Verfahrensgang
SG Landshut (Entscheidung vom 27.06.2019; Aktenzeichen S 14 R 421/17) |
Bayerisches LSG (Beschluss vom 25.05.2020; Aktenzeichen L 6 R 524/19) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. Mai 2020 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Das SG hat einen solchen Anspruch verneint und die Klage abgewiesen (Urteil vom 27.6.2019). Zuvor hatte es Befundberichte der behandelnden Ärzte angefordert, ein Gutachten auf psychiatrischem Fachgebiet durch F und auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG durch den Nervenarzt B eingeholt. Die beiden ärztlichen Sachverständigen haben nach Untersuchung des Klägers am 19.4.2018 (F) und weiteren Untersuchungen am 9.11. und 27.11.2018 sowie am 25.2. und 26.2.2019 (B) auch unter Berücksichtigung von testpsychologischen Untersuchungen und einer schlafmedizinischen Diagnostik festgestellt, dass der Kläger unter Leistungseinschränkungen noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne. An dieser Leistungseinschätzung hat der Gutachter F auch in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 25.6.2019 und nach Befragung in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 27.6.2019 festgehalten. Die Berufung des Klägers hat das LSG mit Beschluss vom 25.5.2020 zurückgewiesen. Gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er wendet sich gegen "eine extreme Oberflächlichkeit der Verfahrensführung" und macht "massive Widersprüchlichkeiten" geltend. Der Kläger rügt ein fehlendes Bemühen, Zusammenhänge zu erkennen und schließlich eine "Hauruck-Entscheidung" des Berufungsgerichts.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Es wird kein Grund iS von § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG für eine Zulassung der Revision nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Beschlusses besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Wird ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) gerügt, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Beschwerdegericht ohne Weiteres auffindbaren und bis zum Schluss aufrechterhaltenen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; aus jüngster Zeit vgl BSG Beschluss vom 14.4.2020 - B 5 R 206/19 B - juris RdNr 8 mwN).
Ein solcher Verfahrensmangel wird in der Beschwerdebegründung nicht hinreichend bezeichnet. Der Kläger macht ein hohes Maß an "Lückenhaftigkeit der Ermittlung" und "unaufgeklärte wesentliche Aspekte" geltend. Er rügt eine Verletzung der Art 1 und 103 GG sowie eine "Verletzung des Justizgewährungsanspruchs, auch Verpflichtung zur Rücksichtnahme gegenüber Betroffenen in seiner konkreten Situation". Das LSG hätte den Widerspruch aufklären müssen, wonach der Gutachter F einerseits in seiner ergänzenden Stellungnahme festgestellt habe, der Kläger könne darauf angewiesen sein, zusätzliche Pausen zu machen, andererseits aber eine vollschichtige Leistungsfähigkeit auch für mittelschwere bzw zeitweise schwere Arbeiten bejaht habe. Einen Widerspruch sieht der Kläger auch, soweit das LSG die Aussagen des Sohnes zur Notwendigkeit einer täglichen Stunde Mittagsschlaf "als wahr unterstellt", die Notwendigkeit zusätzlicher Arbeitspausen aber verneint habe. Einen weiteren Widerspruch sieht der Kläger darin, dass B in seinem nach § 109 SGG erstellten Sachverständigengutachten vom 4.3.2019 einen "Testwert von 28 für die Depression" festgestellt, aber offengelassen habe, ob der Kläger einen Veränderungswillen auch mit therapeutischer Hilfe entwickeln könne. Zur gleichen Zeit habe das Neurozentrum N eine schwere depressive Episode beim Kläger als gesichert angesehen. Auch diesen Widerspruch hätte das LSG aufklären müssen. Zudem fehle es an einem weiteren lungenfachärztlichen Gutachten. Schließlich hätte das LSG auch eine HNO-Begutachtung in Auftrag geben müssen.
Für eine mögliche Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 103 SGG fehlt es zu jeder dieser Rügen schon an der hinreichenden Bezeichnung eines prozessordnungsgemäß gestellten Beweisantrags, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Der Kläger trägt lediglich vor, er habe "eine weitere Begutachtung auf psychiatrischem Gebiet" im Schriftsatz vom 11.3.2020 beantragt. Weitere Ausführungen zum konkreten Inhalt eines solchen Beweisantrags fehlen. Auch ergibt sich aus der Beschwerdebegründung nicht, dass der bereits vor dem LSG durch seinen Prozessbevollmächtigten vertretene Kläger einen solchen Beweisantrag bis zum Abschluss der Berufungsinstanz aufrechterhalten hat. Dies gilt auch, soweit der Kläger rügt, der Sohn des Klägers hätte als Zeuge dazu vernommen werden müssen, dass der Kläger täglich auf eine Stunde Mittagsschlaf angewiesen sei. Auch dazu fehlt es in der Beschwerdebegründung an der hinreichenden Bezeichnung eines Beweisantrags, zumal das LSG - wie der Kläger selbst anführt - die Aussage des Sohnes dazu "als wahr unterstellt" hat. Dass das LSG letztlich den Angaben der Sachverständigen zur fehlenden medizinischen Indikation zusätzlicher Pausen gefolgt ist und ein besonderes Pausenerfordernis verneint hat, ist das Ergebnis seiner Beweiswürdigung. Auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 Alt 1 SGG ausdrücklich nicht gestützt werden. Zu den weiteren geltend gemachten Aufklärungsrügen fehlt es schon an einem Vortrag dazu, dass überhaupt ein entsprechender Beweisantrag vor dem LSG gestellt worden ist.
Sollte das Vorbringen des Klägers darauf zielen, dass das Berufungsgericht zu einer weiteren Beweiserhebung schon deshalb verpflichtet gewesen sein könnte, weil die vorliegenden Gutachten keine ausreichende Entscheidungsgrundlage nach § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 412 Abs 1 ZPO hätten bilden können, fehlt es ebenfalls an weiteren Ausführungen. Eine solche Verpflichtung des LSG hätte nach der Rechtsprechung des BSG nur unter besonderen Voraussetzungen bestanden. Auf die einzelnen, in zahlreichen Entscheidungen benannten Kriterien geht die Beschwerdebegründung nicht ein (vgl dazu BSG Beschluss vom 24.6.2020 - B 9 SB 79/19 B - juris RdNr 11 mwN). Es lassen sich im Sinne dieser Rechtsprechung weder unlösbare Widersprüche noch grobe Mängel der Gutachten erkennen. Die Rüge eines "Widerspruchs" der Diagnose einer mittelschweren Depression einerseits und eines sechsstündigen Leistungsvermögens andererseits (Gutachten B) betrifft ebenso wie der vorgetragene "Mangel", massive Beeinträchtigungen ua aufgrund von Abnutzungserscheinungen des rechten Kniegelenks, einer Defektheilung nach Weichteilinfektion am rechten Schienbein sowie des Bronchialasthmas seien nicht berücksichtigt worden, eine mögliche Verletzung von § 128 Abs 1 Satz 1 SGG. Dies kann - wie bereits ausgeführt - nicht Gegenstand einer Nichtzulassungsbeschwerde sein. Schließlich ist das Vorbringen des Klägers, B hätte nach der Ursache für die Narben (als Folge eines schweren Unfallgeschehens) fragen müssen, nicht geeignet, Zweifel an dessen Sachkunde zu begründen.
Soweit der Kläger vorträgt, das LSG hätte "berufskundlichen und medizinischen Sachverstand" heranziehen müssen, um einzelne Verweisungstätigkeiten zu prüfen, fehlen konkrete Ausführungen dazu, welche Verfahrensvorschriften im Einzelnen verletzt sein könnten. Die "Rüge des fairen Verfahrens gem. § 103 SGG" wird nicht weiter präzisiert. Sollte diese darauf zielen, dass es für eine notwendige Prüfung von Verweisungstätigkeiten bereits an einer weiteren Sachaufklärung zur Notwendigkeit von zusätzlichen Pausen fehlte, hat der Kläger auch insoweit keinen hinreichend konkreten Beweisantrag bezeichnet (vgl dazu BSG Beschluss vom 26.9.2019 - B 5 R 268/18 B - juris RdNr 7). Das Berufungsgericht hat keine Anhaltspunkte für eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder für das Vorliegen einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung gesehen und ein zusätzliches Pausenerfordernis sowie eine Einschränkung der Wegefähigkeit, die ausnahmsweise die Benennung einer Verweisungstätigkeit erforderlich machen würden, ausdrücklich verneint. Soweit der Kläger in diesem Kontext vorträgt, "die pauschale Erklärung, dass der Kläger schlicht alles könne, wie es hier den Anschein hat, ist zweifelsfrei nicht aufrecht zu erhalten und widerspricht auch anderen Darlegungen des Urteils", kann eine vermeintliche Fehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht zum Gegenstand einer Nichtzulassungsbeschwerde gemacht werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 67 und aus jüngerer Zeit Senatsbeschluss vom 3.7.2019 - B 5 RS 10/18 B - juris RdNr 11).
Ein Verfahrensfehler ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen des Klägers, seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen seien deutlich schwerwiegender als beurteilt, er habe nach seinem Unfall fast das rechte Bein verloren, der daraus folgende "extreme Absturz" sei mit dem Ergebnis "keine Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit" nicht angemessen berücksichtigt worden, eine mittelschwere Depression führe zur Erwerbsunfähigkeit und schließlich hätte das in einem Rechtsstreit gegen die Krankenkasse eingeholte Gutachten von W vom 13.12.2016 ("sehr viel ausführlicher und instruiert sehr viel besser") genauso wie der Entlassungsbericht der Klinik S vom 13.11.2017 berücksichtigt werden müssen. Auch damit rügt er eine aus seiner Sicht fehlerhafte Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht, auf die eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden kann. Soweit der Kläger eine Verletzung seines Rechts auf rechtliches Gehör rügt, weil das LSG sein Gesundheitsbild und die daraus folgenden Leistungseinschränkungen nicht ausreichend berücksichtigt habe, gewährleistet dieses Grundrecht nicht, dass der Rechtsansicht eines Beteiligten auch gefolgt wird (vgl BSG Beschluss vom 14.4.2020 - B 5 RS 13/19 B - juris RdNr 16).
Auch mit seiner Rüge, das LSG habe "völlig unvertretbar" ohne mündliche Verhandlung nach § 153 Abs 4 SGG entschieden, bezeichnet der Kläger nicht hinreichend einen Verfahrensmangel. Sein Vortrag genügt weder den Anforderungen an die Darlegung einer möglichen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach § 62 SGG und Art 103 Abs 1 GG(vgl dazu zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 36; aus jüngerer Zeit BSG Beschluss vom 27.1.2020 - B 5 RE 3/19 B - juris RdNr 14) noch eines Verstoßes gegen § 153 Abs 4 SGG. Eine Zustimmung der Beteiligten zu einer Entscheidung nach § 153 Abs 4 SGG ist nicht erforderlich. Auch geht aus der Beschwerdebegründung nicht im Ansatz hervor, dass der bereits im Berufungsverfahren durch seinen Prozessbevollmächtigten vertretene Kläger nicht ordnungsgemäß angehört wurde oder das LSG von seinem Ermessen möglicherweise fehlerhaft Gebrauch gemacht haben könnte (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 153 RdNr 14 ff). Allein das Vorbringen, das LSG habe "keinen einzigen Ermittlungsakt durchgeführt“ genügt zur Bezeichnung eines solchen Verfahrensmangels ebenso wenig wie der Vortrag, das Gericht sei "zur Rücksichtnahme gegenüber der konkreten Situation" des Klägers verpflichtet gewesen.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14226231 |