Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionsnichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensmangel. Auslegung einer Prozesserklärung. Rücknahme der Berufung. Irrtumsanfechtung der Prozesserklärung. Unzulässigkeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Um einen Verfahrensmangel, der nach § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG geeignet ist, den Revisionsrechtszug zu eröffnen, i.S. des § 160a Abs. 2 S. 3 SGG zu bezeichnen, sind in der Beschwerdebegründung ausgehend von der materiellen Rechtsansicht des Landessozialgerichts die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert und schlüssig darzustellen (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 32; stRspr).
2. Die Auslegung eines Schriftsatzes, der eine Prozesserklärung enthält, unterliegt in vollem Umfang der revisionsrechtlichen Prüfung (BSGE 75, 92, 95).
3. Die Irrtumsanfechtung einer Prozesserklärung ist nach Rechtsprechung und überwiegender Lehre unzulässig (vgl. nur BSG SozR Nr 3 zu § 119 BGB).
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3, § 156; BGB § 119
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. November 2002 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde ist nicht zulässig, denn die als Zulassungsgrund geltend gemachten Verfahrensmängel Verletzung des Anspruchs auf eine Sachentscheidung und Verkennung des Streitgegenstandes sind nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gebotenen Weise schlüssig bezeichnet.
Um einen Verfahrensmangel, der nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG geeignet ist, den Revisionsrechtszug zu eröffnen, iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG zu bezeichnen, sind in der Beschwerdebegründung ausgehend von der materiellen Rechtsansicht des Landessozialgerichts (LSG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert und schlüssig darzustellen (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 32; BSG Beschluss vom 12. Februar 2002 – B 11 AL 249/01 B – stRspr). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
1. Eine Verletzung des Anspruchs des Klägers auf eine Sachentscheidung über seine Anschlussberufung ist nicht schlüssig bezeichnet. Die Beschwerdebegründung macht nicht deutlich, inwiefern die Auslegung des Schriftsatzes der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 4. Juni 2002 als Rücknahme der Anschlussberufung Rechtsfehler enthält. Die Auslegung dieses Schriftsatzes unterliegt als Prozesserklärung in vollem Umfang der revisionsrechtlichen Prüfung (BSGE 75, 92, 95 = SozR 3-4100 § 141b Nr 10). Ausdrücklich wird der Rechtsstreit für erledigt erklärt, soweit die Zahlung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) bis zum 31. Dezember 2001 Gegenstand des Berufungsverfahrens gewesen ist. Gegenstand des Berufungsverfahrens war nicht nur der Gegenstand der Berufung, die sich auf Alhi für die Zeit vom 1. September 2000 bis 16. April 2002 bezog, sondern auch der Anspruch auf Alhi vom 3. März bis 31. August 2000, den der Kläger mit der Anschlussberufung geltend gemacht hatte. Eine Unterscheidung zwischen dem Gegenstand der Berufung und der Anschlussberufung hat der Schriftsatz nicht einmal andeutungsweise vorgenommen. Ausgenommen von der Erledigungserklärung ist lediglich der Anspruch auf Alhi vom 1. Januar bis 16. April 2002. Das LSG hat sich bei seinem Verständnis dieses Schriftsatzes nicht allein an den Wortlaut gehalten, sondern auch darauf hingewiesen, dass die weiteren Ausführungen der Prozessbevollmächtigten sich lediglich noch mit dem Anspruch auf Alhi vom 1. Januar bis 16. April 2002 befassen. Die Beschwerdebegründung zeigt auch keine Umstände und Zusammenhänge auf, die einen von der Erklärung abweichenden wirklichen Willen (§ 133 Bürgerliches Gesetzbuch ≪BGB≫) aus der Sicht des Empfängers erkennen ließen. Die Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 19. November 2002 enthalten deshalb der Sache nach die Irrtumsanfechtung einer Prozesserklärung, die nach Rechtsprechung und überwiegender Lehre (BSG Beschluss vom 19. März 2002 – B 9 V 75/01 B – unveröffentlicht; BSG SozR Nr 3 zu § 119 BGB) unzulässig ist. Ausführungen, die eine abweichende Rechtsansicht begründen könnten, enthält die Beschwerdebegründung nicht. Vor dem Hintergrund anerkannter Regeln für die Auslegung von Prozesshandlungen ist auch nicht dargetan, inwiefern die auf den Gegenstand des Berufungsverfahrens bis zum 31. Dezember 2001 abgegebene Erledigungserklärung der Sache nach nicht eine Rücknahme der Anschlussberufung enthalten sollte.
Soweit das LSG davon ausgegangen ist, nach der Rücknahme könne die Anschlussberufung nicht wieder eingelegt werden, ist dies von der Beschwerde nicht gerügt worden.
2. Die Bundesanstalt für Arbeit (BA) hatte dem Kläger mit Bescheid vom 12. April 1999 Alhi vom 17. April bis 16. Mai 1999 bewilligt, danach aber einen Anspruch auf Alhi wegen verwertbaren Vermögens abgelehnt. Die gleiche Regelung hat der angefochtene Bescheid vom 21. März 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. April 2000 auf die erneute Arbeitslosmeldung am 3. März 2000 getroffen. Das Sozialgericht (SG) hatte auf einen Aufhebungs- und Leistungsantrag des Klägers mit Urteil vom 27. Juli 2000 diese Regelung insoweit aufgehoben, als die BA Alhi über den 31. August 2000 hinaus abgelehnt hatte, ohne dabei ausdrücklich eine Verurteilung zur Zahlung von Alhi auszusprechen. Die Beklagte sah sich auf Grund dieses Urteils während des Berufungsverfahrens als zur Leistung verpflichtet, nachdem der Vorsitzende des 13. Senats des LSG Baden-Württemberg einen Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung abgelehnt hatte. Das LSG hat das Urteil als Grundurteil und die für den Leistungszeitraum bis zum 16. April 2002 ergangenen Bescheide als Ausführungsbescheide des sozialgerichtlichen Urteils angesehen. Diese Beurteilung wird von der Beschwerde auch nicht angegriffen, soweit das LSG angenommen hat, die während des Berufungsverfahrens ergangenen Bescheide seien Ausführungsbescheide. Soweit die Beschwerde geltend macht, der Anpassungsbescheid vom 5. Januar 2002 sei kein Ausführungsbescheid gewesen, sondern habe über den Anspruch ab 1. Januar 2002 eine eigene Regelung getroffen, rügt sie keinen Verfahrensfehler des LSG, sondern eine unrichtige materiell-rechtliche Entscheidung des LSG bei der Beurteilung des Regelungsgehalts dieses Bescheids. Die Ausführungen der Beschwerde zur Verpflichtung der Beklagten, im Hinblick auf die Arbeitslosenhilfe-Verordnung vom 13. Dezember 2001 (BGBl I 3734) ab 1. Januar 2002 eine neue Regelung zu treffen, betreffen die verwaltungsverfahrensrechtliche Verpflichtung der Beklagten, nicht aber das gerichtliche Verfahren. Eine Verkennung des Streitgegenstandes durch das LSG lässt sich der Beschwerdebegründung daher nicht entnehmen.
3. Da ihre Begründung nicht den gesetzlichen Anforderungen genügt, ist die Beschwerde entsprechend § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen