Verfahrensgang
SG Speyer (Entscheidung vom 09.12.2019; Aktenzeichen S 21 SO 275/16) |
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 28.01.2021; Aktenzeichen L 1 SO 152/19) |
Tenor
Der Antrag der Klägerin, ihr zur Durchführung des Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 28. Januar 2021 - L 1 SO 152/19 - Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
I
Im Streit ist ein Anspruch auf Eingliederungshilfeleistungen im Zusammenhang mit einer (neuen) Unterkunft.
Die Klägerin beantragte 2015 Eingliederungshilfeleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) bei dem Beklagten, was dieser zunächst ablehnte (Bescheid vom 11.1.2016; Widerspruchsbescheid vom 28.11.2016). Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Speyer nahm er die Bescheide zurück und gewährte Leistungen der ambulanten Eingliederungshilfe bis April 2018, ua Hilfe bei der Wohnungssuche. Ein Antrag der Klägerin, den Beklagten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, ihr eine Wohnung zu verschaffen, hatte keinen Erfolg (Beschluss des SG vom 4.3.2019; Beschluss des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Rheinland-Pfalz vom 1.4.2019). Nach Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens anerkannte der Beklagte einen Anspruch der Klägerin auf Leistungen der Eingliederungshilfe dem Grunde nach, was die Klägerin nicht annahm, sondern (weiterhin) die Beschaffung einer Unterkunft als Eingliederungshilfeleistung verlangte. Das SG hat den Beklagten verurteilt, der Klägerin Eingliederungshilfe dem Grunde nach zu gewähren und die Klage im Übrigen abgewiesen (Urteil vom 9.12.2019). Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 28.1.2021). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die Klägerin habe während des Berufungsverfahrens zweimal eine Wohnung angemietet und damit ihr Klageziel erreicht, weshalb das Rechtsschutzbedürfnis entfallen sei. Für einen nach § 68 Abs 1 Satz 1 SGB XII möglichen Anspruch auf Beschaffung einer Wohnung sei der Beklagte überdies nicht örtlich zuständig. Soweit die Klägerin nunmehr auch - nicht streitgegenständliche - Leistungen der Wohnungserstausstattung (Möbel) geltend mache, sei zunächst ein Antrag beim zuständigen SGB XII-Träger zu stellen. Auch für weitergehende Leistungen der Eingliederungshilfe sei der bisherige Sozialhilfeträger seit 1.1.2020 nicht mehr zuständig, eine Funktionsnachfolge liege nicht vor.
Die Klägerin hat beim Bundessozialgericht (BSG) am 12.3.2021 beantragt, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und ihr für die Durchführung des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde Prozesskostenhilfe (PKH) zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen. Zu Unrecht habe das LSG über ihren Anspruch auf Eingliederungshilfeleistungen nicht umfassend entschieden und deshalb den Streitgegenstand verkannt (§ 123 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫), hierzu rechneten auch teilhabebedingt benötigte Einrichtungsgegenstände (Möbel, Kühlschrank).
II
Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist - ungeachtet der Frage, ob der Klägerin Wiedereinsetzung in einem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren zu gewähren ist - nicht begründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung ≪ZPO≫); daran fehlt es hier. Hinreichende Aussicht auf Erfolg wäre nur zu bejahen, wenn einer der drei in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte; denn nur diese Gründe können zur Zulassung der Revision führen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Der Rechtssache kommt nach Aktenlage keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Klärungsbedürftige Rechtsfragen stellen sich angesichts der gefestigten Rechtsprechung des BSG zur Auslegung eines klägerischen Begehrens (§ 123 SGG, vgl etwa BSG vom 6.12.2018 - B 8 SO 38/18 B - juris RdNr 6 mwN) und zum Entfallen des Rechtsschutzbedürfnisses bei Klaglosstellung oder Erreichung des Klageziels auf andere Weise (vgl etwa BSG vom 28.5.2015 - B 12 KR 7/14 R - SozR 4-2500 § 240 Nr 28 RdNr 41; BSG vom 24.6.1998 - B 9 SB 17/97 R - BSGE 82, 176, 177 = SozR 3-3870 § 4 Nr 24 S 94 = juris RdNr 11 mwN) nicht. Das BSG hat auch bereits entschieden, dass Leistungen der Eingliederungshilfe - auch hinsichtlich des Grundbedürfnisses des Wohnens - nicht erforderlich sind, wenn sie durch Ansprüche auf andere Sozialleistungen abgedeckt werden (BSG vom 4.4.2019 - B 8 SO 12/17 R - BSGE 128, 43 = SozR 4-3500 § 53 Nr 9, RdNr 29). Ebenfalls in der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass es sich bei der antragsabhängigen Eingliederungshilfe nach dem seit 1.1.2020 geltenden Recht nicht mehr um materielle Sozialhilfe im Sinne einer existenzsichernden Leistung, sondern um ein gänzlich neues Leistungserbringungsrecht handelt (vgl BSG vom 28.1.2021 - B 8 SO 9/19 R - RdNr 19, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem seit 1.1.2020 geltenden Teil 2 des Sozialgesetzbuchs Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen - (SGB IX) sind nicht zulässiger Streitgegenstand des Rechtsstreits, weil die Entscheidungen des Beklagten keine Regelungen über Leistungen nach dem SGB IX enthalten, sondern sich auf Eingliederungshilfe als Leistung der Sozialhilfe nach dem bis 31.12.2019 geltenden Recht beschränken, weshalb im vorliegenden Rechtsstreit Leistungsansprüche für die Zeit ab dem 1.1.2020 nicht geklärt werden können (vgl BSG vom 24.6.2021 - B 8 SO 19/20 B).
Nach dem Vorstehenden kommt auch eine Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) nicht in Betracht.
Auch ein Verfahrensmangel nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG liegt nicht vor, da das LSG den Streitgegenstand nicht verkannt und damit nicht gegen § 123 SGG verstoßen hat. Nach § 123 SGG entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Bei unklaren Anträgen muss das Gericht mit den Beteiligten klären, was gewollt ist, und vor allem bei nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten darauf hinwirken, dass sachdienliche und klare Anträge gestellt werden (§ 106 Abs 1, § 112 Abs 2 Satz 2 SGG; vgl BSG vom 1.3.2018 - B 8 SO 52/17 B, mwN). Im Übrigen ist bei nicht eindeutigen Anträgen das Gewollte, also das mit der Klage bzw der Berufung verfolgte Prozessziel, im Wege der Auslegung festzustellen (vgl BSG vom 22.3.1988 - 8/5a RKn 11/87 - BSGE 63, 93, 94 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 180; BSG vom 8.12.2010 - B 6 KA 38/09 R - MedR 2011, 823). In entsprechender Anwendung der Auslegungsregel des § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist der wirkliche Wille zu erforschen. Dabei sind nicht nur der Wortlaut, sondern auch die sonstigen Umstände des Falles, die für das Gericht und die anderen Beteiligten erkennbar sind, zu berücksichtigen (vgl nur BSG vom 25.6.2002 - B 11 AL 23/02 R - juris RdNr 21; BSG vom 8.11.2005 - B 1 KR 76/05 B - SozR 4-1500 § 158 Nr 2). Ausweislich der von der Klägerin zunächst beantragten Gewährung von "Eingliederungshilfe dem Grunde nach" (Bl 112 SG-Akte), im Erörterungstermin vom 7.2.2018 konkretisiert auf "die Zur-Verfügung-Stellung einer Wohnung gemäß § 55 Nr. 5 SGB XII" (Bl 284 f SG-Akte) und dem in der mündlichen Verhandlung vor dem SG gestellten Antrag, ihr "Eingliederungshilfe in Form der Beschaffung einer Wohnung" zu gewähren (Bl 503 SG-Akte), ist eine Verkennung des Streitgegenstands nicht ersichtlich.
Mit der Ablehnung der Bewilligung von PKH entfällt zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).
Fundstellen
Dokument-Index HI14693260 |