Verfahrensgang

SG Altenburg (Entscheidung vom 27.03.2019; Aktenzeichen S 4 KR 753/17)

Thüringer LSG (Urteil vom 23.09.2022; Aktenzeichen L 6 KR 531/19)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 23. September 2022 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten darum, ob der Kläger in der Zeit vom 14.4.2012 bis zum 10.10.2013 sowie vom 9.12.2013 bis zum 31.5.2015 in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sowie der sozialen Pflegeversicherung (sPV) beitragsfrei versichert war.

Der Kläger war als hauptberuflich Selbstständiger freiwilliges Mitglied der zu 1. beklagten Krankenkasse (im Folgenden: Beklagte) und bei der zu 2. beklagten Pflegekasse pflichtversichert. Die Beklagte gewährte ihm für die Zeit vom 14.4.2012 bis zum 10.10.2013 Krankengeld (Bescheid vom 8.6.2012; Widerspruchsbescheid vom 15.5.2013). Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Urteil des SG vom 15.1.2015; Urteil des LSG zum Az: L 6 KR 178/15 vom 1.11.2016). Für die Zeit ab dem 9.12.2013 lehnte die Beklagte die Zahlung von Krankengeld trotz Arbeitsunfähigkeit des Klägers ab. Krankengeld werde aus dem zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit erzielten Arbeitseinkommen berechnet. Für diese Zeit habe der Kläger negative Einkünfte aus der selbstständigen Tätigkeit nachgewiesen (Bescheid vom 20.11.2013; Widerspruchsbescheid vom 22.5.2014). Ein dagegen gerichtetes Klage- und Berufungsverfahren blieb erfolglos (Gerichtsbescheid des SG vom 18.2.2015; Urteil des LSG zum Az: L 6 KR 306/15 vom 29.11.2016).

Für die Zeit der Krankengeldgewährung erhob die Beklagte Beiträge zur GKV und - im Namen der Beklagten zu 2. - zur sPV auf der Basis des Differenzbetrags zwischen dem nach dem Einkommensteuerbescheid für 2010 festgestellten Arbeitseinkommen und der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage für hauptberuflich Selbstständige; für die Zeit vom 9.12.2013 bis zum 31.5.2015 berechnete sie die Beiträge nach der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage (Bescheide vom 3. und 28.11.2016; Widerspruchsbescheid vom 21.2.2017).

Die gegen die Beitragsfestsetzungen erhobene Klage hat das SG abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 27.3.2019). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen und ausgeführt, beitragsfrei bleibe für die Dauer des Anspruchs auf Krankengeld nach § 224 Abs 1 Satz 2 SGB V nur die genannte Leistung. Im Übrigen seien Beiträge nach dem Mindesteinkommen zu entrichten. Das BSG habe ausdrücklich bestätigt, dass die Grundsätze zum Erziehungsgeld nicht auf den Bezug von Krankengeld übertragbar seien. Im Bereich der sPV finde § 224 Abs 1 SGB V keine Anwendung (§ 56 Abs 3 SGB XI). Vielmehr werde das Krankengeld nach § 57 Abs 2 SGB XI ausdrücklich zur Beitragsbemessung herangezogen (Urteil vom 23.9.2022).

Mit der Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.

II

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). In der Beschwerdebegründung ist entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG kein Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet. Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

1. Mit der Rüge, die Entscheidungen der Beklagten und der Instanzgerichte verstießen gegen bestimmte Entscheidungen des BSG und des BVerfG wird keiner der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) setzt voraus, dass die angefochtene Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine solche Abweichung ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage zum Bundesrecht die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Insoweit genügt es nicht darauf hinzuweisen, dass das LSG seiner Entscheidung nicht die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt hätte. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz. Sie liegt daher nicht schon dann vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG entwickelt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien auch widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe bei seiner Entscheidung herangezogen hat (vgl BSG Beschluss vom 12.5.2005 - B 3 P 13/04 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5 und BSG Beschluss vom 16.7.2004 - B 2 U 41/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6; jeweils mwN).

Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Sie führt lediglich zahlreiche Zitate aus der Rechtsprechung des BSG und des BVerfG auf, ohne hieraus abstrakte Rechtssätze zu benennen. Aus der angefochtenen Entscheidung des LSG werden ebenfalls keine dieser Rechtsprechung entgegen stehende rechtliche Maßstäbe aufgezeigt. Vielmehr zieht der Kläger aus den von ihm herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidungen lediglich die eigene Schlussfolgerung, die Vorinstanzen hätten im Ergebnis "unter Beachtung dieser Grundsätze eine Beitragsfreiheit feststellen müssen". Damit rügt der Kläger im Kern aber lediglich die Unrichtigkeit der Entscheidung des LSG im Einzelfall. Eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ergibt sich daraus nicht.

2. Der Kläger legt auch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht hinreichend dar. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17; BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6 mwN). Im Rahmen der Klärungsbedürftigkeit ist darzulegen, inwieweit sich weder aus den gesetzlichen Bestimmungen noch aus der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG hinreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ergeben. Auch wenn eine Rechtsfrage noch nicht ausdrücklich höchstrichterlich entschieden worden ist, so ist sie als geklärt anzusehen, wenn schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte auch zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17 sowie BSG Beschluss vom 31.3.1993 - 13 BJ 215/92 - SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6).

Der Kläger hält folgende Frage für grundsätzlich bedeutsam:

"Ist die Anwendung der vom Spitzenverband der Krankenkassen erlassenen § 8 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler, grundsätzlich in allen Fällen anzuwenden oder obliegt es den Krankenkassen hier eigene Ausnahmen zu machen, die den Beitragszahlern gegenüber anderen Beitragszahlern dahingehend zu benachteiligen, dass in Zeiten des Bezugs von Krankengeld, für das vorher Beiträge gezahlt wurden, keine Beitragsfreiheit besteht."

Er führt hierzu lediglich aus, die Frage müsse durch das BSG geklärt werden. Die bloße Behauptung der Klärungsbedürftigkeit kann aber den Darlegungsanforderungen ersichtlich nicht gerecht werden. Sogleich unter I. der Beschwerdebegründung führt der Kläger ein Zitat aus der Rechtsprechung des BSG an, nach der es sich bei den Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler nicht um bloße Verwaltungsvorschriften handele, sondern um untergesetzliche für die Mitgliedskrankenkassen des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen und deren Mitglieder verbindliche Normen. Aus welchen Gründen das BSG noch einmal darüber entscheiden sollte oder inwieweit noch Zweifel bei der Beantwortung der aufgeworfenen Frage bestehen, legt der Kläger nicht dar. Vielmehr zieht er selbst auch an dieser Stelle den Schluss: "Bei einer Beachtung der entsprechend benannten höchstrichterlichen Entscheidungen, wären die Vorgerichte zu einem anderen Ergebnis gekommen."

3. Mit der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG; § 62 SGG) bezeichnet die Beschwerdebegründung auch einen Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht hinreichend. Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB BSG Beschluss vom 30.10.2018 - B 13 R 59/18 B - juris RdNr 7 mwN). Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen zur ordnungsgemäßen Bezeichnung (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet, dass das Gericht den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis nimmt und in seine Erwägungen mit einbezieht. Das Gericht ist aber nicht verpflichtet, jedes Vorbringen in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden und zu allen vorgetragenen Ausführungen Stellung zu nehmen. Das Verfahrensgrundrecht aus Art 103 Abs 1 GG schützt auch nicht davor, dass das Vorbringen eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts unberücksichtigt bleibt. Ebenso wenig bietet es Schutz davor, dass das Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt (BVerfG Kammerbeschluss vom 27.5.2016 - 1 BvR 1890/15 - SozR 4-1100 Art 103 Nr 4 RdNr 14 mwN). Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen liegt erst vor, wenn sich im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände ergibt, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (BVerfG aaO RdNr 15 mwN).

Solche besonderen Umstände werden aber in der Beschwerdebegründung nicht dargelegt. Das Vorbringen des Klägers, trotz seines Hinweises in der mündlichen Verhandlung "auf die sozialrechtlich bindende Pflicht des Gerichts zur Anwendung des durch den Spitzenverband der Krankenkassen erlassenen § 8 BeitrVerGrsSz" habe das LSG dieses "Thema … in der Entscheidung nicht berücksichtigt", bezeichnet keine hinreichend substantiierten Tatsachen, die eine Gehörsverletzung begründen könnten.

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Heinz

Beck

Waßer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI16186786

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Steuer Office Excellence enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge