Verfahrensgang
SG Konstanz (Entscheidung vom 31.03.2020; Aktenzeichen S 4 R 2801/17) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 27.04.2021; Aktenzeichen L 11 R 1404/20) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. April 2021 wird als unzulässig verworfen.
Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im vorbezeichneten Urteil Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird abgelehnt.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Den im August 2016 gestellten Antrag der im Jahr 1992 geborenen Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung lehnte die Beklagte ab. Sie stützte sich auf das Ergebnis eines Gutachtens der Ärztin D nach ambulanter Untersuchung vom 11.9.2017. Danach könne die Klägerin leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch mindestens sechs Stunden täglich ausüben (Bescheid vom 29.9.2016; Widerspruchsbescheid vom 28.11.2017).
Das SG Konstanz hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen befragt und ein Gutachten der Ärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. N eingeholt (Gutachten vom 8.7.2019 und ergänzende Stellungnahme vom 19.9.2019). Als Diagnosen hat die Sachverständige festgestellt: kombinierte Persönlichkeitsstörung mit selbstunsicheren, abhängigen und emotional-instabilen Zügen, Alagille-Syndrom mit Zustand nach Lebertransplantation und fortlaufender immunsuppressiver Therapie sowie Zustand nach Hepatitis-B-Infektion. Die Klägerin könne noch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden täglich ausüben. Das SG hat daraufhin die Klage mit Gerichtsbescheid vom 31.3.2020 abgewiesen. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 27.4.2021).
Gegen die Nichtzulassung der Revision hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt und einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) gestellt. Sie macht als Zulassungsgrund einen Verfahrensmangel geltend (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
II
1. Nach Schließung des 13. Senats zum 1.7.2021 durch Erlass des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 24.6.2021 (vgl § 202 Satz 1 SGG iVm § 130 Abs 1 Satz 2 GVG) ist die Zuständigkeit für die Streitsache gemäß Geschäftsverteilungsplan (Stand 1.7.2021) auf den 5. Senat übergegangen.
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Der geltend gemachte Grund für die Zulassung einer Revision wurde nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht gerecht.
Wird ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht geltend gemacht, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zum Schluss aufrechterhaltenen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (vgl dazu im Einzelnen ua BSG Beschluss vom 3.4.2020 - B 9 SB 71/19 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 20.1.2021 - B 5 R 248/20 B - juris RdNr 7).
a) Die Klägerin macht zunächst geltend, das LSG sei ohne hinreichende Begründung ihrem Antrag nicht gefolgt, zum Beweis dafür, dass sie aufgrund ihrer gesundheitlichen Beschwerden (einschließlich der von der Gutachterin Dr. N bisher nicht berücksichtigten Beschwerden) auf Dauer in ihrem Leistungsvermögen so stark eingeschränkt sei, dass sie nur noch weniger als drei Stunden täglich an fünf Tagen pro Woche bzw maximal weniger als sechs Stunden täglich an fünf Tagen pro Woche einer Erwerbstätigkeit nachgehen könne, ein Gutachten bei einem ausgewiesenen Spezialisten für das chronische Müdigkeitssyndrom, hilfsweise auf neurologischem und/oder neurologisch-psychologischem Fachgebiet einzuholen.
aa) Es kann offen bleiben, ob die Klägerin damit die Anforderungen an einen ordnungsgemäßen Beweisantrag in einem Rentenverfahren erfüllt hat (vgl hierzu BSG Beschluss vom 13.8.2020 - B 5 R 121/20 B - juris RdNr 6 mwN). Jedenfalls legt sie nicht in der gebotenen Weise dar, dass sich das LSG zu der beantragten Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen.
Weiteren Aufklärungsbedarf begründet sie damit, die Sachverständige Dr. N habe ihre Angaben zur eingeschränkten Belastbarkeit aufgrund eines im Rahmen der testpsychologischen Untersuchungen durchgeführten SRSI-Tests nicht berücksichtigt. Die "alleinige Auswertung des SRSI-Tests" entspreche nicht dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand. Worauf die Klägerin die Annahme stützt, die Gutachterin Dr. N habe keine "umfassende Gesamtwürdigung" vorgenommen und es fehle eine "Plausibilitäts- und Konsistenzprüfung", bleibt unklar. Sie gibt vielmehr selbst die Aussage der Sachverständigen wieder, eine Einschränkung der quantitativen Leistungsfähigkeit sei aus den während der Begutachtung erhobenen sowie den dokumentierten Befunden nicht ableitbar (Gutachten vom 8.7.2019). Auch zitiert die Klägerin wörtlich aus der ergänzenden Stellungnahme vom 19.9.2019, in der Dr. N ausgeführt hat, subjektive Beschwerden könnten nicht Grundlage der Beurteilung einer quantitativen Leistungsminderung sein. Vielmehr habe sie "objektivierbare Parameter" bei der Beurteilung einer möglichen Leistungsminderung angesetzt und dabei auch "die Auswertung der dokumentierten Befunde und der in Anspruch genommenen Therapien zu Grunde gelegt." Dazu belässt es die Klägerin bei der bloßen Behauptung, die Sachverständige habe sich nicht ausreichend mit der Aktenlage und der Krankengeschichte auseinandergesetzt.
Wie sich ebenfalls aus dem Vortrag der Klägerin ergibt, stützte sich das LSG - entgegen ihrer Behauptung - auch nicht allein auf den von der Sachverständigen zur Beschwerdevalidierung angewandten Test. Wie die Klägerin selbst vorträgt, legte das Berufungsgericht seiner Entscheidung vielmehr das vollumfängliche Ergebnis der beiden jeweils nach ambulanter Untersuchung erstellten Gutachten im Verwaltungsverfahren (Ärztin D) und für das Sozialgericht (Dr. N) unter Berücksichtigung aller körperlicher und testpsychologischer Untersuchungen zugrunde. Diese hätten schlüssig und für das Gericht überzeugend dargelegt, dass die Klägerin noch über ein Leistungsvermögen von über sechs Stunden verfüge und lediglich qualitative Einschränkungen zu beachten seien. Auch wurde in den von der Klägerin wiedergegebenen Entscheidungsgründen ausgeführt, dass sich schon aus den Akten keinerlei Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Fatigue-Syndroms ergäben und - wie die Klägerin auch selbst bestätigt - kaum Arztkontakte stattgefunden hätten.
Eine Verpflichtung zur weiteren Sachaufklärung ergibt sich schließlich auch nicht aus ihrem weiteren Vortrag, das Gutachten der Ärztin D habe "lediglich eine vorläufige Bewertung der Leistungsfähigkeit" vorgenommen und sei aufgrund seines bereits mehr als drei Jahre zurückliegenden Untersuchungszeitpunkts "nicht ohne weiteres verwertbar". Es versteht sich von selbst, dass ein Sachverständiger nur die zum Zeitpunkt der Begutachtung jeweils vorliegenden Gesundheitsstörungen beurteilen kann. Dies gilt selbstverständlich auch für den Befundbericht des Dr. S vom 30.11.2018. Dieser war zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung zwar "nicht mehr aktuell", zur Beurteilung eines Anspruchs auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente ab August 2016 aber - ebenso wie das Gutachten der Ärztin D vom 11.9.2017 - durchaus geeignet.
bb) Schließlich fehlen auch Angaben in der Beschwerdebegründung zum voraussichtlichen Ergebnis einer weiteren Beweisaufnahme. Allein der Vortrag, es sei "nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht nach Einholung des beantragten Gutachtens eines erfahrenen Arztes auf dem Gebiet der CFS/ME zu einem für die BF günstigeren Ergebnis gekommen wäre, weil dieses die gesundheitliche Leistungsfähigkeit der BF möglicherweise anders beurteilt", ist dafür nicht ausreichend.
cc) Letztlich greift die Klägerin insbesondere mit ihrem Vorbringen, den Schlussfolgerungen der Gutachterin Dr. N werde gefolgt, "ohne Aussagen des Gutachtens kritisch zu hinterfragen", die Beweiswürdigung des LSG an. Dass das LSG den subjektiven Angaben der Klägerin zu einer chronischen Müdigkeit im Ergebnis nicht gefolgt ist, kann jedoch nach der ausdrücklichen Anordnung des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nicht zur Zulassung der Revision führen, auch wenn der Vortrag in die Gestalt einer Sachaufklärungsrüge gekleidet ist (vgl BSG Beschluss vom 17.12.2020 - B 1 KR 89/19 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 8.5.2017 - B 9 V 78/16 B - juris RdNr 12).
b) Auch mit ihrem Vortrag zu zwei weiteren Beweisanträgen hat die Klägerin einen Verfahrensmangel nicht hinreichend bezeichnet. Die Ausführungen zu ihren Anträgen, den Arbeitgeber und die Mutter als Zeugen einzuvernehmen, sind nicht geeignet, eine Verpflichtung des LSG zu weiteren Ermittlungen aufzuzeigen.
Soweit die Klägerin ihre Mutter als Zeugin dafür angeführt hat, dass sie an weiteren, im einzelnen benannten Beschwerden leidet, hat sie schon keinen vor dem LSG prozessordnungsgemäß gestellten Beweisantrag benannt. Dazu hätte der negative Einfluss von weiteren und dauerhaften Gesundheitsbeeinträchtigungen auf das verbliebene Leistungsvermögen behauptet und möglichst genau dargetan werden müssen (vgl BSG Beschluss vom 13.8.2020 - B 5 R 121/20 B - juris RdNr 6 mwN). Die Klägerin benennt in ihrem wörtlich wiedergegebenen Beweisantrag ua häufige grippeähnliche Symptome, Schlafstörungen, Übelkeit, ohne deren Dauerhaftigkeit zu erläutern. Inwiefern daraus rentenrelevante Auswirkungen auf ihre Leistungsfähigkeit resultieren könnten, bleibt deshalb unklar.
Die Klägerin ist nach eigenen Angaben zehn Stunden in der Woche als Friseurin tätig. Aus welchen Gründen eine ggf eingeschränkte Leistungsfähigkeit in dieser Tätigkeit aufklärungsbedürftig sein sollte, geht aus der Beschwerdebegründung ebenfalls nicht hervor. Die Klägerin genießt keinen Berufsschutz (§ 240 Abs 1 SGB VI). Zu beurteilen war deshalb lediglich, in welchem Umfang die Klägerin auch nur leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten kann.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
3. Der Antrag auf Bewilligung von PKH unter Beiordnung der Prozessbevollmächtigten ist abzulehnen. Das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde bietet - wie bereits ausgeführt - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1, § 121 Abs 1 ZPO).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14902339 |