Verfahrensgang
SG Reutlingen (Entscheidung vom 31.01.2020; Aktenzeichen S 3 R 2537/18) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 20.10.2022; Aktenzeichen L 10 R 891/20) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. Oktober 2022 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.
Der im Jahr 1974 geborene Kläger war zuletzt als Versandleiter und Disponent versicherungspflichtig beschäftigt. Seit Oktober 2015 besteht Arbeitsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit. Einen im Januar 2018 gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 6.6.2018; Widerspruchsbescheid vom 26.9.2018). Im Klageverfahren hat das SG Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt. Ein im Auftrag des SG erstelltes ärztliches Sachverständigengutachten des Facharztes für Neurologie und Psychatrie D hat den Kläger noch für in der Lage erachtet, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich unter Leistungseinschränkungen erwerbstätig zu sein (Gutachten nach ambulanter Untersuchung vom 19.9.2019). Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 31.1.2020 abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat das LSG ein Pflegegutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) vom 13.1.2020 beigezogen und dazu eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen D eingeholt. Dieser hat mit Datum vom 15.9.2020 das Ergebnis seiner früheren Begutachtung bestätigt. Auf Antrag des Klägers hat das LSG schließlich den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie N zum Gesundheitsbild und zum Leistungsvermögen angehört. Nach ambulanter Untersuchung am 22.3.2022 hat dieser den Kläger nur noch für in der Lage gesehen, auch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weniger als drei Stunden täglich auszuüben. Das LSG hat, gestützt auf die Leistungseinschätzung des Sachverständigen D, einen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente verneint und die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 20.10.2022).
Nach Zustellung des Berufungsurteils am 28.10.2022 hat der Kläger mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 28.11.2022 Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegt und diese nach Fristverlängerung sowie erfolgter Akteneinsicht mit Schriftsatz vom 30.1.2023 begründet. Er macht Verfahrensmängel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG geltend.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form begründet ist. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die Umstände, aus denen sich der Verfahrensfehler ergeben soll, substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Der Kläger rügt, das LSG habe die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht gemäß § 103 Satz 1 SGG verletzt, weil es sich in Anbetracht der Feststellungen des Sachverständigen N zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt sehen müssen. Damit hat er einen Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht hinreichend bezeichnet. Liegen, wie hier, verschiedene, sich widersprechende Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur ausnahmsweise zu einer weiteren Beweiserhebung verpflichtet. Insbesondere besteht kein allgemeiner Anspruch auf Überprüfung eines oder mehrerer Sachverständigengutachten durch ein sog Obergutachten. Zu weiteren Beweiserhebungen ist das Tatsachengericht nur verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten, von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (stRspr; vgl ua BSG Beschluss vom 18.8.2022 - B 5 R 124/22 B - juris RdNr 7 mwN). Zwar trägt der Kläger vor, das Gutachten von D enthalte "grobe Mängel und unlösbare Widersprüche". Dies wird jedoch nicht näher begründet. Welche konkreten Umstände das Sachverständigengutachten als ungeeignet iS des § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 412 Abs 1 ZPO erscheinen lassen könnten, legt die Beschwerdebegründung nicht dar. Indem der Kläger ausführt, die beiden Sachverständigen hätten übereinstimmend eine Agoraphobie mit Panikstörung als maßgebliche Gesundheitsstörung angenommen, seien aber bei der Einschätzung des sich daraus ergebenden Leistungsbildes zu komplett unterschiedlichen Einschätzungen gelangt, begründet er damit keine Einwendungen gegen das Gutachten von D als solches. Liegen wie im Falle des Klägers mehrere Gutachten mit unterschiedlichen Ergebnissen vor, hat sich das Tatsachengericht damit im Rahmen seiner Beweiswürdigung auseinanderzusetzen. Soweit der Kläger dazu geltend macht, bei fehlerfreier Würdigung des Streitstoffes hätte das Gericht möglicherweise eine andere und für ihn günstigere Entscheidung getroffen, kann auf eine solche Rüge der Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) die Beschwerde nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG von vornherein nicht gestützt werden (vgl zB BSG Beschluss vom 2.2.2022 - B 9 SB 47/21 B - juris RdNr 19). Dies gilt auch im Hinblick auf die Würdigung der Befunde der behandelnden Ärztinnen B und G und der sozialmedizinischen Stellungnahme von M für die Bundesagentur für Arbeit, durch die sich der Kläger in seiner eigenen Leistungseinschätzung bestätigt sieht.
Soweit der Kläger mit seinem Vorbringen, es sei zumindest erforderlich gewesen, D zu den Ausführungen des auf seinen Antrag mit der Begutachtung beauftragten N in einer ergänzenden Stellungnahme anzuhören, darüber hinaus eine Verletzung seines Fragerechts rügen will, hat er nicht vorgetragen, einen entsprechenden Antrag vor dem LSG gestellt zu haben (zum Recht der Beteiligten auf Befragung eines Sachverständigen vgl zuletzt BSG Beschluss vom 8.12.2022 - B 5 R 90/22 B - juris RdNr 9 mwN).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15670387 |