a Abs 1 Satz 2, § 64 Abs 2 und 3 SGG am 27.5.2019 geendet. Bis zu diesem Zeitpunkt hat zwar der Antrag auf PKH vorgelegen, nicht jedoch die Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen; diese ist bis heute nicht beim BSG eingegangen. Da PKH nicht bewilligt werden kann, entfällt auch die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts gemäß § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO.

Im Übrigen bietet die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin keine hinreichende Aussicht auf Erfolg iS von § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO, wie sich aus nachfolgenden Ausführungen ergibt.

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde, die die Klägerin mit Schriftsatz vom 6.5.2019 unabhängig vom PKH-Antrag eingelegt hat ("wird Antrag auf Zulassung der Revision gestellt"), ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung von ehrenamtlichen Richtern als unzulässig zu verwerfen. Die Beschwerdebegründung vom 6.5.2019 genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form. Die Klägerin hat darin die geltend gemachten Verfahrensmängel (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der gesetzlich vorgesehenen Weise bezeichnet. Ebenso wenig hat sie die sinngemäß geltend gemachte Divergenz (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 2 SGG) in der erforderlichen Weise dargelegt. Obgleich sie ihre Beschwerdebegründung vom 6.5.2019 als "vorläufige Begründung" bezeichnet, bedurfte es weder eines Hinweises an die Klägerin noch einer Aufforderung, ihre Ausführungen bis zum Ablauf der Beschwerdefrist zu ergänzen. Wegen der unbedingt eingelegten Beschwerde ist die Klägerin zur Begründung innerhalb der Frist des § 160a Abs 2 Satz 1 SGG verpflichtet gewesen, ohne dass es auf eine Entscheidung über ihren PKH-Antrag ankam. Im Übrigen kommen ihre Einwände gegen das angegriffene Urteil im Schriftsatz vom 6.5.2019 ausreichend zum Ausdruck.

a) Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass iS von § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des Berufungsgerichts ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr; zB BSG Beschluss vom 27.10.2010 - B 12 KR 2/10 B - juris RdNr 5; aus jüngerer Zeit BSG Beschluss vom 9.12.2019 - B 13 R 259/19 B - juris RdNr 4). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Berufungsgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung vom 6.5.2019 nicht gerecht.

Die Klägerin stellt darin schon den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht genügend dar. Sie trägt detailliert dazu vor, die Sowjetunion seinerzeit nicht aus vertreibungsfremden Gründen verlassen zu haben. Insbesondere könne dies nicht daraus geschlossen werden, dass sie mit ihrem aus Bulgarien stammenden Ehemann zunächst einen Wohnsitz in Bulgarien begründet habe. Ihrem Gesamtvorbringen lässt sich noch entnehmen, dass es sich bei ihr um eine deutsche Volkszugehörige handelt. Zudem lässt sich erahnen, dass die Zugehörigkeit der Klägerin zum Personenkreis des § 1 Fremdrentengesetz (FRG) streitig ist. Die Klägerin stellt aber nicht einmal in gedrängter Form dar, welchen Anspruch sie gegenüber der Beklagten geltend macht und welchen wesentlichen Inhalt das zugrunde liegende (Verwaltungs-)Verfahren hat. Sie zeigt zudem nur ungenügend auf, welche Tatsachenfeststellungen das LSG zu den Gründen für das Verlassen der Sowjetunion getroffen hat. Der Senat kann daher nicht, wie es erforderlich wäre, allein anhand der Beschwerdebegründung darüber befinden, ob die angegriffene Entscheidung möglicherweise auf einem der geltend gemachten Verfahrensmängel beruht (vgl zu dieser Anforderung etwa BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 - juris RdNr 16 mwN; BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 16 mwN). Es ist auch nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich den maßgeblichen Sachverhalt aus den Akten oder dem angegriffenen Urteil herauszusuchen (vgl BSG Beschluss vom 31.5.2017 - B 5 R 358/16 B - juris RdNr 8 mwN; BSG Beschluss vom 26.1.2018 - B 13 R 309/14 B - juris RdNr 3 f).

Ungeachtet dessen erfüllt die Beschwerdebegründung die formalen Anforderungen an die Geltendmachung eines Verfahrensmangels auch im Übrigen nicht. Die Klägerin rügt eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG; Art 103 Abs 1 GG). Sie bringt vor, das LSG habe sie nicht dazu angehört, dass es von vertreibungsfremden Gründen für das Verlassen der Sowjetunion ausgehe, obwohl sie "unbestritten dargelegt" habe, insbesondere deswegen einen bulgarischen Staatsangehörigen geheiratet und mit diesem zunächst einen Wohnsitz in Bulgarien begründet zu haben, um von dort aus in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen. Dass dies der Hauptgrund für die Wohnsitznahme in Bulgarien gewesen sei, hätte sich dem LSG, das zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen verpflichtet sei, zudem aufdrängen müssen. Darauf, dass das Berufungsgericht dem Tatsachenvorbringen oder der Rechtsauffassung der Klägerin nicht gefolgt ist, kann die Gehörsrüge aber nicht zulässig gestützt werden. Das Recht auf rechtliches Gehör gebietet nur, dass die Gerichte die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen; es verpflichtet sie nicht, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen, ihn also zu "erhören" (BVerfG Beschluss vom 8.4.2014 - 1 BvR 2933/13 - NZS 2014, 539 RdNr 13 mwN).

Sollte die bereits im Berufungsverfahren anwaltlich vertretene Klägerin mit ihrem Vorbringen sinngemäß zudem eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 103 Satz 1 Halbsatz 1 SGG) geltend machen wollen, benennt sie schon keinen bis zuletzt gegenüber dem LSG aufrechterhaltenen Beweisantrag, wie es gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG für eine ordnungsgemäße Sachaufklärungsrüge erforderlich wäre (vgl zu diesem Erfordernis jüngst etwa BSG Beschluss vom 8.8.2019 - B 13 R 310/18 B - juris RdNr 5 mwN). Letztlich wendet die Klägerin sich mit ihrem Vorbringen gegen die inhaltliche Richtigkeit des Berufungsurteils. Dass ein Beteiligter das angegriffene Urteil für inhaltlich falsch hält, kann indes nicht zur Revisionszulassung führen (stRspr; vgl etwa BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BSG Beschluss vom 21.4.2020 - B 13 R 44/19 B - juris RdNr 8; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).

Mit dem Vorbringen, es sei "absolut unvorhersehbar" gewesen, dass das LSG entgegen "bisheriger höchstrichterlicher Rechtsprechung" allein die Ausreise mit einem nichtdeutschen Staats- oder Volkszugehörigem als vertreibungsfremdes Verhalten ansehen werde, rügt die Klägerin eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG; Art 103 Abs 1 GG) durch eine Überraschungsentscheidung. Sie legt indes nicht schlüssig dar, dass das LSG sich ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf einen Gesichtspunkt gestützt habe, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl zu dieser Darlegungsanforderung zuletzt etwa BSG Beschluss vom 21.1.2020 - B 13 R 287/18 B - juris RdNr 11 ff mwN). Sie versäumt es vielmehr auch insoweit, die Prozessgeschichte zumindest kurz darzustellen.

b) Ebenso wenig hat die Klägerin den sinngemäß geltend gemachten Zulassungsgrund der Divergenz in der gesetzlich vorgesehenen Weise dargelegt.

Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zugrunde gelegt sind. Zur ordnungsgemäßen Darlegung einer Divergenz sind ein oder mehrere entscheidungstragende Rechtssätze aus dem Berufungsurteil und zu demselben Gegenstand gemachte und fortbestehende aktuelle abstrakte Aussagen aus einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG einander gegenüberzustellen; zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die angegriffene Entscheidung auf der Abweichung beruht (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17; BSG Beschluss vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 21). Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge), denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (vgl BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 f; BSG Beschluss vom 24.4.2015 - B 13 R 37/15 B - juris RdNr 6). Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung vom 6.5.2019 nicht gerecht.

Die Klägerin bringt vor, nach "ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts" gelte in Fällen wie ihrem eine "Vertreibensdruckvermutung". Die daraus resultierende Beweislastumkehr habe das LSG nicht beachtet. Jedenfalls stehe dem Schluss des LSG, ihre Ausreise aus der Sowjetunion sei aus vertreibungsfremden Gründen erfolgt, die "ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, des Bundesverfassungsgerichts und des Bundessozialgerichts" entgegen.

Mit diesem Vorbringen benennt die Klägerin keinen tragenden abstrakten Rechtssatz, den das LSG nach ihrem Dafürhalten aufgestellt hat und mit dem es von einem abstrakten Rechtssatz in den - von ihr entgegen den insoweit geltenden Anforderungen nicht weiter spezifizierten - Entscheidungen des BSG oder des BVerfG abgewichen sei. Sie macht letztlich auch insoweit eine ihres Erachtens falsche Rechtsanwendung durch das LSG geltend. Eine (vermeintliche) Abweichung von einer Entscheidung des BVerwG - die von der Klägerin ebenso wenig dargetan wird - vermöchte schon keine Divergenz zu begründen. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG kann eine Divergenz im sozialgerichtlichen Verfahren lediglich auf die Abweichung von einer Entscheidung der in dieser Vorschrift abschließend genannten Gerichte gestützt werden (BSG Beschluss vom 22.4.2013 - B 13 R 21/13 B - juris RdNr 10). Insoweit kommt allenfalls der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung in Betracht (vgl etwa Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 11 mwN), aber auch diesen legt die Klägerin nicht in der gesetzlich vorgesehenen Weise dar.

c) Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI14310859

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