Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. objektive Klagehäufung. Darlegung von Zulassungsgründen für jeden prozessualen Anspruch. Verfahrensmangel. fehlende Teilverweisung an ein Zivilgericht. Amtshaftung als einzige mögliche Rechtsgrundlage. Prüfung der Zulässigkeit des beschrittenen Rechtsweges. keine Entscheidung in der Hauptsache durch die Vorinstanz
Orientierungssatz
1. Werden mehrere eigenständige Streitgegenstände im Sinne einer objektiven Klagehäufung ( § 56 SGG ) geltend gemacht, erfordert die Zulassung der Revision die formgerechte Darlegung von Zulassungsgründen für jeden prozessualen Anspruch (vgl BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 272/07 B = SozR 4-1500 § 160a Nr 19 RdNr 3).
2. Die Rechtsprechung des BSG, wonach ein Gericht der Sozialgerichtsbarkeit keine Teilverweisung an ein Zivilgericht vornehmen darf, bezieht sich nicht auf Fälle der objektiven Klagehäufung, in denen für einen selbstständigen prozessualen Anspruch nur die Amtshaftung als Rechtsgrundlage in Betracht kommt und sozialrechtliche Anspruchsgrundlagen von vornherein ausscheiden (vgl BSG vom 5.9.2022 - B 1 KR 99/21 B = juris RdNr 8 ).
3. § 202 S 1 SGG iVm § 17a Abs 5 GVG , wonach das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, nicht prüft, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist, (vgl dazu BSG vom 20.10.2010 - B 13 R 63/10 B = SozR 4-1500 § 153 Nr 11 RdNr 26 ff), gilt nicht hinsichtlich der Streitgegenstände, zu denen das Gericht der Vorinstanz keine Entscheidung in der Hauptsache getroffen hat.
Verfahrensgang
SG Düsseldorf (Entscheidung vom 08.07.2020; Aktenzeichen S 19 AS 3827/19) |
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 22.06.2022; Aktenzeichen L 12 AS 1147/20) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. Juni 2022 - L 12 AS 1147/20 - wird als unzulässig verworfen.
Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
I
Der Kläger wendet sich in der Sache im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage gegen ein von dem Beklagten gegen ihn verhängtes sechsmonatiges Hausverbot und verlangt Schadensersatz.
Der Beklagte verhängte gegen den Kläger im Jahr 2019 ein Hausverbot, das auf eine Auseinandersetzung im Rahmen des noch bis Januar 2020 laufenden klägerischen Bezugs von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zurückging. Dieses Verbot hat der Kläger zunächst vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit angegriffen, die dortige Klage aber zurückgenommen. Hierdurch sind ihm Gerichtskosten iHv insgesamt 308 Euro entstanden.
Im weiteren Verlauf hat der Kläger das Hausverbot vor dem SG angegriffen und zugleich Schadensersatz vom Beklagten in Höhe der verwaltungsgerichtlichen Gerichtskosten begehrt. Das SG hat das Hausverbot als rechtmäßig angesehen und die Fortsetzungsfeststellungsklage deshalb als unbegründet abgewiesen; auf die Zahlungsklage ist es nicht eingegangen (Gerichtsbescheid vom 8.7.2020). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 22.6.2022). Allerdings sei die Klage insgesamt unzulässig. Das SG habe zu Unrecht ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse bejaht. Soweit sich die Schadensersatzforderung auf einen sozialrechtlichen Anspruch stützen lasse, sei die Klage mangels einer diesbezüglichen Verwaltungsentscheidung des Beklagten unzulässig. Über einen Amtshaftungsanspruch könnten nur die ordentlichen Gerichte entscheiden; eine diesbezügliche Teilverweisung der Klage an das zuständige Landgericht sei indes nicht vorgesehen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Kläger Beschwerde eingelegt, mit der er einen Verfahrensmangel geltend macht. Das LSG habe § 202 Satz 1 SGG iVm § 17a Abs 2 Satz 1 GVG verletzt, indem es von einer Abtrennung und Verweisung seiner Zahlungsklage abgesehen habe. Im vorliegenden Fall der objektiven Klagehäufung greife die umfassende Entscheidungskompetenz nach § 202 Satz 1 SGG iVm § 17 Abs 2 Satz 1 GVG nicht ein, zumal es sich um einen Ausnahmefall nach § 202 Satz 1 SGG iVm § 17 Abs 2 Satz 2 GVG handele. Eine sozialrechtliche Grundlage für den Schadensersatzanspruch sei nicht ersichtlich.
II
Werden - wie hier - mehrere eigenständige Streitgegenstände im Sinne einer objektiven Klagehäufung (§ 56 SGG) geltend gemacht, erfordert die Zulassung der Revision die formgerechte Darlegung von Zulassungsgründen für jeden prozessualen Anspruch (vgl BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 272/07 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 19 RdNr 3; Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl 2022, § 160a RdNr 82). Da sich die Beschwerdebegründung gerade auf diese prozessuale Situation stützt, bezüglich der Entscheidung über die Fortsetzungsfeststellungsklage aber keinen Revisionszulassungsgrund geltend macht, geht der Senat davon aus, dass sich die Nichtzulassungsbeschwerde auf die Entscheidung des LSG über die Zahlungsklage beschränkt (vgl BSG aaO). Hinsichtlich der Fortsetzungsfeststellungsklage ist das Urteil des LSG damit bereits nach Ablauf der Beschwerdefrist rechtskräftig geworden.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der allein als Zulassungsgrund geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der erforderlichen Weise bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG, § 169 SGG).
Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund stützt, muss zu seiner Bezeichnung (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr; BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 16 mwN). Ggf müssen auch Heilungsmöglichkeiten von Verfahrensfehlern erörtert und ausgeschlossen werden (BSG vom 13.10.2022 - B 4 AS 324/21 B - juris RdNr 2 mwN).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Zwar weist der Kläger zu Recht darauf hin, dass sich die Rechtsprechung des BSG, auf die sich das LSG gestützt hat, wonach ein Gericht der Sozialgerichtsbarkeit keine Teilverweisung an ein Zivilgericht vornehmen darf, nicht auf Fälle der objektiven Klagehäufung bezieht, in denen für einen selbständigen prozessualen Anspruch nur die Amtshaftung als Rechtsgrundlage in Betracht kommt und sozialrechtliche Anspruchsgrundlagen von vornherein ausscheiden (vgl BSG vom 5.9.2022 - B 1 KR 99/21 B - juris RdNr 8). In diesem Fall ist eine Verweisung der Klage hinsichtlich des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs an das zuständige Landgericht zulässig und geboten. Die Beschwerde zeigt ferner auf, dass das LSG auch nicht auf der Grundlage von § 202 Satz 1 SGG iVm § 17a Abs 5 GVG, wonach das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, nicht prüft, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist, zur Entscheidung über die Zahlungsklage berechtigt war (vgl dazu BSG vom 20.10.2010 - B 13 R 63/10 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 11 RdNr 26 ff), denn das SG hat bezüglich dieses Streitgegenstands keine Entscheidung in der Hauptsache getroffen.
Mit diesem Vorbringen rügt der Kläger aber letztlich nur, dass das LSG bei seiner Entscheidung, die Zahlungsklage sei jedenfalls mangels einer Verwaltungsentscheidung unzulässig, zu Unrecht von seiner Rechtswegzuständigkeit ausgegangen sei. Die Beschwerdebegründung geht aber nicht darauf ein, warum das BSG bei seiner Entscheidung über das vorliegende Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache (siehe zu diesem Begriff, der auch Prozessurteile einschließt, nur BSG vom 16.7.2020 - B 1 KR 3/19 B - NZS 2021, 688 m Anm Geckeler RdNr 11 mwN) die Zulässigkeit des Rechtswegs abweichend von der Regel des § 202 Satz 1 SGG iVm § 17a Abs 5 GVG prüfen sollte (vgl dazu BSG vom 13.10.2022 - B 4 AS 324/21 B - juris RdNr 3; BSG vom 23.1.2018 - B 2 U 4/16 R - BSGE 125, 120 = SozR 4-2700 § 123 Nr 3, RdNr 14; siehe zu der damit verbundenen Beschränkung der Revisionszulassung Meßling in Krasney/Udsching/Groth/Meßling, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 8. Aufl 2022, Kapitel IX RdNr 124; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 17).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO. Soweit der Kläger die Zahlung von Schadensersatz begehrt, führt er den Rechtsstreit nicht in seiner Eigenschaft als (ehemaliger) Leistungsempfänger (vgl § 183 Satz 1 SGG).
Söhngen |
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Burkiczak |
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B. Schmidt |
Fundstellen
Dokument-Index HI16155034 |