Verfahrensgang
Hessisches LSG (Urteil vom 10.03.2016; Aktenzeichen L 2 R 115/15) |
SG Darmstadt (Aktenzeichen S 6 R 593/13) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 10. März 2016 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
Das Hessische LSG hat im Urteil vom 10.3.2016 einen Anspruch des in der Türkei geborenen Klägers auf Vergabe einer neuen Versicherungsnummer unter Heranziehung des Geburtsdatums "10.8.1953" statt des bislang verwendeten Datums "10.8.1955" verneint, da die Voraussetzungen des § 33a SGB I nicht erfüllt seien.
Der Kläger macht mit seiner beim BSG erhobenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem genannten LSG-Urteil die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Divergenzen sowie einen Verfahrensmangel geltend.
Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Seine Beschwerdebegründung vom 6.6.2016 genügt nicht der vorgeschriebenen Form, denn er hat weder eine grundsätzliche Bedeutung ordnungsgemäß dargelegt noch eine Rechtsprechungsabweichung oder einen Verfahrensmangel formgerecht bezeichnet (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).
1. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) ist nicht ausreichend dargetan.
Hierfür ist in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung zu bezeichnen und schlüssig aufzuzeigen, dass diese klärungsbedürftig, in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 19; BSG Beschluss vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 4 - jeweils mwN). Es muss aus der Beschwerdebegründung ersichtlich sein, dass sich die Antwort auf die Rechtsfrage nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz oder der bisherigen Rechtsprechung ergibt; hierzu bedarf es der Auseinandersetzung mit den vorinstanzlichen Entscheidungen und sonstiger einschlägiger Rechtsprechung. Diese Anforderungen, die allerdings nicht überspannt werden dürfen, sind verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 ff mwN).
Die Beschwerdebegründung des Klägers genügt diesen Anforderungen nicht. Dieser stellt zunächst den Sachverhalt sowie die Prozessgeschichte dar und bezeichnet sodann folgende Fragen als grundsätzlich bedeutsam:
"Unterliegt die freie Beweiswürdigung einer Urkunde im Lichte der europarechtlichen Rechtsprechung zur Verpflichtung, eine von einer Behörde eines anderen Mitgliedstaates ausgestellte Urkunde zu beachten, sofern deren Richtigkeit nicht durch konkrete(n) auf den Einzelfall bezogene Anhaltspunkte ernstlich in Frage gestellt ist, einer Einschränkung? Insbesondere: Ergibt sich ein anderes Datum aus einer älteren Urkunde auch dann, wenn zusätzlich jüngere Urkunden eines anderen Mitgliedstaates vorliegen, aus denen sich ein anderes Datum ergibt und deren Richtigkeit nicht durch konkrete auf den Einzelfall bezogene Anhaltspunkte ernstlich in Frage gestellt ist? Stellt deren Nichtberücksichtigung ein Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar?"
Ausführungen dazu, weshalb diese Fragen trotz der bereits vorhandenen, im angefochtenen LSG-Urteil auch zitierten Rechtsprechung des BSG zu § 33a SGB I weiterhin klärungsbedürftig sind, fehlen jedoch vollständig. Überdies mangelt es an Darlegungen zur Klärungsfähigkeit der Fragen im vorliegenden Rechtsstreit, in dem sich der Kläger auf in der Türkei ausgestellte Urkunden beruft und es sich daher nicht um solche aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union handelt.
2. Der Kläger hat eine Rechtsprechungsabweichung ebenfalls nicht formgerecht bezeichnet (§ 160 Abs 2 Nr 2 iVm § 160a Abs 2 S 3 SGG).
Zur ordnungsgemäßen Darlegung einer Divergenz sind entscheidungstragende Rechtssätze aus dem Berufungsurteil sowie aus einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG einander gegenüberzustellen; zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht (stRspr, vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17; BSG Beschluss vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 21). Nicht ausreichend ist hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge), denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 f; BSG Beschluss vom 24.4.2015 - B 13 R 37/15 B - Juris RdNr 6).
Das Vorbringen des Klägers wird den genannten Anforderungen nicht gerecht. Er führt zwar aus, das Urteil des LSG beruhe auf dem Rechtssatz, dass für die Anwendung des § 33a Abs 2 Nr 2 SGB I ausschlaggebend sei, ob zur vollen Überzeugung des Gerichts festgestellt werden könne, dass sich aus einer Urkunde, deren Original vor dem Zeitpunkt der ersten Angabe iS des § 33a Abs 1 SGB I ausgestellt worden sei, ein anderes Geburtsdatum ergebe. Dem stellt der Kläger jedoch keinen abweichenden Rechtssatz aus einer Entscheidung des BSG gegenüber. Vielmehr gibt er als "Rechtssatz" umfangreiche Ausführungen aus den BSG-Urteilen vom 5.4.2001 (B 13 RJ 35/00 R - BSGE 88, 89 = SozR 3-1200 § 33a Nr 4, Juris RdNr 28 bis 32), vom 31.1.2002 (B 13 RJ 9/01 R - Juris RdNr 28) und vom 28.4.2004 (B 5 RJ 33/03 R - Juris RdNr 21, 24) wieder und behauptet sodann, das LSG-Urteil stehe hierzu in Divergenz, weil sich aus bestimmten tatsächlichen Umständen ergebe, "dass das Geburtsdatum 10.08.1955 gar nicht stimmen kann". Einen konkreten abstrakt-generellen Rechtssatz aus einer BSG-Entscheidung, dem das LSG im Rechtsgrundsätzlichen widersprochen hat, führt die Beschwerdebegründung jedoch nicht an.
3. Schließlich hat der Kläger auch einen Verfahrensmangel nicht in der erforderlichen Weise dargetan (§ 160 Abs 2 Nr 3 iVm § 160a Abs 2 S 3 SGG).
Hierzu müssen die tatsächlichen Umstände, welche den geltend gemachten Verfahrensverstoß begründen sollen, substantiiert und schlüssig dargelegt und darüber hinaus muss aufgezeigt werden, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann (vgl BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4; BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 4; Krasney in Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX, RdNr 202 ff). Dabei ist zu beachten, dass ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG gestützt werden kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 Teils 2 SGG) und dass die Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 103 SGG nur statthaft ist, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 Teils 3 SGG).
Die Verfahrensrüge des Klägers entspricht den genannten Erfordernissen nicht. Er beanstandet, das LSG sei seiner Anregung zur Beiziehung der Akten aus dem türkischen Gerichtsverfahren, das dort zur Änderung seines Geburtsdatums führte, nicht nachgekommen und habe hierfür eine unzutreffende Begründung gegeben. Damit macht er sinngemäß eine Verletzung der tatrichterlichen Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) geltend. Der Beschwerdebegründung ist aber nicht zu entnehmen, dass er im Berufungsverfahren bis zuletzt einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag auf Beiziehung jener Akten aufrechterhalten habe, wie das für eine Sachaufklärungsrüge erforderlich ist (s hierzu BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Ungeachtet dessen trifft auch die Behauptung des Klägers nicht zu, das LSG habe fälschlich ein Abstellen des türkischen Amtsgerichts auf Zeugenaussagen und Erwägungen zum Schuleintrittsalter verneint und deshalb eine fehlerhafte Begründung für das Unterlassen der Aktenbeiziehung angeführt. Wie sich aus seinen eigenen Ausführungen ergibt, hat das LSG vielmehr sein Vorgehen gerade darauf gestützt, dass das türkische Amtsgericht auf Zeugenaussagen und Erwägungen zum Schuleintrittsalter, nicht jedoch auf ältere Urkunden iS von § 33a Abs 2 Nr 2 SGB I abgestellt habe.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
4. Der Senat war nicht verpflichtet, den Kläger entsprechend der Bitte seiner Prozessbevollmächtigten um einen richterlichen Hinweis, falls weitere Ausführungen nötig seien, vorab auf die Unzulänglichkeit der Beschwerdebegründung aufmerksam zu machen. Das Gesetz unterstellt, dass ein Rechtsanwalt in der Lage ist, die Formerfordernisse einzuhalten; gerade dies ist ein Grund für den Vertretungszwang vor dem BSG gemäß § 73 Abs 4 SGG. § 106 Abs 1 SGG gilt insoweit nicht. Ein Rechtsanwalt muss grundsätzlich in der Lage sein, ohne Hilfe durch das Gericht eine Nichtzulassungsbeschwerde ordnungsgemäß zu begründen (BSG Beschluss vom 21.7.2010 - B 7 AL 60/10 B - Juris RdNr 7; s auch Senatsbeschluss vom 11.2.2015 - B 13 R 300/14 B - Juris RdNr 14 mwN).
5. Die Verwerfung der nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI10448958 |