Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 29. Mai 2017 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
Mit Urteil vom 29.5.2017 hat das LSG Sachsen-Anhalt einen Anspruch der Klägerin auf eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben abgelehnt.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie beruft sich auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und auf Rechtsprechungsabweichung (Divergenz).
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.
Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),
- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder
- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).
Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG nicht dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Klägerin hält die Frage,
"ob Menschen mit wesentlichen gesundheitlichen Einschränkungen, deren Leiden im Sinne von § 10 Abs. 1 SGB VI, nicht aber im Sinne von § 43 SGB VI 'nur' gemindert werden kann, von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 10 Abs. 1 SGB VI ausgeschlossen sind",
für grundsätzlich bedeutsam. Es fehlen aber die erforderlichen Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit und zur Klärungsfähigkeit.
Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG und ggfs des BVerfG zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass zu dem angesprochenen Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet worden ist (Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 183 mwN).
Hieran fehlt es. Die Klägerin setzt sich nicht mit der vom LSG zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung zur geminderten Erwerbsfähigkeit und deren unterschiedlichen Begrifflichkeit in § 10 Abs 1 Nr 2 Buchst b SGB VI bzw § 10 Abs 1 Nr 1 SGB VI auseinander (vgl BSG Urteil vom 11.5.2011 - B 5 R 54/10 R - BSGE 108, 158 = SozR 4-3250 § 17 Nr 1). Warum sich aus dieser Entscheidung nicht einmal Anhaltspunkte für die Beantwortung der von der Klägerin angesprochenen Frage ergeben, zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf. Allein die Behauptung, es gebe hierzu keine höchstrichterliche Rechtsprechung, genügt den Darlegungsanforderungen nicht.
Schließlich fehlt es an der Darlegung der Klärungsfähigkeit. Die Beschwerdebegründung lässt insbesondere offen, ob gerade auf der Grundlage des vom LSG festgestellten und für das BSG im angestrebten Revisionsverfahren grundsätzlich verbindlichen (§ 163 SGG) Sachverhalts notwendig über die angesprochene Problematik zu entscheiden ist (Klärungsfähigkeit). Soweit ein Sachverhalt geschildert wird, bleibt im Widerspruch zu den gesetzlichen Vorgaben offen, wem dieser nach Auffassung der Beschwerdeführerin zuzurechnen sein soll. Eine Sachverhaltsschilderung gehört jedoch zu den Mindestvoraussetzungen der Darlegung bzw der Bezeichnung des Revisionszulassungsgrundes. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens die maßgeblichen Tatsachen aus dem angegriffenen Urteil selbst herauszusuchen (s nur BSG Beschluss vom 23.7.2007 - B 13/4 R 381/06 B - Juris RdNr 8 mwN).
Auch die Divergenzrüge hat keinen Erfolg (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht. Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet das vorstehend Gesagte, dass die Beschwerdebegründung erkennen lassen muss, welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht; ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die oberstgerichtliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN). Diesen Darlegungserfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Klägerin behauptet, das LSG habe in der angefochtenen Entscheidung einen - auf Seite 3 unten, Seite 4 oben der Beschwerdebegründung mitgeteilten - Rechtssatz aufgestellt, mit dem es von - auf der Seite 4 der Beschwerdebegründung wiedergegebenen - Ausführungen des BSG in der Entscheidung vom 17.10.2006 - B 5 RJ 15/05 R - SozR 4-2600 § 10 Nr 2 abgewichen sei, und stellt anschließend die aus ihrer Sicht bestehende Abweichung sowie das angebliche Beruhen der angefochtenen Entscheidung auf dieser dar.
Aus der Beschwerdebegründung geht bereits nicht hervor, dass das BSG in der herangezogenen Entscheidung auf der Grundlage des darin angeblich aufgestellten Rechtssatzes eine Fallkonstellation, die mit derjenigen der Klägerin vergleichbar ist, anders entschieden hat als das LSG im angegriffenen Urteil. Dafür genügt es nicht, isoliert einzelne Sätze aus den Entscheidungen des Berufungs- und des Revisionsgerichts zu zitieren. Vielmehr ist der Kontext darzustellen, in dem die angeblich divergierenden Rechtssätze jeweils stehen (vgl hierzu zB Senatsbeschluss vom 13.12.2012 - B 5 R 254/12 B - BeckRS 2013, 65382 RdNr 9 sowie BSG Beschluss vom 7.2.2007 - B 6 KA 56/06 B - BeckRS 2007, 41946 RdNr 10 mwN). Zum Kontext der Entscheidungen ist der Beschwerdebegründung aber schon deshalb nichts zu entnehmen, weil sie nicht darlegt, welcher Sachverhalt den Entscheidungen des BSG jeweils zugrunde liegt, um beurteilen zu können, welche rechtlichen Aussagen das BSG wirklich getroffen hat. Eine konkrete Sachverhaltsdarstellung der Entscheidung des LSG und der Entscheidungen des BSG gehört aber zu den Mindestvoraussetzungen, um die Entscheidungserheblichkeit der Divergenzrüge prüfen zu können. Ein Widerspruch in der Rechtsprechung ist nur möglich, wenn sich zwei Rechtssätze auf zumindest vergleichbare Sachverhalte beziehen und diese unterschiedlich regeln (BSG Beschluss vom 13.2.2013 - B 5 R 398/12 B - BeckRS 2013, 66978 RdNr 8). Den der zitierten Rechtsprechung des BSG zugrunde liegenden Sachverhalt schildert die Klägerin jedoch nicht.
Zudem versäumt es die Klägerin, ausreichend aufzuzeigen, dass die Berufungsentscheidung auf der geltend gemachten Divergenz beruht, dh eine entscheidungserhebliche Divergenz vorliegt (vgl Krasney/Udsching/Groth, aaO, Kap IX RdNr 198). Dies ist nur dann der Fall, wenn die angefochtene Entscheidung bei Zugrundelegung des Rechtssatzes, von dem angeblich abgewichen ist, anders hätte ausfallen müssen (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 160 RdNr 15 mwN). Ob eine Divergenz entscheidungserheblich ist, kann generell nur auf der Grundlage bereits getroffener Feststellungen beantwortet werden. Dagegen kann die Revision wegen Divergenz nicht zugelassen werden, wenn das Berufungsgericht eine Tatsache, die für den geltend gemachten Anspruch erheblich sein würde, noch nicht festgestellt hat und damit nur die Möglichkeit besteht, dass die Divergenz nach Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht und nach weiterer Sachverhaltsaufklärung entscheidungserheblich werden kann (vgl BSG vom 10.11.2008 - B 12 R 14/08 B - Juris RdNr 6 mwN). Die von der Klägerin geltend gemachte Divergenz stellt sich nur dann tragend dar, wenn das Berufungsgericht alle erforderlichen tatsächlichen Umstände festgestellt hat, um das Vorliegen sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen bejahen zu können. Welchen Sachverhalt das LSG festgestellt hat, ist der Beschwerdebegründung jedoch nicht zu entnehmen.
Im Übrigen verkennt die Klägerin, dass eine Divergenz nicht schon dann besteht, wenn das Berufungsgericht einen höchstrichterlichen Rechtssatz missversteht oder aus sonstigen Gründen nicht oder falsch anwendet (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 45 mwN). Eine Divergenz setzt vielmehr voraus, dass das LSG die höchstrichterliche Rechtsprechung infrage stellt, was indes nicht der Fall ist, wenn es eine höchstrichterliche Entscheidung in ihrer Tragweite für den entschiedenen Fall verkannt haben sollte (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 73 mwN). Deshalb hätte die Klägerin vertieft darauf eingehen müssen, warum es sich bei der behaupteten Abweichung des Berufungsgerichts nicht lediglich um eine falsche Rechtsanwendung im Einzelfall handelt, in der ein eigener Rechtssatz des Berufungsgerichts gerade nicht zum Ausdruck kommt (vgl im Einzelnen BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 45).
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI11576434 |