Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Begründung des Verfahrensmangels. Verletzung von § 103 S 1 SGG
Orientierungssatz
Ist kein Beweisantrag (im Sinn der ZPO) gestellt worden, so kann eine Zulassung der Revision auf dem Umweg über die Rüge, es habe auf die Stellung (prozessordnungsgemäßer) Beweisanträge hingewirkt werden müssen, nicht erreicht werden. Das Tatsachengericht muss auf die Stellung eines Beweisantrags, bei dem offen ist, ob es ihm zu folgen hat, nicht deshalb hinwirken, damit ein Beteiligter seine Nichtzulassungsbeschwerde hierauf stützen kann.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3, § 103 S. 1, § 106 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 27. Januar 2010 wird als unzu-lässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beteiligten streiten um eine Nachforderung von Beiträgen zur freiwilligen Krankenversicherung des Klägers.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 27.1.2010 ist in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
Die Behauptung inhaltlicher Unrichtigkeit der Berufungsentscheidung ist demgegenüber kein Revisionszulassungsgrund.
1. Der Kläger beruft sich zunächst auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Die Beschwerdebegründung muss hierzu ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; vgl auch BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtslage im Allgemeininteresse vornehmen soll (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). - Den genannten Anforderungen ist in der Beschwerdebegründung nicht genügt.
Der Kläger hat mit Schreiben vom 27.4.2010 und gleichlautendem Schreiben vom 29.4.2010 die Frage formuliert,
"ob eine Rückforderung unverhältnismäßig ist bzw. eine besondere Härte für den Betroffenen darstellt, wenn das Bundesverfassungsgericht die rechtliche Grundlage im Nachhinein für verfassungswidrig, aber nicht als nichtig bewertet."
Zur Begründung hat er im Hinblick auf den Beschluss des BVerfG vom 15.3.2000 (1 BvL 16/96 ua, BVerfGE 102, 68 = SozR 3-2500 § 5 Nr 42) ua vorgetragen, er sei durch eine verfassungswidrige Regelung in § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V gezwungen gewesen, die freiwillige Mitgliedschaft bei der Beklagten einzugehen, und von daher dürfe unterstellt werden, dass dem gesamten Rechtsstreit eine verfassungswidrige Regelung zugrunde gelegen habe. Nach Ansicht der Vorinstanzen liege darin keine besondere Härte gemäß § 45 Abs 2 Satz 1 SGB X, die die Rückforderung der Beiträge als unverhältnismäßig erscheinen lasse. Folge man der Auffassung des Berufungsgerichts, "würde die bloße Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Regelung ex ante, bei einer Ermessensausübung i.S.d. § 45 Abs. 2 SGB X keine Berücksichtigung finden".
Der Kläger hat die Klärungsfähigkeit der von ihm aufgeworfenen Frage damit nicht in der gebotenen Weise dargelegt. Gegenstand des Rechtsstreits und damit auch des Berufungsverfahrens sind bzw waren (lediglich) die Bescheide der Beklagten zur Beitragseinstufung des Klägers als eines freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Rentners. Im vorliegenden Rechtsstreit nicht zu überprüfen sind bzw waren demgegenüber Fragen, die sich auf den Status des Klägers als freiwilliges Mitglied der Beklagten beziehen. Im Hinblick hierauf hätte es substantiierter Darlegungen des Klägers dazu bedurft, warum der von ihm als Folge der seinerzeitigen Verschärfung der Zugangsvoraussetzungen zur Krankenversicherung der Rentner dargestellte Zwang, sich in der gesetzlichen Krankenversicherung als Rentner nur freiwillig versichern zu können, und die og Verfassungsgerichtsentscheidung im Rahmen der Beurteilung der Rücknahmevoraussetzungen (vgl § 45 Abs 2 SGB X) bei einem Beitragseinstufungsbescheid Bedeutung erlangen und damit in einem späteren Revisionsverfahren rechtserheblich sein könnten.
Die Klärungsfähigkeit unterstellt, hat der Kläger auch die Klärungsbedürftigkeit der von ihm aufgeworfenen Frage nicht in der erforderlichen Weise dargetan. Eine Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, wenn sich eine Antwort hierauf unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich gegeben ist. Ergeben sich hinsichtlich der Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage Zweifel, hat die Beschwerde dieses besonders zu begründen. Die Krankenkassen durften nach der in dem og Beschluss des BVerfG vom 15.3.2000 enthaltenen Weitergeltungsklausel das bisherige Recht in vollem Umfang einstweilen weiter anwenden. Trotz der Unvereinbarerklärung blieb die beanstandete Regelung für eine Übergangszeit nicht nur formell, sondern auch materiell mit allen Konsequenzen in Kraft. Die als verfassungswidrig beanstandete Rechtslage hatte die Beklagte zu beachten, solange sie noch anwendbar, nicht geändert und die vom BVerfG gesetzte Frist (31.3.2002) noch nicht abgelaufen war. Mit dieser Rechtsprechung des BVerfG zur Weitergeltung hat sich der Kläger nicht auseinandergesetzt und nicht dargelegt, warum es gleichwohl noch einer Entscheidung des Senats zu den Auswirkungen dieser Verfassungsgerichtsentscheidung (etwa auf die Beurteilung von Rücknahmevoraussetzungen nach § 45 Abs 2 SGB X) bedarf.
2. Der Kläger macht außerdem Verfahrensmängel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) geltend. Mit Schreiben vom 27.4.2010 und gleichlautendem Schreiben vom 29.4.2010 legt er hierzu dar, dass sich dem LSG eine Einvernahme der für ihn zuständigen Sachbearbeiterin der Beklagten als Zeugin habe aufdrängen müssen, er in einer mündlichen Verhandlung oder jedenfalls einem Erörterungstermin habe angehört werden müssen und mangels anwaltlicher Vertretung in der Berufungsinstanz "ein entsprechender gerichtlicher Hinweis" geboten gewesen wäre. Es liege ein Verstoß gegen § 103 SGG vor.
Eine Verletzung des § 103 Satz 1 SGG ist nicht in der gebotenen Weise (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG) bezeichnet. Der Kläger hat selbst dargetan, dass er einen (Beweis)Antrag auf Zeugeneinvernahme nicht gestellt habe. Soweit gerügt werden soll, das Berufungsgericht habe eine von Amts wegen in Betracht kommende Zeugenvernehmung rechtswidrig abgelehnt, kann eine Nichtzulassungsbeschwerde hierauf nicht gestützt werden (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
Auch hat der Kläger nicht in der gebotenen Weise dargelegt, dass das Berufungsgericht gegen § 106 Abs 1 SGG verstoßen habe. Ist kein Beweisantrag (im Sinn der ZPO) gestellt worden, so kann eine Zulassung der Revision auf dem Umweg über die Rüge, es habe auf die Stellung (prozessordnungsgemäßer) Beweisanträge hingewirkt werden müssen, nicht erreicht werden. Das Tatsachengericht muss auf die Stellung eines Beweisantrags, bei dem offen ist, ob es ihm zu folgen hat, nicht deshalb hinwirken, damit ein Beteiligter seine Nichtzulassungsbeschwerde hierauf stützen kann. Dass das Berufungsgericht den Kläger - weitergehend - von der Stellung eines Beweisantrags abgehalten hat, was gerade bei anwaltlich nicht vertretenen Beteiligten durchaus zu einer Verletzung der dem Gericht obliegenden Fürsorgepflicht und des Grundsatzes eines fairen Verfahrens führen kann, ist in der Beschwerdebegründung an keiner Stelle vorgetragen.
Soweit der Kläger schließlich geltend macht, das LSG habe jedenfalls aufgrund mündlicher Verhandlung entscheiden und ihn darin anhören müssen, ist ein Verfahrensmangel ebenfalls nicht substantiiert bezeichnet. Die bloße Rüge, die mündliche Verhandlung sei für die Überzeugungsbildung erforderlich gewesen, reicht insoweit nicht aus. Dass dem LSG etwa bei der Einholung seines Einverständnisses vom 19.1.2010 zu einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs 2 SGG Fehler unterlaufen seien, hat der Kläger nicht behauptet.
Ebenso wenig ist eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG; Art 103 Abs 1 GG) in der geforderten Weise bezeichnet.
Soweit der Kläger seine Beschwerde ergänzend zu der mit Schriftsätzen vom 27. und 29.4.2010 erfolgten Begründung mit Schriftsatz vom 27.5.2010 weiter begründet hat, kann der Inhalt dieses Schriftsatzes, soweit er neue Gesichtspunkte enthalten sollte, nicht berücksichtigt werden. Er ging - per Fax - erst an diesem Tage ein. Zu diesem Zeitpunkt war die bis zum 29.4.2010 verlängerte Frist für die Begründung der Beschwerde bereits verstrichen.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen, § 160a Abs 4 Satz 2 Halbs 2 SGG.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2540922 |
ZAP 2011, 130 |