Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 26.10.2022; Aktenzeichen L 4 KA 63/19)

SG Marburg (Urteil vom 30.10.2019; Aktenzeichen S 17 KA 47/16)

 

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. Oktober 2022 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 9706,52 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer eingeschränkten Einzelfallprüfung der Gebührenordnungsposition (GOP) 23220 (Psychotherapeutisches Gespräch als Einzelbehandlung) des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä).

In 2014 leitete die Prüfungsstelle gegen den Kläger, der als psychologischer Psychotherapeut an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt, eine Prüfung der Wirtschaftlichkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen für das Jahr 2011 ein. Im Hinblick auf die Abrechnung der GOP 23220 EBM-Ä seien im Vergleich zur maßgeblichen Vergleichsgruppe der vollzugelassenen psychologischen Psychotherapeuten für die Quartale 1/2011 bis 4/2011 Überschreitungen zwischen 170,93 % (2/2011) bis 387,33 % (4/2011) festzustellen. Die von der Prüfungsstelle im Verfahren beauftragte Prüfreferentin, eine psychologische Psychotherapeutin, führte in ihrer Stellungnahme ua aus, dass die mehrfache Abrechnung der GOP 23220 EBM-Ä bei einer laufenden Kurzzeittherapie nicht nachvollziehbar sei. Gleiches gelte hinsichtlich probatorischer Sitzungen. Auch wenn eine Behandlung insgesamt nur wenige Therapieeinheiten umfasse, so handele es sich doch um eine Kurzzeittherapie, welche bei der für den Patienten zuständigen Krankenkasse hätte beantragt werden müssen.

Die Prüfungsstelle setzte für die Quartale 1/2011 bis 4/2011 einen Regress iHv 9706,52 Euro brutto fest, wobei sie ihrer Begründung im Wesentlichen die Einschätzung der Prüfreferentin zugrunde legte (Bescheid vom 29.9.2014). Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies der beklagte Beschwerdeausschuss als unbegründet zurück (Beschluss vom 7.1.2016). Zwar könne die GOP 23220 EBM-Ä grundsätzlich auch bei laufenden, nach dem Antragsverfahren gemäß der Psychotherapie-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses durchgeführten Behandlungen und neben solchen Behandlungen in Ansatz gebracht werden. Zu beachten sei allerdings, dass die Psychotherapie-Richtlinien "ein striktes und differenziertes Zulassungsverfahren" vorschrieben, "wenn Psychotherapie im Rahmen des Versorgungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden soll". Diesen Vorgaben gebühre "ein gewisser Vorzug". Anhand der Beanstandungen der Fachreferentin sei genau abgewogen und abgeschätzt worden, wo sich der - weit überdurchschnittliche - Ansatz der GOP 23220 EBM-Ä als unwirtschaftlich erwiesen habe.

Auf die Klage des Klägers hat das SG den Beschluss des Beklagten vom 7.1.2016 aufgehoben und diesen zur Neubescheidung verurteilt (Urteil vom 30.10.2019). Das LSG hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 26.10.2022). Es bestünden bereits Zweifel, ob der Beschluss des Beschwerdeausschusses den Begründungsanforderungen nach § 35 SGB X genüge, da kaum nachzuvollziehen sei, inwiefern und mit welchem Ergebnis eine beschränkte Einzelfallprüfung durch den Beklagten erfolgt sei. Jedenfalls aber könne eine Abrechnung der GOP 23220 EBM-Ä bei laufender Probatorik, Kurzzeittherapie oder Langzeittherapie oder im Anschluss hieran nicht - wovon der Beklagte aber ausgehe - per se eine Unwirtschaftlichkeit im Einzelfall begründen. Nach dem - für die Auslegung maßgeblichen - Wortlaut sei die Berechnungsfähigkeit lediglich neben den GOP der Abschnitte 35.1 und 35.2 EBM-Ä ausgeschlossen. Kern der Begründung des Beklagten für die Annahme der unwirtschaftlichen Behandlung sei aber, dass der Psychotherapie-Richtlinie und der Einhaltung der dazu erlassenen Regelungen "ein gewisser Vorzug" gebühre, da hierdurch eine "gewisse zusätzliche externe Qualitätskontrolle (durch die Krankenkassen)" möglich werde. Dies überzeuge nicht. Parameter des "gewissen Vorzugs" benenne der Beklagte nicht. Soweit er zur Begründung der Unwirtschaftlichkeit den "weit überdurchschnittlichen" Ansatz der GOP 23220 EBM-Ä heranziehe, sei nicht berücksichtigt, dass die Einzelfallprüfung im Gegensatz zur sogenannten Durchschnittsprüfung stehe. Einzelfallprüfungen setzten nicht an dem allgemeinen Vergleich mit dem durchschnittlichen Aufwand der Fachgruppe an, sondern hätten direkten Bezug zu dem tatsächlichen (konkreten) Behandlungs- und Verordnungsverhalten des Arztes.

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht der Beklagte die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG).

II

Die Beschwerde des Beklagten hat keinen Erfolg. Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache liegt nicht vor.

1. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 29.11.2006 - B 6 KA 23/06 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 mwN; BSG Beschluss vom 28.10.2015 - B 6 KA 12/15 B - SozR 4-2500 § 116 Nr 11 RdNr 5; BSG Beschluss vom 15.10.2020 - B 6 KA 16/20 B - juris RdNr 8). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, wenn die aufgeworfene Frage bereits geklärt ist oder sich ohne Weiteres auf der Grundlage der Rechtsvorschriften oder aus schon vorliegender Rechtsprechung klar beantworten lässt (BSG Beschluss vom 11.10.2017 - B 6 KA 29/17 B - juris RdNr 4). Klärungsfähigkeit ist nicht gegeben, wenn die aufgeworfene Rechtsfrage nicht im Revisionsverfahren zur Entscheidung anstünde oder wenn die Bedeutung über den Einzelfall hinaus fehlt, weil eine weitergehende Bedeutung der Rechtsfrage für weitere Fälle nicht erkennbar ist oder die Rechtsfrage aufgrund besonderer Gestaltung des Rechtsstreits einer verallgemeinerungsfähigen Beantwortung nicht zugänglich ist (vgl zB BSG Beschluss vom 13.2.2019 - B 6 KA 17/18 B - juris RdNr 7 mwN).

Der Beklagte bezeichnet die folgenden Rechtsfragen als grundsätzlich bedeutsam:

"Darf von einem psychotherapeutischen Leistungserbringer während einer genehmigten Kurzzeittherapie zusätzlich mehrfach - bis zu 15-mal - die GOP 23220 EBM (Psychotherapeutisches Gespräch als Einzelbehandlung) statt einer im Antragsverfahren erfolgenden Psychotherapiesitzung abgerechnet werden?"

und

"Ist die GOP 23220 EBM während der Phase der probatorischen Sitzungen zusätzlich zur GOP 35150 EBM - auch in der Addition mehrerer 10-Minuten-Gespräche - bis zu 15-mal abrechnungsfähig?"

Die vom Beklagten zur Abrechenbarkeit der GOP 23220 EBM-Ä aufgeworfenen Fragen sind in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Die Fragen beziehen sich allein darauf, unter welchen Voraussetzungen die GOP 23220 EBM-Ä von einem psychotherapeutischen Leistungserbringer rechtmäßig abgerechnet werden kann. Dies kann in einem Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht geklärt werden.

Zwischen Wirtschaftlichkeitsprüfung und sachlich-rechnerischer Richtigstellung bestehen grundsätzliche Unterschiede, auch wenn es zwischen beiden Instrumenten inhaltliche Überschneidungen gibt. Regelmäßig ist eine sachlich-rechnerische Richtigstellung vorrangig, weil sinnvollerweise nur die Honorarforderung des Vertragsarztes der Prüfung auf ihre Wirtschaftlichkeit unterzogen werden kann, die sachlich-rechnerisch richtig und auch ansonsten rechtmäßig ist. Honoraranforderungen für fehlerhaft abgerechnete Leistungen, zB für ohne die erforderliche Genehmigung bzw überhaupt nicht erbrachte Leistungen, sind unberechtigt und bedürfen keiner Prüfung auf ihre Wirtschaftlichkeit (BSG Urteil vom 27.4.2005 - B 6 KA 39/04 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 10 RdNr 14 = juris RdNr 20; BSG Urteil vom 13.5.2020 - B 6 KA 25/19 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 63 RdNr 59). Allerdings ist dieser grundsätzliche Vorrang der Abrechnungskorrekturen praktisch vielfach nicht umsetzbar, weil für die zuständigen Behörden nicht von vorneherein erkennbar ist, ob bei Auffälligkeiten der Honorarabrechnung fehlerhafte Ansätze der Gebührenordnung oder eine unwirtschaftliche Leistungserbringung bzw -abrechnung vorliegen oder ob beides zusammentrifft. Vielfach zeigt erst eine nähere Untersuchung der Abrechnung im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung, dass bestimmte, gegebenenfalls extreme Überschreitungen des Vergleichsgruppendurchschnitts hinsichtlich einzelner Leistungssparten oder - besonders deutlich - hinsichtlich einzelner Gebührenpositionen auf einen Fehlansatz zurückgehen (vgl BSG Urteil vom 27.4.2005 - B 6 KA 39/04 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 10 RdNr 13 = juris RdNr 19). In dieser Situation hält der Senat die Prüfgremien für berechtigt, sachlich-rechnerische Richtigstellungen vorzunehmen, wenn diese neben der eigentlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung von untergeordneter Bedeutung sind (sog Annexkompetenz oder Randzuständigkeit, vgl hierzu BSG Urteil vom 20.9.1995 - 6 RKa 56/94 - SozR 3-2500 § 106 Nr 29 S 163 = juris RdNr 15; BSG Urteil vom 27.4.2005 - B 6 KA 39/04 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 10 RdNr 13 = juris RdNr 19; BSG Urteil vom 6.9.2006 - B 6 KA 40/05 R - BSGE 97, 84 = SozR 4-2500 § 106 Nr 15, RdNr 19; BSG Urteil vom 29.11.2006 - B 6 KA 39/05 R - SozR 4-2500 § 106a Nr 3 RdNr 12, 17; BSG Urteil vom 18.8.2010 - B 6 KA 14/09 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 29 RdNr 52). Wenn der Schwerpunkt der Beanstandungen aber - wie hier - bei einer fehlerhaften Anwendung der Gebührenordnung liegt, müssen die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung das Prüfverfahren abschließen und der Kassenärztlichen Vereinigung Gelegenheit geben, sachlich-rechnerische Richtigstellungen vorzunehmen (BSG Urteil vom 13.5.2020 - B 6 KA 25/19 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 63 RdNr 59).

Die von dem Beklagten aufgeworfenen Fragestellungen zielen ausschließlich auf die - aus seiner Sicht - fehlerhafte Abrechnung der GOP 23220 EBM-Ä. Dies wird deutlich, wenn er in der Beschwerdebegründung formuliert, streitig sei "die Rechtmäßigkeit einer Honorarkürzung der Gebührenordnungsposition 23220" (Beschwerdebegründung S 1), eine "maßgeblich am Wortlaut einer GOP orientierte Abrechnungsmöglichkeit" würde "den Sinn und Zweck" der vor einer Kurzzeit- oder Langzeittherapie erforderlichen Genehmigung unterlaufen (Beschwerdebegründung S 11), "der Leistungstatbestand der GOP 23220 EBM" sei "im Zusammenhang mit der antrags- und genehmigungspflichtigen Kurzzeittherapie zweifelhaft" (Beschwerdebegründung S 11) und zur Klarstellung des Wortlauts der Leistungslegende bedürfe "es vielmehr ergänzend einer systematischen Interpretation im Sinne einer Gesamtschau der im inneren Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Gebührenregelungen" (Beschwerdebegründung S 13). Fragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der hier zu beurteilenden eingeschränkten Einzelfallprüfung hat der Beklagte dagegen nicht formuliert. Bei dieser Art der Einzelfallprüfung wird die vom Arzt dokumentierte Diagnose als zutreffend zugrunde gelegt und überprüft, ob auf dieser Grundlage der vom Arzt vorgenommene Behandlungsumfang gerechtfertigt ist (BSG Urteil vom 27.6.2007 - B 6 KA 44/06 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 17 RdNr 14; BSG Beschluss vom 3.11.2010 - B 6 KA 35/10 B - juris RdNr 14).

Zudem hat das LSG auch nicht entschieden, dass psychotherapeutische Gespräche als Einzelbehandlung nach der GOP 23220 EBM-Ä während einer genehmigten Kurzzeittherapie bzw neben einer probatorischen Sitzung bis zu 15-mal abgerechnet werden können. Es hat vielmehr darauf abgestellt, dass eine Abrechnung der entsprechenden GOP bei laufender Kurzzeittherapie oder probatorischer Behandlung nicht grundsätzlich eine Unwirtschaftlichkeit im Einzelfall begründe bzw kein genereller Vorrang von antragspflichtigen Psychotherapien in diesem Zusammenhang bejaht werden könne. Ob im Einzelfall entsprechende Indikationen gemäß den Leistungslegenden vorlägen, sei unter Beachtung des fakultativen Leistungsinhalts zu entscheiden.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm §§ 154 ff VwGO. Danach hat der Beklagte die Kosten des von ihm ohne Erfolg durchgeführten Rechtsmittels zu tragen (§ 154 Abs 2 VwGO). Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen ist nicht veranlasst, da sie keine Anträge gestellt haben (§ 162 Abs 3 VwGO).

3. Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 3 Satz 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG. Sie entspricht dem Regress in den streitbefangenen Quartalen.

Oppermann

Rademacker

Loose

 

Fundstellen

Dokument-Index HI16148564

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