Entscheidungsstichwort (Thema)
Waisenrente in der gesetzliche Rentenversicherung. Zeitliche Begrenzung für eine behinderte Waise auf das 27. Lebensjahr. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Das BVerfG hat zu § 44 Abs. 1 S. 2 des Angestelltenversichertengesetzes, der im Wesentlichen inhaltsgleich dem jetzigen § 48 Abs. 4 Nr. 2b) SGB VI bis zum Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes 1992 die Voraussetzungen für die Waisenrente regelte, entschieden, dass die damals noch geltende zeitliche Begrenzung des Waisenrentenanspruchs auf die Vollendung des 25. Lebensjahrs für Waisen, die sich nicht selbst unterhalten können, auch in Ansehung einer andersartigen Regelung im Beamtenversorgungsgesetz weder gegen Art. 6 Abs. 1 GG noch gegen Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip verstoße (BVerfGE 40, 121, 131 f).
2. Es liegen keine hinreichenden Gründe vor, die die bisherige verfassungsrechtliche Beurteilung der zeitlichen Begrenzung der Waisenrente in der gesetzlichen Rentenversicherung für eine behinderte Waise, die außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, in Frage stellen könnten. Weder die gesellschaftlichen noch die rechtlichen Bedingungen haben sich so verändert, dass nunmehr von der Verfassungswidrigkeit dieser zeitlichen Begrenzung auf das 27. Lebensjahr ausgegangen werden müsste.
Normenkette
SGB VI § 48 Abs. 4 Nr. 2b, Abs. 2; RVO § 1267 Abs. 1 S. 2; AVG § 44 Abs. 1 S. 2; BeamtVG § 23 Abs. 1, § 61 Abs. 2 S. 3; GG Art. 3 Abs. 1, 3 S. 2, Art. 6 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 10.12.2001) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Dezember 2001 wird zurückgewiesen.
Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im vorstehend genannten Urteil Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt Dr. W. …, M. …, beizuordnen, wird abgelehnt.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) hat in seinem Urteil vom 10. Dezember 2001 einen Anspruch des Klägers auf Gewährung von Vollwaisenrente wegen Todes seiner bei der Beklagten rentenversicherten Mutter im Wesentlichen mit folgender Begründung verneint: Der im September 1967 geborene Kläger habe im Zeitpunkt des Todes seiner Eltern im März 2000 das 32. Lebensjahr vollendet und damit die in § 48 Abs 4 Nr 2 Buchst b) des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) maßgebliche Altersgrenze von 27 Lebensjahren für die Gewährung einer Waisenrente an körperlich, geistig oder seelisch Behinderte, die außerstande seien, sich selbst zu unterhalten, bereits überschritten. Insbesondere erfülle er nicht die Voraussetzungen des § 48 Abs 5 SGB VI iVm Abs 4 Nr 2 Buchst a) der Vorschrift. Auch durch Gesetzesauslegung könne ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Waisenrente über das 27. Lebensjahr hinaus nicht begründet werden. Die zeitliche Begrenzung des Waisenrentenanspruchs für solche Waisen, die außerstande seien, sich selbst zu unterhalten, sei nicht verfassungswidrig, wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits entschieden habe. Sie verstoße insbesondere nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG), auch wenn behinderte Waisen in der beamtenrechtlichen Hinterbliebenenversorgung Waisengeld ohne Altersbegrenzung erhalten könnten. Die unterschiedliche Behandlung der Waisen eines Sozialversicherten und eines Beamten sei wegen der besonderen Zweckbestimmung und Grundlage der beamtenrechtlichen Versorgung auch nach den bereits ergangenen Entscheidungen des BVerfG und des Bundessozialgerichts (BSG) weiterhin nicht vergleichbar.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt. Er macht ausschließlich grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die Rechtssache hat in dem von dem Kläger dargelegten Sinne keine grundsätzliche Bedeutung.
Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 11, 39). Diese Frage muss außerdem klärungsbedürftig sein. Das ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn die Antwort darauf von vornherein außer Zweifel steht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 4, 11). Zum anderen ist auch eine Rechtsfrage, die das BVerfG oder das BSG bereits entschieden hat, nicht mehr klärungsbedürftig, es sei denn, sie wäre es aus besonderen Gründen geblieben oder erneut geworden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 6, 13, 65). Das ist vorliegend nicht der Fall.
Den Ausführungen des Klägers kann sinngemäß entnommen werden, dass er als grundsätzlich bedeutsam die Frage ansieht, ob die Begrenzung des Waisenrentenanspruchs bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres nach § 48 Abs 2 Nr 2 Buchst b) SGB VI bei einer Waise, die wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, gegen Art 3 Abs 1 GG verstoße, weil in gleichem Maße behinderte Waisen von Beamten eine Waisenrente ohne zeitliche Begrenzung erhalten könnten.
Das BVerfG hat zu § 44 Abs 1 Satz 2 des Angestelltenversichertengesetzes (= § 1267 Abs 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung), der im Wesentlichen inhaltsgleich dem jetzigen § 48 Abs 4 Nr 2 Buchst b) SGB VI bis zum Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes 1992 die Voraussetzungen für die Waisenrente regelte, bereits entschieden, dass die damals noch geltende zeitliche Begrenzung des Waisenrentenanspruchs auf die Vollendung des 25. Lebensjahres für Waisen, die sich nicht selbst unterhalten können, auch in Ansehung einer andersartigen Regelung im Beamtenversorgungsgesetz weder gegen Art 6 Abs 1 GG noch gegen Art 3 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip verstoße (BVerfGE 40, 121, 131 f = SozR 2400 § 44 Nr 1). Diesen Ausführungen des BVerfG sind der 11. Senat in seinem Urteil vom 12. März 1981 – 11 RA 12/80 – und der 4. Senat des BSG in seinem Urteil vom 25. Mai 1993 – 4 RA 37/92 – in vollem Umfang beigetreten. Die aufgeworfene Rechtsfrage ist somit bereits beantwortet.
Für den erkennenden Senat liegen keine hinreichenden Gründe vor, die die bisherige verfassungsrechtliche Beurteilung der zeitlichen Begrenzung der Waisenrente in der gesetzlichen Rentenversicherung für eine behinderte Waise, die außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, in Frage stellen könnten. Weder die gesellschaftlichen noch die rechtlichen Bedingungen haben sich so verändert, dass nunmehr von der Verfassungswidrigkeit dieser zeitlichen Begrenzung auf das 27. Lebensjahr ausgegangen werden müsste (vgl dazu Urteil des erkennenden Senats vom 27. Juni 2002 – B 13 RJ 45/01 R; ebenso bereits der 4. Senat des BSG, Urteil vom 28. Mai 1993 – 4 RA 37/92 – in HBVG-Info 1994, 1490).
Da seine Nichtzulassungsbeschwerde keinen Erfolg hat, kann der Kläger gemäß § 73a SGG iVm §§ 114, 121 der Zivilprozessordnung auch keine Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten beanspruchen.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen