Verfahrensgang

SG Koblenz (Entscheidung vom 14.10.2021; Aktenzeichen S 1 SO 124/20)

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 16.11.2022; Aktenzeichen L 4 SO 66/21)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 16. November 2022 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten über die Höhe von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) wegen höherer Bedarfe für Unterkunft und Heizung im Zeitraum vom 1.5.2019 bis 31.12.2019.

Die 1947 geborene Klägerin bezieht seit 2012 vom Beklagten Grundsicherungsleistungen. Sie bewohnt im Haushalt ihres 1973 geborenen Sohnes und ihrer Schwiegertochter, einem Einfamilienhaus, ein eigenes Zimmer mit einer Größe von ca 20 qm. Als Bedarfe der Unterkunft (KdU) und Heizung wurde ihr Kopfteil der anfallenden nachgewiesenen Neben- und Heizkosten berücksichtigt. Im April 2019 legte die Klägerin einen am 4.4.2019 zwischen ihr und ihrem Sohn geschlossenen Mietvertrag vor, wonach sie ab 1.5.2019 eine 80 qm große Einzimmerwohnung mit Küche, Bad, WC und Diele zu einer monatlichen Gesamtmiete von 330 Euro (Kaltmiete 260 Euro, Nebenkosten 70 Euro) unter der bisherigen Adresse anmietete. Der Beklagte lehnte die Bewilligung höherer KdU mit der Begründung ab, dass kein wirksamer Mietvertrag vorliege (Bescheid vom 9.10.2019; Widerspruchsbescheid vom 4.11.2020). Die Klage hat das Sozialgericht (SG) Koblenz abgewiesen (Urteil vom 14.10.2021), das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat die Berufung zum überwiegenden Teil zurückgewiesen (Urteil vom 16.11.2020). Die Klägerin habe lediglich für die Zeit vom 1.11.2019 bis 31.12.2019 Anspruch auf weitere Leistungen in Höhe von 8,66 Euro. Ein Anspruch im Übrigen, der sich unter Berücksichtigung der Übergangsregelung in § 133b Satz 1 Nr 1 SGB XII nach § 35 Abs 5 Satz 1 iVm § 42a Abs 5 und 6 SGB XII, nicht dagegen nach § 42 Abs 3 und 4 SGB XII richte, bestehe nicht, weil der Mietvertrag als Scheingeschäft nach § 117 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) anzusehen sei, wie die seitens des Beklagten durchgeführte Wohnungsbesichtigung ergeben habe. Zudem habe die Klägerin in den Monaten Mai bis Oktober 2019 tatsächlich keine Mietzahlungen geleistet, sondern erst im November und Dezember 2019.

Gegen die Nichtzulassung der Revision richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin, mit der sie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie Divergenz als auch Verfahrensfehler geltend macht.

II

Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen; weder der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) noch eine Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) und auch kein Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) sind in der gebotenen Weise dargelegt bzw bezeichnet worden.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Frage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt werden (vgl nur Bundessozialgericht ≪BSG≫ vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung - ggf sogar des Schrifttums - angeben, welche Rechtsfrage sich stellt, dass diese noch nicht geklärt ist, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfrage aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt (BSG vom 2.3.1976 - 12/11 BA 116/75 - SozR 1500 § 160 Nr 17 und BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7; BSG vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG vom 25.9.1975 - 12 BJ 94/75 - SozR 1500 § 160a Nr 13; BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31; BSG vom 19.1.1981 - 7 BAr 69/80 - SozR 1500 § 160a Nr 39; BSG vom 9.10.1986 - 5b BJ 174/86 - SozR 1500 § 160a Nr 59 und BSG vom 22.7.1988 - 7 BAr 104/87 - SozR 1500 § 160a Nr 65).

Die Klägerin macht mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde als Rechtsfragen zu 1 und 2 (zusammengefasst) geltend, ob die Entscheidung des Beklagten hinsichtlich der KdU und Heizung rechtswidrig und damit aufzuheben ist, weil ein zwischen den Personen der Haushaltsgemeinschaft abgeschlossener Mietvertrag Bindungswirkung entfalte und nicht als Scheingeschäft iS des § 117 BGB zu werten sei (Frage zu 1) und ob ein zwischen Familienangehörigen geschlossener Mietvertrag auch dann Bindungswirkung im Anwendungsbereich nach § 35 SGB XII entfalte, wenn die Mietschulden dem Leistungsempfänger vorrübergehend gestundet worden seien, das Mietverhältnis aber trotz Zahlungsverzugs nicht beendet werde (Frage zu 2). Wegen dieser beiden Fragen formuliert die Klägerin aber schon keine abstrakt-generellen Rechtsfragen zum Inhalt oder zum Anwendungsbereich einer revisiblen Norm (§ 162 SGG); denn sie führt an keiner Stelle aus, welches gesetzliche Tatbestandsmerkmal welcher bundesrechtlichen Norm mit Blick auf welche Bestimmung ausgelegt werden soll, um die Rechtseinheit zu wahren oder das Recht fortzubilden (vgl etwa BSG vom 29.3.2017 - B 5 RE 12/16 B - RdNr 8). Vielmehr stellt sie lediglich zur Entscheidung, ob im konkreten Einzelfall das LSG zu Recht von einem Scheingeschäft nach § 117 BGB ausgegangen ist (so Rechtsfrage zu 1) bzw ob ein geschlossener Mietvertrag nach § 35 SGB XII auch bei Stundung der Mietzinszahlung vorliegen kann, wobei die Klägerin nicht bezeichnet, aufgrund welcher Formulierung in dieser Norm sich die Frage hier stellen soll (Rechtsfrage Nr 2). Im Kern macht die Klägerin, die in erster Linie auf die Motivlage bei Abschluss des behaupteten Mietvertrags und die Folgen der Entscheidung des LSG im Einzelfall abstellt, allein die Unrichtigkeit des Urteils des LSG unter diesen Gesichtspunkten geltend. Dies ist aber nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl nur BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7).

Soweit die Klägerin schließlich unter 3. die Frage aufwirft, ob § 42a Abs 2 und 3 SGB XII entgegen § 133b SGB XII auch dann zur Anwendung komme, wenn der Mietvertrag zwischen der leistungsberechtigten Person und dem Vermieter erst nach dem 1.7.2017 begründet worden ist, bleibt ebenfalls offen, welche klärungsbedürftige Rechtsfrage sich insoweit stellen sollte. Es fehlt jede Darstellung der in Bezug genommenen Normen, die insoweit die Frage nachvollziehbar werden lassen. Eine Rechtsfrage ist zudem dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Im Hinblick hierauf hätte sich die Klägerin im Einzelnen mit der bereits vorliegenden Rechtsprechung des Senats zu § 42a Abs 3 SGB XII, dessen Entstehungsgeschichte, Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Systematik im Zusammenhang mit der Besitzstandsregelung in § 133b SGB XII(vgl BSG vom 23.3.2021 - B 8 SO 14/19 R - SozR 4-3500 § 42a Nr 1 RdNr 17 ff) auseinandersetzen müssen und darstellen, weshalb sich vor diesem Hintergrund noch die Frage stellen sollte, wie (über den Wortlaut hinaus) die Regelung des § 133b SGB XII auszulegen ist.

Das Vorbringen genügt auch nicht den gesetzlichen Anforderungen an die Darlegung einer Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Hierzu hätte die Klägerin entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen müssen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB BSG vom 28.7.2009 - B 1 KR 31/09 B - RdNr 4; BSG vom 28.6.2010 - B 1 KR 26/10 B - RdNr 4; BSG vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - juris RdNr 4 mwN). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat. Die Klägerin legt schon nicht dar, dass das LSG bewusst einen von der Rechtsprechung des BSG abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa nur das Recht fehlerhaft angewandt hat (sog Subsumtionsfehler; BSG vom 4.3.2020 - B 8 SO 61/19 B - RdNr 7). Sie formuliert weder einen konkreten Rechtssatz aus dem Urteil des LSG, noch bezeichnet sie, wo er sich im Urteil findet. Zudem wird dem LSG zwar Rechtsprechung des BSG entgegengehalten, aber ohne konkrete Rechtssätze des BSG zu bezeichnen und aufzuzeigen, inwieweit der vom LSG aufgestellte Rechtssatz hierzu in Widerspruch steht. Im Kern macht die Klägerin auch insoweit lediglich die Unrichtigkeit des angegriffenen Urteils geltend, was - wie ausgeführt - die Zulassung der Revision aber nicht begründen kann.

Auch soweit die Klägerin als Verfahrensmangel die unzureichende Aufklärung des Sachverhaltes geltend macht, genügt dies nicht den gesetzlichen Anforderungen. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann jedoch nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14; BSG vom 24.3.1976 - 9 BV 214/75 - SozR 1500 § 160a Nr 24 und BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36; BSG vom 31.7.2019 - B 8 SO 20/19 B - RdNr 9).

Soweit die Klägerin ausführt, das LSG habe ein Sachverständigengutachten zur Größe des Wohnraums einholen müssen, ließe sich eine Verletzung des § 103 SGG auf diese Ausführungen nur stützen, wenn sie möglichweise in einem vorbereitenden Schriftsatz enthaltene Beweisanträge bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem LSG durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hätte (stRspr; vgl BSG vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Wird ein Rechtsstreit - wie hier - ohne mündliche Verhandlung entschieden, tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt der Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 SGG(vgl BSG vom 5.2.2015 - B 13 R 372/14 B - RdNr 10; BSG vom 13.8.2018 - B 13 R 397/16 B - RdNr 15) . Die Klägerin behauptet aber selbst nicht, einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag unter konkreter Angabe des Beweisthemas gestellt und zum maßgeblichen Zeitpunkt noch aufrechterhalten zu haben.

Die Entscheidung ergeht nach § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 Satz 3 SGG ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

Krauß

Bieresborn

Luik

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15741826

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