Entscheidungsstichwort (Thema)
Anti-D-Hilfegesetz. MdE-Festsetzung. AHP. Anwendbarkeit
Orientierungssatz
Zur weiteren Anwendbarkeit der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) (hier: Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) im Anwendungsbereich des AntiDHG).
Normenkette
AntiDHG § 3 Abs. 4 S. 1; BVG § 30 Abs. 1; SGB 9 § 2 Abs. 1; SGB 9 § 69
Verfahrensgang
LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 09.10.2007; Aktenzeichen L 13 VJ 1/05 -26) |
SG Potsdam (Urteil vom 21.10.2004; Aktenzeichen S 9 VJ 113/02) |
Gründe
Mit Urteil vom 9.10.2007 hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer höheren Einmalzahlung sowie einer monatlichen Rente nach dem Gesetz über die Hilfe für durch Anti-D-Immunprophylaxe mit dem Hepatitis-C-Virus infizierte Personen (Anti-D-Hilfegesetz - AntiDHG) verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat die Klägerin beim Bundessozialgericht (BSG) Beschwerde eingelegt. Sie macht grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unbegründet. Soweit die Klägerin eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ordnungsgemäß dargetan hat (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG) , ist diese nicht gegeben.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1) eine konkrete Rechtsfrage (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 59, 65).
Zunächst hat die Klägerin die Rechtsfrage aufgeworfen:
Geben die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) weiterhin den Maßstab an, nach dem im Anwendungsbereich des AntiDHG die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) einzuschätzen ist?
Diese Frage ist nicht klärungsbedürftig. Wie die Klägerin selbst einräumt, hat der Senat am 18.9.2003 (BSGE 91, 205 = SozR 4-3250 § 69 Nr 2) entschieden, dass die AHP (Ausgabe 1996) grundsätzlich weiterhin den Maßstab geben, nach dem der Grad der Behinderung (GdB) einzuschätzen ist. Diese Entscheidung betrifft zwar das Schwerbehindertenrecht, sie ist jedoch auch für das soziale Entschädigungsrecht maßgebend, da die Begriffe des "GdB" iS des § 2 SGB IX und der "MdE" iS des § 30 Abs 1 Bundesversorgungsgesetz ≪BVG≫ (seit dem 21.12.2007: Grad der Schädigungsfolgen - GdS; Gesetz vom 13.12.2007, BGBl I 2904) einander in aller Regel entsprechen (vgl BSGE 89, 199, 201 = SozR 3-3800 § 1 Nr 21 S 94). Dies folgt insbesondere daraus, dass bei der Feststellung des GdB die im Rahmen des § 30 Abs 1 BVG festgelegten Maßstäbe entsprechend gelten (vgl § 69 Abs 1 Satz 4 SGB IX).
Zwar trifft es zu, dass sowohl das Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫ (vgl BVerfG SozR 3-3870 § 3 Nr 6) als auch das BSG (BSGE 75, 176, 178 = SozR 3-3870 § 3 Nr 5 S 7; SozR 3-3870 § 4 Nr 6 S 30) Bedenken wegen Fehlens einer hinreichenden Rechtsgrundlage für die AHP geäußert haben. Diese Bedenken sind jedoch bislang aus guten Gründen zurückgestellt worden (vgl BSGE 91, 205 = SozR 4-3250 § 69 Nr 2, jeweils RdNr 15). Dabei hat das BSG insbesondere berücksichtigt, dass derzeit kein anderes Beurteilungssystem vorhanden ist, welches zumindest ebenso gut wie die AHP geeignet wäre, den GdB (bzw die MdE/den GdS) bestimmen zu helfen, ohne denselben Bedenken zu begegnen wie diese. Diese Erwägungen vermag die Klägerin mit ihrem Vorbringen nicht zu erschüttern.
Soweit sie geltend macht, die Voraussetzungen, unter denen das BSG von einer weiterhin bestehenden Anwendbarkeit der AHP zur Beurteilung des GdB im Rahmen des § 69 SGB IX ausgehe, lägen im Anwendungsbereich des AntiDHG nicht vor, verkennt sie, dass dieses Gesetz gerade dadurch in das soziale Entschädigungsrecht eingefügt worden ist, dass die MdE/der GdS sich auch hier nach § 30 Abs 1 und § 31 Abs 2 BVG bestimmt (§ 3 Abs 4 Satz 1 AntiDHG; geändert durch Art 3 Nr 1 Buchst c Gesetz vom 13.12.2007, BGBl I 2904) . Auch wenn nach dem AntiDHG nur eine Erkrankung zu beurteilen ist, hat sich die MdE/GdS-Bewertung entsprechend diesen gesetzlichen Vorgaben doch nach den im Rahmen des § 30 Abs 1 BVG festgelegten Maßstäben zu richten. Entgegen der Ansicht der Klägerin hat der Gesetzgeber im AntiDHG auch nicht - quasi "gedankenlos" - aus reinen Praktikabilitätsgründen auf das BVG Bezug genommen. Vielmehr hat er eine differenzierte Lösung gesucht, die im Ergebnis zwischen den Leistungssätzen des BVG und denen des HIV-Hilfegesetzes angesiedelt ist (vgl BT-Drucks 14/2958 S 9 zu § 3; BT-Drucks 14/3538 S 11, linke Spalte).
Angesichts dieser systematischen Zusammenhänge besteht keine Veranlassung, im Bereich des AntiDHG hinsichtlich der Anwendung der AHP einen Sonderweg zu beschreiten. Auch wenn es sich bei den von diesem Gesetz Betroffenen um eine relativ geringe Personenzahl handelt, muss innerhalb dieser Gruppe eine Gleichbehandlung gleichgelagerter Fälle sichergestellt sein. Die Klägerin hat nicht aufgezeigt, dass es insoweit andere Beurteilungsmaßstäbe gebe, die nicht denselben Bedenken begegnen, wie die AHP. Dies gilt namentlich für die im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung herangezogenen MdE-Tabellen, auf die sich die Klägerin beruft, weil diese für sie günstig sind. Es ist nicht zu erkennen, inwiefern diese Tabellen eine größere demokratische Legitimation beanspruchen können als die AHP; insbesondere angesichts der neuesten Rechtsentwicklung, auf die der Beklagte hingewiesen hat (Anfügung eines Abs 17 an § 30 BVG durch das Gesetz vom 13.12.2007, BGBl I 2904).
Die zweite von der Klägerin für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Rechtsfrage lautet:
Für den Fall, dass die AHP im Anwendungsbereich des AntiDHG weiterhin den Maßstab angeben, nach dem die MdE einzuschätzen ist: Stellt es einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art 3 Abs 1 GG dar, dass bei Vorliegen einer chronischen Hepatitis C mit geringer entzündlicher Aktivität und mäßiger Fibrose die AHP im Anwendungsbereich des AntiDHG die Bewertung der MdE mit 20 vH vornehmen, während die MdE im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung mit 30 vH bewertet wird?
Dazu hat die Klägerin einen höchstrichterlichen Klärungsbedarf nicht hinreichend dargetan. Sie legt zwar ausführlich ihre eigene Rechtsauffassung zum Vorliegen eines diesbezüglichen Verstoßes gegen Art 3 Abs 1 GG dar, setzt sich jedoch nicht mit der vorliegenden Rechtsprechung des BSG auseinander, um zu begründen, warum sich daraus keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Beantwortung ihrer Frage ergeben (vgl BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2) . Insbesondere hat sie unberücksichtigt gelassen, dass sich das BSG schon mehrfach mit den Unterschieden zwischen den in der gesetzlichen Unfallversicherung herangezogenen Erfahrungssätzen und den AHP bei der GdB/MdE-Bewertung befasst hat (vgl zB BSG, Urteil vom 26.6.1985 - 2 RU 60/84, SozR 2200 § 581 Nr 23; BSG, Urteil vom 22.6.2004 - B 2 U 14/03 R, BSGE 93, 63 = SozR 4-2700 § 56 Nr 1, jeweils RdNr 6 f).
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen